Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens - caesar

Aktenzeichen XY gelöst: Die Progesteronwirkung auf menschliche Spermien

Autoren
Strünker, Timo; Goodwin, Normann; Brenker, Christoph
Abteilungen
Molekulare Neurosensorik (Prof. Dr. U. Benjamin Kaupp)
center of advanced european studies and research (caesar), Bonn
Zusammenfassung
Seit 25 Jahren ist bekannt, dass Progesteron – ein weibliches Sexualhormon – das Schwimmverhalten von Spermien beeinflusst. Unklar war bislang jedoch, wie Progesteron auf die Spermien wirkt. Es ist uns nun gelungen dieses Rätsel der Spermienforschung zu lösen. Progesteron aktiviert die sogenannten CatSper-Ionenkanäle (cation channel of sperm) in der Membran des Spermienschwanzes.

Beim Geschlechtsakt gibt der Mann etwa 280 Millionen Spermien in den weiblichen Genitaltrakt ab. Das hört sich nach viel an, ist aber vergleichsweise wenig: Ein Eber bringt es auf etwa 8 Milliarden Spermien im Ejakulat! Schweine sind damit die Rekordhalter unter den Säugetieren, während der Mensch gerade mal so viele Spermien wie ein Karnickel produziert.

Der Weg zur Eizelle ist für die Spermien anstrengend und verlustreich. Beim Menschen gelangen von den 280 Millionen Spermien lediglich einige hundert in die Nähe der Eizelle, der Rest bleibt auf der Strecke (Abb. 1a).

 

Die Eizelle erwartet die Spermien im hinteren Teil des Eileiters und weist den orientierungslosen Spermien den Weg. Um die Befruchtung sicherzustellen, produzieren Kumuluszellen, die die Eizelle einhüllen (Abb. 1b), das weibliche Sexualhormon Progesteron.

Progesteron fungiert als Lockstoff für die Spermien.  Die Spermien folgen der Progesteronfährte, die von den Kumuluszellen ausgelegt wird, und finden so zur Eizelle. Progesteron ist also für die Spermien eine Art  molekulares Navigationssystem! Neben der „anziehenden“ Wirkung hat Progesteron noch eine weitere Funktion: In unmittelbarer Nähe zur Eizelle  – dort, wo seine Konzentration am höchsten ist – löst es eine „Hyperaktivierung“ der Spermien aus. Hyperaktive Spermien schlagen wild mit ihrem Schwanz und scheinen dabei letzte Kraftreserven zu mobilisieren. Progesteron schaltet bei den Spermien praktisch den „Turbo“ ein - wie ein Marathonläufer auf der Zielgeraden. Hohe Progesteronkonzentrationen lösen zudem die Akrosomreaktion bei den Spermien aus. Bei der Akrosomreaktion setzten die Spermien aus einem Bläschen im Kopf einen enzymatischen Verdauungscocktail frei, der die schützende Eihülle verdaut und durchlässiger macht. Die Progesteronwirkung stellt also sicher, dass Spermien die dichte Wolke aus Kumuluszellen und die schützende Eihülle durchdringen können.

Über welchen Mechanismus löst Progesteron diese Verhaltensweisen aus? Schon seit langem weiß man, dass Progesteron die Konzentration von Kalzium-Ionen (Ca2+) im Inneren der Spermien ändert. Abbildung 2 zeigt den Verlauf von Ca2+-Signalen in menschlichen Spermien nach der Zugabe von Progesteron.

Die Konzentration von Ca2+ im Inneren des Spermiums haben wir durch einen Ca2+-Indikator verfolgt, den wir in die Spermien eingeschleust haben. Durch die Progesteronstimulation steigt die Ca2+-Konzentration in den Spermien an, kehrt dann fast auf das Ausgangsniveau zurück und pendelt sich schließlich auf ein leicht erhöhtes Niveau ein. Je mehr Progesteron verwendet wird, desto größer und schneller sind die Ca2+-Änderungen. Diese Ca2+-Signale ändern das Schlagmuster des Spermienschwanzes und steuern so die Schwimmbahn der Spermien. Bei hohen Progesteronkonzentrationen lösen sie zusätzlich eine Hyperaktivierung und die Akrosomreaktion aus.

Dass Progesteron die Ca2+-Konzentration in den Spermien ändert, war schon lange bekannt. Der Mechanismus blieb Spermienforschern bisher allerdings ein Rätsel. Im Laufe der Jahre wurden unzählige wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema veröffentlicht – mit immer komplizierteren Modellen für die Progesteronwirkung. Trotz intensiver Forschung musste sich die Wissenschaft bis vor kurzem noch eingestehen: Nichts Genaues weiß man… Jetzt ist es uns und einer US-amerikanischen Arbeitsgruppe gelungen, den Wirkungsmechanismus für Progesteron in den Spermien aufzuklären.

