Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut für Psycholinguistik

Wie der Körper Sprache und Vorstellungsvermögen im Gehirn formt

How the body shapes language and imagination in the brain

Autoren
Casasanto, Daniel
Abteilungen

Sprachproduktion (Prof. Dr. Peter Hagoort)
MPI für Psycholinguistik, Nijmegen

Zusammenfassung
Wenn unsere geistigen Fähigkeiten zum Teil von der Struktur unserer Körper abhängen, dann sollten Menschen mit unterschiedlichen Körpertypen unterschiedlich denken. Um dies zu überprüfen, haben Wissenschaftler des MPI für Psycholinguistik neurale Korrelate von Sprachverstehen und motorischen Vorstellungen untersucht, die durch Aktionsverben hervorgerufen werden. Diese Verben bezeichnen Handlungen, die Menschen zumeist mit ihrer dominanten Hand ausführen (z. B. schreiben, werfen). Das Verstehen dieser Verben sowie die Vorstellung entsprechender motorischer Handlungen wurde in Gehirnen von Rechts- und Linkshändern unterschiedlich lateralisiert.
Summary
If the content of our minds depends in part on the structure of our bodies, then people with different body types should think differently. To test this proposal, scientists at the MPI for Psycholinguistics used functional magnetic resonance imaging (fMRI) to determine the neural correlates of language comprehension and motor imagery cued by verbs that name actions people tend to perform with their dominant hand (write, throw). Action verb understanding and action imagery were differently lateralized in right- and left-handers’ brains, consistent with the way they perform the actions with their particular bodies.

Bilden Menschen mit unterschiedlichen Körpertypen verschiedene Konzepte und Wortbedeutungen? Gemäß der Körperspezifitätshypothese sollten sie das tun [1]. Weil geistige Fähigkeiten vom Körper abhängen, sollten Menschen mit unterschiedlichen Körpertypen auch unterschiedlich denken. Diese Annahme stellt die klassische Auffassung in Frage, dass Konzepte universal und Wortbedeutungen identisch sind für alle Sprecher einer Sprache. Untersuchungen im Projekt „Sprache in Aktion“ am MPI für Psycholinguistik zeigen, dass die Art und Weise, wie Sprecher ihre Körper nutzen, die Art und Weise beeinflusst, wie sie sich im Gehirn Handlungen vorstellen und wie sie Sprache, die solche Handlungen thematisiert, im Gehirn verarbeiten.

Ausführung und Wahrnehmung von Handlungen

Rechts- und Linkshänder führen dieselben Handlungen unterschiedlich aus. Wenn Menschen einen Ball werfen, einen Brief schreiben oder eine Tasse Kaffee halten, dann tun sie das in aller Regel mit ihrer dominanten Hand. Diese Handlungen haben verschiedene neurale Korrelate bei Rechts- und Linkshändern: Handlungen, die mit der rechten Hand ausgeführt werden, werden primär von motorischen Arealen der linken Hemisphäre programmiert, während Handlungen, die von der linken Hand ausgeführt werden, primär von motorischen Arealen der rechten Hemisphäre programmiert werden. Dieser hemisphärische Unterschied ist nicht nur evident, wenn Rechts- und Linkshänder selbst Handlungen ausführen, sondern auch, wenn sie andere Menschen beobachten, die solche Handlungen mit den Händen ausführen. Das lässt auf eine enge Verbindung zwischen Handlungsproduktion und Handlungswahrnehmung schließen [2].

Erstrecken sich die Unterschiede in der Art und Weise, wie Rechts- und Linkshänder Handlungen ausführen und wahrnehmen, auch auf die Art und Weise, wie sie sich Handlungen vorstellen und wie sie Sprache, die diese Handlungen thematisiert, verarbeiten? Zur Beantwortung dieser Frage haben Daniel Casasanto und sein Team fMRI-Studien (funktionelle Magnetresonanztomographie) durchgeführt, um kortikale motorische Aktivität beim Verstehen von Sprache, die Handlungen thematisiert, und bei der Vorstellung von Handlungen bei Rechts- und Linkshändern vergleichen zu können.

Das Verstehen von Aktionswörtern

Im fMRI-Scanner lasen Versuchspersonen Wörter, die sowohl Aktionen benennen, die Menschen gewöhnlich mit ihrer dominanten Hand ausführen (kritzeln, werfen), als auch Handlungen, die sie mit anderen Teilen ihres Körpers ausführen (knien, kichern). Die Versuchspersonen führten diese Handlungen nicht aus, sie lasen einfach nur die entsprechenden Wörter. Trotzdem waren Areale ihres prämotorischen Cortex so aktiviert, als ob sie sich darauf vorbereiten würden, etwas zu greifen, zu werfen oder jemanden zu kitzeln. Lasen Rechtshänder Wörter für Aktionen, die mit der Hand ausgeführt werden, dann aktivierten sie Gehirn-Areale in der linken Hemisphäre: hier werden Aktionen geplant, die mit der rechten Hand ausgeführt werden. Bei Linkshändern war das umgekehrt – sie aktivierten Areale in der rechten Hemisphäre, in denen Aktionen mit der linken Hand geplant werden (Abb. 1).

