Quantenbewegung am Nullpunkt der Temperatur

Ein besonders hoch auflösendes Mikroskop bringt Quantenfluktuationen am absoluten Nullpunkt der Temperatur ans Licht

14. Oktober 2011

Absoluten Stillstand gibt es nicht – nicht einmal am absoluten Nullpunkt der Temperatur, also bei minus 273,16 Grad Celsius. Die Gesetze der Quantenmechanik verlangen, dass kleinste Teilchen wie Atome und Moleküle sich selbst dann noch rühren, wenn unsere Alltagswelt längst eingefroren ist. Die Bewegungen von Atomen nahe dem absoluten Nullpunkt, die Physiker Quantenfluktuationen nennen, hat ein Team um Physiker des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching mit einem besonders hochauflösenden Mikroskop nun erstmals direkt beobachtet. Sie haben Rubidium-Atome in einem Gitter aus Laserlicht festgesetzt und auf unter minus 273 Grad abgekühlt. Die Atome sprangen von einem Gitterplatz zum nächsten, obwohl ihre restliche thermische Energie hierzu nicht ausreichen würde. Das charakteristische Muster von Löchern, das Quantenfluktuationen dabei in dem Atom-Ensemble erzeugen, haben die Forscher mit einer ausgeklügelten Methode identifiziert. Diese ermöglicht es, atomare Ordnungen aufzudecken, die sich den Blicken von Physikern bislang entziehen.

Was wir in unserer Alltagswelt für selbstverständlich halten, ist im Mikrokosmos, in dem die Quantenphysik das Geschehen bestimmt, unmöglich: Wenn wir unser Fahrrad oder Auto vor der Haustür parken, können wir ziemlich sicher sein, dass es dort bleibt – zumindest von selbst wird es sich nicht bewegen. Atome oder Moleküle derart ruhig zu stellen, geht nicht. Denn dann ließe sich eindeutig feststellen, wo sie sind und wie schnell. Das aber verbietet die Heisenbergsche Unschärferelation, der zufolge sich Ort und Impuls eines Quantenteilchens niemals gleichzeitig exakt bestimmen lässt. Also fluktuieren solche Teilchen selbst dann, wenn sie keinerlei Bewegungsenergie mehr besitzen. Würden geparkte Fahrräder oder Autos sich ähnlich verhalten, würden wir wahrscheinlich an einen Spuk glauben.

„Wir haben die Quantenfluktuationen in einem festkörperähnlichen System nun erstmals direkt beobachtet“, sagt Stefan Kuhr, der das Experiment am Max-Planck-Institut für Quantenoptik gemeinsam mit Immanuel Bloch leitete. Zu diesem Zweck kühlten die Forscher eine Wolke von Rubidium-Atomen auf wenige Millionstel Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt. Bei diesen Temperaturen besitzen die Atome kaum noch Wärmeenergie, bewegen sich also kaum noch thermisch.

Zudem fixierten die Forscher die Atome im elektromagnetischen Feld sehr starker Laserstrahlen: Sie überlagern die Laserfelder so, dass diese ein regelmäßiges Muster heller und dunkler Gebiete und somit einen künstlichen Kristall aus Licht formen. Das Laserlicht strahlen die Physiker zunächst sehr intensiv ein. Dann liegen die Atome in den Mulden des elektromagnetischen Feldes wie in einem Eierkarton. Die hohen Barrieren aus Licht und die Abstoßung zwischen den Atomen verhindern, dass die Atome von einem Gitterplatz zum nächsten tunneln können – ein quantenmechanischer Prozess, bei dem die Teilchen durch einen energetischen Wall wandern, obwohl ihre Energie dafür eigentlich nicht ausreicht.

Quantenfluktuationen hinterlassen meist benachbarte Löcher

Da die Atome in diesem Zustand völlig isoliert voneinander sind, heißt ein solches Ensemble regelmäßig angeordneter und fast still stehender Atome Mott Isolator, nach seinem Entdecker Neville F. Mott. Er bietet genau die richtigen Voraussetzungen für den eigentlichen Versuch der Garchinger Physiker: „Wir haben die Lichtbarriere in einer Richtung allmählich abgesenkt, so dass die Atome entlang dieser Richtung von einem Gitterplatz zum nächsten tunneln konnten“, erklärt Manuel Endres, der an dem Experiment maßgeblich beteiligt war.

