Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut für Astrophysik

Quasare im frühen Universum: Schornsteine der ersten kosmischen Großstädte?

Autoren
Overzier, Roderik
Abteilungen

Kosmologie (Prof. Dr. Simon White)
MPI für Astrophysik, Garching

Zusammenfassung
Ein Astronomenteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Astrophysik hat mithilfe von Beobachtungen durch das Hubble Space Telescope und Vorhersagen aus der Millennium-Simulation mögliche Erklärungen für eines der verblüffendsten kosmischen Rätsel gefunden: Wenn – wie es die Theorie vorhersagt – leuchtende Quasare im frühen Universum die Regionen anzeigen, die als erste zusammengestürzt sind und massereiche Galaxienhaufen gebildet haben, warum gibt es dann bislang so wenige empirische Beweise für solche „Städte im Bauzustand“?

Sowohl die Theorie als auch Simulationen sagen vorher, dass die Energie der äußerst seltenen leuchtenden Quasare, die bei einer Rotverschiebung von ungefähr 6 (also etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall) gefunden wurden, aus supermassereichen Schwarzen Löchern in den Zentren massereicher Galaxien stammt, die sich tief in den Potenzialtöpfen der dichtesten Regionen gebildet haben. Daher wurde seit langem allgemein angenommen, dass Quasare von einer hohen Anzahl kleinerer Galaxien umgeben sind, die diese dichten Regionen abgrenzen. Diese Vorhersage stimmt mit der Tatsache überein, dass die massereichsten und ältesten Galaxien und die größten (inaktiven) Schwarzen Löcher im heutigen Universum in den Zentren massereicher Galaxienhaufen zu finden sind. Wenn die Vorhersage allerdings widerlegt würde, müssten die Theorien über die Bildung von Quasaren im frühen Universum korrigiert werden.

Um die Theorie zu überprüfen, wurde versucht, schwache sternbildende Galaxien mit der Advanced Camera for Surveys (ACS) des Hubble Space Telescopes (HST) zu finden. Die Ergebnisse waren uneinheitlich. Während die Felder rund um einige Quasare einen möglichen Überschuss an Galaxien aufweisen, zeigen die meisten Quasarfelder, die von zufällig gewählten Blickachsen aus in vergleichbarer Tiefe beobachtet wurden, keine Auffälligkeiten. Zudem haben einige Studien beliebige Himmelsregionen gefunden, die wesentlich mehr Galaxienstrukturen bei einer Rotverschiebung von etwa 6 enthalten als Regionen in der Nähe von Quasaren. Somit scheinen entscheidende empirische Belege im Zusammenhang mit Quasaren und besonders dichten Regionen im frühen Universum gegenwärtig noch zu fehlen. Eine neue Studie von Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) bietet eine mögliche Erklärung für dieses erstaunliche Ergebnis.

Indem sie N-Teilchen-Verfahren aus der Millennium-Simulation mit am MPA entwickelten semi-analytischen Modellen der Galaxienbildung verknüpften, simulierte das Forscherteam eine sehr große Region des frühen Universums, um zu zeigen, wie sie durch die Augen unserer größten Teleskope betrachtet aussehen würde. Diese simulierte Durchmusterung (Abb. 1) sagt die Positionen und Größen von Galaxien vorher und zeigt, wie das Universum seine typische gewebeartige Struktur schon bei einer Rotverschiebung von 6 bekam. Dieses Himmelsmuster entspricht einem System langer Fernstraßen (Filamente), die große Städte von Galaxien über riesige offene Felder (Leerräume) miteinander verbinden. Quasare sind der Vorhersage nach in den dichtesten Regionen untergebracht (Abb. 1). Allerdings erklärt die Kombination mehrerer wichtiger Faktoren, warum die Jagd nach lichtschwachen Galaxien rund um Quasare eine so große Herausforderung ist. (1) Obwohl heutige Durchmusterungen ziemlich erfolgreich darin sind, relativ helle Galaxien zu finden, die bei einer ungefähren Rotverschiebung von 6 liegen, sind wir noch nicht in der Lage, die genauen Rotverschiebungen dieser Galaxien zu bestimmen. Um einen physikalischen Zusammenhang zwischen Galaxien und den Zielobjekten (Quasare, deren Rotverschiebungen bekannt sind) zu beweisen, wäre eine viel präzisere Rotverschiebungsangabe notwendig. (2) Die Simulationen deuten darauf hin, dass die Empfindlichkeit und die Untersuchungsregionen der bisher durchgeführten Durchmusterungen wahrscheinlich nicht optimal sind, wenn es darum geht, Strukturen von Galaxien zu finden, die im Zusammenhang mit den Quasaren stehen. In Abbildung 2 sind einige Beispiele von Regionen hoher Dichte dargestellt, die in den Simulationen gefunden wurden. Die großen schwarzen Kreise zeigen die lichtschwächsten Galaxien, die in Quasarfeldern gegenwärtig gefunden werden können. Der rote Balken oben links entspricht dem Durchmesser des HST/ACS-Sichtfeldes (3,4 Bogenminuten). Weil die Anzahl der hellen Galaxien relativ gering ist und sie sich über ein Gebiet verteilen, das typischerweise zwei- oder dreimal größer ist, verfehlt man leicht alle möglicherweise existierenden Strukturen in den Beobachtungen. Indem lichtschwächere Galaxien beobachtet wurden (in Abb. 2 als kleine Punkte angezeigt), fallen die großräumigen Umgebungen viel stärker auf und sind leichter zu entdecken.

(3) Das Team analysierte die Anzahl von Begleitgalaxien als Funktion der Masse der dunklen Materiehalos, von denen man annimmt, dass sie die Quasare beherbergen, mit dem Ergebnis, dass beide Größen in einem nur schwachen Zusammenhang zueinander stehen (Abb. 3). Dies impliziert, dass selbst wenn man durch Beobachtungen zeigen kann, dass Quasare bevorzugt in besonders dichten Regionen beheimatet sind, es sehr schwierig sein wird, die genaue Masse des Quasarhalos aus der Anzahl der beobachteten Begleitgalaxien zu bestimmen.

Wegen des Erfolgs der letzten HST- Wartungsmission der NASA [W1] wird die gerade reparierte ACS in der Lage sein, neue Durchmusterungen durchzuführen, die auf Regionen rund um die Quasare bei Rotverschiebung von 6 abzielen könnten. Alternativ sollten Bodenteleskope benutzt werden, um die genauen Rotverschiebungen lichtschwacher Galaxien in der Nähe von Quasaren zu bestimmen. Solche Studien werden am besten durchgeführt, indem Quasare bei einer Rotverschiebung von 5,7 untersucht werden, da hier das atmosphärische Übertragungsfenster gut ist. Im nächsten Jahrzehnt sollte das James Webb Space Telescope mit seiner empfindlichen Nahinfrarotkamera und seinem Spektrographen, mit denen extrem lichtschwache Galaxien aufgedeckt werden können, in der Lage sein, eine endgültige Antwort auf die Frage zu geben, ob sich die leuchtenden Quasare in den dichtesten Regionen im frühen Universum gebildet haben.

Originalveröffentlichungen

R. A. Overzier, Q. Guo, G. Kauffmann, G. De Lucia, R. Bouwens, G. Lemson:
LCDM predictions for galaxy protoclusters - I. The relation between galaxies, protoclusters and quasars at z~6.
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 394, 577–594 (2009).
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