Vor einigen Jahren wurde bei Mäusen in der Membran des Spermienschwanzes ein Ionenkanal entdeckt, der die Ca2+-Konzentration und damit das Spermienverhalten steuert. Ionenkanäle sind porenbildende Proteine, die in der Zellmembran als Schleusen für Ionen fungieren. Spermien besitzen spezielle Ca2+-Ionenkanäle, sogenannte CatSper-Kanäle (cation channel of sperm).  CatSper-Kanäle findet man ausschließlich in Spermien und dort auch nur in der Membran des Spermienschwanzes. Keine andere Zelle des menschlichen Körpers besitzt CatSper-Kanäle. Mäuse, die gentechnisch so verändert wurden, dass ihnen CatSper-Kanäle fehlen, sind unfruchtbar. Äußerlich sind diese Mäuse und ihre Spermien völlig normal. Allerdings können die Spermien von CatSper-knock-out-Mäusen nicht mehr hyperaktivieren; die Befruchtung der Eizelle scheitert. CatSper-Kanäle steuern also das Schwimmverhalten der Spermien - viel mehr war nicht bekannt über die Kanalfunktion. CatSper-Kanäle findet man auch in menschlichen Spermien. Wie die CatSper-knock-out-Mäuse sind Männer unfruchtbar, wenn sie einen Defekt in dem CatSper-Gen aufweisen. CatSper-Kanäle sind also auch beim Menschen essentiell für die Befruchtung. Die Spermien solcher „CatSper-knock-out-Männer“ sehen, wie bei den Mäusen, auf den ersten Blick ganz normal aus.

Wir konnten nun zeigen, dass Progesteron eben diese CatSper-Kanäle im Spermienschwanz öffnet, wodurch Ca2+ in die Zelle einströmt (Abb. 3).

Unsere Entdeckung ist bemerkenswert. Warum? Wir konnten experimentell zeigen, dass der Wirkungsmechanismus von Progesteron viel einfacher abläuft als gedacht. Die Öffnung der CatSper-Kanäle durch Progesteron funktioniert direkt, ohne Umweg – das hat uns selbst überrascht. All die mehrstufigen komplizierten Modelle, die zuvor für die Progesteronwirkung entwickelt wurden, mussten über Bord geworfen werden. Um CatSper zu öffnen, nimmt Progesteron den kürzesten Weg: Es bindet  entweder direkt an den Kanal oder an ein Protein, das mit dem Kanal verbunden ist. Die genaue Progesteronbindestelle kennen wir  noch nicht – wir arbeiten aber daran zur Zeit mit Hochdruck! Unsere Arbeit liefert somit neue Erkenntnisse über die Rolle der CatSper-Kanäle in Spermien. Die Kanäle steuern das Schwimmverhalten der Spermien.

Soviel war bekannt. Erstaunlich ist aber, dass die CatSper-Kanäle den Rezeptor für den Lockstoff Progesteron darstellen.

Wieso blieb der Wirkungsmechanismus von Progesteron so lange rätselhaft? Wir konnten das Progesteronrätsel nur durch den Einsatz modernster elektrophysiologischer und optischer Techniken lösen. Wir haben z.B. die sogenannte patch-clamp-Technik bei den Spermien angewendet: Hierbei wird eine feine Glaselektrode vorsichtig auf die Membran des Spermiums aufgesetzt (Abb. 4a). Damit konnten wir die Ionenströme durch CatSper-Kanäle und die Aktivierung durch Progesteron direkt messen (Abb. 4b). Diese Messmethode wurde erstmals im Jahre 2010 erfolgreich an menschlichen Spermien angewendet.

Wir konnten mit dieser Methode zeigen, dass nicht nur Progesteron, sondern auch Prostaglandine CatSper-Kanäle aktivieren. Prostaglandine werden, genau wie Progesteron, von den Kumuluszellen abgegeben. Im Gegensatz zu Progesteron ist die Prostaglandinwirkung auf Spermien kaum untersucht. Man wusste lediglich, dass Prostaglandine in menschlichen Spermien Ca2+-Antworten auslösen, die den Progesteronantworten stark ähneln. Das lässt vermuten, dass neben Progesteron auch Prostaglandine eine entscheidende Rolle bei der Befruchtung spielen.

Dass Progesteron und Prostaglandine die CatSper-Kanäle aktivieren, könnte auch medizinisch von großer Bedeutung sein: Wenn es gelänge, die Wechselwirkung mit dem Ionenkanal spezifisch zu stören, könnte man neue, noch besser verträgliche Verhütungsmittel entwickeln. Von der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis bis zum innovativen Verhütungsmittel ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Strünker, T.; Goodwin, N.; Brenker, C.; Kashikar, N. D.; Weyand, I.; Seifert, R.; Kaupp U. B.
The CatSper channel mediates progesterone-induced Ca2+ influx in human sperm
Nature 471, 382-386 (2011)

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