Forschungsbericht 2007 - Bibliotheca Hertziana - Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte

Der Romgedanke in der Selbstdarstellung der Familie Cesarini im Rom des 16. Jahrhunderts

Autoren
Sickel, Lothar
Abteilungen
Zusammenfassung
Im späten 15. Jahrhundert stieg die Familie Cesarini in die kirchlichen und weltlichen Adelskreise Roms auf. Dabei entwickelte sie besondere Strategien, um ihre Stellung zu festigen: Sie beanspruchte, vom antiken Uradel Roms abzustammen, und nutzte das Amt des Bannerträgers des römischen Volkes (Gonfaloniere), um ihre Verbundenheit mit den Traditionen Roms herauszustellen. Ein Projekt im Forschungsbereich „Malerei und Bildkünste der Frühen Neuzeit“ der Bibliotheca Hertziana rekonstruiert diese Strategien im Detail.

Die Familie Cesarini ist heute in erster Linie durch zwei Persönlichkeiten bekannt: durch den Kardinal Giuliano Cesarini (gest. 1444), den gelehrten Vertreter der Kirche, der die Konzile von Basel und Florenz leitete, und durch Virginio Cesarini (1594–1624), den mit Galilei befreundeten Literaten und Naturforscher, der bei seinem frühen Tod als einer der begabtesten Intellektuellen Roms galt [ 1, 2 ]. Die Lebensdaten dieser beiden Personen definieren zugleich den zeitlichen Rahmen, auf den sich das im Jahr 2005 begonnene Forschungsprojekt konzentriert. Es untersucht, wie sich die Familie Cesarini in ihrem öffentlichen Auftreten und in der künstlerischen Ausstattung ihrer Residenzen selbst inszeniert hat.

Dazu musste zunächst die Geschichte der Cesarini während des 15. und 16. Jahrhunderts grundlegend aufgearbeitet werden. Tatsächlich ist die Familie – mit Ausnahme der erwähnten Persönlichkeiten – weitgehend in Vergessenheit geraten, da sie im frühen 18. Jahrhundert in der männlichen Linie erlosch und in der Familie Sforza-Cesarini aufging. Auch vom ehemals umfangreichen Immobilienbesitz der Cesarini sind heute nur noch Fragmente erhalten. Ein Sinnbild für die Ausblendung der Cesarini aus dem kulturellen Gedächtnis war der Abriss ihres großen Familienpalastes im Stadtzentrum Roms, der um 1928 der Ausgrabung der antiken Tempelanlagen bei Torre Argentina weichen musste (Abb. 1).

Zwei Elemente prägten grundlegend das Selbstverständnis der Cesarini: erstens der Mythos, von den antiken Cäsaren, dem antiken Uradel Roms abzustammen, und zweitens ihr Rang als Bannerführer des römischen Volkes. Den Abstammungsmythos begründete die Familie mit ihrem Namen, der auf die antiken Cäsaren verweise. Diesen Anspruch propagierte sie spätestens seit dem 15. Jahrhundert. Dies war keine geringe Anmaßung, denn gegenwärtig lässt sich die Geschichte der Familie nur bis in das 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Damals gehörten die Cesarini noch zum gehobenen Bürgertum von Rom. Ihr sozialer Aufstieg begann um die Mitte des 15. Jahrhunderts, als sie sich mit den Brancaleoni und Colonna verbanden. In den höheren Adel gelangten sie erst 1552, als Giuliano Cesarini (ca. 1506–1566) zum Marchese von Civitanova erhoben wurde.

Öffentliches Ansehen genossen die Cesarini schon zuvor durch das Ehrenamt des Bannerträgers von Rom (Gonfaloniere del Popolo Romano). 1463 wurde dieses Amt zunächst als individuelles Vorrecht an Gabriele Cesarini (ca.1445–1505) verliehen. Danach wurde es auch seinem Sohn Giovan Giorgio und seinem Enkel Giuliano zuerkannt. Seit 1530 war es ein erbliches Privileg der Cesarini. Das Amt verlieh den Cesarini zwar keine politische Macht, aber fortan galten sie als die ersten Repräsentanten der Stadt Rom, und diesen Anspruch suchten sie in ihrem öffentlichen Auftreten zu bekunden.

