Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung

Wie funktioniert ein Sonnenfleck?

Autoren
Lagg, Andreas; Schüssler, Manfred; Solanki, Sami K.
Abteilungen
Sonne und Heliosphäre (Sami K. Solanki)
Zusammenfassung
Die dunklen Sonnenflecken sind Gebiete starken Magnetfeldes auf der Sonnenoberfläche. Die Ursache ihrer charakteristischen Feinstruktur und der damit verbundenen Gasströmungen war für ein Jahrhundert ein ungelöstes Problem der Sonnenphysik. Im Zusammenspiel von Beobachtungen mit höchster räumlicher Auflösung und realistischen Computer-Simulationen wurde dieses Rätsel jetzt gelöst. Die Wechselwirkung des Magnetfeldes mit den konvektiven Strömungen, welche die Energie aus dem Sonneninnern an die Oberfläche transportieren, erklärt Struktur und Dynamik der Sonnenflecken.

1. Das Rätsel der Sonnenflecken

Seit der Erfindung des Teleskopes zu Anfang des 17. Jahrhunderts werden die dunklen Sonnenflecken regelmäßig beobachtet. Sie sind ein deutliches Zeichen der Sonnenaktivität, die in einem etwa 11-jährigen Rhythmus das Sonnensystem und damit auch den erdnahen Weltraum immer wieder mit Eruptionen und Teilchenschauern erschüttert.  Die physikalische Ursache der dunklen Flecken auf der Sonne blieb aber lange Zeit völlig unverstanden, bis im Jahr 1908 George Ellery Hale bis zu 4000 Gauss starke Magnetfelder (etwa 10000-mal stärker als das Erdmagnetfeld) in Sonnenflecken messen konnte. Erst durch diese Entdeckung konnte erklärt werden, warum Sonnenflecken dunkler als die umgebende Sonnenoberfläche erscheinen: Das starke Magnetfeld unterdrückt lokal die Konvektionsströmungen, die heißes Gas aus dem Sonneninnern zur Oberfläche transportieren. Trotzdem blieben grundsätzliche Fragen noch über 100 Jahre ungelöst: Was ist die Ursache für die Unterteilung der Sonnenflecken in einen sehr dunklen inneren Bereich, die Umbra, der von einem helleren Bereich, der Penumbra umgeben ist (siehe Abb. 1)? Was verursacht die langen, hellen und dunklen Filamente in der Penumbra? Warum beobachtet man eine radial nach außen gerichtete Gasströmung von einigen km/s in der Penumbra?

Durch Beobachtungen  mit modernen Teleskopen am Erdboden und durch Messungen von Weltraumsonden aus haben die Sonnenphysiker einen detaillierten Blick auf die Struktur von Sonnenflecken und die Gasströmungen in ihnen gewonnen. Gleichzeitig wurde durch die gewaltige Zunahme an Rechenleistung von Computern eine realistische numerische Modellierung kompletter Sonnenflecken möglich. Die Forscher haben moderne Beobachtungsmethoden, ausgeklügelte Datenanalyse und numerische Simulationen zusammengeführt und so in den letzten Jahren einen Durchbruch im physikalischen Verständnis von Sonnenflecken erzielt. Die lange rätselhaften Filamente in der Penumbra und die systematische Auswärtsströmung konnten mit einem konsistenten physikalischen Modell erklärt werden, das den Energietransport durch Konvektion unter dem Einfluss eines starken Magnetfeldes beschreibt [1, 2]. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau haben entscheidend zur Entschleierung der Geheimnisse der Sonnenflecken beigetragen.

2. Realistische Simulation von Sonnenflecken

Numerische Simulationen haben sich zu einem wertvollen Werkzeug für das Verständnis der physikalischen Prozesse auf der Sonne entwickelt. Solche Simulationen basieren auf den grundlegenden physikalischen Gleichungen der Hydrodynamik und der Elektrodynamik für elektrisch leitfähige Gase unter realistischen solaren Bedingungen. Zusätzlich berücksichtigen sie den Transport von Energie durch elektromagnetische Strahlung (Licht). Um die Simulationen praktisch durchführen zu können, müssen zwar einige Näherungen eingeführt werden, eine solche realistische Simulation hat aber im Prinzip keine frei wählbaren Parameter. Es ist also nicht möglich (und auch gar nicht erwünscht), die Simulation so zu trimmen, dass  sie mit der Beobachtung möglichst gut übereinstimmt.

Die Simulation läuft darauf hinaus, ein System von Gleichungen in jedem der typischerweise 1–10 Milliarden Kreuzungspunkte eines dreidimensionalen Gitters zu lösen. Das Gitter repräsentiert ein Volumen in den oberflächennahen Schichten der Sonne und der darüber liegenden Sonnenatmosphäre. Die Entwicklung in einem solchen Volumen wird dann über einen Zeitraum von Stunden bis Tagen in der Simulation verfolgt. Im Gegensatz zu den Beobachtungen, die nur eine sehr dünne Schicht nahe der optischen Sonnenoberfläche untersuchen können, erlauben die Simulationen einen Blick auf die physikalischen Prozesse, die sowohl in tieferen Schichten als auch in der Sonnenatmosphäre ablaufen. Durch Vergleich der Simulationsresultate mit den Beobachtungen lassen sich Rückschlüsse auf die Realitätsnähe der Simulationen und somit die Gültigkeit der verwendeten Näherungen ziehen. Wenn die Ergebnisse der Simulationen sich als konsistent mit den Beobachtungen erweisen, dann liefern sie detaillierte Informationen über die dreidimensionalen Prozesse, die den beobachteten Phänomenen zugrunde liegen.

