Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen

Marktmacht und die Wohlfahrtswirkung von Besteuerung

Autoren
Morath, Florian
Abteilungen
Finanzwissenschaft (Prof. Dr. Kai A. Konrad)
Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München
Zusammenfassung
Aktuelle wirtschaftspolitische Entscheidungen werfen die Frage der Wohlfahrtswirkung von Besteuerung und der Bedeutung von Marktmacht für die Steuerinzidenz auf. Ergebnisse aus Laborexperimenten belegen die wirtschaftstheoretische Vorhersage, dass Firmen mit Marktmacht einen Großteil der wirtschaftlichen Last der Erhöhung einer Mengenumsatzsteuer tragen, Firmen in starkem Wettbewerb jedoch die Last einer Steuererhöhung in Form von Preiserhöhungen an die Konsumenten weitergeben.

Ökonomische Wirkung von Besteuerung

Eine der grundlegenden Fragen der Finanzwissenschaft befasst sich mit der ökonomischen Wirkung von Besteuerung. Wie verteilt sich die ökonomische Last einer Steuererhöhung auf die verschiedenen Marktteilnehmer? Welche Wohlfahrtswirkungen ergeben sich infolge einer Steuererhöhung?

Die finanzwissenschaftliche Analyse unterscheidet hierbei zwischen der nominalen und der ökonomischen Steuerlast (auch „Steuerinzidenz“ genannt): Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht nicht, welche Marktseite die Steuer nominal zu tragen hat; vielmehr sollen die Auswirkungen von Besteuerung auf die Einkommen (oder allgemeiner: den Nutzen) der am Markt beteiligten Gruppen beurteilt werden. Entscheidend für eine solche Untersuchung der Steuerinzidenz ist, wie die Marktteilnehmer ihr Verhalten an die veränderten Rahmenbedingungen in Form einer veränderten Besteuerung anpassen und welche Auswirkungen sich somit für die Marktpreise ergeben.

In vielen aktuellen wirtschaftspolitischen Entscheidungen spielt die Frage der Steuerinzidenz eine wichtige Rolle, auch wenn sie nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit erhält. Welche ökonomische Wirkung hat eine Brennelementesteuer und welche Marktseite wird die Steuerlast tragen? Wie reagieren die Preise für Hotelübernachtungen auf eine Absenkung des fälligen Mehrwertsteuersatzes und in welchem Maße profitieren die Hotelbetreiber von dieser Steuersenkung? Welche Auswirkung hat eine Flugticketabgabe auf die Ticketpreise und auf die Flugbuchungen? Werden solche Steuern in Form von Preiserhöhungen einfach an die Konsumenten weitergegeben und trägt damit die Steuerlast eigentlich der Verbraucher? Oder verhindert der Marktwettbewerb eine solche Steuerüberwälzung?

Die mikroökonomische Theorie zeigt auf, dass die Beantwortung solcher Fragen entscheidend von der Wettbewerbssituation abhängt. Während in der öffentlichen Diskussion gelegentlich argumentiert wird, dass Marktmacht dabei helfe, eine Steuererhöhung an die Verbraucher weiterzugeben, liefert die ökonomische Theorie eine Intuition, die dieser gängigen Wahrnehmung widerspricht: Monopolisten am Markt haben typischerweise ihren Preissetzungsspielraum bereits ausgenutzt und können Steuererhöhungen nur in beschränktem Maße an die Konsumenten weitergeben. Firmen, die in starkem Wettbewerb stehen, setzen ihre Preise jedoch so niedrig, dass sie im Falle einer Steuererhöhung keine andere Wahl haben, als diese über eine Preiserhöhung an die Konsumenten weiterzureichen.