Die öffentliche Präsenz der Cesarini im römischen Festwesen

Eine besonders prominente Rolle spielten die Cesarini im römischen Festwesen. Bei feierlichen Umzügen sorgte der von ihnen gestellte Gonfaloniere (Bannerträger) stets für Aufsehen, da er, umgeben von zahlreichen Pagen, überaus prachtvoll auftrat. Erst in gebührendem Abstand folgten die übrigen Repräsentanten der Kommune. Für derartige Zurschaustellungen bot der römische Festkalender besonders während des Karnevals vielfältigen Anlass. Häufig sorgten die Cesarini für die Ausstattung der Festwagen und ließen öffentlich Schauspiele aufführen. Ein großes Ereignis war alljährlich die so genannte Festa del Testaccio, bei der sich die Jugend Roms im Stierkampf versuchte. Schauplatz des Spektakels war ein Feld außerhalb der Befestigungsmauer im Süden Roms, das zu diesem Zweck in eine Arena umgewandelt wurde. Eine Druckgrafik aus der Zeit von Papst Paul III. (1534–1549) zeigt das von zahlreichen Zuschauern umsäumte Gelände. Am Eingang zur Arena ist der damalige Gonfaloniere Giuliano Cesarini leicht zu erkennen. Er trägt das große Banner mit den Buchstaben S.P.Q.R. (Senatus Populusque Romanus, „Senat und Volk von Rom“; Abb. 2).

Im Verlauf des 16. Jahrhunderts beeinflusste die öffentliche Rolle der Cesarini zunehmend ihre private Repräsentation. Giulianos Nachfolger Giovan Giorgio Cesarini (1549–1585) veranstaltete jedes Jahr am 1. August ein großes Fest in seiner Villa auf dem Esquilin [3]. Die Gäste sahen dort Aufführungen von Gauklern, Tierkämpfe und große Feuerwerke. Das bunte Treiben war kaum im Sinn der Kirche, denn der 1. August war eigentlich ein religiöser Festtag, an dem die Gläubigen in die nahe gelegene Basilika San Pietro in Vincoli pilgerten, wo an diesem Tag die Reliquie der Ketten Petri ausgestellt wurde. Giovan Giorgio nutzte also die Anwesenheit der zahlreichen Kirchgänger, um sich möglichst wirkungsvoll in Szene zu setzen, auch wenn das Spektakel die Andacht störte.

Die Ausstattung der Villa Cesarini bei San Pietro in Vincoli

Ein prominenter Besucher der Villa Cesarini war im April 1581 Michel de Montaigne. Auch ihm erzählte der Hausherr, Giovan Giorgio, die Geschichte von der Herkunft seiner Familie aus dem Geschlecht der Cäsaren. Dies notierte Montaigne in seinem Journal. Darin erwähnt er auch einige der zahlreichen Attraktionen der Villa: eine Gruppe von sechzehn Büsten antiker Philosophen (Abb. 3) sowie eine Galerie mit Bildnissen der schönsten Frauen Italiens, unter denen das Porträt von Cesarinis Gemahlin, Clelia Farnese, hervorrage (Abb. 4). Die Büsten der Philosophen wurden 1576 entdeckt. Sie galten als besondere Rarität, weil die dargestellten Personen durch Inschriften namentlich gekennzeichnet waren. Den Archäologen des 16. Jahrhunderts war es damit erstmals möglich, die Bildnisse einiger antiker Philosophen sicher zu identifizieren.

