Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Quantenoptik

Der "„Quantensprung“ zum Verständnis der Natur

Autoren
Schätz, Tobias
Abteilungen

Quantensimulationen (Dr. Tobias Schätz)
MPI für Quantenoptik, Garching

Zusammenfassung
Ohne große Fortschritte bei Computer-Simulationen wird man kein tieferes Verständnis von komplexen Quantensystemen erhalten. Ein universeller Quantencomputer würde diesen Schritt erlauben, seine experimentelle Umsetzung bedarf allerdings noch mindestens einer Dekade. Für bestimmte Fragestellungen, wie z.B. die Simulation des Quantenmagnetismus oder der Hochtemperatur-Supraleitung, könnte ein analoger Quantensimulator den kürzeren Weg darstellen. Ein viel versprechendes Konzept hierfür sind Anordnungen, in denen eingefangene Ionen die Funktion von Quantenbits übernehmen

Nach dem 1965 aufgestellten „Moorsche Gesetz“ verdoppeln sich die Speicherkapazität und die Prozessorgeschwindigkeit in Computern alle 18 Monate. Demzufolge könnte man denken, dass sich hochkomplexe Probleme auch auf klassischen Computern lösen lassen. Die Natur macht diesem Wachstumsgesetz jedoch einen Strich durch die Rechnung. Denn sie setzt der dem Wachstum zugrunde liegende Miniaturisierung der Bauelemente Grenzen. Die Strukturen auf Rechnerbausteinen haben schon heute die Ausmaße eines AIDS-Virus, der Durchmesser von Leiterbahnen besteht nur noch aus wenigen tausend Atomen. Wenn diese Entwicklung so weiter geht, werden die vom elektrischen Strom transportierten Ladungen, die eine logische „Eins“ von einer „Null“ unterscheiden, bald von der Größenordnung einzelner oder sogar eines einzigen Elektrons sein (Abb. 1).

In diesem Bereich ablaufende Prozesse gehorchen nicht mehr den Gesetzen der klassischen Physik, sondern müssen vielmehr mithilfe der Quantenmechanik beschrieben werden. Das Elektron ist aufgrund seiner Wellennatur nicht mehr an einem fest definierten Ort gebunden, sondern kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Struktur verlassen. Das kann dann zu einer „Verschmierung“ der gespeicherten Information, einer Überlagerung oder auch Superpoistion der „Null“ und „Eins“-Zustände führen. Auf der anderen Seite sind es gerade diese Quantenprozesse, die sich mit klassischen Computern nicht beschreiben lassen. Wollen wir zum Beispiel den Gesamtzustand eines Sytems aus 40 Elektronen speichern, die jeweils einen von zwei Spin-Zuständen einnehmen können, benötigen wir bereits 240 (ca. 10 000 000 000 000) Parameter. Um die Dynamik des Systems zu erfassen, müssen wir eine Matrix aus 240x 240 Parametern handhaben (eine Eins mit 26 Nullen). An dieser Aufgabe scheitern auch die leistungsfähigsten klassischen Rechner, deren Kapazität bei der Beschreibung eines Quantensystems aus 32 Teilchen erschöpft ist.

Eine Verdopplung der Rechenkapazität erlaubt lediglich die Simulation eines einzigen zusätzlichen Teilchens, d.h. der Aufwand wächst exponenziell mit der Zahl der Teilchen. Würde man z.B. den Zustand von 300 einfachen Quantenteilchen beschreiben wollen, wären 2300 Parameter nötig, das entspricht der geschätzten Anzahl aller Protonen unseres Universums.

