Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Physik

Das GERDA-Experiment zur Suche nach neutrinolosem Doppelbetazerfall

Autoren
Abt, I., Caldwell, A., Jelen, M., Lenz, D., Liu, J., Liu, X., Kröninger, K., Majorovits, B., Stelzer, F.
Abteilungen
Zusammenfassung
Das GERDA (Germanium Detector Array)-Experiment wird am LNGS, (Laboratori Nazionali del Gran Sasso), Italien, nach neutrinolosem Doppelbetazerfall suchen. In der ersten Phase des Experiments soll nach einer Messzeit von ca. einem Jahr das Resultat des Heidelberg-Moskau- Experiments überprüft werden. In der zweiten Phase soll die Empfindlichkeit des Experiments erhöht werden, damit eine Neutrinomasse so niedrig wie ca. 200 meV nachgewiesen werden kann. Dazu wurden vom MPI für Physik in Zusammenarbeit mit Canberra-France neuartige 18fach segmentierte voll koaxiale n-Typ- Germaniumdetektoren entwickelt.

1. Einleitung

Neutrinos spielen eine fundamentale Rolle beim Verständnis unseres Universums. Auf Grund kinematischer Bilanzen im Betazerfall wurde ihre Existenz in den 30er-Jahren von W. Pauli postuliert. Wegen ihrer extrem niedrigen Wechselwirkunswahrscheinlichkeit konnte der direkte experimentelle Nachweis erst 1956 erbracht werden.

Im Standardmodell der Teilchenphysik sind Neutrinos masselos. In den letzten Jahren konnte durch Oszillationsexperimenten allerdings nachgewiesen werden, dass sie eine von Null verschiedene Masse haben müssen: Neutrinos kommen in drei Familien vor. Sind sie nicht masselos, so kann sich ihre Familienzugehörigkeit ändern. Die Wahrscheinlichkeit, mit der sich diese Änderung vollzieht, ist abhängig von der Massendifferenz zwischen den Masseneigenzuständen. Neutrinos, die in der Sonne, in unserer Erdatmosphäre und in Kernreaktoren erzeugt werden, zeigen genau diese Änderung der Familienzugehörigkeit zwischen Quelle und Nachweisort [1].

Aus den Messungen folgt, dass Neutrinos Massen haben müssen; die Absolutwerte der Massen jedoch können daraus nicht bestimmt werden, lediglich die Massendifferenz zwischen den Neutrinos verschiedener Familien. Die Bestimmung der absoluten Massenskala ist eine der großen Herausforderungen an die der moderne Teilchenphysik.

Neutrinos könnten identisch mit ihren Antiteilchen sein. Eine Unterscheidung zwischen Neutrinos und Antineutrinos wäre in diesem Falle nicht möglich, - man spricht dann von dem Neutrino als Majorana-Teilchen. Träfe dies auf Neutrinos zu, so würden sie einen Mechanismus liefern, der die beobachtete Materie-Antimaterie- Asymmetrie in unserem Universum erklären könnte.

Der so genannte Doppelbetazerfall ist ein schwacher Prozess zweiter Ordnung, der im Rahmen des Standardmodells der Teilchenphysik erlaubt ist. Beim Zerfall erhöht sich die Kernladungszahl um zwei Einheiten. Er wird an verschiedenen Isotopen mit Halbwertszeiten von der Größenordnung
1020 Jahren (10000000000-mal das Alter des Universums) beobachtet. Dabei zerfallen zwei Neutronen kohärent in zwei Protonen unter Emission von zwei Elektronen und zwei Elektron-Antineutrinos. Ist das Neutrino ein massives Majorana-Teilchen dann ist es möglich, dass der Zerfall auch ohne Emission von Antineutrinos stattfindet: Die zwei emittierten Neutrinos könnten sich selbst auslöschen (Abb. 1). Die Zerfallswahrscheinlichkeit ist für diesen Fall direkt an die Neutrinomasse gekoppelt.

2. Die Suche nach neutrinolosem Doppelbetazerfall

Um den neutrinolosen Doppelbetazerfall identifizieren zu können, benötigt man Teilchendetektoren mit einer guten Energieauflösung. Wenn der Zerfall neutrinolos erfolgt, wird die gesamte Energie, die beim Zerfall frei wird (Q-Wert), im Detektor deponiert. Man erwartet im Energiespektrum also eine Linie am Q-Wert des Zerfalls. Beim neutrinobegleiteten Doppelbetazerfall hingegen werden zwei Neutrinos emittiert, die dem Detektor entweichen und nicht zur Energiedeposition beitragen. Die resultierende Energieverteilung ist kontinuierlich und endet am Q-Wert des Zerfalls.

Für die erlaubten Neutrinomassen wäre der neutrinolose Zerfall extrem selten. Es ist daher von größter Bedeutung, dass die natürliche Radioaktivität in den Detektoren selbst und in der direkten Umgebung minimiert wird. Diese könnte ein positives Signal vortäuschen oder verschleiern.

