Per Zeitmaschine in die Klimageschichte

28. November 2011

Wenn Klimaforscher in die Vergangenheit blicken, wollen sie für die Zukunft lernen. Daher rekonstruieren Victor Brovkin und seine Mitarbeiter am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie historische Klimaveränderungen und analysieren, durch welche Prozesse sie sich selbst verstärkten. Ihre Erkenntnisse helfen, die Zukunft des Blauen Planeten zu prognostizieren.

Text: Peter Hergersberg

Victor Brovkin ist ein zurückhaltender und geduldiger Gesprächspartner. Bei einem Thema aber wird er geradezu resolut und stellt fest: „Dass sich seit einigen Jahrzehnten das Klima auf der Erde schneller als je zuvor wandelt, ist nach allem, was wir derzeit wissen, die Schuld des Menschen. Er hat mit seinen Aktivitäten Treibhausgase in die Atmosphäre gepumpt.“ Allein der Kohlendioxidgehalt erhöhte sich seit Beginn der Industrialisierung um 40 Prozent, nämlich auf 0,35 Promille. Besonders rapide stieg die Konzentration des Gases, das beim Verfeuern fossiler Brennstoffe entsteht, im vergangenen Jahrhundert. Das schlägt sich auch immer deutlicher in einer steigenden Durchschnittstemperatur der Erde nieder.

Diesen Zusammenhang an dieser Stelle noch einmal zu betonen ist wichtig, denn die Klimageschichte lässt sich verkürzt auch so wiedergeben: Erderwärmungen, manchmal auch abrupte, gehören zur Erdgeschichte wie Meteoriteneinschläge, die Verschiebung der Kontinentalplatten oder Vulkanausbrüche. Und auch der Kohlendioxidgehalt der Luft schwankt stark über die Jahrmillionen, Jahrtausende und selbst Jahrhunderte. Oft sogar in dem Maß, in dem Industrie, Verkehr und Landwirtschaft die Atmosphäre in den vergangenen 200 Jahren mit Treibhausgasen angereichert haben.

Mit einer derart rudimentär erzählten Klimageschichte kommt man in der Öffentlichkeit schnell in eine Ecke, in der Victor Brovkin und seine Kollegen am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie sich ganz und gar nicht sehen wollen: Die Ecke, in der sich diejenigen versammeln, die den menschengemachten Klimawandel immer noch anzweifeln oder gar leugnen. Diese Fraktion argumentiert gern damit, dass es Klimaentwicklungen, wie wir sie gerade erleben, immer schon gab. Was sie nicht sagen: Nach allem, was Forscher heute wissen, schnellte die Kohlendioxidkonzentration nie so rapide in die Höhe wie in den vergangenen zwei Jahrhunderten. Und in den vergangenen zwei Millionen Jahren enthielt die Atmosphäre auch stets weniger Kohlendioxid als heute.

Rückkopplungen verstärken die Erderwärmung

„Der entscheidende Unterschied zwischen dem Wechselspiel aus Klimaerwärmung und Kohlenstoffkreislauf heute und in der vorindustriellen Zeit besteht darin, dass sich Ursache und Wirkung umgekehrt haben“, sagt Brovkin. Als Kohlenstoffkreislauf bezeichnen Wissenschaftler den immerwährenden Zyklus, in dem kohlenstoffhaltige Verbindungen wie Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre gelangen, von den Meeren und Pflanzen wieder aufgenommen werden, in die Luft entweichen und so fort.

Wenn bis vor rund 200 Jahren der Kohlendioxidgehalt in der Luft stieg, handelte es sich dabei stets um das Resultat einer Erderwärmung und wahrscheinlich von Veränderungen in der Vegetation der Kontinente. Allerdings heizte der Treibhauseffekt des Kohlendioxids unserem Planeten dann weiter ein. Bei dem derzeitigen Klimawandel ist das anders: Dahinter steckt der drastisch gestiegene Ausstoß von Treibhausgasen.

Infolge der aktuellen Erderwärmung nehmen die Ozeane weniger Kohlendioxid auf, sodass sie weniger Treibhausgas aus der Atmosphäre entfernen. Auf diese Weise verstärkt sich die momentane Erderwärmung durch Rückkopplungen. Dieser Effekt wirkt sich nach Berechnungen von Brovkin und seinen Mitarbeitern deutlich aus: Steigt die Temperatur auf der Erde um zwei Grad, reichert sich aufgrund der Erwärmung so viel zusätzliches Treibhausgas in der Luft an, dass sich die Erde allein dadurch um weitere rund 0,2 Grad aufheizt.

