Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik

Das Universum durch Gravitationswellen hören

Autoren
Amaro Seoane, Pau
Abteilungen

Astrophysikalische Relativitätstheorie (Prof. Dr. Bernard Schutz)
MPI für Gravitationsphysik, Golm

Zusammenfassung
Wir wissen heute, dass im Zentrum unserer Milchstraße ein massives Schwarzes Loch (MSL) mit einer Masse von etwa vier Millionen Sonnenmassen sitzt. Während wir ein immer genaueres Bild über Entstehung und Wachstum von supermassiven Schwarzen Löchern bekommen, bleiben MSL mit kleineren Massen – wie jenes in unserem galaktischen Zentrum – ein kaum untersuchtes Rätsel. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Schwarzen Löcher und die Antwort auf die Frage, wie manche von ihnen um mehrere Größenordnungen an Masse gewinnen können, liegt in der Dynamik der Sterne in ihrer galaktischen Nachbarschaft.

Astrophysikalische Objekte wie Doppelsternsysteme aus zwei Schwarzen Löchern verursachen Störungen in Raum und Zeit, die sich wie kleine Wellen in einem Teich ausbreiten. Solche Kräuselungen der Raumzeit, die „Gravitationswellen“ oder „Gravitationsstrahlung“ genannt werden, bewegen sich stets mit Lichtgeschwindigkeit von der Quelle fort. Gravitationswellen werden von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagt. Während die Stärke der Gravitationswellen mit der Entfernung abnimmt, bleibt ihre Geschwindigkeit stets unverändert.

LISA (Laser Interferometer Space Antenna) ist ein geplantes Weltraumteleskop zur Messung niederfrequenter Gravitationswellen, das von der europäischen Weltraumagentur ESA und der NASA finanziert wird und in naher Zukunft in Betrieb gehen soll. Es besteht aus drei identischen Satelliten, die ein gleichseitiges Dreieck mit einer Seitenlänge von 5 Millionen Kilometern bilden und auf einer Umlaufbahn um die Sonne fliegen. LISA wurde entwickelt, um den niederfrequenten Bereich der Gravitationsstrahlung von ca. 0,1 bis 100 Millihertz abzudecken. In diesem Frequenzbereich ist das Universum von starken Quellen von Gravitationswellen bevölkert, wie beispielsweise Doppelsternsystemen aus supermassiven Schwarzen Löchern in miteinander verschmolzenen Galaxien oder auch massiven Schwarzen Löchern, die kleine kompakte Objekte wie stellare Schwarze Löcher, Neutronensterne oder Weiße Zwerge vollständig „verschlucken“.

Astrophysik dichter Sternsysteme:

Verstehen, was wir hören – die Quellen von Gravitationswellen

Zu den spannendsten Erkenntnissen der modernen Astronomie gehört die Entdeckung, dass die meisten – wenn nicht sogar alle – nahen und hellen Galaxien ein dunkles, massives, kompaktes Objekt in ihrem Zentrum beherbergen. Dies weiß man vor allem durch hochauflösende Beobachtungen der Dynamik von Sternen und Gas. Das spektakulärste Beispiel dafür ist unsere eigene Galaxie, die Milchstraße. Durch Beobachtung und Interpretation der stellaren Dynamik im Zentrum unserer Galaxie haben wir den am besten belegten Hinweis auf die Existenz eines massiven Schwarzen Lochs (MSL).

Es sind viele Zusammenhänge zwischen der Masse des MSLs und den Eigenschaften seines umgebenden Sternsystems gefunden worden. Die stärksten Korrelationen bestehen zur Masse des Sternsystems [1], seiner Geschwindigkeitsdispersion (dies ist eine statistische Größe, die Auskunft über die Geschwindigkeitsverteilung von Teilchen in dem betrachteten System gibt) [2], und der Dichte an Sternen [3]. Folglich ist es notwendig, MSLs zusammen mit den sie umgebenden Sternsystemen zu untersuchen, um ihre Entstehung und Entwicklung verstehen zu können.

