Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht

Pirateriebekämpfung im Golf von Aden

Autoren
Petrig, Anna
Abteilungen

Strafrecht (Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ulrich Sieber)
MPI für ausländ. und internat. Strafrecht, Freiburg

Zusammenfassung
Piraterie und bewaffneter Raub auf See stellen auch ein Jahr nach der Entsendung erster Militärschiffe in den Golf von Aden eine ernst zu nehmende Bedrohung für die zivile Schifffahrt und die Lieferung humanitärer Güter nach Somalia dar. Es erstaunt daher wenig, dass der UNO-Sicherheitsrat Ende November 2009 das Mandat zur Bekämpfung von Piraterie vor den Küsten Somalias einstimmig um zwölf Monate verlängert hat.

UNO-Mandat zur Bekämpfung der Piraterie im Golf von Aden

Alarmiert durch die sprunghafte Zunahme von Piratenangriffen im Golf von Aden im Jahr 2008 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mehrere auf Kapitel VII der UNO-Charta gestützte Resolutionen erlassen. Darin hat er sich das ambitionierte Ziel gesetzt, die Seeräuberei vor den Küsten Somalias vollständig und dauerhaft zu unterbinden. Hierzu hat er das polizeiliche Instrumentarium gegen Piraten und deren Schiffe erheblich ausgebaut und namentlich Zwangsmaßnahmen in somalischen Küstengewässern und auf dem Festland Somalias den Weg geebnet. Gestützt auf dieses UNO-Mandat sind im Jahr 2010 drei multinationale Pirateriebekämpfungsmissionen im Golf von Aden im Einsatz: Die Operation Atalanta der Europäischen Union, die Operation Ocean Shield der NATO sowie die unter US-Kommando stehende Combined Task Force 151. Weiter haben zahlreiche Staaten Kriegsschiffe zur Bekämpfung somalischer Piraten entsandt.

Polizeimaßnahmen gegen Piraten

Durch die Resolutionen 1846 und 1851 hat der Sicherheitsrat die gegen „Seeräuberei und bewaffneten Raubüberfall auf See“ erlaubten polizeilichen Befugnisse erheblich erweitert. Das so geschaffene Regelwerk, dessen zeitliche Geltung mit Resolution 1897 bis November 2010 verlängert wurde, hat einige der bekannten Lücken im Pirateriebekämpfungsregime des UNO-Seerechtsübereinkommens von 1982 geschlossen. In Bezug auf die erlaubten Maßnahmen gegen Piraten im Golf von Aden sind drei unterschiedliche geografische Bereiche zu unterscheiden, für die jeweils andere rechtliche Vorgaben gelten, nämlich Taten auf hoher See, solche, die in den somalischen Küstengewässern stattfinden sowie die Verfolgung der Täter auf somalischem Festland.

Dreigeteiltes Zwangsmaßnahmenregime gegen Piraterie

Soweit es um Verfolgungsmaßnahmen auf hoher See geht, gilt auch weiterhin das UNO-Seerechtsübereinkommen. Danach dürfen Piratenschiffe aufgebracht, die Besatzung festgenommen und Eigentum an Bord beschlagnahmt werden. Gerade die Beschränkung auf Taten auf hoher See hat in der Praxis jedoch zu Schwierigkeiten geführt: Piraten, die sich von dort aus in somalische Küstengewässer oder Häfen flüchten sowie solche, die gezielt nur dort angreifen, können sich die Lücken dieser rechtlichen Regelungen zunutze machen.

Aus diesem Grund hat der Sicherheitsrat mit Resolution 1846 das bestehende Pirateriebekämpfungsregime bedeutend erweitert. Staaten dürfen die polizeilichen Maßnahmen des Seerechtsübereinkommens nun auch in Somalias Küstengewässern ergreifen – eine Handlung, die ohne entsprechende Sicherheitsratsresolution allein dem Küstenstaat Somalia vorbehalten wäre.

Mit Resolution 1851 hat der Sicherheitsrat zudem den Weg für militärische Operationen auf dem somalischen Festland geebnet. Von dieser Befugnis wurde bislang kein Gebrauch gemacht. In der Europäischen Union wird derzeit jedoch der Vorschlag beraten, Sicherheitskräfte der Afrikanischen Union zur Bekämpfung der Piraterie auf somalischem Festland auszubilden.

