Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

XMM-Newton entdeckt Präzession bei einem Neutronenstern

Autoren
Haberl, Frank
Abteilungen
Röntgen- und Gammastrahlen-Astronomie (Dr. Peter Predehl), MPI für extraterrestrische Physik, Garching
Zusammenfassung
Beobachtungen von nahen Neutronensternen mit dem Röntgenobservatorium XMM-Newton erbrachten eine überraschende Entdeckung: es wurden Schwankungen im Röntgenspektrum von RX J0720.4-3125 im Laufe weniger Jahre festgestellt. Man schließt daraus, dass der Neutronenstern möglicherweise präzediert. Die Untersuchung der Präzession bietet eine interessante Möglichkeit mehr über die innere Struktur von Neutronensternen zu lernen.

Neutronensterne und Pulsare

Neutronensterne als die Endstadien der Entwicklung massereicher Sterne präsentieren sich als Himmelskörper der Extreme: Die Masse der Sonne konzentrieren sie in einer Kugel, deren Durchmesser nicht größer als der einer mittleren Groβstadt ist. Ihre Dichte ist mit rund einer Milliarde Tonnen pro Kubikzentimeter größer als die eines Atomkerns. Auf ihrer Oberfläche herrschen Temperaturen von rund einer Million Grad, ihr Magnetfeld ist mehrere Trillionen mal stärker als das der Erde und bei ihrer Geburt drehen sie sich rund 100-mal pro Sekunde um sich selbst. Das Magnetfeld bremst die Sterne nur sehr langsam ab, was sie für uns als sehr stabile Rotatoren erscheinen lässt. Für etwa 10 Millionen Jahre können sie durch ihre Radiostrahlung für uns sichtbar bleiben, wenn der gerichtete Radiostrahl des rotierenden Neutronensterns die Erde überstreicht und der Stern als Radio-Pulsar zu sehen ist. Isolierte Neutronensterne ohne Begleitstern können durch ihre thermische Emission auch im Röntgenlicht beobachtet werden, solange sie noch heiβ genug sind, d.h. ihre Temperatur noch nicht wesentlich unter eine Million Grad gesunken ist. Nach theoretischen Rechnungen dauert auch dies mit typisch einigen Millionen Jahren sehr lange. Das Magnetfeld kann so stark sein, dass es den Hitzetranport aus dem Sterninneren durch die Neutronensternkruste beeinflusst. Dadurch entstehen heiβe Flecken um die Magnetpole auf der Sternoberfläche. Es ist die Strahlung dieser heiβen polaren Kappen, die das Röntgenspektrum dominiert.

Aus beobachteten Supernova-Explosionsraten, dem Anteil schwerer Elemente (die durch Kernprozesse im Inneren der Sterne entstehen und bei der Supernova-Explosion freigesetzt werden) in der interstellaren Materie und aus den Eigenschaften der Radiopulsar-Population schätzt man die Gesamtzahl der Neutronensterne in unserer Milchstraβe auf etwa 100 Millionen bis eine Milliarde. Auβer den (relativ wenigen) jungen kühlenden Neutronensternen könnten jedoch auch ältere Neutronensterne, die durch Einfang (so genannte Akkretion) von Materie aus dem interstellaren Medium wieder aufgeheizt wurden, im Röntgenbereich detektierbar sein. Da Neutronensterne im Vergleich zu normalen Sternen sehr klein sind, sind äuβerst empfindliche Messgeräte nötig, um sie zu entdecken. Abschätzungen ergaben jedoch, dass ROSAT bei seiner vollständigen Himmelsdurchmusterung viele dieser alten isolierten Neutronensterne nachweisen könnte. Diese - wie auch jüngere Neutronensterne - sollten ein sehr „weiches“ Röntgenspektrum zeigen, d.h. hauptsächlich bei niedrigen Röntgenenergien emittieren, und bei optischen Wellenlängen äuβerst lichtschwach sein. Trotz intensiver Suche in den ROSAT-Daten wurden nur sieben Neutronensterne mit den erwarteten Eigenschaften entdeckt. Durch Beobachtungen mit groβen optischen Teleskopen wurde für die drei hellsten dieser sieben Sterne eine relativ hohe Eigenbewegung am Himmel festgestellt, d.h. die Neutronensterne bewegen sich mit hoher Geschwindigkeit (einige 100 km s-1) durch das interstellare Medium, was Akkretion von Materie sehr ineffektiv macht. Dies spricht gegen die Akkretions-Hypothese bei alten Neutronensternen sondern vielmehr dafür, dass hier junge kühlende Neutronensterne entdeckt wurden. Der Vergleich der aus den Spektren abgeleiteten Temperaturen mit theoretisch berechneten Erwartungswerten lässt auf ein Alter von typisch einer Million Jahre schlieβen. Die sieben von ROSAT entdeckten Neutronensterne sind deshalb so interessant, weil sie zu den wenigen gehören, von denen wir direkt die thermische Emission von der Sternoberfläche beobachten können. Ältere, wieder aufgeheizte Neutronensterne wurden wahrscheinlich deshalb nicht von ROSAT gefunden, weil sie sich zu schnell durch das interstellare Medium bewegen und deshalb keine ausreichende Menge an Gas aufsammeln.

