Galaxien mit ruhiger Vergangenheit

Massenmessung enthüllt Geschichte eines Schwarzen Lochs und seiner Milchstraße

30. September 2011

Eine neun Milliarden Lichtjahre entfernte Galaxie zu wiegen, ist nicht gerade einfach. Forscher aus dem Max-Planck-Institut für Astronomie haben diese Aufgabe jetzt bewältigt – mittels neuester Instrumente und Analysemethoden. Die Massenbestimmung erlaubt es, die gemeinsame Entwicklung von Galaxien und den Schwarzen Löchern in ihren Kernregionen genauer zu rekonstruieren als das bisher möglich war. Das erste Ergebnis zeigt, dass der Großteil der kosmischen Geschichte für Galaxien keine Zeit umwälzender Veränderungen war.

Eine der spannendsten astronomischen Erkenntnisse der vergangenen Jahrzehnte ist die Entdeckung, dass die meisten Galaxien in ihren Zentralregionen gigantische Schwarze Löcher enthalten und dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Masse eines solchen Schwarzen Lochs und der Masse der zugehörigen Galaxie besteht. Diese Tatsache lässt sich nicht nur aus Beobachtungen ableiten; wie Astronomen des Max-Planck-Instituts für Astronomie kürzlich herausgefunden haben, folgt er auch direkt aus dem aktuellen Standardmodell der Galaxienentwicklung, dem sogenannten hierarchischen Modell. Danach wachsen die Sternsysteme mit der Zeit, indem sie sich kleinere Milchstraßen einverleiben oder mit Galaxien vergleichbarer Größe verschmelzen.

Wenn Astronomen immer weiter entfernte Objekte im Kosmos beobachten, dann blicken sie damit automatisch weiter und weiter in die Vergangenheit zurück. Denn Licht bewegt sich mit endlicher Geschwindigkeit fort. (Die Sonne etwa sehen wir so, wie sie vor rund acht Minuten war, weil das Licht diese Zeit benötigt, um zur Erde zu gelangen.) Wer also unterschiedlich weit entfernte Galaxien untersucht, kann direkt nachmessen, ob sich der Zusammenhang zwischen der Masse einer Galaxie und der Masse ihres zentralen Schwarzen Lochs mit der Zeit verändert hat.

Für Galaxien in mehr als fünf Milliarden Lichtjahren Entfernung haben derartige Untersuchungen allerdings mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Massenmessung am Schwarzen Loch ist dabei vergleichsweise einfach möglich: Typischerweise betrachtet man sogenannte aktive Galaxien, bei denen sich die Masse des Schwarzen Lochs mit gut etablierten Methoden abschätzen lässt. Denn in aktiven Galaxien verschluckt das zentrale Schwerkraftmonster fortwährend umgebende Materie, die dabei enorme Mengen elektromagnetischer Strahlung freisetzt. Aus bestimmten Eigenschaften dieser Strahlung kann man auf die Masse des Schwarzen Lochs schließen. Die Herausforderung besteht vielmehr in der Bestimmung der Galaxienmasse als Ganzes. Bei so großen Entfernungen liefern die herkömmlichen Methoden nur noch sehr unsichere oder gar keine Ergebnisse.

Nun hat ein Team des Max-Planck-Instituts für Astronomie unter der Leitung von Katherine Inskip erstmals gleichzeitig die Masse sowohl einer Galaxie als auch ihres zentralen Schwarzen Lochs direkt bestimmt – mit einem neu entwickelten Verfahren, das sich auch auf andere ferne Galaxien anwenden lässt. Astronomen kennen die Galaxie unter der Bezeichnung J090543.56+043347.3 (gebildet aus der Position der Galaxie am Himmel). Sie ist 8,8 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt.

Den Wissenschaftler gelang es, direkt die sogenannte dynamische Masse dieser aktiven Galaxie zu messen. Dabei geht es um Folgendes: Sterne und Gaswolken einer Galaxie umkreisen langsam das galaktische Zentrum; unsere Sonne etwa vollendet einen solchen Umlauf alle 250 Millionen Jahre. Die Umlaufgeschwindigkeiten der Sterne und interstellaren Wolken hängen direkt von ihrem Abstand vom Zentrum ab und davon, wie die Masse innerhalb der Galaxie verteilt ist. Wer diese Umlaufgeschwindigkeiten misst, kann daraus auch die Gesamtmasse der Galaxie bestimmen.


Allerdings ist solch eine Massenbestimmung ungleich leichter gesagt als getan. Für ihre Messungen mussten die Astronomen bei Beobachtung und Datenanalyse einen beachtlichen Aufwand treiben. Kombiniert mit dem Massenwert für das Schwarze Loch, den die Forscher aus denselben Daten ableiteten, zeigt sich: Der Zusammenhang der beiden Massen ist bei dieser weit entfernten Galaxie derselbe wie in unserer unmittelbaren galaktischen Nachbarschaft. Offenbar hat sich zwischen damals und heute nicht allzu viel getan. Zumindest bis zu dieser Entfernung, also neun Milliarden Jahre in der Vergangenheit, ist der Zusammenhang zwischen Galaxien und Schwarzen Löchern der gleiche wie für heutige Galaxien.


Katherine Inskip und ihre Kollegen wollen ihre neue Methode auf eine Stichprobe von 15 weiteren Galaxien anwenden. Bestätigen diese das Ergebnis, dann hätten die meisten Galaxien in den vergangenen neun Milliarden Jahren – also für mehr als die Hälfte kosmischer Geschichte überhaupt – ein eher beschauliches Leben geführt und sich nur sehr allmählich und in begrenztem Umfang verändert.

 

HOR / MP

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