Fehlende explizite Schranken für erweiterte Polizeibefugnisse

Das durch den Sicherheitsrat neu geschaffene Pirateriebekämpfungsregime scheint im Interesse einer wirksamen Verbrechensbekämpfung erforderlich. Bedenklich ist jedoch, dass die entsprechenden Resolutionen bestenfalls allgemeine Aussagen zu den Schranken, welche die Ausübung dieser erheblich erweiterten Polizeibefugnisse begrenzen würden, enthalten. Auch dem UNO-Seerechtsübereinkommen lassen sich keine expliziten Schranken für die erlaubten Zwangsmaßnahmen gegen Piraten auf hoher See entnehmen.

Konkrete Beschränkungen könnten sich aus internationalen Menschenrechtsbestimmungen ergeben. Es ist allerdings äußerst umstritten, ob und unter welchen Bedingungen Menschenrechte extraterritorial, also außerhalb der Landesgrenzen des handelnden Staates wie beispielsweise auf hoher See oder in fremden Territorialgewässern, anwendbar sind. Das wesentliche Kriterium für die extraterritoriale Anwendbarkeit von Menschenrechten ist, ob der handelnde Staat effektive Kontrolle über eine Person oder ein Gebiet ausübt.

Wird ein mutmaßlicher Pirat an Bord eines Kriegsschiffes festgehalten, so hat der Staat zweifelsohne Kontrolle über diese Person, welche folglich den Schutz der im Flaggenstaat anwendbaren Menschenrechte genießt. Wenn es allerdings um das Verfolgen oder Aufbringen von Schiffen auf See geht – eine Situation, in der potenziell (tödliche) Gewalt angewandt wird –, ist es weit schwieriger festzulegen, ab welchem Zeitpunkt effektive Kontrolle über einen Verdächtigen erlangt wird. Auch ist unklar, inwiefern das Kriterium der Gebietskontrolle im maritimen Kontext zu verstehen ist. Die Frage, ob und wann Staaten, die am Antipirateneinsatz teilnehmen, an Menschenrechte gebunden sind, kann daher nicht eindeutig und generell beantwortet werden.

Strafverfolgung mutmaßlicher Piraten

Piraten strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, stellt neben der Verhinderung von Übergriffen ein unabdingbares Mittel dar, um Piraterie nachhaltig einzudämmen.

Bruch zwischen polizeilicher und strafrechtlicher Verfolgung

Zwischen der Ebene der polizeilichen Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung besteht allerdings ein deutlicher Bruch. Während der Sicherheitsrat die polizeilichen Befugnisse gegen Piraten maßgeblich erweitert hat, ließ er das Strafverfolgungsregime weitgehend unangetastet. Die verschiedenen Piraterieresolutionen stellen nicht viel mehr als einen Appell an die Staatengemeinschaft dar, die Zusammenarbeit in Strafsachen zu intensivieren und die entsprechenden Rechtsgrundlagen zur Strafverfolgung von Piraten zu schaffen.

Diese Diskrepanz zwischen polizeilicher und strafrechtlicher Verfolgung auf der normativen Ebene spiegelt sich auch im operativen Bereich. Das beispiellose Engagement im polizeilichen Vorgehen gegen somalische Piraten steht im krassen Gegensatz zur geringen Zahl von Staaten, welche Piraten strafrechtlich verfolgen. Von den an den Pirateriebekämpfungsmissionen teilnehmenden Staaten stellten bislang nur Frankreich, Spanien, die Niederlande und die USA Piraten vor ihre Heimatgerichte. Die Gründe für die mangelnde Strafverfolgung sind nur teilweise rechtlicher Natur, wie etwa das Fehlen von spezifischen Pirateriestraftatbeständen oder Gerichtsbarkeit. Oft scheint die Strafverfolgung an politischen, finanziellen oder logistischen Bedenken zu scheitern.

Regionale Strafverfolgung oder internationales Piratentribunal?