Forschungsstand und Forschungsbeitrag

Die Marktbedingungen, die über die ökonomische Wirkung von Besteuerung entscheiden, sind wirtschaftstheoretisch abgeleitet. Ihre empirische Relevanz bleibt jedoch umstritten. Empirische Studien zeigen, dass die Steuerüberwälzung sich in spezifischen Märkten gänzlich unterschiedlich gestaltet und in manchen Märkten gar keine Steuerüberwälzung stattfindet, in anderen jedoch die Preise um mehr als den Betrag der Steuererhöhung steigen. Die Beurteilung des Einflusses von Marktmacht ist aufgrund der unterschiedlichen betrachteten Produkte und länderspezifischen Faktoren äußerst schwierig. Lässt sich die Vorhersage der ökonomischen Theorie auf das Preissetzungsverhalten übertragen oder hilft Marktmacht tatsächlich dabei, Steuererhöhungen an die Konsumenten weiterzugeben?

In Laborexperimenten können einfache Interaktionen zwischen Firmen oder Verkäufern auf der einen Seite und Konsumenten auf der anderen Seite abgebildet werden. In einer solchen vereinfachten Entscheidungssituation ist es möglich, Verhaltensänderungen gezielt auf einzelne, sich verändernde Faktoren zurückzuführen, wie beispielsweise eine veränderte Besteuerung. Zur Untersuchung der Bedeutung von Marktmacht für die ökonomische Wirkung von Besteuerung können die Auswirkungen einer Steuererhöhung also in zwei verschiedenen Märkten untersucht werden, die sich lediglich in der Wettbewerbssituation der Verkäufer unterscheiden, sonst aber vollkommen identisch sind. In einer solchen idealtypischen Laborwelt kann die Bedeutung von Marktmacht für die Steuerinzidenz somit eindeutig isoliert und identifiziert werden.

Theoretischer Rahmen der experimentellen Untersuchung

Um die Bedeutung von Marktmacht zu untersuchen, werden experimentelle Märkte gebildet, in denen die Nachfrageseite vier Konsumenten aufweist, die jeweils eine Einheit eines Produkts kaufen können. Ein Kauf wird mit einem vorher festgesetzten Geldbetrag entlohnt; dieser Geldbetrag, der vom Labor an die Konsumenten ausgezahlt wird, bestimmt folglich den Wert, den der Kauf des Produkts für den jeweiligen Konsumenten hat. Auf diese Weise wird die Nachfrageseite eindeutig spezifiziert.

Die Angebotsseite eines experimentellen Marktes besteht aus einer Anzahl N von Verkäufern. Unterschieden werden hier zwei Arten von Märkten: Monopolmärkte, in denen es nur einen Verkäufer gibt (N = 1) und Märkte mit Wettbewerb zwischen vier Verkäufern (N = 4), wobei N = 4 beispielhaft für einen verstärkten Wettbewerb steht.

Die Verkäufer setzen unabhängig voneinander einen Preis fest, zu dem sie ihr Produkt verkaufen möchten. Wenn sich ein Konsument für einen Kauf entscheidet, erhält der jeweilige Verkäufer den dem gewählten Preis entsprechenden Geldbetrag, abzüglich einer vorher festgelegten Steuer. Durch Erhöhung der Steuer kann nun genau festgestellt werden, wie eine solche Steuererhöhung in den unterschiedlichen (experimentellen) Märkten wirkt, welchen Einfluss also die Wettbewerbssituation (ein oder vier Verkäufer) auf die Steuerüberwälzung hat.

Empirische Ergebnisse

In Laborexperimenten werden die Teilnehmer typischerweise wiederholt vor dieselbe Entscheidungssituation gestellt (ähnlich wie in vielen realen Märkten), um die Auswirkung ihrer Entscheidungen besser verstehen zu können und so zu einem stabilen und statistisch verwertbaren Verhalten zu gelangen. In den hier betrachteten experimentellen Märkten werden Käufer und Verkäufer zehnmal mit derselben Preissetzungs- und darauf folgenden Kaufentscheidung konfrontiert. Anschließend wird – für die Teilnehmer unerwartet – die abzuführende Steuer erhöht, mit wiederum zehn Preissetzungs- und Kaufentscheidungen bei nun veränderter Steuer. Die statistische Analyse vergleicht für die unterschiedlichen Märkte das durchschnittliche Preissetzungsverhalten in den ersten und den zweiten zehn Runden des Experiments.

