Seuchen auf Reisen

Wie das menschliche Reiseverhalten die Ausbreitung von Seuchen beeinflusst

25. August 2011

Ob SARS, Schweine- oder saisonale Grippe – in der globalisierten Welt können sich Infektionskrankheiten durch reisende Menschen leicht über den gesamten Erdball ausbreiten. Um auf diese Gefahr gezielter reagieren zu können, versuchen Wissenschaftler, Ausbreitungswege und -geschwindigkeit solcher so genannter Pandemien vorherzusagen. Forschern des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) in Göttingen, der Universität Göttingen, der Northwestern University und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA ist es nun erstmals gelungen, das individuelle Bewegungs- und Reiseverhalten einzelner Personen in ihren mathematischen Modellen zu berücksichtigen. Die neuen Rechnungen zeigen nicht nur, dass ältere Modelle die Ausbreitungsgeschwindigkeit deutlich überschätzt hatten. Auch die bisher bekannten Kriterien für den globalen Ausbruch einer Krankheit müssen erweitert werden. Die neue Studie wurde von der American Physical Society ausgewählt, als erster Artikel in der Erstausgabe ihres neuen High-Profile Journals Physical Review X zu erscheinen.

Nicht die Häufigkeit, sondern die Dauer von Reisen ist entscheidend

„Unsere Rechnungen zeigen, dass mit zunehmender Mobilität der Individuen die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Krankheit nicht – wie bisher angenommen – immer weiter anwachsen kann“, so Geisel. Schließlich verändere ein höheres Reiseaufkommen nicht die grundsätzliche Beschaffenheit der Netzwerke. Und ob eine Person beispielsweise den Weg zur Arbeit einmal oder zweimal am Tag zurücklegt, beeinflusst die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Epidemie nur wenig. Ältere Modelle hatten deshalb die Schnelligkeit der Ausbreitung von Seuchen erheblich überschätzt.

Neue Erkenntnisse ergaben sich auch für die Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit eine Epidemie von einer Population auf eine weitere überspringt – also sich etwa von einem Kontinent auf den nächsten ausbreitet. „Bisher hatte man geglaubt, dass allein die Häufigkeit von Fernreisen ausschlaggebend ist“, so Brockmann. Doch nun zeigt sich vielmehr eine bedeutendere Abhängigkeit: Die Dauer der Reisen spielt eine entscheidende Rolle. Erst wenn die mittlere Dauer der Abwesenheit einen bestimmten Wert überschreitet, kann aus der Epidemie eine globale Pandemie werden. „Es kommt also gewissermaßen nicht darauf an wie oft man reist, sondern wie lange man unterwegs ist“, so die Wissenschaftler.

Mit dieser Forschungsarbeit startet die American Physical Society (APS) in eine neue Ära des Open-Access Publizierens. Die neue Studie wurde von der APS ausgewählt, als erster Artikel in der Erstausgabe ihres neuen Open-Access Journals Physical Review X zu erscheinen. Im Unterschied zu traditionellen Wissenschaftszeitschriften werden hier die wissenschaftlichen Arbeiten weltweit allen Lesern per Internet kostenfrei zugänglich gemacht. Die Arbeit von Belik, Geisel und Brockmann wird an exponierter Stelle zusammen mit vier weiteren Artikeln in der Erstausgabe publiziert, da die Wissenschaftler mit Methoden der theoretischen Physik grundlegend neue Erkenntnisse zur Ausbreitung von Seuchen gewonnen haben.

Zwei Autoren der Studie werden derzeit von der VolkswagenStiftung in der Förderinitiative „Neue konzeptionelle Ansätze zur Modellierung und Simulation komplexer Systeme“ unterstützt: Vitaly Belik mit einem Fellowship „Computational Sciences“, Dirk Brockmann mit einer Projektförderung.

BK / PH

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