Der Zusammenhang zwischen Erderwärmung und Kohlenstoffkreislauf sei der Einfachheit halber als ein Schauspiel dargestellt, mit Prolog und drei Akten, die erdgeschichtlich immer kürzer werden, je näher sie an die Gegenwart reichen, je relevanter sie also für unser heutiges Klima sind. Das Stück wird noch fortgeschrieben und könnte dabei für viele Lebewesen der Erde – auch für viele Menschen – schlimm enden. Tragisch dabei: Jene, die am meisten unter dem Wandel leiden müssen, haben am wenigsten Schuld daran.

Mitarbeit an den Sachstandberichten des IPCC

Bisher ist allerdings noch immer unklar, wie die vollständige Besetzungsliste aussieht, welche Rolle einzelne Akteure spielen und ob nicht hinter den Kulissen weitere Protagonisten ihre Strippen ziehen. Dieses Durcheinander wollen Klimaforscher wie Victor Brovkin und seine Kollegen ordnen. Sie nähern sich dem Thema analytisch: Indem sie die Klimavergangenheit simulieren und die Ergebnisse mit gemessenen Daten vergleichen, entwirren sie die einzelnen Handlungsstränge und decken die oft undurchsichtigen Rollen der Beteiligten auf. Und am Ende sagen sie mit ihren Modellen die weitere Handlung des Stücks vorher.

Das könnte sich auch auf der politischen Bühne auswirken. Denn Victor Brovkin schreibt an den Assessment Reports des International Panel on Climate Change (IPCC) mit. Er und seine Kollegen aus aller Welt arbeiten in die Sachstandberichte ein, was sie Neues über die physikalischen Grundlagen des Klimageschehens herausfinden – wenn sie etwa einen neuen Akteur identifiziert haben und seine Rolle beschreiben können.

Für diese Berichte und für das Verständnis des aktuellen Klimawandels ist der Prolog des Schauspiels weniger wichtig, und auch die Forscher um Victor Brovkin beschäftigen sich nicht mit der darin beschriebenen Zeit – obwohl sie den weitaus längsten Teil der Erdgeschichte umfasst, nämlich fast 4,6 Milliarden Jahre. Um zu verstehen, wie komplex die Klimageschichte ist, soll diese Periode stichwortartig zusammengefasst werden.

Die großen klimatischen Entwicklungen der ersten Milliarden Jahre wurden von der Bewegung der Erdplatten geprägt. Der auseinanderbrechende Superkontinent Gondwana, der alle heutigen Kontinente umfasste, eröffnete Wege für neue Meeresströmungen – das Klima veränderte sich. Dieser Prozess geht natürlich weiter, dauert aber viel zu lange, um im derzeitigen Klimageschehen eine Rolle zu spielen. Als Resümee des Prologs bleibt festzuhalten: Auf ganz lange Sicht kühlte sich die Erde ab, in den vergangenen 65 Millionen Jahren sogar um fünf bis zehn Grad.

Langfristig bestimmen Eiszeit-Zyklen das Klima

Im ersten Akt – er umfasst den Zeitraum der vergangenen 800 000 Jahre – beginnt eine Phase, die im Prinzip auch heute noch die langfristige Entwicklung des Klimas bestimmt: der ständige Wechsel von Kalt- und Warmzeiten. Die Ursachen der Eiszeitzyklen sind kosmischer Natur, denn sie hängen davon ab, wie die Erde um die Sonne kreist: „Die Neigung ihrer Achse zur Umlaufbahn ist vermutlich der wichtigste Faktor“, sagt Victor Brovkin. Bei einer fast senkrechten Erdachse verwischt der Unterschied zwischen den Jahreszeiten. Die Sommer sind dann vor allem in den hohen nördlichen Breiten zu kalt, um den Schnee des Winters zu schmelzen. Das Klima auf der Erde wird zudem davon beeinflusst, dass die Erde auf ihrer Umlaufbahn ein wenig taumelt und ihre Bahn mal eher einem Kreis und mal eher einer Ellipse entspricht.