Es gibt Handlungen, die Rechts- und Linkshänder auf unterschiedliche Weise ausführen; andere Handlungen dagegen führen sie auf dieselbe Art und Weise durch. Tatsächlich war die Aktivierung im prämotorischen Cortex bei Rechts- und Linkshändern beim Lesen der Verben, die Aktionen mit der Hand benennen, verschieden; beim Lesen von Verben, die Handlungen benennen, die mit anderen Körperteilen ausgeführt werden, waren sie dagegen gleich. Das schließt die Möglichkeit aus, dass die beobachteten hemisphärischen Unterschiede auf Unterschieden in der Lateralität des Sprachverarbeitens von Rechts- und Linkshändern basieren. Diese hemisphärischen Unterschiede bei der Sprachverarbeitung spiegeln vielmehr die körperspezifischen Muster von Rechts- und Linkshändern in der Interaktion mit ihrer physischen Umgebung wider [3].

Die Vorstellung von Handlungen

Im Zusammenhang mit früheren Studien, die motorische Aktivierung beim Verstehen von Aktionsverben gezeigt haben, drängte sich die Frage auf, ob diese Aktivierung ein Artefakt sein könnte, das darauf zurückzuführen ist, dass sich die Versuchspersonen explizit eine Vorstellung von den Aktionen machen, die die Verben benennen. Um diese Möglichkeit zu untersuchen, führten wir einen Versuch über motorische Vorstellung durch. Rechts- und Linkshänder sahen dieselben Verben, die im vorangegangenen Lese-Experiment benutzt worden waren, und wurden gebeten, sich dabei so lebhaft wie möglich die Handlungen vorzustellen, die die Verben benennen.

Genau wie beim Lesen von Aktionsverben wurden bei der mentalen Vorstellung von Aktionen, die mit der Hand ausgeführt werden, Muster kortikaler motorischer Aktivierung beobachtet, die bei Rechts- und Linkshändern unterschiedlich waren. Bei Rechtshändern wurde ein Netzwerk motorischer Areale in der linken Hemisphäre aktiviert, bei Linkshändern dagegen wurde ein Netzwerk motorischer Areale in der rechten Hemisphäre aktiviert (Abb. 2). Dieses Muster legt den Schluss nahe, dass sich Rechts- und Linkshänder Greifen und Werfen auf verschiedene Art und Weise vorgestellt haben, so als würden sie diese Aktionen mit ihrer jeweils dominanten Hand durchführen. Die neuralen Korrelate der motorischen Vorstellung für Aktionen, die mit der Hand ausgeführt werden, sind körperspezifisch [4].

Das Unterscheiden der prämotorischen Korrelate für Sprache und Vorstellung

Bedeutet das, dass körperspezifische motorische Aktivierung während des Sprachverstehens ein Artefakt expliziter motorischer Vorstellung ist? Um diese Frage zu klären, wurde bei den Versuchspersonen die prämotorische Aktivierung während des Lesens von Aktionsverben direkt mit der motorischen Vorstellung verglichen, die von denselben Verben ausgelöst werden, die manuelle und nicht-manuelle Aktionen benennen. Sowohl das passive Lesen von Aktionsverben, die mit der Hand auszuführende Handlungen benennen, als auch die aktive Vorstellung der benannten Handlungen produzierten körperspezifische Muster prämotorischer Aktivität, die die linke Hemisphäre von Rechtshändern und die rechte Hemisphäre von Linkshändern stärker in Anspruch nahmen. Aber die spezifischen Teile des prämotorischen Cortex, die durch das Lesen der Aktionsverben und die Vorstellung von Aktionen aktiviert wurden, überschnitten sich nicht und korrelierten auch nicht miteinander – selbst bei genauesten Vergleichen derselben Versuchsteilnehmer, derselben Verben und in denselben Scanning-Sitzungen. Die doppelte Dissoziation, die wir zwischen den neuralen Korrelaten beim Lesen von Aktionsverben und bei der Vorstellung von motorischen Aktivitäten gefunden haben, zeigt, dass die prämotorische Aktivierung während des Sprachverarbeitens kein Artefakt der expliziten Vorstellung der von Verben bezeichneten Aktionen ist.

