Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht

Rechtsvergleichung mit Japan als Baustein einer europäischen Asienstrategie

Autoren
Baum, Harald
Abteilungen
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg
Zusammenfassung
Die stetig wachsende politische wie wirtschaftliche Bedeutung Asiens steht außer Frage. Europa fehlt es indes bislang an einer kohärenten Strategie für diese Heraus­forderung. Die seit 150 Jahre bestehende freundschaftliche Beziehung zwischen Deutschland und Japan bietet die Chance, in Zusammenarbeit mit einer asiati­schen Führungs­nation das deutsche Engagement in Asien zu vertiefen. Das Recht und die Rechtsvergleichung mit dem japanischen Recht, das dem deutschen in vielem verwandt ist, können ein wichtiger Baustein für ein Asienkonzept sein.

Asien und Europa – Japan und Deutschland

Beim Ostasiatischen Gipfeltreffen (EAS) im Herbst 2011 waren die Europäer erst gar nicht eingeladen, beim kurz zuvor abgehaltenen Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforum (APEC) hatten sie zumindest noch Beobachterstatus. Während es in den Vereinigten Staaten gerade zu einer Wiederentdeckung Asiens kommt, fehlt es in Europa bislang an einer kohärenten Strategie dafür, wie mit der Herausforderung umgegangen werden soll, die aus der stetig zunehmenden politischen wie wirtschaftlichen Bedeutung Asiens für die Zukunft erwächst. Im Jahr 2011 jährte sich zum 150. Male die freundschaftliche und historisch unbelastete Beziehung zwischen Deutschland (zunächst Preußen) und Japan, nach wie vor eine der führenden asiati­schen Nationen. Diese Beziehung bietet die große Chance, über und in Zusammenarbeit mit dem japanischen Partner das deutsche Engagement in der asiatischen Region zu vertiefen. Japan war lange Zeit der einzige nicht westliche Staat, der wirtschaftlich und politisch auf Augenhöhe mit den west­lichen Industriestaaten stand, in seiner historischen und kulturellen Prägung jedoch asiatisch blieb (Abb. 1).

Das Recht und der Austausch darüber sind wichtige Bausteine in einem umfassenden Asienkonzept. Dazu kann die Rechtsvergleichung mit dem Recht Japans, das dem deutschen, trotz wichtiger Unterschiede im Einzelnen, strukturell in vielem verwandt ist, einen wichtigen Beitrag leisten. Japan verfügt als einziges asiatisches Land seit mehr als einem Jahrhundert über ein modernes, funktionsfähiges Rechtssystem westlicher Prägung. Dieses wurde im letzten Drittel des 19. Jahr­hunderts in einer kulturellen Leistung, die ihresgleichen sucht, innerhalb von nur drei Jahrzehnten nach europäischem Vorbild aufgebaut und ist seit Langem fest in eine demokra­tisch verfasste Gesellschaft eingebettet. Die Ausstrahlung des japanischen Rechts in andere Staaten Ostasiens war und ist erheblich.

Modernes japanisches Recht als Misch­rechts­ordnung

Der rechtswissenschaftliche Austausch mit dem Land sieht sich jedoch aus deutscher Sicht zunächst einmal mit einer erheblichen Sprachbarriere konfrontiert. Zum Zweiten ist bei der Beschäftigung mit dem Recht Japans stets der unterschiedliche institu­tio­nelle Kontext zu berücksichtigen, in den sich das rezipierte Recht einpassen musste. Japan verfügt als alte Kulturnation über eine lange eigen­ständige Tradition der Regelung sozialer Konflikte, die sich gänz­lich unabhängig von den Europa prägenden Einflüssen des römischen Rechts entwickelt hat. Die rezipierten Rechts­figuren stehen daher in einem kulturell grundlegend andersartig geprägtem gesellschaft­lichen Umfeld, das bis heute in starkem Maße durch koopera­tive Verhal­tens­weisen und kommunitaristische Strukturen gekennzeichnet ist. Die geringe Prozessdichte in Japan ist sicherlich nicht ausschließlich, aber zumindest auch auf diese historische Disposition zurückzuführen (Abb. 2).

Berücksich­tigt man ferner, dass das moderne japanische Recht aus geschichtlichen Gründen nach 1945 zusätz­lich nachhaltig vom US-amerikanischen Recht beeinflusst wurde, wird rasch deutlich, dass es sich bei dem heutigem Recht in Japan um eine mehrfach gestufte Mischrechtsordnung, um ein sogenanntes Mixed legal system handelt. Ein sinnvoller Zugang zu diesem verlangt über das Instrumentarium der klassischen funktionalen Rechts­ver­gleichung hinaus einen erweiterten kulturver­gleichend institutionenökonomischen Ansatz [1].