Diese Faktoren erklären, warum sich in regelmäßigen Abständen Eis über die Nordhalbkugel ausbreitet. Warum es sich regelmäßig wieder zurückzieht, lässt sich damit nicht begründen, und Klimaforscher haben diesen Prozess auch noch nicht ganz verstanden. „Das liegt vermutlich daran, dass die Eismassen irgendwann so stark angeschwollen sind, dass sie bei der stärkeren Sonneneinstrahlung im Sommer instabil werden“, sagt Victor Brovkin.

Ist es erst einmal so weit gekommen, verstärkt sich die Erwärmung von selbst – weil nun Treibhausgase in die Atmosphäre entweichen. Diese Rückkopplung interessiert die Hamburger Forscher: „Die Gründe dafür sind noch nicht endgültig geklärt“, so Brovkin. Immerhin kennen die Wissenschaftler ein paar Mechanismen, die am Ende einer Eiszeit einsetzen. So speichern die wärmer werdenden Ozeane weniger Kohlendioxid, weil dessen Löslichkeit in wärmerem Wasser sinkt. Außerdem wird das Meer in einer Warmzeit saurer, wodurch es ebenfalls weniger Treibhausgas aufnimmt.

Eisendünger im Meer kurbelt das Algenwachstum an

Um die Stärke dieser Rückkopplungsmechanismen zu bestimmen und um weitere Effekte zu identifizieren, simulieren Klimahistoriker am Computer, wie die Erderwärmung und die wachsende Menge an Treibhausgasen zusammenhängen. Victor Brovkin und seine Kollegen haben ihre bisherigen Einsichten mithilfe eines Modells namens Climber-2 – kurz für Climate-Biosphere, Version 2 – gewonnen, es dient ihnen als eine Art virtuelle Zeitmaschine. Die Ergebnisse ihrer Rechnungen vergleichen sie dann mit gemessenen Kohlendioxidwerten, die Forscher um Jérôme Chappellaz am Labor für Glaciologie und Geophysik der Umwelt CNSR in Grenoble aus Eisbohrkernen gewinnen.

Eis enthält in gelöster Form oder in winzigen Gasbläschen die Luft der Vergangenheit. Dort, wo sich das Eis also schon seit Jahrtausenden auftürmt, finden Klimaforscher ein Archiv historischer Treibhausgaswerte. Indem sie den Kohlendioxidgehalt im Eis der Antarktis analysieren, blicken Wissenschaftler sogar bis zu eine Million Jahre in die Vergangenheit des Klimas zurück.

Victor Brovkin hat gemeinsam mit Kollegen vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, der Universität Chicago und der Universität Lüttich berechnet, wie sich die Menge an Treibhausgasen in der Luft während des letzten Eiszeitzyklus entwickelte, der vor etwa 120 000 Jahren begann. Dabei haben sie in Climber-2 schrittweise immer mehr geophysikalische und biogeochemische Prozesse eingebaut, die Akteure im Klimasystem.

Besonders interessant ist für die Forscher der Übergang zwischen der Kalt- und der Warmzeit vor etwa 12000 Jahren. Denn hier nahm die Kohlendioxidmenge innerhalb weniger Jahrtausende um fast ein Drittel zu und kletterte von 0,19 Promille auf 0,27 Promille. Diesen Anstieg können Brovkin und seinen Kollegen ziemlich gut simulieren, wenn sie neben der Änderung der Meereszirkulation und der Carbonatchemie zwei Effekte berücksichtigen, die sie unter den Stichworten Eisendüngung und Land zusammenfassen.

Eisendüngung bedeutet, dass während der trockenen Eiszeiten mehr eisenhaltiger Staub vom Land auf die Meere geweht wird und dort das Algenwachstum ankurbelt. Daher brachten manche Forscher die Eisendüngung der Meere immer wieder ins Spiel, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen. Doch die Wirkung ist zu gering, um als Handhabe gegen den Anstieg von rund 0,1 Promille zu dienen, den der Mensch bisher verursacht hat. Dennoch ist die Eisendüngung wichtig, um den Zusammenhang zwischen Erderwärmung und Kohlendioxidgehalt in der Luft zu verstehen. Vor allem, wenn während einer feuchten Warmzeit weltweit weniger Eisendünger auf das Meer getrieben wird. Dann gedeihen die Algen nicht mehr so prächtig und nehmen weniger Kohlendioxid auf. In den Rechnungen der Klimaforscher um Victor Brovkin macht sich das als Anstieg des atmosphärischen Kohlendioxids um 0,04 Promille bemerkbar.