Um die kosmische Höhenstrahlung abzuschirmen, müssen die Experimente unter Tage aufgebaut werden. Um auch die natürliche Radioaktivität der Umgebung abzuschirmen, werden die Detektoren aus Materialien gebaut, die sehr wenige radioaktive Isotope enthalten. Auch der Detektor selbst besteht aus ausgewählten und geprüften Materialien.

Bei den zurzeit empfindlichsten Experimenten zum Nachweis des neutrinolosen Doppelbetazerfalls bestehen die Detektoren aus einem Element mit einem Isotop, das nur über Doppelbetazerfall zerfällt: ein ganz besonders günstiges Isotop hierfür ist 76Ge, das erlaubt, aus hochreinen Germaniumkristallen Teilchendetektoren herzustellen, die die Messung von Energieeinträgen im Detektor mit hoher Genauigkeit gestatten. Einerseits sind in Germaniumdetektoren die intrinsischen Verunreinigungen sehr gering, andererseits spielt wegen der guten Energieauflösung der potenzielle Untergrund durch das kontinuierliche Spektrum des neutrinobegleiteten Doppelbetazerfalls keine Rolle.

Das Heidelberg-Moskau-Experiment liefert zur Zeit die strengsten Grenzen für neutrinolosen Doppelbetazerfall. Hierzu wurden aus mit 76Ge angereichertem Material Germaniumdetektoren gefertigt, die in einen Kryostaten aus speziellem hochreinen Kupfer eingebaut sind. Eine Kupfer- und Bleiabschirmung schirmt den Aufbau gegen die Umgebungsradioaktivität ab. So konnte mit ca. 0.1 Ereignissen/(keV kg Jahr) und einem Q-Wert von 2040 keV für 76Ge der niedrigste bis dahin gemessene Untergrund erreicht werden. Nach über 10 Jahren Messzeit mit insgesamt 12 kg Germaniumdetektoren beträgt die untere Grenze der Halbwertszeit 1.9 x 1025 Jahre [2]. Ein Teil der Kollaboration sieht in den Daten Evidenz für eine Linie am Q-Wert. Diese entspräche einer Halbwertszeit von 1.4x1025 Jahren und einer effektiven Majorana-Neutrinomasse von 0.19 eV.

3. Das GERDA-Experiment

Das GERDA-Experiment mit 76Ge angereicherte Detektoren wird in Halle A des Gran Sasso Untergrundlabors in Italien aufgebaut. Um die Empfindlichkeit zu erhöhen, d.h. auch kleinere Neutrinomassen zu erschließen, ist es zum einen nötig, den radioaktiven Untergrund zu reduzieren, zum anderen muss die Anzahl der untersuchten Kerne, d.h. die Detektormasse erhöht werden.

GERDA bedient sich des Konzeptes, die Materialien in unmittelbarer Detektornähe zu minimieren. Dazu werden die Germaniumdetektoren ohne die übliche Schutzhülle in das Kühlmedium flüssiges Argon getaucht [3]. Der Durchmesser des Kryotanks wird so gewählt, dass die Umgebungsradioaktivität durch die Abschirmwirkung der Kühlflüssigkeit auf einen vernachlässigbaren Beitrag abgeschwächt wird [4]. Tiefkalte Gase wie Argon können über die Prozedur der fraktionellen Destillation mit extremer Sauberkeit hergestellt werden, tragen daher zum Untergrund sehr wenig bei. Die Detektoren werden im Zentrum des Tanks in Strings mit bis zu fünf Detektoren aufgehängt.

In einer ersten Phase des Experiments werden die angereicherten Detektoren des Heidelberg-Moskau-Experiments, zusammen mit den Detektoren des IGEX-Experiments, wiederbenutzt. Dabei soll ein Untergrund von nicht mehr als 0.01 Ereignissen/(kg KeV Jahr) erreicht werden. Nach einer Messzeit von ca. 1 Jahr könnte damit die Evidenz des Heidelberg-Moskau-Experiments überprüft werden.

In der zweiten Phase von GERDA sollen weitere 20 kg angereicherte Detektoren zum Einsatz kommen. Zur Untergrundidentifikation werden diese Detektoren 18fach segmentiert. Damit ist es möglich, für jedes einzelne Ereignis Aufschlüsse über die Quelle der Strahlung zu gewinnen. Beim neutrinolosen Doppelbetazerfall deponieren die freigewordenen Elektronen die Energie typischerweise in einem Volumen von wenigen Kubikmillimetern. Der Großteil der Untergrundereignisse hingegen wird von Gammastrahlen verursacht, die Ihre Energie über mehrere Wechselwirkungen mit einer mittleren freien Weglänge von einigen Zentimetern deponieren. Haben für ein Ereignis mehrere Segmente einen Energieeintrag, so ist es daher sehr wahrscheinlich, dass es von einer Untergrundquelle verursacht wurde. Das Ereignis kann somit verworfen werden. Der restliche Gesamtuntergrund soll in Phase II nicht mehr als 10-3 Ereignisse/(kg keV Jahr) betragen. Damit könnte nach fünf Jahren Messzeit ein Signal mit einer Halbwertszeit von bis zu 5x1025 Jahren nachgewiesen werden. Bei Nichtbeobachtung eines Signals könnte eine obere Grenze von 2x1026 Jahren angegeben werden.