Um eine tiefere Einsicht in die komplexe Dynamik von Quantensystemen zu erhalten, benötigen wir demnach einen Durchbruch in der Computertechnologie. Diesen Schritt würde der 1982 von Richard Feynman vorgeschlagene Quantencomputer ermöglichen. Danach würden Quantenvorgänge, wie zum Beispiel Tunnelprozesse, Superpositionszustände oder Verschränkung, nicht umständlich in die Sprache klassischer Computer übersetzt. Stattdessen würde ein Quantensystem selbst als Computer dienen, in dem die Quantengesetze auf ganz natürliche Weise Anwendung fänden und daher auch effizient verarbeitet werden könnten. Es ist zum Beispiel nicht nur sehr konterintuitiv, dass sich ein Elektron gleichzeitig in zwei sich ausschließenden Zuständen befinden kann, also in Zustand „Null“ UND zugleich in Zustand „Eins“, sondern es ist wegen der oben genannten notwendigen Mengen an Parametern zudem sehr aufwendig, dies in die klassische Kodierung aus Nullen und Einsen zu übertragen. Dagegen reichen in einem Quantencomputer bereits 300 Teilchen aus, um den Zustand von 300 Quantenteilchen zu beschreiben.

In diesen Systemen sollen die herkömmlichen Bits von „Null“ oder „Eins“ durch so genannte Quantenbits (Qubits) ersetzt werden. In den letzten Jahren wurden viele verschiedene Möglichkeiten auf ihre Tauglichkeit für die Realisierung eines potenziellen Quantencomputers hin untersucht, z.B. festkörperbasierte Systeme wie Quantenpunkte oder supraleitende Schaltkreise, oder auch Atome in optischen Gittern bzw. Resonatoren. Einen weiteren, sehr viel versprechenden Ansatz stellen Ionen in Fallen dar (Abb. 2). Machbarkeitsstudien zufolge können derzeit kleinere Algorithmen in Anordnungen mit bis zu acht Ionen umgesetzt werden, die bereits die wichtigsten Bausteine einer späteren universellen Quanten-Turing-Maschine beinhalten. Zwar scheinen keine fundamentalen Gründe zu bestehen, warum nach diesem Konzept nicht auch ein universeller Quantencomputer realisiert werden könnte. Die Skalierung auf ca. 105 Qubits bzw. die Steigerung der Verlässlichkeit bei der Verarbeitungvon Quanteninformation um mehr als eine Größenordnung stellt uns aber vor technische Probleme, deren Lösung optimistisch geschätzt mindestens ein Jahrzehnt dauern wird. Einen sehr viel näher an dem ursprünglichen Vorschlag von Feynman orientierten Ausweg bietet das Konzept eines analogen Quantensimulators.

2004 schlugen Diego Porras und Ignacio Cirac einen analogen Quantensimulator vor, der ebenfalls auf in Fallen gefangenen Ionen basiert (siehe Abb. 2). Er eignet sich nicht für universelle Rechenaufgaben, jedoch zur Simulation von Quanten-Spin-Systemen. Solche Systeme können eine Vielzahl von bisher unverstandenen Effekten wie Quantenmagneten, Hochtemperatursupraleitung oder den Quanten-Hall-Effekt beschreiben.

Die Ionen - das sind elektrisch geladene, sich gegenseitig abstoßende Atome - werden in einer durch elektrische Felder gebildeten gemeinsamen, zigarrenförmigen Potenzialmulde eingeschlossen. Ihre Bewegung wird mithilfe der Laserkühlung nahezu vollständig eingefroren, weshalb sie sich wie Perlen auf einer Kette entlang der Achse der zigarrenförmigen Falle anordnen.

Zwei interne Zustände eines jeden Ions, zum Beispiel zwei verschiedene Elektronenbahnen, simulieren jeweils einen Spin, der klassisch in zwei unterschiedliche Stellungen, d. h. „Nord“ ODER „Süd“, einnehmen kann. Im Quantensimulator können sich dies Spins nun auch gleichzeitig in beliebige „Überlagerungen“ von „Nord“ UND „Süd“ ausrichten. Mit Laserpulsen können diese Zustände präzise und deterministisch initialisiert und manipuliert (d.h. geschaltet) werden.

Auch die Wechselwirkung zwischen den Spins muss präzise zu steuern sein. Für die Simulation eines Quanten-Magneten müssen z.B. parallel ausgerichtete Spins die Energie des Systems absenken, antiparallel ausgerichtete Spins dagegen die Energie erhöhen, damit eine effektive Spin-Spin-Wechselwirkung simuliert werden kann.

