Konstruktionshilfe für Biomoleküle

Zum ersten Mal ist es gelungen ein Steroidhormon sowohl regio- als auch stereoselektiv zu oxidieren – ein Fortschritt für Chemie und Pharmazie

19. August 2011

Medizinische Wirkstoffe könnten sich künftig gezielter herstellen lassen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr und der Universität Marburg haben das Hormon Testosteron an zwei chemisch inaktiven Stellen für weitere Syntheseschritte zugänglich gemacht, indem sie das Molekül dort oxidierten. Welche der beiden Stellen mit welcher räumlichen Orientierung angegriffen wurde – Chemiker sprechen von der Regio- und Stereoselektivität –, steuerten die Forscher mit zwei verschiedenen Formen eines P450-Enzyms. Dieses hatten sie mit einer eigens entwickelten Methode der gelenkten Evolution entsprechend modifiziert. Damit wird es erstmals möglich, komplexe Moleküle dieser Art präzise auszubauen, was vor allem für pharmazeutische Anwendungen interessant sein könnte.

Chemie und Modellbau stehen manchmal vor ganz ähnlichen Herausforderungen. Ein Modellflugzeug, an dem die Flügel zu weit hinten oder vorne sitzen, wird kaum fliegen. Genauso wenig wie ein Flieger, bei dem Ober- und Unterseite der Tragflächen vertauscht sind. So ähnlich verhält es sich auch mit vielen chemischen Verbindungen, vor allem mit solchen, die als Arzneimittel dienen sollen: Ob und wie diese Moleküle im Körper wirken, hängt nicht nur davon ab, dass sie alle nötigen Komponenten enthalten, die Bestandteile müssen auch an den richtigen Stellen sitzen und richtig orientiert sein. Daher ist es etwa bei pharmazeutischen Wirkstoffen wichtig, von mehreren möglichen Reaktionsprodukten gezielt das gewünschte herzustellen.

Den Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung und der Universität Marburg ist es gelungen, mit entsprechend getrimmten Enzymen eine Hydroxidgruppe an einer bestimmten Stelle des Steroid-Hormons Testosteron anzubringen, und zwar wahlweise ausschließlich mit einer von zwei möglichen Orientierungen. Hydroxidgruppen können als Anknüpfungspunkte dienen, um solche Steroid-Moleküle, die in zahlreichen physiologischen Prozessen eine wichtige Rolle spielen, für pharmazeutische Anwendungen weiter auszubauen. Sie wirken also etwa wie die entsprechende Aussparung am Rumpf eines Modellbauflugzeuges, um eine Tragfläche anzubringen.

„Damit haben wir zum ersten Mal eine oxidative C-H-Aktivierung an komplexen organischen Verbindungen wie Steroiden sowohl regio- als auch stereoselektiv katalysiert“, sagt Manfred Reetz, Direktor am Max-Planck-Institut in Mülheim an der Ruhr. Regioselektiv heißt eine Reaktion, wenn der chemische Umbau an einer ausgewählten Stelle des Moleküls stattfindet. Die Stereoselektivität bezeichnet die richtige Orientierung eines molekularen Anbaus. Das heißt im Falle von Testosteron, das man sich zumindest teilweise als flache Struktur vorstellen kann: Die Hydroxidgruppe landet bei der Reaktion nur oberhalb oder unterhalb der Fläche.

Biokatalysator lernt zwischen Reaktionsorten zu unterscheiden

Um den Ort der Reaktion und die räumliche Anordnung des Produkts zu kontrollieren, ist das Enzym entscheidend, das die Reaktion katalysiert. Diese Konstruktionshilfe fanden die Chemiker um Manfred Reetz nicht in der Natur, sondern sie mussten es sich maßschneidern. Immerhin konnten sie auf ein katalytisches Protein zurückgreifen, das ansatzweise schon kann, was die Forscher wollten. Sie verwendeten nämlich eine spezielle Form des Enzyms P450. Der Biokatalysator macht Fremdstoffe unschädlich, indem er sie mit Hydroxidgruppen versieht. Die körperfremden, möglicherweise giftigen Substanzen werden dann wasserlöslich und aus dem Organismus gespült. Dafür spielt es keine Rolle, wo die Hydroxidgruppen an einem Molekül sitzen. Im Fall von Testosteron bringt das Enzym sie regiounselektiv nicht an einer, sondern an zwei Positionen an, wobei das Verhältnis etwa 50 : 50 beträgt.

Die Forscher haben das P450 nun so manipuliert, dass es die Hydroxidgruppe wahlweise nur noch an die eine oder die andere Stelle dirigiert. Es wird also vollständig regioselektiv. Und dabei behält es sogar seine Stereoselektivität. Gelungen ist dies den Chemikern mithilfe des von ihnen kürzlich entwickelten iterativen Combinatorial Active-Side Saturation Test (CAST).

Mithilfe der Casting-Methode erzeugen die Forscher eine Mutantenbibliothek

Beim Casting ersetzen sie an der Bindungstasche, der aktiven Stelle des Enzyms, gezielt  verschiedene Aminosäure an unterschiedlichen Stellen, und zwar in allen Kombinationen. Zu diesem Zweck unterwerfen sie den genetischen Bauplan des Enzyms an der entsprechenden Stelle einer Zufallsmutagenese, bei der dort wahllos die genetischen Codes aller Aminosäuren eingebaut werden. Die Forscher erzeugen also mit den Mitteln der gerichteten Evolution eine Bibliothek von Mutanten, die dann mit einem Screening-Verfahren evaluiert werden. Da sie zuvor experimentell den vielversprechendsten Ort für den Aminosäuretausch ermittelten, überließen sie die Veränderung des Enzyms nicht nur dem Zufall, wie es in der Evolution geschieht. Manfred Reetz spricht daher von rationaler „gerichteter Evolution“.

Unter den Mutanten identifizieren die Wissenschaftler nun jene mit der höchsten Selektivität. „Wenn man Glück hat, kommt früh eine Mutante heraus, die bereits eine sehr hohe Selektivität garantiert“, sagt Manfred Reetz. „Wir sind aber nicht vom Glück abhängig.“ Arbeitet das Enzym noch nicht selektiv genug, unterziehen sie das beste nämlich an anderer Stelle einer weiteren Mutagenese. Diesen Prozess wiederholen die Forscher so lange, bis eine Mutante herauskommt, die einen möglichst hohen Anteil des gewünschten Produkts synthetisiert. „Das iterative Casting wird leichter, wenn wir von Enzymen ausgehen, die zumindest einen Teil der Ausgangsmoleküle schon an der gewünschten Stelle oxidieren“, so Reetz. „Dann aber können wir die Regio- und Stereoselektivität mit der Evolution im Labor sehr gut kontrollieren.“

LK / PH

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