Es ist jedoch sehr schwierig, die Masse eines MSLs zu bestimmen. Anhand der stellaren Dynamik im Zentrum unserer Galaxie konnten die sogenannten S-Sterne (oder auch S0-Sterne, wobei das S für „source“, Quelle, steht) über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren beobachtet werden. Die genaue Untersuchung ihrer Umlaufbahnen liefert uns eine geschätzte Masse von 3,7 Millionen Sonnenmassen für das MSL im galaktischen Zentrum. Diese Masse befindet sich in einem Volumen mit einem Radius von höchstens 6,25 Lichtstunden [4,5]. Neuere Daten ergeben sogar eine Masse von ca. 4 Millionen Sonnenmassen [6–8].

Während über Entstehung und Wachstum von supermassiven Schwarzen Löchern (das sind solche mit mehr als einer Billion Sonnenmassen) zunehmend Konsens besteht, sind MSLs mit Massen bis zu zehn Millionen Sonnenmassen – wie das MSL im Zentrum der Milchstraße – weiterhin mysteriös. Massearme MSLs und somit auch das frühe Wachstum aller MSLs bleiben ein Rätsel.

Die Hauptursachen für die Entstehung und das Wachstum Schwarzer Löcher sind

(1) Kollaps von Gas während der Entstehung der Galaxien,

(2) Akkretion von Gas während und nach der Verschmelzung von Galaxien,

(3) Verschmelzen Schwarzer Löcher nach der Verschmelzung von Galaxien,

(4) Akkumulation mittelschwerer Schwarzer Löcher,

(5) Akkretion von Sternen durch Gezeitenkräfte und Akkretion von Gas, das durch Sternkollisionen entsteht.

Ein Vergrößerungsglas: Das unsichtbare Universum mit LISA sehen

Sterne wie unsere Sonne, sogenannte Hauptreihensterne, werden durch die Gezeitenkräfte zerrissen, wenn sie dem zentralen MSL zu nahe kommen. Dagegen nähern sich kompakte Objekte (stellare Schwarze Löcher, Neutronensterne und Weiße Zwerge) langsam auf einer spiralförmigen Umlaufbahn dem MSL und werden schließlich, nach etwa 100.000 Umrundungen in einem Frequenzbereich, den LISA beobachten können wird, vollständig von ihm verschluckt. Bei Erreichen des kleinsten Abstands der Umlaufbahn zum MSL kommt es zu einem Ausbruch von Gravitationswellen, die Informationen über die Raumzeit sowie über die Massen und Spins des Systems enthalten. Man kann sich jeden solchen Ausbruch als einen Schnappschuss des Systems vorstellen. Diese Systeme werden EMRIs (Extreme Mass Ratio Inspirals) genannt. Sie gehören zu den wichtigsten Objekten, die LISA untersuchen soll. Eine Abfolge von 100.000 Ausbrüchen von Gravitationswellen eines Systems liefert sehr genaue Informationen über das System selbst und ist zudem ein Test für die allgemeine Relativitätstheorie. Darüber hinaus erwartet man Hinweise auf die Verteilung nichtleuchtender Objekte in Galaxienkernen und Kugelsternhaufen, die zu einem neuen Verständnis der Physik dieses Prozesses führen werden. So können möglicherweise auch unbekannte und unvorhersehbare Phänomene entdeckt werden.

Warum ist dies für die Entwicklung von MSLs relevant? Hat das zentrale MSL eine Masse von mehr als zehn Millionen Sonnenmassen, ist die Frequenz des Signals eines sich spiralförmig nähernden stellaren Schwarzen Lochs zu tief für einen Nachweis, selbst in seinem letzten stabilen Umlauf („last stable orbit“, LSO). Hat es andererseits eine Masse von weniger als 10.000 Sonnenmassen, ist das Signal sehr schwach, es sei denn, die Quelle ist sehr nah. Daher wird üblicherweise der Massenbereich zwischen zehn Millionen und 10.000 Sonnenmassen als interessant für die Suche nach EMRIs mithilfe von LISA betrachtet.

LISA wird den Massenbereich, der dem Verständnis von Entstehung und Wachstum supermassiver Schwarzer Löcher zugrunde liegt, genau untersuchen. Aus den Informationen, die in den Gravitationswellen eines solchen Szenarios enthalten sind, lässt sich die Masse des zentralen MSLs bis zu einer unglaublichen relativen Genauigkeit von ≈0,0001 bestimmen. Zudem können die Masse des kompakten Objektes, das in das MSL hineinfällt, sowie die Exzentrizität seiner Umlaufbahn (d. h. die Abweichung von einer Kreisbahn) ebenfalls mit einer Genauigkeit von ≈0,0001 aus der Gravitationsstrahlung bestimmt werden. LISA wird daher nicht „nur“ der ultimative Test für die allgemeine Relativitätstheorie sein, sondern ein hervorragender Detektor für die Spins und Massenbereiche, die für die theoretische und beobachtende Astrophysik und Kosmologie von Interesse sind.