Da sich in experimentellen Märkten nur schwerlich eine große Anzahl an Konsumenten modellieren lässt, nimmt der Aufbau der Laborexperimente eine weitere Unterscheidung vor. In einem Teil der Märkte treffen Computer die Kaufentscheidung für die vier Konsumenten und kaufen immer, wenn der jeweilige Konsument einen finanziellen Nutzen aus dem Kauf zieht. Im anderen Teil der experimentellen Märkte werden die Kaufentscheidungen durch reale Teilnehmer des Experiments getroffen. Diese können versuchen, durch „strategische Kaufverweigerung“ das Preissetzungsverhalten der Verkäufer zu beeinflussen, in der Hoffnung auf niedrigere Preise in späteren Runden des Experiments.

Der experimentelle Aufbau unterscheidet somit zwei Dimensionen: N = 1 gegenüber N = 4 Verkäufer auf der einen Seite und computerisierte Käufer gegenüber realen Käufern auf der anderen Seite.

Im Falle von computerisierten Käufern bestätigt das im Labor beobachtete Preissetzungsverhalten eindeutig die ökonomische Theorie: Monopolisten wählen den Monopolpreis, unabhängig von der Höhe der Steuer, und können eine Steuererhöhung nicht auf die Konsumenten überwälzen. (In den hier betrachteten Monopolmärkten ist der Monopolpreis unabhängig von der Höhe der Steuer.) Firmen mit Marktmacht tragen also die gesamte ökonomische Last einer Steuererhöhung, während die Konsumentenrente unverändert bleibt.

Verkäufer, die im Wettbewerb stehen, wählen den von der Theorie vorhergesagten niedrigen Wettbewerbspreis und geben die Steuererhöhung in Form von Preissteigerungen vollständig an die Konsumenten weiter. Im Falle von starkem Wettbewerb ergibt sich also das entgegengesetzte Bild: Die Steuererhöhung geht vollständig zulasten der Konsumenten; die Gewinne der Firmen bleiben unverändert.

Berücksichtigt man die Möglichkeit einer strategischen Kaufentscheidung realer Käufer, so bleiben die Ergebnisse zu Steuerinzidenz in Märkten mit starkem Wettbewerb unverändert. Da die Preise bei Wettbewerb zwischen den Firmen ohnehin niedrig sind, machen die Käufer keinen Gebrauch von der Möglichkeit der Kaufverweigerung, um zukünftige Preise zu beeinflussen. Entsprechend folgt das Preissetzungsverhalten der Verkäufer der theoretischen Vorhersage: Die Last einer Steuererhöhung in Märkten mit starkem Wettbewerb wird vollständig von den Konsumenten getragen.

Monopolisten, die sich realen Käufern gegenübersehen, reagieren jedoch auf die Möglichkeit der Kaufverweigerung, die Monopolisten in Märkten mit computerisierten Käufern nicht zu beachten hatten. Die Preise, zu denen Monopolisten in Märkten mit realen Käufern ihr Produkt anbieten, liegen deutlich unter dem Monopolpreis, der die Gewinne der Käufer vollständig abschöpfen würde. Auch verzichten manche Konsumenten auf einen Kauf, wenn ihnen die Preise zu hoch erscheinen, selbst wenn sie einen finanziellen Vorteil aus dem Kauf gezogen hätten. Im Gegenzug nutzen die Monopolisten in den Märkten mit realen Käufern die Steuererhöhung, um ihre Preise anzupassen: Ein Teil der Steuererhöhung wird an die Käufer weitergegeben, und beide Marktseiten tragen einen Teil der ökonomischen Last der Besteuerung. Insgesamt bestätigen die im Labor erzielten Ergebnisse jedoch die wirtschaftstheoretische Vorhersage: Firmen, die sich in starkem Wettbewerb befinden, geben die ökonomische Last einer Steuererhöhung über Preiserhöhungen vollständig an die Konsumenten weiter, während Firmen mit Marktmacht einen Großteil der Steuerlast selbst tragen.

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