Implikationen für Theorien über das Sprachverstehen

Diese Ergebnisse tragen zur Verbesserung unserer Erkenntnisse über implizite motorische Simulation beim Sprachverarbeiten bei. Erstens nehmen Forscher, die im Paradigma der verkörperten Kognition arbeiten, manchmal an, dass unbewusste motorische Simulation und bewusste motorische Vorstellung identische Prozesse seien, und benutzen die Begriffe "mentale Simulation" und „mentale Vorstellung“ als Synonyme. Unsere Daten zeigen aber, dass man sehr vorsichtig sein muss, will man die Vorstellung von impliziter Simulation während des Sprachverarbeitens mit expliziter mentaler Vorstellung gleichsetzen.

Wir schlagen deshalb vor, dass implizite Simulation und explizite Vorstellung verschiedene Funktionen auf der Verrechnungsebene erfüllen. Simulation, die von Aktionsverben ausgelöst wird, könnte die teilweise Vorbereitung einer Aktion konstituieren: eine „Vor-Darstellung“ von Aktionen, die die Verben benennen, die aber nicht unbedingt bewusst wahrgenommen werden muss, um ihre Funktion erfüllen zu können, nämlich Sprecher auf potenziell relevante Handlungen vorzubereiten. Im Gegensatz dazu ist Vorstellung eine partielle Rekapitulation von vorangegangenen Erfahrungen: eine verdeckte Neuinszenierung, die eine Funktion für denjenigen erfüllt, der sich etwas vorstellt, und zwar primär dann, wenn das vorgestellte Bild bewusst überprüft wird [5].

Eine zweite theoretische Verfeinerung, die diese Daten nahelegen, betrifft die Perspektive, die Leser beim Verstehen von Aktionswörtern einnehmen. Vor dem Hintergrund früherer Untersuchungen war es nicht klar, in welchem Ausmaß die motorische Komponente des Verstehens von Aktionswörtern Aktionen widerspiegelt, die wir entweder bei anderen beobachtet haben (allozentrische Simulation) oder die wir selbst ausgeführt haben (egozentrische Simulation). Die allozentrische Alternative sagt voraus, dass neurokognitive Repräsentationen von Wörtern, die Aktionen mit der Hand benennen, bei Rechts- und Linkshändern gleich sein sollten, weil wohl jeder ungefähr die gleiche Anzahl von Aktionen bei anderen Menschen beobachtet, die diese mit der rechten und mit der linken Hand ausführen. Die Entdeckung, dass die motorische Aktivität, die mit Wörtern assoziiert ist, die Aktionen mit der Hand benennen, körperspezifisch ist, unterstützt die egozentrische Alternative und legt es nahe, dass Menschen beim Verstehen von Aktionswörtern implizit ihre eigenen potenziellen Aktionen simulieren.

Die funktionale Bedeutung prämotorischer Aktivität für das Sprachverstehen bleibt eine offene Frage, die in weiteren Forschungsarbeiten zu klären ist. Aufgrund der korrelationalen Art von fMRI-Daten ist es nicht möglich zu erkennen, ob die prämotorische Aktivität, von der wir hier berichten, ein notwendiger Bestandteil der Semantik von Aktionsverben ist oder nicht. Obwohl einige Konstituenten der Wortbedeutung von unseren physischen Erfahrungen wegabstrahiert werden können, legen die vorgelegten Ergebnisse doch den Schluss nahe, dass zumindest ein Teil der Bedeutung eines Aktionswortes konstituiert wird durch eine implizite mentale Simulation einer Aktion, so wie Sprecher sie mit ihren jeweils eigenen Körpern durchführen würden.

Originalveröffentlichungen

D. Casasanto:
Embodiment of Abstract Concepts: Good and bad in right- and left-handers.
Journal of Experimental Psychology: General 138(3), 351-367 (2009).
R.M. Willems, P. Hagoort:
Hand preference influences neural correlates of action observation.
Brain Research 1269, 90-104 (2009).
R. M. Willems, P. Hagoort, D. Casasanto:
Body-Specific Representations of Action Verbs: Neural evidence from right- and left-handers.
Psychological Science 21, 67-74 (2010). doi: 10.1177/0956797609354072
R. M. Willems, I. Toni, P. Hagoort, D. Casasanto:
Body-Specific Motor Imagery of Hand Actions: Neural evidence from right- and left-handers.
Frontiers in Human Neuroscience. 3(39), 1-9 (2009).
R. M. Willems, I. Toni, P. Hagoort, D. Casasanto:
Neural dissociations between action verb understanding and motor imagery.
Journal of Cognitive Neuroscience, Nov. 19, 2009, Epub ahead of print. doi:10.1162/jocn2009.21386
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