Die Untersuchung der Verteilung stellarer Schwarzer Löcher im galaktischen Zentrum hat direkte Konsequenzen für eine Vielzahl von astrophysikalischen Fragestellungen, wie beispielsweise die Verteilung von Röntgen-Doppelsternen, durch Gezeitenkräfte zerrissene Hauptreihensterne (Abb. 1 veranschaulicht diesen Prozess), kompakte Objekte, die spiralförmig in das zentrale MSL fallen, sowie das Verhalten der oben genannten S-Sterne.

Das Verständnis der astrophysikalischen Prozesse, die innerhalb von Sternhaufen in Galaxienkernen zu EMRI-Ausbrüchen führen, hat erheblichen Einfluss auf LISAs wissenschaftlichen Nutzen. Genaue Vorhersagen der Ereignisraten sind wichtig, um Datenanalyse und Design für LISA vorzubereiten. Treten sehr viele Ereignisse auf, so besteht die Gefahr, dass Quellen verwechselt werden, sind es dagegen nur wenige, so müssen auch sehr schwache Quellen im Instrumentenrauschen identifiziert werden. Ein Übersichtsartikel zu diesem Thema [9] geht weiter ins Detail. Wichtiger noch ist jedoch, dass LISAs Messungen allein die Massenverteilung von Schwarzen Löchern in der Galaxie nicht von der Massenabhängigkeit der Häufigkeit von EMRIs eines einzelnen Systems entkoppeln können. Ein verbessertes Verständnis von Letzterem erhöht daher LISAs Eignung als Messinstrument für Ersteres.

Die Notwendigkeit neuester Technologie: GPUs + GRAPEs

Das das Albert-Einstein-Institut betreibt einen Computercluster namens Tuffstein, ein modernes GRAPE-System (kurz für GRAvity PipE) für schnelle Mehrkörpersimulationen kollidierender Systeme (ein Cluster aus vier Mini-PCI GRAPE-Einheiten, Abb. 2 zeigt die Karten, die in Tuffstein verwendet werden). Das Prinzip der GRAPE-Systeme besteht darin, den zeitaufwendigsten Teil der Mehrkörpersimulation einem hoch spezialisierten Chip zuzuweisen: die Berechnung der Beschleunigungen zwischen den einzelnen Teilchen. Ein solches System erreicht ähnliche (oder sogar höhere) Geschwindigkeiten wie die Implementierung des Mehrkörperproblems auf einem Supercomputer. Eine Mini-PCI GRAPE-Einheit entspricht ungefähr 50 parallel arbeitenden PCs. Die Stärke der GRAPEs ist jedoch zugleich ihre Schwäche: Diese Hardware kann nur Mehrkörpersimulationen kollidierender Systeme berechnen. Für realistischere Simulationen wird flexiblere Hardware benötigt.

Moderne Grafikprozessoren („graphics processing units“, GPUs) wurden bislang überwiegend in Spielkonsolen, eingebetteten Systemen und Mobiltelefonen eingesetzt. Sie wurden ursprünglich entwickelt, um Berechnungen für 3D-Computergrafiken durchzuführen. Aufgrund ihrer stark parallelen Struktur und ihrer Rechengeschwindigkeit können sie jedoch sehr effizient für komplexe Algorithmen genutzt werden. So hat beispielsweise Sverre Aarseth den direkten Mehrkörper-Code auf GPUs portiert und den Code dankenswerterweise öffentlich verfügbar gemacht.