In internationaler Kooperation führte die Solar Magnetohydrodynamics Group des MPI für Sonnensystemforschung die weltweit ersten realistischen Simulationen von vollständigen Sonnenflecken durch [1, 2]. Abbildung 2 zeigt eine Momentaufnahme aus einer solchen Simulation, die verschiedene physikalische Größen in einem horizontalen Schnitt nahe der sichtbaren Sonnenoberfläche darstellt. Das simulierte Volumen erstreckt sich noch etwa 1000 km oberhalb und 5000 km unterhalb der gezeigten Schicht. Der hier gezeigte Sonnenfleck gehört zu einem Sonnenfleckenpaar mit entgegengesetzter magnetischer Polarität. Zwischen den beiden Flecken bildet sich eine besonders ausgedehnte Penumbra (in der Abb. links zu sehen). Die Simulation gibt die typische Struktur eines Sonnenfleckes wieder: Eine dunkle Umbra in der Mitte mit starkem, senkrecht zur Sonnenoberfläche gerichtetem Magnetfeld ist umgeben von einer aus helleren und dunkleren Filamenten gebildeten Penumbra. Diese Feinstruktur wird von einer komplexen Magnetfeldgeometrie hervorgerufen. Die helleren Filamente zeigen relativ schwache und nahezu horizontale Magnetfelder, während die dunkleren Filamente stärkeres und eher vertikal orientiertes Magnetfeld aufweisen. Die Simulationen zeigen auch eine andauernde, radial auswärts gerichtete Gasströmung mit Geschwindigkeiten von bis zu 8 km/s entlang der hellen Filamente. Rings um den Sonnenfleck dominiert das Muster der ungestörten konvektiven Strömungen: Heiße, aufsteigende Gasblasen bilden helle Bereiche, die durch Abstrahlung von Licht- und Wärmestrahlung abkühlen. Das abgekühlte Gas fließt in einem Netzwerk von schmalen, dunklen Bändern wieder ins Sonneninnere. Alle diese Eigenschaften stimmen mit den Resultaten hochaufgelöster Sonnenbeobachtungen überein.

Die Simulationen vermitteln eine dreidimensionale Ansicht der physikalischen Größen, sodass die Prozesse, die den Phänomenen zugrunde liegen, identifiziert und im Detail studiert werden können. Die Filamentierung der Penumbra resultiert aus der Umlenkung der konvektiven Gasströmungen durch das dort vorherrschende starke, horizontale Magnetfeld: Heißes, aufsteigendes Gas wird entlang des Magnetfelds kanalisiert und nach außen abgelenkt. Dieser Prozess ist die Quelle der nach außen gerichteten Gasströmung in der Penumbra. Ein Teil des ausströmenden Gases fließt auch quer zur Richtung der hellen Filamente ab und taucht wieder in tiefere Schichten ein. Dieses „Umwälzen“ des Gases erklärt die jüngst beobachteten scheinbaren Drehbewegungen der Filamente und die Abwärtsströmungen an ihren Rändern.

3. Beobachtungen von Sonnenflecken

Die hier beschriebenen Simulationen erlauben das Studium der physikalischen Prozesse auf der Sonnenoberfläche mit einer räumlichen Auflösung, die das Leistungsvermögen moderner Sonnenteleskope bei weitem übersteigt. Sie ermöglichen außerdem einen Blick auf Schichten der Sonnenatmosphäre, die für Beobachtungen nicht zugänglich sind. Um die Ergebnisse der Simulationen zu bestätigen oder auch zu widerlegen, müssen beobachtbare Größen aus den Simulationen extrahiert werden. Wissenschaftler am MPI für Sonnensystemforschung verwenden weltraumgestützte, ballongetragene und auch bodengebundene Teleskope, um diese Observablen zu messen.

Dabei gelang es erstmals, das von den Simulationen vorhergesagte Strömungsmuster in den Filamenten der Penumbra mit einer bisher nicht erreichten Auflösung von nur ~100 km zu detektieren und damit die Theorie der lateralen Umwälzströmungen zu bestätigen [3]. Die Intensitätskarten in Abbildung 3 zeigen die Filament-Struktur der Penumbra im grünen Spektralbereich der Sonne (linkes Bild). Helle und damit heiße Bereiche werden von dunkleren (kühleren) Bereichen umgeben. Die exakte Analyse der Wellenlängenposition der beobachteten CI-Linie (einer Spektrallinie des neutralen Kohlenstoffs bei einer Wellenlänge von 5380 Å) erlaubt aufgrund der geringfügigen Änderung der Wellenlänge durch den Dopplereffekt die Erstellung einer Geschwindigkeitskarte (rechtes Bild in Abb. 3). Hier werden auf- und abwärts gerichtete Gasströmungen in der Sonnenatmosphäre sichtbar. Einige der hellen Filamente in der Penumbra zeigen Aufwärtsströmungen (blau eingefärbt), die von Abwärtsströmungen (rot) umgeben sind. Diese Bereiche, gekennzeichnet durch gelbe Konturlinien, sind ein starkes Indiz für das Vorhandensein der vorhergesagten Umwälzströmungen.

Rempel, M.; Schüssler, M.; Knölker, M.
Radiative magnetohydrodynamic simulation of sunspot structure
Astrophysical Journal 691, 640–649 (2009)
Rempel, M.; Schüssler, M.; Cameron, R. H.; Knölker, M.
Penumbral structure and outflows in simulated sunspots
Science 325, 171–174 (2009)
Joshi, J.; Pietarila, A.; Hirzberger, J.; Solanki, S. K.; Aznar Cuadrado, R.; Merenda, L.
Convective nature of sunspot penumbral filaments: Discovery of downflows in the deep photosphere
Astrophysical Journal Letters 734, L18 (2011)
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