Der isolierte Neutronenstern RX J0720.4-3125

Die sieben mit ROSAT entdeckten Neutronensterne (oft „Die Glorreichen Sieben“ genannt) wurden mit den noch empfindlicheren und mit besserer Energieauflösung ausgestatteten Messinstrumenten des ESA-Satelliten XMM-Newton untersucht; bei der Entwicklung der Röntgenteleskope und einer der CCD-Kameras war das Institut für extraterrestrische Physik wesentlich beteiligt. Da Neutronensterne als besonders stabil angesehen wurden, hat man RX J0720.4-3125 sogar regelmäβig als Standardstern beobachtet um die Langzeitstabilität der Instrumentierung zu überprüfen. Der Pulsar rotiert mit einer Umdrehungsperiode von 8.4 Sekunden und steht rund 1000 Lichtjahre entfernt im Sternbild des Großen Hundes. Sein optisches Licht ist so schwach, dass es nur mit den stärksten Teleskopen zu beobachten ist. Als Röntgenquelle strahlt RX J0720.4-3125 allerdings recht kräftig (Abb. 1).

Bei der genauen Untersuchung der Röntgenspektren aus verschiedenen Jahren wurde überraschenderweise festgestellt, dass sich die Spektren des Neutronensterns im Laufe weniger Jahre veränderten: Zwischen Mai 2000 und Mai 2004 wuchs der Anteil härteren Röntgenlichts in den spektralen Messungen. Das heißt der Pulsar strahlte im Schnitt Röntgenlicht von höherer Energie aus. Anschließend sank dieser Anteil energiereicher Strahlung wieder (Abb. 2). Das könnte bedeuten, dass auch die Oberflächentemperatur von RX J0720.4-3125 schwankt – und zwar fast um 100000 Grad, also etwa einem Zehntel: Von der Temperatur, die auf der Oberfläche eines Himmelskörpers herrscht, hängt ab, wie stark ein Himmelkörper in einem bestimmten Ausschnitt des elektromagnetischen Spektrums strahlt. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass sich die globale Oberflächentemperatur des Neutronensterns in wenigen Jahren so stark ändert, da die Zeitskala für die Abkühlung sehr viel länger ist.