Aufgaben und Stand der Rechtsvergleichung mit Japan

Damit ist das zentrale Aufgabenfeld der Rechtsvergleichung mit Japan bereits umrissen: In einem ersten Schritt ist eine Plattform zu schaffen, über die verläss­liche Informa­tionen zum japanischen Recht in westlichen Sprachen zur Verfügung gestellt werden können. Dies ist mit der Etablierung und internationalen Verankerung der Zeitschrift für Japanisches Recht/Journal of Japanese Law gelungen, die seit 1996 am Hamburger Institut herausgegeben wird. Als weltweit einzige Publikation in Deutsch, Englisch und Französisch analysiert sie fokussiert und kontinuierlich die aktuellen Entwicklungen im japanischen Recht. Die Analyse des gelebten japanischen Rechts muss zum einen handwerkliche Standards für den Umgang mit japanischen Primärquellen, insbesondere für die Transkription und Übersetzung japanischer Fachtermini, erarbeiten. Zum anderen ist es notwendig, ein inter­nationales Netzwerk von Experten aus unterschiedlichen Rechtstraditionen als Autoren aufzubauen, um die Besonderheiten des japanischen Rechts erfassen zu können. Beides ist gelungen und hat sich inzwischen in zahlreichen Sympo­sien im Rahmen der rechtsvergleichenden Triade Europa – Japan – USA bewährt [2, 3].

Wissenschaft und Praxis sind für Informationen zum japanischen Recht gleichermaßen auf die Möglichkeit angewiesen, auf eine komprimierte westliche Darstellung dieses Rechts oder zumindest wesentlicher Teile desselben zurückgreifen zu können. Eine solche Zugriffsmöglichkeit bietet das jüngst am Institut erstellte knapp 2.000 Seiten starke Handbuch Japanisches Handels- und Wirtschaftsrecht (Abb. 3) [4].

Neben der Schaffung des Zugangs zum Recht Japans gilt es in einem zweiten Schritt, dessen Erkenntnisse für die Rechtsvergleichung fruchtbar zu machen. Dies geschieht etwa, indem das japanische Recht immer häufiger in die rechtsvergleichenden Vorarbeiten für den deutschen Gesetzgeber mit einbezogen wird. Ein Beispiel ist das Großgutachten des MPI für ausländisches und internationales Privatrecht zur Mediation, in dem die historisch gewachsenen Erfahrungen Japans mit verschiedenen Formen der außergerichtlichen Streitbeilegung eine zentrale Rolle spielten [5].

Mit Blick auf die eingangs formulierte Herausforderung ist die Öffnung der Rechtsvergleichung über das japanische Recht als Brücke in Richtung weiterer asiatischer Rechtsordnungen überaus fruchtbar. Als ein Beispiel hierfür sei eine aktuelle Studie zur Aktionärsklage genannt (derivate action; Rechtsbehelf der Aktionäre gegen Missmanagement der Unternehmensführung), die neben Japan mit Südkorea, der Volksrepublik China, Taiwan, Hong Kong, Singapur und Indien sechs weitere wichtige asiatische Rechtsordnungen einbindet [6]. Im Mittelpunkt der Forschung steht aber das japanische Recht, denn Japan hat, ungeachtet seiner erwähnten allgemein geringen Prozessdichte, bezüglich dieses speziellen Rechtsbehelfs neben den USA weltweit die meisten Klagen zu verzeichnen. Die Studie zeigt zudem, dass zumindest hinsichtlich der untersuchten Rechtsordnungen die verbreiteten Generalisierungen über die (Dys-)Funktionalität des „Rechts in Asien“ ebenso unhaltbar sind wie die vereinfachende These von der angeblichen Überlegenheit des angloamerikanischen Common Law gegenüber dem Civil Law kontinentaleuropäischer Prägung bezüglich des Schutzes der Anleger und Aktionäre.

Baum, H.
Rechtsvergleichung und Recht in Japan.
In: Bälz, M.; Baum, H. (Hg.), Summer School japanisches Recht. Sonderheft 4 der Zeitschrift für Japanisches Recht. Köln: Carl Heymanns Verlag, 1–20.
Hopt, K. J.; Wymeersch, E.; Kanda, H.; Baum, H. (eds.)
Corporate Governance in Context: Corporations, State, and Markets in Europe, Japan, and the US.
Oxford: Oxford University Press, 2005.
Basedow, J.; Baum, H.; Nishitani, Y. (eds.)
Japanese and European Private International Law in Comparative Perspective.
Tübingen: Mohr Siebeck, 2008.
Baum, H.; Bälz, M. (Hg.)
Handbuch Japanisches Handels- und Wirtschaftsrecht.
Köln: Carl Heymanns Verlag, 2011.
Baum, H.; Schwittek. E.
Mediation in Japan: Entwicklung und Praxis der außergerichtlichen Streitbeilegung.
In: Hopt, K. J.; Steffek, F. (Hg.), Mediation – Rechtstatsachen, Rechtsvergleich, Regelungen. Tübingen: Mohr Siebeck, 2008, 483–566.
Puchniak, D. W.; Baum, H.; Ewing-Chow, M. (eds.)
The Derivative Action in Asia: A Comparative and Functional Approach.
Cambridge: Cambridge University Press, 2012.
Zur Redakteursansicht