Hierbei muss man sich zwangsläufig mit der neuesten Technologie auf dem Markt befassen. Die Höchstgeschwindigkeit einer GPU ist ungefähr achtmal höher als die eines GRAPE (1 Teraflop pro Sekunde statt 128 Gigaflops pro Sekunde, 1 Teraflop entspricht 1012 Rechenoperationen pro Sekunde). Testläufe mit Mehrkörperproblemen konnten zeigen, dass ein GRAPE ca. 50 herkömmlichen CPUs und eine GPU rund 200 parallel arbeitenden CPUs entspricht. Rein technisch gesehen hat eine Tesla C1060-Karte 256 „Streamprozessoren“, jeder mit einer Höchstgeschwindigkeit von 1 Teraflop/s für Operationen mit einfacher Genauigkeit. Doppelte Genauigkeit muss allerdings simuliert werden, daher müssen drei Operationen pro Sekunde statt einer ausgeführt werden. Dennoch ist der Gewinn gegenüber einem GRAPE-Cluster oder einem traditionellen Beowulf-CPU-Cluster aus herkömmlichen PCs in Bezug auf Geschwindigkeit und Kosten riesig. Der Fortschritt auf dem Gebiet der rechnergestützten Astrophysik mit GPUs ist überwältigend. Schon bald wird es neue GPU-Modelle geben, die voraussichtlich doppelt so schnell wie die derzeitigen sein werden.

Fazit

Um die schwachen EMRI-Signale aus dem Rauschen herauszufiltern, muss die Form der Gravitationswellen, die von allen Parametern des Systems abhängt, vorher bekannt sein. Die Astrophysik solcher EMRI-Systeme ist äußerst komplex, jedoch ist ein gutes Verständnis dieser Prozesse notwendig, um die von LISA gemessenen Daten analysieren zu können. Umgekehrt werden uns die Ergebnisse der LISA-Messungen dann auch helfen, die Astrophysik dieser Systeme noch besser zu verstehen.

Originalveröffentlichungen

N. Häring, H.-W. Rix:
On the Black Hole Mass-Bulge Mass Relation.
The Astrophysical Journal Letters 604, L89-L92 (2004).
S. Tremaine, K. Gebhardt, R. Bender, G. Bower, A. Dressler, S. M. Faber, A. V. Filippenko, R. Green, C. Grillmair, L. C. Ho, J. Kormendy, T. R. Lauer, J. Magorrian, J. Pinkney, D. Richstone:
The Slope of the Black Hole Mass versus Velocity Dispersion Correlation.
The Astrophysical Journal 574, 740-753 (2002).
P. Erwin, A. W. Graham, N. Caon:
The Correlation between Supermassive Black Hole Mass and the Structure of Ellipticals and Bulges.
In: Coevolution of Black Holes and Galaxies, from the Carnegie Observatories Centennial Symposia; S. 12; L. Ho (Ed.). Cambridge University Press 2004.
R. Schödel, T. Ott, R. Genzel, A. Eckart, N. Mouawad, T. Alexander:
Stellar Dynamics in the Central Arcsecond of Our Galaxy.
The Astrophysical Journal 596, 1015-1034 (2003).
A. M. Ghez, G. Duchene, K. Matthews, S. D. Hornstein, A. Tanner, J. Larkin, M. Morris, E. E. Becklin, S. Salim, T. Kremenek, D. Thompson, B. T. Soifer, G. Neugebauer, I. McLean:
The first measurement of spectral lines in a short-period star bound to the galaxy’s central black hole: a paradox of youth.
The Astrophysical Journal Letters 586, L127-L131 (2003).
A. M. Ghez, S. Salim, S. D. Hornstein, A. Tanner, J. R. Lu, M. Morris, E. E. Becklin, G. Duchene:
Stellar Orbits around the Galactic Center Black Hole.
The Astrophysical Journal 620, 744-757 (2005).
A. M. Ghez, S. Salim, N. N. Weinberg, J. R. Lu, T. Do, J. K. Dunn, K. Matthews, M. R. Morris, S. Yelda, E. E. Becklin, T. Kremenek, M. Milosavljevic, J. Naiman:
Measuring Distance and Properties of the Milky Way's Central Supermassive Black Hole with Stellar Orbits.
The Astrophysical Journal 689, 1044-1062 (2008).
S. Gillessen, F. Eisenhauer, S. Trippe, T. Alexander, R. Genzel, F. Martins, T. Ott:
Monitoring Stellar Orbits Around the Massive Black Hole in the Galactic Center.
The Astrophysical Journal 692, 1075-1109 (2009).
P. Amaro-Seoane, J. R. Gair, M. Freitag, M. C. Miller, I. Mandel, C. J. Cutler, S. Babak:
Intermediate and extreme mass-ratio inspirals – astrophysics, science applications and detection using LISA.
Classical and Quantum Gravity 24, R113-R170 (2007).
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