Die Philosophen-Büsten und die Bildnisse der belle („schönen Frauen“) offenbaren die Interessen des Giovan Giorgio Cesarini, der sich als Liebhaber der Philosophie und der weiblichen Schönheit zu inszenieren suchte. Eine andere Gruppe von zwölf Büsten, deren Verbleib allerdings unbekannt ist, zeigte die Bildnisse Cäsars und der ihm nachfolgenden Kaiser Roms. Sehr wahrscheinlich handelte es sich um moderne Skulpturen, die nach dem Vorbild einer Gruppe von Büsten im Besitz von Giovan Giorgios Schwiegervater, Kardinal Alessandro Farnese, geschaffen wurden. Die Cesarini stellten diese Kaiserbüsten nicht allein als Kunstwerke zur Schau: Ganz offensichtlich erfüllten sie die Funktion einer Ahnengalerie. Derartige Inszenierungen waren auch in anderen römischen Palästen durchaus üblich, aber die Cesarini vertraten ihren Anspruch mit besonderer Leidenschaft und Erfindungsgabe.

Ein weiteres Beispiel für die geschickte Selbstinszenierung Giovan Giorgios bieten die um 1580 entstandenen Fresken in der Loggia der Villa Cesarini. Die Fresken zeigen vier Darstellungen der wichtigsten Feudalbesitzungen der Cesarini: Civitanova, Rocca Sinibalda, Ardea und Civita Lavinia. In strategischer und wirtschaftlicher Hinsicht waren eigentlich Rocca Sinibalda und Civitanova von größerer Bedeutung. Dennoch sind die Veduten der Ortschaften Ardea und Civita Lavinia in besonderer Weise hervorgehoben, weil sie in der legendären Gründungsgeschichte Roms eine wichtige Rolle spielen. Ardea war die erste Ortschaft, die Aeneas in Latium eroberte, nachdem es zwischen ihm und Turnus, dem Herrn über Ardea, zum Konflikt um den Ehebund mit der Königstochter Lavinia gekommen war. Lavinia soll sich während des Kampfes um Ardea in der nach ihr benannten Ortschaft Civita Lavinia verborgen haben. Die Vedute Ardea in der Loggia der Villa Cesarini ist von zwei antik gekleideten Kriegern flankiert, die sich gegenseitig ins Visier nehmen. Sie repräsentieren die legendären Gegner Aeneas und Turnus (Abb. 5).

Durch diesen Hinweis inszenierte sich Giovan Giorgio Cesarini nicht allein als Feudalherr über Ardea, sondern zugleich als Nachfahre des Aeneas, des mythischen Helden von Troja und Stammvaters der Römer. Zeitgenössischen Besuchern der Villa wird die Anspielung unschwer aufgefallen sein, zumal ihnen gleich am Eingang der Villa deutlich vor Augen geführt wurde, dass es Giovan Giorgio Cesarini mit seinem Anspruch, als Gonfaloniere die Stadt Rom zu repräsentieren, durchaus ernst meinte. Cesarini hatte nämlich im Hof der Villa eine große Skulpturengruppe der Roma triumphans aufstellen lassen. Vorbild war die berühmte Roma-Gruppe im Garten des Palazzo Cesi, die heute im Hof des Konservatorenpalastes steht. Auch in der Villa Cesarini thronte die Allegorie der Roma auf einem hohen, von zwei kolossalen Statuen gefangener Barbaren flankierten Podest. Die Statue der Roma war aus seltenem Porphyr, einem Material, das einen imperialen Anspruch signalisierte. Die Gruppe wurde 1593 demontiert; im Rahmen des Forschungsprojektes gelang es jedoch, die einzelnen Elemente nachzuweisen. Die Roma befindet sich seit 1593 auf dem Kapitolsplatz in Rom und die beiden Barbaren im Garten der Villa Ludovisi. Nun ist es möglich, die Gruppe so zu rekonstruieren, wie sie sich Besuchern der Villa Cesarini präsentierte (Abb. 6).

Dies hat nicht nur kunsthistorische, sondern auch lokalpolitische Bedeutung, denn die Roma Capitolina ist eines der wichtigsten Objekte der kommunalen Repräsentation der Stadt Rom. Ihre Herkunft aus der Sammlung Cesarini war bislang unbekannt [4].