An Land konkurrieren viel teils gegensätzliche Mechanismen

Ebenso setzen während einer Warmzeit Prozesse an Land Treibhausgas frei, wenn auch in geringerem Maße. Allerdings konkurrieren hier viele teils gegensätzliche Mechanismen. Zu einer Erhöhung der Kohlendioxidmenge trägt bei, dass Mikroorganismen im Boden organisches Material wie Blätter bei wärmeren Temperaturen schneller abbauen; so entweicht mehr Treibhausgas. Außerdem wurde es nach der Warmzeit im Norden feuchter, aber die Subtropen trockneten aus, wodurch ebenfalls Kohlendioxid freikam. Dagegen bauen Pflanzen umso effizienter und folglich produktiver Biomasse auf, je mehr Kohlendioxid die Luft enthält. Auf diese Weise reduzieren sie die Stärke des Treibhauseffekts.

Verglichen mit dem Part der Ozeane und ihrer winzig kleinen Bewohner spielen die Landmassen im Klima eher eine Nebenrolle. Ihre Reaktion auf eine Erderwärmung zu verstehen, ist für Klimaforscher dennoch wichtig. Nicht zuletzt, um abzuschätzen, wie sich der aktuelle Klimawandel auf Land- und Forstwirtschaft auswirken wird.

Um weitere Akteure im Wechselspiel von Klima und Kohlenstoffkreislauf zu identifizieren, widmen sich Victor Brovkin und seine Kollegen besonders intensiv der aktuellen Warmzeit. Diese Epoche, die vor ziemlich genau 11700 Jahren begann und wissenschaftlich Holozän heißt, ist mindestens aus zwei Gründen einen eigenen, den zweiten Akt im Klimaschauspiel wert. Zum einen blieb das Klima in den vergangenen 11700 Jahren außergewöhnlich stabil. Wenn also die letzten Skeptiker des menschengemachten Klimawandels darauf verweisen, ein turbulentes Auf und Ab habe schon immer zur Klimageschichte gehört, haben sie recht. Die menschliche Zivilisation konnte sich aber vermutlich nur entwickeln, weil sich das Klima im Holozän etwas beruhigt hatte.

Zum anderen bietet sich den Wissenschaftlern für diese Zeit ein besonders genauer und detaillierter Blick auf die Temperaturkurve der Erde: In nahezu allen Feuchtgebieten und in den Sedimenten der Seen haben sich Pollen erhalten. Diese lassen sich mit der Radiocarbonmethode, die auf dem radioaktiven Zerfall eines Kohlenstoffisotops beruht, zumindest für die vergangenen 20000 Jahre zuverlässig datieren. Anhand der Menge der Pollen und ihrer Zusammensetzung rekonstruieren Wissenschaftler die Vegetation einer bestimmten Zeit. Daraus wiederum ermitteln sie sehr exakt die Temperatur, denen die Pflanzen ausgesetzt waren.

Korallenriffe und Moore kommen ins Spiel

Die genaue Datenlage, die Klimaforscher durch mathematische und statistische Analysen erhalten, ermöglicht es ihnen, ihre Simulationen besser zu bewerten und feiner zu justieren. Zudem brauchen sie für den relativ kurzen Zeitraum des Holozäns weniger Rechenleistung als für einen kompletten Eiszeitzyklus. Daher können sie den Kohlendioxidhaushalt der Erde in dieser Epoche mit höherer räumlicher Auflösung und für kleinere Zeitintervalle nachstellen.

Wie Simulationen belegen, kommen in einer Warmzeit wie dem Holozän Korallen als Faktor ins Spiel. Ihre Riffe sprießen in wärmerem Wasser geradezu aus dem Meeresboden und entfernen Calcium aus dem Wasser. Das fehlt dann, um im Meer Kohlendioxid als Carbonat zu binden. Die Ozeane speichern so weniger Kohlendioxid. Zudem integrierten die Wissenschaftler Moore in das Modell. In den Sumpflandschaften verrottet organisches Material kaum. Sie speichern daher Kohlenstoff. Unterm Strich überwiegt jedoch die Wirkung der Korallenriffe, wie die Rechnungen zeigen.