Die scheinbare Temperaturänderung rührt eher daher, dass die Rotationsachse von RX J0720.4-3125 selbst sich auf einem Kegel bewegt und nicht stabil im Raum ruht. Durch diese Präzession rückt mal der eine Pol und mal der andere stärker ins Blickfeld von XMM-Newton Satelliten. Sind die Pole unterschiedlich heiß und unterschiedlich groβ, so strahlen sie auch verschieden hohe Anteile an hartem Röntgenlicht ab. Für eine Präzession des Neutronensterns spricht auch eine Zeitanalyse seiner Röntgenpulse, welche Abweichungen von seiner gleichmäβigen Abbremsung der Rotation zeigt. Beide Analysen deuten auf zyklische Änderungen mit einer Periode von 7-8 Jahren, was natürlicherweise als die Präzessionsperiode gedeutet wird (Abb. 3). Während der ersten XMM-Newton-Beobachtung im Mai 2004 war die Temperatur im Minimum und der kühlere, gröβere Fleck war hauptsächlich sichtbar. Vier Jahre später, im Mai 2004, wurde durch die Präzession der heiβere, kleinere Fleck besser sichtbar, was die beobachtete Temperatur erhöhte. Dieses Modell kann die beobachteten Variationen in der Temperatur und der Gröβe des Emissionsgebietes und ihre Antikorrelation erklären.

Dass der eine Pol deutlich heißer ist als der andere, liegt möglicherweise am starken Magnetfeld von RX J0720.4-3125. Die Magnetfeldstärke eines Pulsars lässt sich sowohl aus dem Grad der Abbremsung seiner Rotation, als auch über die Energie von Absorptionslinien (soweit vorhanden) im Röntgenspektrum abschätzen. Kann man eine Absorptionslinie eindeutig als Zyklotronresonanzlinie identifizieren, so erlaubt dies die direkteste Bestimmung der Magnetfeldstärke. RX J0720.4-3125 ist einer der wenigen Neutronensterne, bei dem beide Methoden anwendbar sind und übereinstimmend auf ein Magnetfeld von einigen 1013 Gauβ schlieβen lassen. Je stärker das Magnetfeld an einem bestimmten Punkt seiner Oberfläche ist, desto mehr Wärme könnte aus dem Inneren des Pulsars zu seiner Oberfläche fließen. Abweichungen vom reinen, symmetrischen Dipolfeld, insbesondere nahe der Neutronensternoberfläche, führen dann zu einer asymmetrischen Temperaturverteilung. Unterschiedlich heiβe Polregionen wurden auch von RBS 1223 gemessen, einem der anderen Neutronensterne aus der Gruppe der Sieben. Hier, wie auch bei RX J0720.4-3125, zeigt sich dies auch durch periodische Schwankungen der Spektren im Takt der Rotationsperiode. Im Gegensatz zu RX J0720.4-3125 zeigt RBS 1223 jedoch bisher keine Anzeichen für Präzession.

Darüber wie der kosmische Kreisel RX J0720.4-3125 ins Taumeln geraten ist, kann man bislang nur spekulieren. Aus dem Verhältnis von Rotationsperiode zu Präzessionsperiode kann man die Abweichung des Neutronensterns von der Kugelform abschätzen. Bei einem Wert von einigen 10-8 bedeutet dies eine Abweichung von weniger als einem Millimeter bei einem Radius von 20 km. Diese „Unwucht“ könnte bei einem Sternbeben entstanden sein, wie sie bei sehr jungen Pulsaren häufig beobachtet werden. Theoretische Betrachtungen deuten jedoch darauf hin, dass Präzession stark gedämpft wird mit Zeitskalen von typisch hundert Präzessionsperioden. Danach dürfte das Sternbeben nicht viel länger als 1000 Jahre zurückliegen.

All dies hängt jedoch sehr davon ab, wie es im Inneren von Neutronensternen aussieht, z.B. davon, ob sich ihre harte Schale um einen supraflüssigen Kern dreht. Die Untersuchung der Präzession von Neutronensternen könnte daher helfen, die innere Struktur von Neutronensternen zu untersuchen und mehr über den Zustand der Materie in ihrem Inneren zu lernen, welche unter Bedingungen existiert, die wir nicht im Labor herstellen können

Originalveröffentlichungen

Haberl, F., R. Turolla, C. de Vries, S. Zane, J. Vink, M. Mendez and F. Verbunt
Evidence for precession of the isolated neutron star RX J0720.4-3125
Astronomy and Astrophysics 451, L17-L21 (2006).
Zur Redakteursansicht