Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Physik

Wir brauchen neue Methoden zur Teilchenbeschleunigung

Autoren
Caldwell, Allen
Abteilungen

Experimentelle Hochenergiephysik (Prof. Caldwell) (Prof. Dr. Allen Caldwell)
MPI für Physik, München

Zusammenfassung
Um über das gegenwärtige Leistungsvermögen von Teilchenbeschleunigern hinauszugehen, muss man vollkommen neue Technologien entwickeln, und zwei dieser Optionen werden gerade am MPI für Physik untersucht. Die erste dieser Optionen ist die Plasmawellen-Beschleunigung, eine Technik, die die beschleunigende Kraft sehr stark erhöhen und dadurch die Länge eines Beschleunigers für Elektronen enorm reduzieren würde. Die zweite Möglichkeit ist ein Teilchen zu beschleunigen, das sowohl die positiven Eigenschaften des Protons, als auch die des Elektrons besitzt. Das Teilchen, das dafür in Frage kommt, ist das Myon, eine schwerere Version des Elektrons.

Im 20. Jahrhundert wurden gigantische Fortschritte in unserem Verständnis der Materie auf subatomaren Skalen erreicht. Dies war nur aufgrund der Erfindung von Teilchenbeschleunigern möglich, die Energien erzeugten, die um viele Größenordnungen höher waren als jene, die man mit radioaktiven Quellen erreichen konnte. Nach der Heisenbergschen Unschärferelation ermöglichen höhere Energien kürzere Auflösungen. Die höheren Energien wurden genutzt, um viele neue Teilchen zu entdecken und um die Grundlagen für das Standardmodell der Teilchenphysik festzulegen. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der erreichten Energie als Funktion der Zeit.

Der Large Hadron Collider (LHC) bietet die Möglichkeit, einen neuen Energiebereich zu eröffnen und könnte die Bestätigung für Teilchen und Kräfte liefern, die bei heutigen Energien nicht nachweisbar sind. Um die Energien des LHC zu erreichen, d.h. 7+7 TeV für zwei Teilchenstrahlen, benötigt man einen Tunnel von 27 km Länge. Die Energie ist dabei durch die Stärke der verwendeten Magnete begrenzt, die die Protonen auf ihre kreisförmige Bahn ablenken. Die maximale Energie, die mit Elektronen in demselben Tunnel erreicht wurde, war beinahe um einen Faktor 100 geringer. In diesem Fall wird die maximale Energie durch die Strahlung begrenzt, die die Elektronen aussenden, um auf ihre kreisförmigen Umlaufbahnen gebogen zu werden (aufgrund ihrer größeren Masse existiert diese Strahlung bei Protonen fast nicht). Trotz der niedrigeren Energie werden Elektronenbeschleuniger zusätzlich zu Protonenbeschleunigern eingesetzt, denn das Elektron ist im Gegensatz zum Proton ein punktförmiges Teilchen, mit dem man Präzisionsmessungen durchführen kann. Der nächste Hochenergie-Elektronenbeschleuniger wird linear gebaut werden müssen, und der viel diskutierte International Linear Collider (ILC) würde eine Gesamtlänge von etwa 30 km benötigen, um Energien von 0,5+0,5 TeV zu erreichen. Die Kostenabschätzungen für den ILC sind an der Grenze dessen, was für einen Teilchenbeschleuniger möglich scheint.

Um über das gegenwärtige Leistungsvermögen hinauszugehen, muss man vollkommen neue Technologien entwickeln. Zwei dieser Optionen werden gerade am Max-Planck-Institut für Physik (MPP) in München untersucht. Die erste dieser Optionen ist die Plasmawellen-Beschleunigung, eine Technik, die die beschleunigende Kraft erhöhen würde und dadurch die Länge eines linearen Beschleunigers für Elektronen stark reduziert. Die kleinere Länge würde viel geringere Kosten mit sich bringen und einen solchen Beschleuniger daher bezahlbar machen. Die zweite Möglichkeit, die hier in Betracht gezogen wird, ist ein Teilchen zu beschleunigen, das sowohl die positiven Eigenschaften des Protons, als auch die des Elektrons besitzt. Das Teilchen, das dafür in Frage kommt, ist das Myon, eine schwerere Version des Elektrons. Durch die größere Masse kann das Myon in einem kreisförmigen Beschleuniger zu hohen Energien beschleunigt werden, ebenso wie das Proton. Das Myon ist jedoch ein punktförmiges Teilchen, sodass Myon-Myon-Kollisionen viele der vorteilhaften Eigenschaften von Elektron-Positron-Kollisionen besitzen. Die Schwierigkeit, Myonen in einem Beschleuniger zu verwenden, liegt in der kurzen Lebensdauer des Myons von ungefähr 2 Mikrosekunden. Im Folgenden wird erörtert, wie ein Beschleuniger mit solch einem kurzlebigen Teilchen verwirklicht werden könnte.

