Leuchttürme im All

Pulsare sind faszinierende Himmelskörper mit interessanter Geschichte

Pulsare gehören zu den exotischsten Objekten im Universum. Sie gleichen riesigen Atomkernen und drehen sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit um die eigene Achse. Diese kosmischen Leuchttürme markieren das Ende von massereichen Sonnen. In den 1930er-Jahren theoretisch vorausgesagt, wurden sie drei Jahrzehnte später von einer jungen Astronomin entdeckt – durch reinen Zufall.

Text Helmut Hornung

Cambridge, England, Ende September 1967. Die 24-jährige Astronomiestudentin Jocelyn Bell schuftet für ihre Doktorarbeit. Sie wertet Daten eines neuen Radioteleskops aus – Dutzende Meter lange Papierstreifen mit buckligen Kurven. Nach 30 Metern Papier entdeckt das geschulte Auge der Studentin eine Unregelmäßigkeit. Einige Wochen später untersucht Jocelyn Bell diese Störung genauer. Sie findet heraus, dass es Pulse sind, die sich im Abstand von exakt 1,33730109 Sekunden wiederholen.

Was hat das zu bedeuten? Menschen können sie nicht erzeugen, denn die Signale kehren immer dann wieder, wenn der geheimnisvolle Sender – bedingt durch die tägliche Drehung des Firmaments – am unbeweglichen Teleskop vorbeiwandert. Da gibt es wohl nur zwei Möglichkeiten: Die Pulse stammen entweder von einem astronomischen Objekt – aber von welchem? Oder von einer fremden Zivilisation, die versucht, mit der Erde zu kommunizieren! Tatsächlich nennen Bell und ihr Doktorvater Anthony Hewish das rätselhafte Signal Little Green Man.

Kurz vor Weihnachten untersucht Jocelyn Bell die Aufzeichnungen einer anderen Himmelsregion – und stößt prompt auf einen weiteren Sender. Diesmal mit einer Periode von 1,2 Sekunden. Existiert etwa noch ein zweites Volk von Außerirdischen, das auf einer anderen Frequenz funkt? Das erscheint sehr unwahrscheinlich. Also kommt nur eine astronomische Erklärung in Frage. Was aber verbirgt sich hinter dem Ticken dieser kosmischen Quarzuhren? Die Antwort ist erstaunlich: Objekte, deren Existenz Wissenschaftler bereits 1934 theoretisch vorausgesagt hatten. Aber ihre Arbeit blieb 33 Jahre lang unbeachtet. Dann wurde sie durch Jocelyn Bell bestätigt.

Die junge Forscherin hatte Neutronensterne entdeckt, die sich als Pulsare zu erkennen geben. Übrigens hatte im Sommer 1967 noch jemand die Signale aus dem All belauscht: der junge Soldat Charles Schisler auf einer Radarstation in Alaska. Doch aus Gründen militärischer Geheimhaltung behielt Schisler das Geheimnis 40 Jahre lang für sich. Erst im Sommer 2007 brach er sein Schweigen.

Wie entstehen diese Pulsare? Wenn ein Stern mit mehr als acht Sonnenmassen seinem Ende entgegengeht, gerät sein Inneres aus dem Gleichgewicht. Nachdem in der letzten, kurzen Lebensphase in seinem Zentrum die Elemente Eisen und Nickel erzeugt wurden, kommen die Fusionsprozesse zum Erliegen. Der nach außen wirkende Strahlungsdruck nimmt ab, die nach innen wirkende Gravitation gewinnt die Oberhand. Schließlich die Katastrophe in Form einer Supernova: Während die äußeren Sternregionen ins All geschleudert werden, kollabiert der Kern. Liegt dessen Masse zwischen 1,4 und etwa drei Sonnenmassen, kommt der Kollaps zum Stillstand: Ein Neutronenstern entsteht.

Dabei verdichtet sich die Materie des toten Sternherzens so sehr, dass ein würfelzuckergroßes Stück auf der Erde Dutzende von Millionen Tonnen wiegen würde. Bei diesen extremen Dichten von 1011 bis 1012 Kilogramm pro Kubikzentimeter werden Protonen und Elektronen ineinander gequetscht und erzeugen Neutronen. Die Durchmesser dieser Gebilde liegen bei gut 20 Kilometer. Darüber hinaus müssen die Neutronensterne extrem glatte Oberflächen besitzen; die Berge erreichen nur eine Höhe von höchstens fünf Millimetern.

Schließlich rotieren die Neutronenkugeln schnell um ihre Achse, ähnlich einer Eiskunstläuferin, die mit angelegten Armen eine Pirouette dreht. Hier liegt auch das Geheimnis der Pulsare. Denn während die ausgebrannten Sterne rasend schnell rotieren – den Temporekord hält zurzeit ein Neutronenstern, der sich 716-mal in der Sekunde um seine Achse dreht –, werden geladene Teilchen entlang extrem starker Magnetfeldlinien beschleunigt und senden elektromagnetische Strahlung in verschiedenen Wellenlängenbereichen aus.

Diese Strahlung ist in Richtung der Magnetfeldachse kegelartig gebündelt. Dreht sich der Neutronenstern nun um seine Rotationsachse, die relativ zur Magnetfeldachse geneigt ist, so entstehen Lichtbündel, die – zwei Scheinwerferkegeln gleich – ihre Umgebung überstreichen. Treffen die Pulse auf die Erde, beobachten die Astronomen einen Pulsar. Im Sekunden- oder Millisekundentakt rotieren sie so präzise, dass sie als die zuverlässigsten Uhren gelten, die man sich vorstellen kann.

Mehr als 1700 Pulsare haben die Forscher bisher entdeckt. Allein in der Milchstraße verbergen sich schätzungsweise 500000. Die Himmelskörper leuchten nicht nur im Bereich der Radiowellen, wo sie Jocelyn Bell fand. Spezielle Instrumente frieren ihr Zucken ein und machen die Pulse im optischen Teil des Spektrums sichtbar. Und heute kennen die Forscher auch Röntgen- und Gammapulsare. Selbst wenn sich nicht alle Pulsare in allen Frequenzbereichen beobachten lassen, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass sie über das gesamte Spektrum verteilt Energie abstrahlen. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind aber noch nicht vollständig verstanden.

Einer Theorie zufolge werden die energieärmeren Radiowellen an den Magnetfeldpolen zu einem engeren Lichtkegel gebündelt als das hochenergetische Gammalicht. Nun wird aber die meiste Strahlung entlang der Kegelhülle emittiert. Da die Kegel in diesem Modell je nach Art der Strahlung unterschiedlich stark aufgefächert sind, verlassen Radio- und Gammastrahlung den Pulsar in unterschiedliche Raumrichtungen. Daher sieht ein Beobachter auf der Erde entweder einen Gamma- oder einen Radiopulsar.

So geben die Pulsare noch 44 Jahre nach ihrer Entdeckung Rätsel auf. Für Zündstoff in der Wissenschaftlergemeinde haben sie auch in anderer Weise gesorgt: Anthony Hewish erhielt 1974 den Physik-Nobelpreis. Die wahre Entdeckerin Jocelyn Bell ging leer aus.

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