Gerade in der Anfangsphase der Pirateriebekämpfung im Golf von Aden führte dieser Bruch zwischen polizeilicher und strafrechtlicher Verfolgung von Piraten dazu, dass diese nach ihrer Ergreifung ungeachtet der Beweislage wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Diese kriminalpolitisch bedenkliche Catch-and-release-Praxis konnte inzwischen dank der Bereitschaft regionaler Staaten, Piraten strafrechtlich zu verfolgen, eingedämmt werden. Dabei trägt Kenia bislang die Hauptlast in der strafrechtlichen Bewältigung der Piraterie. Gestützt auf ein Abkommen mit der Europäischen Union zwecks Übernahme von Piraterieverdächtigen zur Strafverfolgung standen im November 2009 über hundert Personen vor Kenias Strafgerichten. Mehr als zehn Verurteilte verbüßten zudem zu diesem Zeitpunkt bereits ihre Freiheitsstrafe in kenianischen Gefängnissen.

Es besteht somit die Tendenz, mutmaßliche Piraten in erster Linie in Regionalstaaten strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Neben Vorteilen einer regionalen Strafverfolgung, wie etwa der Tatortnähe, ist diese unter mehreren Gesichtspunkten problematisch. Es besteht beispielsweise die Gefahr, die teilweise ohnehin überlasteten Justizsysteme der Region über Gebühr zu beanspruchen. Auch kann die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards, wie etwa Verfahrensgarantien oder Haftbedingungen, nicht immer garantiert werden.

Vor diesem Hintergrund haben verschiedene Staaten, wie etwa die Niederlande, Russland und Deutschland, für die Schaffung eines internationalen Piratentribunals geworben. Der Vorschlag, ein solches Tribunal analog den Ad-hoc-Tribunalen für Ruanda und das ehemalige Jugoslawien auf Kapitel VII der UNO-Charta zu stützen, scheint jedoch wenig aussichtsreich. Denn Piraterie an sich stellt kaum eine Bedrohung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit dar, wie es das Ergreifen von Maßnahmen unter Kapitel VII der UNO-Charta erfordert.

Alternativ wurde erwogen, ein Piratentribunal in Form einer spezialisierten Kammer dem Internationalen Seegerichtshof anzugliedern, was einer Ergänzung des UNO-Seerechtsübereinkommens bedürfte. Dies wäre nicht nur ein zeitintensiver Prozess, sondern könnte auch daran scheitern, dass Staaten nicht bereit sind, das Seerechtsübereinkommen, das weit wichtigere Aspekte als Piraterie regelt, anzutasten.

Mit der Gründung eines internationalen Piratentribunals wäre zudem die Frage der Strafvollstreckung nicht gelöst. Spätestens hierfür würde man wieder auf ein rein nationales System zurückgreifen müssen. Dass der Wille der Staaten, Freiheitsstrafen zu vollstrecken, größer ist als die Motivation, Piraten strafrechtlich zu verfolgen, scheint jedoch zweifelhaft. Die größten Erfolgsaussichten dürfte somit die Einrichtung von spezialisierten Piratenkammern an nationalen Gerichten haben. Damit würde der eingeschlagene Weg der regionalen Strafverfolgung fortgesetzt.

Piraterie im globalen Kontext

Piraterie ist sicherlich nicht Somalias schwerwiegendstes Problem. Es ist jedoch symptomatisch für die weitreichenden Konsequenzen des Zusammenbruchs des somalischen Staates. Es ist zudem beispielhaft für die zahlreichen rechtlichen Fragen, welche multilaterale Polizeieinsätze zur See aufwerfen. Die Liste globaler Sicherheitsrisiken ist lang und der Piraterieeinsatz im Golf von Aden stellt kaum den letzten multilateralen UNO-mandatierten Polizeieinsatz dar. Gerade im Bereich des internationalen Drogenschmuggels sind ähnliche Einsätze denkbar. Daher geht die Auseinandersetzung mit Fragen wie der nach den spezifischen Polizeibefugnissen auf See oder der Anwendbarkeit der Menschenrechte im maritimen Kontext weit über die Piraterieproblematik hinaus.

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