Plasmawellen-Beschleunigung

Es ist seit einiger Zeit bekannt, dass Plasmen sehr große elektrische Felder erzeugen und deshalb für die Beschleunigung von Teilchen auf relativistische Energien verwendet werden können. Ursprünglich wurde in der Literatur von Lasern angetriebene Plasmawellen-Beschleunigung [1] und ihre praktische Realisierung betrachtet. In jüngsten Experimenten sind elektrische Felder von ca. 10–100 GV/m erzielt worden, tausendfach höher als mit herkömmlichen Beschleunigern. Die Beschleunigung ist bis jetzt allerdings auf Strecken von wenigen cm beschränkt gewesen. Um ein Elektronenbündel auf 1 TeV zu beschleunigen, müssten diese elektrischen Felder über Strecken von mehr als zehn Metern aufrechterhalten oder viele Beschleunigungsetappen kombiniert werden.

Später erkannte man, dass das Plasma auch von einem Elektronenbündel angeregt werden könnte. Wenn ein ausreichend intensives Elektronenbündel vorgegeben ist, wird das Plasma vom durchlaufenden Bündel sowohl erzeugt, als auch zu Wellen angeregt. Im Fall von Elektronen angetriebener Plasmawellen-Beschleunigung wurde ein elektrisches Feld von 50 GV/m erzielt und beinahe einen Meter lang aufrechterhalten. Die maximale Energie der zu beschleunigenden Teilchen ist jedoch durch das maximale Umwandlungsverhältnis von zwei begrenzt.

Im Gegensatz zu Plasmen, die von Elektronenstrahlen angeregt werden, sind nur begrenzte Untersuchungen zur Anregung von Plasmawellen durch einen positiv geladenen Strahl durchgeführt worden. In linearer Näherung sollte die elektrische Feldverteilung dieselbe sein wie für Elektronen, allerdings phasenversetzt. Physikalisch gesprochen „bläst“ das negativ geladene, anregende Teilchenbündel die Plasmaelektronen auf und schafft dadurch einen Bereich geringer Dichte hinter dem Bündel.

Dieses Verhalten der resultierenden Plasmawelle ist sehr nützlich für die Beschleunigung: Sie stellt ein hohes und homogenes Beschleunigungsfeld zur Verfügung, während sich die transversalen Felder auf das anregende und zu beschleunigende Teilchenbündel als fokussierende Kräfte auswirken. Es ist viel schwieriger, diese Eigenschaften mit einem positiv geladenen Teilchenbündel, wie z. B. Protonen, zu erreichen. Anstatt die Plasmaelektronen „wegzublasen“, werden sie in Richtung der Ausbreitungsachse „eingesaugt“. Aufgrund der Radialsymmetrie führt dies zu einer Erhöhung der Elektronendichte entlang der Beschleunigungsachse und einem effektiven Anstieg der lokalen Plasmafrequenz. Zusammen mit Kollegen von der Universität Düsseldorf und aus Novosibirsk wurde die Möglichkeit untersucht, dennoch Plasmawellen mit einem intensiven Protonenbündel anzutreiben [2]. Denn angesichts dessen, dass Protonen mit herkömmlichen Beschleunigern auf mehrere Teraelektronenvolt beschleunigt werden können, ist die Möglichkeit sehr attraktiv, Elektronenbündel mit einem Protonenbündel beim Durchgang durch das Plasma bis zu einigen TeV (z. B. in Folge von einem LHC- Protonenstrahl) zu beschleunigen.

Wir haben dazu Plasmawellen untersucht, die von einem 1 TeV Protonenbündel in einem Lithiumplasma erzeugt wurden. Abbildung 2 (unten) zeigt die Elektronendichte und die elektrische Feldstärke entlang des Plasmas. Das Protonenbündel ist rot am rechten Rand gezeigt, und das beschleunigte Elektronenbündel befindet sich auf der Rückseite der ersten Beschleunigungsstruktur. Unsere Simulationen zeigen, dass elektrische Felder zwischen 2 und 3 GV/m möglich sind und damit um einen Faktor 100 höher liegen als jene, die beim ILC zum Einsatz kommen sollen. Wir sind dabei, diese Forschung weiterzuführen und mögliche Demonstrationsexperimente zu planen.

Myon-Speicherring

Myonen sind instabile Teilchen, mit einer Lebensdauer von ungefähr 2 Mikrosekunden, und sie müssen unter Verwendung von leistungsstarken Protonenbeschleunigern erzeugt werden. Hochstrom-Protonenstrahlen von mäßiger Energie (2–20 GeV) werden auf eine Kupferplatte (oder andere Materie) geschossen. Dabei produzieren sie eine große Anzahl von Teilchen, von denen die meisten Pionen sind. Pionen zerfallen innerhalb ca. 1/100 Mikrosekunde zu Myonen. Diese Myonen müssen innerhalb sehr kurzer Zeit eingefangen, „gekühlt“ und beschleunigt werden. Die Produktion und das Einfangen der Myonen ist, obwohl schwierig und kostspielig, recht gut bekannt. Jedoch bleibt das Kühlen der Myonen ungelöst und wird als der entscheidende Aspekt bei der Verwirklichung eines Myon-Speicherrings betrachtet.