Mit einem besonders hochauflösenden Mikroskop, das die Forscher kürzlich für derartige Untersuchungen konstruiert haben, bildeten sie das Atomensemble anschließend in einer Art Schnappschuss ab. Möglich wird das, indem sie die Atome mit dem Laserlicht des optischen Gitters festhalten, und dann mit einem anderen Laser zum Leuchten bringen. In den Aufnahmen des Atom-Ensembles taten sich nun an einigen Stellen Löcher auf. Und zwar umso mehr, je weiter die Physiker die Lichtbarriere zwischen den Gitterplätzen erniedrigten.

„Die Schwierigkeit besteht nun darin, zu klären ob die Löcher auf Quantenfluktuationen oder auf die auch bei diesen Temperaturen immer noch vorhandene thermische Bewegung zurückzuführen sind“, erklärt Stefan Kuhr. Für eine optische Barriere, durch die nur wenige Atome tunneln oder fluktuieren können, ist das noch recht einfach: Die Quantenfluktuationen verraten sich dadurch, dass sie in den meisten Fällen zwei benachbarte Löcher hinterlassen. Tunnelt nämlich ein Atom zu seinem Nachbarn, bildet sich ein Atompaar, das durch den energetischen Schubs des Beobachtungs-Lasers aus dem Gitter katapultiert wird – zurück bleiben zwei benachbarte Löcher die Physiker korreliert nennen. Gibt es davon nur wenige, sind sie leicht auch per Augenschein auszumachen.

Ein mathematisches Werkzeug analysiert die Ordnung der Atome

Auch die thermische Anregung des atomaren Ensembles hinterlässt zwei Löcher, aber diese können ebenso gut benachbart auftreten wie beliebig viele Gitterplätze voneinander entfernt. In diesem Fall sprechen die Physiker von unkorrelierten Löchern.

„Wenn wir die Lichtbarriere in einer Richtung weiter senken und immer mehr Atome tunneln, wird es schwierig, die korrelierten Löcher von den unkorrelierten zu unterscheiden“, sagt Manuel Endres. Daher haben die Forscher ein mathematisches Werkzeug entwickelt, das ihnen bei der Analyse hilft. Diese Korrelationsfunktion füttern die Physiker nur mit der Information, ob an einer Stelle der Atomreihe ein Teilchen sitzt oder nicht. Die Funktion ermittelt dann automatisch, ob die Löcher als benachbarte Paare auftreten.

Unterschreitet die Lichtbarriere zwischen den Atomen eine bestimmte Höhe, überwiegen auf dem Mikroskop-Bild die Löcher. Dann fluktuieren die Atome permanent von einem Platz zum nächsten – das Ensemble wechselt in einen anderen Zustand, den Physiker superfluid nennen. „Wir beobachten mit den Quantenfluktuationen also nicht nur ein Phänomen, das gewöhnlich im Verborgenen stattfindet“, sagt Immanuel Bloch, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. „Diese Technik erlaubt es uns auch, Zustandsänderungen in Quantensystemen sehr detailliert zu untersuchen.“

Ein Instrument, das Quantenphänomene erklären könnte

So lässt sich die Technik möglicherweise ausnutzen, um Quantenprozesse, die Physiker noch nicht vollständig erklären können, zu simulieren. Denn die Atome verhalten sich in dem optischen Gitter wie Elektronen in einem Kristall. Als Mott-Isolator stellen sie einen isolierenden elektronischen Zustand dar, als Superfluid repräsentieren sie den supraleitenden Zustand, in dem Elektronen widerstandslos Strom transportieren. Die Supraleitung haben die Physiker noch nicht in allen Aspekten verstanden. Simulationen mit Atomen in einem optischen Kristall könnten ihnen dabei weiterhelfen.

„Besonders hilfreich für weitere Studien ist auch die Korrelationsfunktion“, sagt Stefan Kuhr. Sie erlaubt es den Physikern nämlich eine Ordnung in einer Kette oder allgemein einer Gruppe von Atomen zu identifizieren, die nicht so leicht zu erkennen ist, wie die regelmäßige Struktur eines Kochsalz-Kristalls. „Bisher ging man davon aus, dass sich solche verborgenen Ordnungen nicht direkt in einem Experiment messen lassen, sondern nur in der theoretischen Beschreibung dieses Systeme eine Rolle spielen.“, so Kuhr. Da die Garchinger Physiker nun einen solchen messbaren Parameter definiert haben, könnten sie außergewöhnliche Quantensysteme aufspüren, die sich möglicherweise auch als Elemente eines robusten Quantencomputers eignen.

PH

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