Abbildung 2 zeigt den konzeptionellen Aufbau des GERDA-Experiments. Die Detektoren befinden in der Mitte des 4 Meter durchmessenden Kryotanks. Der Kryotank ist innen mit Kupfer ausgemantelt, welches die Detektoren vor der Radioaktivität des Stahls schützt. Der Kryotank ist in einen Wassertank eingebettet. Auch dieser dient der Abschirmung gegen Gammastrahlung von außen. Zusätzlich schirmt das Wasser die Detektoren von Neutronen ab, die im Gestein der Umgebung entstehen. Der Wassertank wird weiterhin als Vetosystem gegen Myonen aus der kosmischen Höhenstrahlung genutzt, die durch die Erdabschirmung bis zum Experiment vordringen. Photoverfielfacher machen das von hochenergetischen Muonen im Wasser erzeugte Cerenkovlicht sichtbar. Die Germaniumdetektoren werden durch einen Reinraum in das Experiment eingebracht. Sie werden von oben durch ein Schleusensystem in das Kryovolumen abgelassen. Dabei ist es extrem wichtig, das Experimentalvolumen gut gegen radioaktives Radon abzudichten.

4. Ergebnisse: Entwicklungen für das GERDA- Experiment

Für GERDA Phase II wurden in Zusammenarbeit mit Canberra-France spezielle 18fach segmentierte voll koaxiale n-Typ- Germaniumdetektoren entwickelt (Abb. 3). Die Signalauslese erfolgt über Kupfer-Kapton-Kabel, deren Masse und Oberfläche minimiert wurden. Der Signalkontakt kann ohne zusätzliche Materialien hergestellt werden. Die Halterung besteht pro Detektor aus lediglich 30 g Kupfer und 7 g Teflon, beides Materialien, die routinemaessig mit extrem geringer Kontamination durch radioaktive Substanzen hergestellt werden können.

Ein erster Prototypdetektor wurde auf seine Charakteristika hin geprüft. Abbildung 4 (links) zeigt ein Energiespektrum des Prototypdetektors, das unter Bestrahlung mit einer 228Th-Quelle aufgenommen wurde. Für die Anwendung im GERDA-Experiment ist dabei besonders wichtig, dass der Detektor die Untergrundereignisse, resultierend aus Mehrfachwechselwirkungen innerhalb des Detektors, gut erkennt.

Dass dies der Fall ist, ist aus Abbildung 4 (rechts) ersichtlich, welches einen Ausschnitt des Gesamtspektrums zeigt, der zwei Linien verschiedenen Ursprungs enthält. Das schwarze Spektrum beinhaltet dabei alle registrierten Ereignisse, das rote Spektrum lediglich jene, die nur in einem der 18 Segmente Energie deponiert haben. Die Linie bei 1592 keV stammt von der Wechselwirkung eines 2615 keV-Gammas, das im Detektor ein Elektron-Positron-Paar erzeugt hat. Elektron und Positron werden lokal abgebremst. Das Positron zerstrahlt anschließend mit einem weiteren Elektron. Dabei werden zwei 511 keV-Gammas ausgestrahlt, die beide den Detektor, ohne eine weitere Wechselwirkung einzugehen, verlassen. Mehrheitlich handelt es sich bei den Ereignissen dieser Linie also um Ereignisse mit lokaler Energiedeposition.

Die Linie bei 1620 keV hingegen stammt von Gammas dieser Energie, die mehrheitlich in mehreren Wechselwirkungen ihre Energie deponieren. Wie zu erwarten, wird durch den Schnitt die 1592 keV-Linie drastisch, die Gamma-Linie bei 1620 keV dagegen kaum reduziert. Der Faktor, um welchen der nicht identifizierte Strahlungsuntergrund dadurch reduziert werden kann, beträgt, in Abhängigkeit des Ortes und der Beschaffenheit der Quelle, bis zu einem Faktor 160. Dies führt zu einer Erhöhung der Empfindlichkeit des Experiments auf die Neutrinomasse.

Originalveröffentlichungen

Particle Data Group
Neutrino Mixing
Particle Data Group, Journal of Physics G 33, 483 - (2006).
Heusser, G.
Low-radioactivity background techniques
Annual Review of Nuclear Partical Science 45, 543 - (1995).
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