Dies lässt sich z. B. durch die Verwendung einer zustandsabhängigen Kraft verwirklichen. Laserfelder können einen Spin in Abhängigkeit seiner „Nord“- oder „Süd“-Ausrichtung in eine Richtung schieben oder ziehen, Damit lassen sich nun eine Vielzahl interessanter Effekte untersuchen. Stelle man sich zum Beispiel vor, in dem System eines Quantenmagneten wären alle individuellen Spins in einem Superpositionszustand initialisiert. Alle Spins befänden sich also ursprünglich gleichzeitig im Zustand „Nord“ und im Zustand „Süd“. Die zustandsabhängige Kraft würde nun alle Spins gleichzeitig schieben und ziehen. Dies würde nun aber nicht, wie im klassischen Analogon, zu einer Aufhebung der beiden Wirkungen führen. Tatsächlich sollte sich jeder Spin gleichzeitig in beide Stellungen ausrichten, also jeder Spin an zwei Orten gleichzeitig auftreten. Solche quantenferromagnetischen Strukturen gibt es auch in Festkörpern.

Aber anders als in einem Festkörper können in einem analogen Quantensimulator die Parameter und Wechselwirkungen präzise und unabhängig von einander variiert und sogar vollständig „ausgeschaltet“ werden. Die Resultate dieser Manipulation, die effektive Ausrichtung der Spins, werden über Laser induziertes Fluoreszenzlicht nachgewiesen. Ein Spin im Zustand „Süd“ wird als hell leuchtendes Ion abgebildet, während ein Spin im Zustand „Nord“ einem Ion entspricht, das nicht mit dem Laser wechselwirkt und daher als dunkle Fehlstelle aufscheint.

Ist man an robusten Effekten wie zum Beispiel Quanten-Phasenübergängen interessiert, dann können bereits relativ überschaubare Systeme von 20x20 Spins aktuelle Probleme aus der Festkörperphysik adressieren, deren Lösung eine Lücke im Verständnis der Hochtemperatursupraleitung schließen könnte. Quanten-Phasenübergänge sind aber schon für sich selbst interessante Untersuchungsobjekte.

Zusammenfassung

Seit dem theoretischen Vorschlag von Ignacio Cirac und Peter Zoller 1995 flossen weltweit große Mengen an Forschungsmitteln in die Entwicklung eines auf Ionenfallen beruhenden universellen Quantencomputers. Einen nicht unerheblichen Anteil finanzieren US-amerikanische Geheimdienste, da man auf diesem Wege effizient große Zahlen faktorisieren und damit unsere derzeitigen Kodierungen entschlüsseln könnte. Die Realisierung eines universellen Quantencomputers, der auch alle Arten von Quantensimulationen durchführen könnte, wird aber noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Letztes Jahr wurde die Entwicklung eines auf Ionenfallen basierenden analogen Quantensimulators in den USA als „unabhängiger“ Forschungsschwerpunkt definiert, sie wird aber auch außerhalb von vielen Gruppen weltweit in Angriff genommen. Zum einen werden prinzipielle Machbarkeitsstudien durchgeführt, zum anderen auch neue Ionenfallen-Konzepte entwickelt und getestet, die eine Skalierung der Systeme erlauben sollen (Abb. 3).

Letztendlich würde es aber überraschen, setzte sich der Ionenfallen-Ansatz zur Realisierung eines Quantensimulators oder eines universellen Quanten-Computers eindeutig gegen die anderen vorliegenden Konzepte durch. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Hybridlösungen, die die jeweiligen Vorteile der einzelnen Ansätze vereinen, die Quanten-Arbeitspferde der Zukunft darstellen werden. Genauso wenig, wie es bei der Entwicklung klassischer Computer entscheidend war, ob sich längerfristig die Technik von Röhren oder Transistoren durchsetzen würde, kommt es auch hier zum jetzigen Zeitpunkt nicht darauf an, sich auf ein bestimmtes Konzept festzulegen. Viel wichtiger ist die Durchführung von Machbarkeitsstudien, um die zugrunde liegende Prinzipien zu verstehen, Probleme zu identifizieren und die vielfältige Einsetzbarkeit zu untersuchen.

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