Die Bautätigkeit der Wassertierchen hilft den Forschern daher auch, den Menschen in einem Streitfall der Klimageschichte von Schuld freizusprechen. Denn bereits in den 8000 Jahren vor der Industrialisierung nahm die Menge an Kohlendioxid in der Luft leicht zu, nämlich um 0,02 Promille. Manche Wissenschaftler erklären diesen Anstieg damit, dass in dieser Zeit immer mehr Menschen die Erde bevölkerten, die zudem anfingen, die Wälder zu roden. Manche Wissenschaftler vermuten sogar, Homo sapiens habe damit bereits die nächste Eiszeit hinausgezögert. „Unsere Rechnungen ergaben jedoch, dass der Effekt der Korallenriffe in dieser Zeit groß genug ist, um diesen Anstieg zu erklären“, sagt Thomas Kleinen, der das Szenario am Max-Planck-Institut für Meteorologie simuliert hat.

Der dritte und vorerst letzte Akt des Klimaschauspiels beginnt erst mit der Industrialisierung vor etwa 200 Jahren. In ihm hat der Mensch eine tragende Rolle in dem Geschehen übernommen und den Kohlendioxidgehalt der Luft bisher auf etwa 0,38 Promille hochgetrieben. Sollte er weiter ungebremst Kohle, Öl und Gas verfeuern, würde die Konzentration auf 1,9 Promille steigen und das Treibhaus Erde sich um mehr als sechs Grad aufheizen. Soll die Erwärmung auf zwei Grad begrenzt werden, wie es Staatschefs aus aller Welt auf der Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 vereinbart haben, darf die Treibhausgaskonzentration nicht über 0,5 Promille steigen. Doch selbst diese Erwärmung ist gefährlich weil sie sich sehr schnell vollzieht und sich ebenso rasch selbst verstärkt.

Treibhausgase bleiben Jahrtausende

Viel langsamer greifen Mechanismen, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen: Auf der wärmeren Erdoberfläche verwittert Gestein schneller, wobei Silicium- und Calciumcarbonate entstehen, die das Gas binden. Doch bis das freigesetzte Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre beseitigt ist, vergehen nicht nur einige Hundert Jahre, wie manche Klimaforscher annehmen. Victor Brovkin und David Archer von der Universität Chicago haben berechnet, dass zwar die Hälfte des ausgestoßenen Treibhausgases innerhalb der ersten 1000 Jahre verschwindet; bis davon aber nur noch etwa ein Fünftel übrig ist, vergehen etwa 10 000 Jahre. Und bis die Konzentration auf das Niveau vor der Industrialisierung gesunken ist, dürfte es sogar mehrere Hunderttausend Jahre dauern.

Mit solchen Rechnungen versuchen die Hamburger Klimaforscher, den weiteren Verlauf des Zusammenspiels von Erderwärmung und Kohlenstoffkreislauf vorherzusagen. Dabei prognostizieren sie auch, was passieren würde, wenn Methan aus den Ozeanen sprudeln würde, wo es derzeit noch als Hydrat gebunden liegt. Das könnte geschehen, wenn die Temperatur des Wassers um drei Grad stiege. In der Folge würde sich Erde um bis zu einem halben Grad zusätzlich aufheizen.

„Um solche Entwicklungen präziser und zuverlässiger vorhersagen zu können, benutzen wir derzeit das an unserem Institut entwickelte MPI-Erdsystemmodell,  in welches das Modell JSBACH für die Landoberfläche integriert ist“, sagt Brovkin. Das Erdsystemmodell simuliert das Geschehen im Treibhaus Erde mit einer räumlichen Auflösung von rund 100 Kilometern und in Zeitschritten von 20 Minuten. Climber-2 legt ein Netz mit Tausenden Kilometer weiten Maschen über die Erde und berechnet die Klimaprozesse in Schritten von einem Tag – zu wenig, um etwa Unterschiede zwischen Tag und Nacht zu berücksichtigen.

„Nach und nach werden wir zusammen mit anderen Gruppen weitere Prozesse integrieren“, sagt Brovkin. So wollen die Forscher künftig berücksichtigen, wie der Kohlenstoffkreislauf mit dem Stickstoff- und Phosphorkreislauf zusammenhängt. Schließlich gedeihen Pflanzen besser, wenn sie im Boden mehr Stickstoff und Phosphor finden. Doch Stickstoff etwa entweicht auch als Lachgas aus dem Erdreich in die Atmosphäre – und bewirkt dort einen viel stärkeren Treibhauseffekt als Kohlendioxid.