Wichtige Teilergebnisse des Forschungsprojekts

Leitfaden des gesamten Forschungsprojekts ist, den Romgedanken als programmatisches Motiv in der Selbstdarstellung der Cesarini aufzuzeigen. Die Gesamtsicht auf die Familie Cesarini setzt sich aus diversen Einzelstudien zusammen. Viele Ergebnisse haben durchaus eigenständigen Charakter. Sie betreffen in erster Linie neue Erkenntnisse zum Kunstbesitz der Familie Cesarini, von dem man bislang kaum eine annähernde Vorstellung hatte. So gelang es, die mitunter sehr verschlungenen Wege einzelner Skulpturen aus der Sammlung Cesarini nachzuzeichnen [5]. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass der Bischof Ascanio Cesarini (ca. 1517–1592) einer der ersten Besitzer von Raffaels „Salvator Mundi“ (1506) war (Abb. 7). Dieser Sachverhalt wirft ein neues Licht auf die frühe Sammlungsgeschichte der Werke Raffaels [6].

Das wichtigste Teilergebnis aber ist die Entdeckung des Kaufvertrages, den Giovan Giorgio Cesarini mit Tommaso de' Cavalieri (ca. 1515–1587), einem engen Vertrauten Michelangelos, im Jahr 1580 abschloss. Mit diesem Vertrag erwarb Cesarini mehr als 230 Zeichnungen teilweise hochrangiger Künstler wie Dürer, Leonardo und Michelangelo. Von größter Bedeutung ist das Inventar der Zeichnungen, das dem Vertrag beigefügt ist. Es vermittelt erstmals eine konkretere Vorstellung vom Bestand der Sammlung des Tommaso de' Cavalieri [7]. Dank der verschiedenen Dokumente, die im Verlauf des Forschungsprojekts ermittelt werden konnten, ist es nun möglich, genauer zu bestimmen, wie die Sammlung Cavalieri strukturiert war und wohin einzelne Konvolute mit Zeichnungen Michelangelos später gelangten. Für die Sammlungsgeschichte von Zeichnungen ist der Erkenntnisgewinn beträchtlich. Der Fund hat daher ein entsprechendes Echo in der Presse gefunden [8].

Originalveröffentlichungen

G. Christianson:
Cesarini – The Conciliar Cardinal: The Basel years 1431–1438.
St. Ottilien 1979.
E. Bellini:
Umanisti e lincei: letteratura e scienza a Roma nell’età di Galileo.
Antenore, Padua 1997.
S. Lucantoni:
Il palazzo Cesarini a Roma.
In: Le corti rinascimentali: committenti e artisti. (Hg.) Luciana Cassanelli. Sinnos, Rom 2004, 183–224.
L. Sickel:
La Roma Capitolina: Da Villa Cesarini al Campidoglio. In: Bollettino d’arte, Bd. 93, 2008.
In: Pegasus. Berliner Beiträge zum Nachleben der Antike, Bd. 9, 2007, 193–207.
L. Sickel:
Adonis als Narziss: Provenienz und Bedeutungswandel einer Statue aus der Sammlung Cesarini.
In: Pegasus. Berliner Beiträge zum Nachleben der Antike, Bd. 9, 2007, 193–207.
L. Sickel:
Raffaels Segnender Christus im Testament des Bischofs Ascanio Cesarini.
In: Atti e studi – Accademia Raffaello, Heft 1, 2008.
L. Sickel:
Die Zeichnungssammlung des Tommaso de’Cavalieri und die Provenienz der Zeichnungen Michelangelos.
In: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana, Bd. 37, 2006 [2008].
Presseecho auf den Fund des Verkaufsinventares von 1580:
TIMES vom 12. November 2007; FAZ vom 17. November 2007; ZEIT vom 20. Dezember 2007; Antiquitäten Zeitung, 24/2007.
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