Ereignisraten hängen bei einem Speicherring von dem Produkt des Produktionswirkungsquerschnitts (Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung) und der Intensität des Strahls ab (Anzahl der Teilchen in dem Strahl, transversale Größe des Strahls). Die Anzahl der zu erzeugenden Myonen ist direkt mit dem verwendeten Protonenstrahl korreliert und durch die Energiekosten begrenzt. Die transversale Strahlgröße ist von der Phasenraumverteilung der Myonen abhängig, und die Reduzierung dieses Phasenraumvolumens wird als „Kühlung“ des Strahls bezeichnet. Um interessante Strahlintensitäten bei hohen Energien zu erreichen, ist es notwendig, das Phasenraumvolumen der produzierten Myonen um bis zu sechs Größenordnungen zu reduzieren. Existierende Technologien erfordern zu viel Zeit und sind nicht einsetzbar, da die Myonen zerfallen, bevor sie gekühlt sind. Ein zukünftiger Myonen-Speicherring hängt in entscheidendem Maße von der Entwicklung einer neuen Art von Phasenraum-Kühlung ab.

Es wurde eine Technik untersucht [3], das so genannte Frictional Cooling, eine Kühlung durch Reibungsverluste, bei der Myonen durch ein Gas geleitet und gleichzeitig von einem elektrischen Feld beschleunigt werden. Dies führt zu einem Energiegleichgewichtszustand, vergleichbar mit einer konstanten Endgeschwindigkeit, die ein Objekt erreicht, welches aus dem Fenster eines oberen Stockwerkes geworfen wird. Im letzteren Fall ist dies möglich, weil die Bremskraft (der Luftwiderstand) mit der Geschwindigkeit des Objekts zunimmt, und ab einer gewissen Geschwindigkeit gleicht diese Bremskraft die Beschleunigungskraft aufgrund der Schwerkraft aus. In Abbildung 3 ist die Bremskraft für ein Materieteilchen dargestellt. Man erkennt, dass die Bedingungen, um eine Gleichgewichtsenergie zu erzielen, bei niedrigen Energien gegeben sind. Bei diesen Energien ist das Myon zu langsam, um das Gas zu ionisieren und der Energieverlust wird hauptsächlich durch Anregung und nicht-ionisierende Coulomb-Streuung erzeugt.

Die Myonen werden mit einer Energie erzeugt, die typischerweise im Bereich von 104 keV liegt. Damit sie in den Energiebereich des Frictional Cooling kommen, werden ihre Bahnen beim Durchlaufen des abbremsenden Mediums von einem starken magnetischen Feld „aufgewickelt“. Bei niedrigen Energien, bei denen das Frictional Cooling stattfindet, fliegen die Myonen nicht sehr weit, bevor sie zerfallen. Daher ist es entscheidend, den Flugweg kurz zu halten, bevor eine Beschleunigung von neuem erfolgt. Es ist vorgesehen, die Myonen im rechten Winkel aus dem magnetischen Feld abzulenken. Drei für ein Myon typische Bahnverläufe sind in Abbildung 4 dargestellt. Simulationen des Frictional Cooling haben gezeigt, dass die erforderliche Reduzierung des Myon-Phasenraums erreicht werden kann.

Der entscheidende Schritt ist nun eine experimentelle Demonstration des Konzepts. Dieses Demonstrationsexperiment wird momentan am Max-Planck-Institut für Physik durchgeführt, wobei Protonen anstelle von Myonen verwendet werden. Der Kühlungsvorgang sollte bei Protonen auf identische Weise funktionieren, sodass diese Tests mit geringerem Kosten- und Arbeitsaufwand durchführbar sind. Die wichtigsten Komponenten sind eine Alpha-Strahlenquelle, für die Erzeugung von freien Protonen, ein Beschleunigungsgitter, eine Gaszelle und ein Detektor zur Messung der Protonenenergie nach dem Durchlaufen der Zelle. Erste Ergebnisse zeigen, dass Protonen erzeugt, beschleunigt und nachgewiesen werden können und in naher Zukunft auch erste Ergebnisse zur Demonstration des Frictional Cooling erwartet werden. Im nächsten Schritt sollten dann Demonstrationsexperimente mit Myonen durchgeführt und ein Myon-Speicherring ausführlich simuliert werden.

Originalveröffentlichungen

T. Tajima, J.M. Dawson:
Laser Electron Accelerator.
Physical Review Letters 43, 267-270 (1979).
A. Caldwell, K. Lotov, A. Pukhov, F. Simon:
Proton Driven Plasma Wakefield Acceleration.
Nature Physics, eprint arXiv:0807.4599.
H. Abramowicz, A. Caldwell, R. Galea, S. Schlenstedt:
A Muon Collider scheme based on Frictional Cooling.
Nuclear Instruments and Methods in Physics Research Section A 546, 356-375 (2005).
Zur Redakteursansicht