Werden tauende Permafrost-Böden den Treibhauseffekt verstärken?

Zudem haben die Forscher in ihrem neuen Modell eine Rolle für die Permafrostböden der Arktis vorgesehen. Diese speichern große Mengen organischen Materials – solange sie permanent gefroren bleiben. Tauen die Böden auf, bauen Mikroorganismen das organische Material ab und setzen Kohlendioxid und Methan frei. Methan ist dabei ebenso wie Lachgas ein viel stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid.

So rekonstruieren die Forscher auch die Vergangenheit von Klima und Kohlenstoffkreislauf mit MPI-Erdsystemmodell noch genauer. „Vollständig verstehen wir die Prozesse erst, wenn unsere Modelle auch kleinere Schwankungen im Kohlenstoffhaushalt richtig wiedergeben“, so Brovkin. Und da sind noch einige Details zu klären. Denn die Kurven der Erdtemperatur und des atmosphärischen Kohlendioxidgehalts gleichen einem Gebirge: Von Ferne betrachtet, zeichnen sich nur die markanten Gipfel gegen den Horizont ab. Je näher man ihm jedoch kommt, desto mehr Nebengipfel und Zacken treten hervor. Ähnlich ausgefranst präsentieren sich die klimarelevanten Kurven.

Dabei geht es den Wissenschaftlern wieder um ein prinzipielles Verständnis des Kohlendioxidhaushalts und seines Wechselspiels mit dem Klima: „Auf die Industrialisierung lassen sich unsere Erkenntnisse zwar nicht unmittelbar übertragen, weil die menschengemachten Emissionen von Treibhausgasen die Ursache und Wirkung im Klimageschehen umgekehrt haben“, sagt Brovkin. „Aber wir lernen daraus viel über den Zusammenhang zwischen Klima und Kohlenstoffkreislauf und können unsere Modelle so auch für Prognosen verfeinern.“

Welchen Lauf das Klimaschauspiel künftig nehmen wird, hängt mittelfristig vor allem vom Menschen ab. Auf lange Sicht werden dann erneut die kosmischen Entwicklungen die Regie übernehmen. Und auf ganz lange Sicht mischen auch die Erdplatten wieder mit – aber diese Zukunft liegt weit hinter der Zeit, die für uns derzeit relevant ist und die Klimaforscher in ihren Modellen berücksichtigen.

GLOSSAR

Climber-2
Ein Modell mittlerer Komplexität, mit dem das Klima simuliert wird. Es arbeitet mit einer räumlichen Auflösung von 1000 Kilometern entlang der Längengrade und mehreren Tausend Kilometern entlang der Breitengrade. Das Klima wird hier in Tagesschritten berechnet.

JSBACH
Modell der Landoberfläche im MPI-ESM. JSBACH simuliert Prozesse an Land und berücksichtigt den Austausch von Wärme, Feuchtigkeit und Treibhausgasen zwischen den Kontinenten und der Atmosphäre.

Kohlenstoffkreislauf
Bezeichnet den Weg kohlenstoffhaltiger Verbindungen wie Kohlendioxid oder Methan durch die Atmosphäre, in Gewässern (vor allem Meeren) und auf Kontinenten. Dabei spielen auch chemische Umwandlungen durch Lebewesen wie Mikroorganismen und Pflanzen eine entscheidende Rolle.

MPI-Erdsystemmodell (MPI-ESM)
Klimamodell hoher Komplexität, das mit einer räumlichen Auflösung von rund 100 Kilometern und einer zeitlichen Auflösung von 20 Minuten arbeitet. Es ermöglicht detailliertere und zuverlässigere Analysen und Prognosen als Climber-2.

Radiocarbonmethode
Ermöglicht die Datierung organischen Materials wie Pollen oder Holz und nutzt aus, dass Kohlenstoff in mehreren Isotopen vorliegt. Diese unterscheiden sich in ihrer Masse, wobei das Isotop mit der Masse 14 radioaktiv zerfällt. In der Atmosphäre bleibt das Isotopenverhältnis konstant, weil die kosmische Strahlung ständig Kohlenstoff 14 produziert. In Pflanzenmaterial ändert sich das Verhältnis durch den radioaktiven Zerfall mit der Zeit.

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