Knotenkunde im Flüssigkristall

Silikonkügelchen in Flüssigkristallen bieten die Möglichkeit, jeden denkbaren Knoten zu erzeugen

12. August 2011

Knoten lassen sich nun auch gezielt in der Mikrowelt knüpfen. Eine Möglichkeit alle erdenklichen Knoten in einem Flüssigkristall zu erzeugen, haben Wissenschaftler um Uroš Tkalec vom Jožef Stefan Institut in Ljubljana (Slowenien), der seit September 2010 am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen forscht, entdeckt. Zu diesem Zweck platzieren die Wissenschaftler winzige Silikonkügelchen in einem Flüssigkristall. Um die Kügelchen herum bildet sich dabei ein Netz feiner Linien, auf denen die molekulare Struktur des Kristalls seine ursprüngliche Ordnung verliert. Die Forscher haben eine Möglichkeit gefunden, diese Linien so zu verdrillen und zu verknüpfen, dass sie jeden mathematisch denkbaren Knoten herstellen können.

Knoten sind allgegenwärtig: vom gewebten Stoff, über die zahlreichen Seemannsknoten bis hin zu ewig verhedderten Strom- und Verlängerungskabeln und der kompliziert verknoteten DNA. Selbst Kinder lernen beim Schuhe-Anziehen schon früh, ihre ersten Knoten zu beherrschen – lange bevor sie Lesen und Schreiben können. Aus mathematischer Sicht lassen sich Knoten, die auf den ersten Blick völlig verschieden aussehen, ein und derselben Klasse zuordnen. Entscheidend ist, dass sich diese Knoten durch einfache Verformungen in einander überführen lassen. Einfachstes Beispiel ist ein Gummiband. Jede Form, zu der sich das Gummiband verknoten lässt, ohne es aufzuschneiden und wieder zusammenzufügen, ist aus mathematischer Sicht mit dem unverschlungenen Gummiband äquivalent. Einen völlig anderen Knoten hingegen stellt etwa der Dreiblatt-Knoten dar. Dieser lässt sich nicht ohne Weiteres aus einem geschlossenen Gummiband erzeugen. Und natürlich lassen sich aus mehreren Schlaufen, die in einander verschlungen sind, noch deutlich komplexere Gebilde schaffen.

Doch trotz dieser mathematischen Ordnung im Knoten-Wirrwarr bleibt die Frage, ob es zu jedem Knoten, der theoretisch denkbar ist, auch ein Gegenstück in mikroskopischen, natürlichen Systemen gibt. In seiner jüngsten Studie hat Uroš Tkalec nun ein System gefunden, in dem sich komplexe Knoten gezielt erzeugen lassen: mikroskopische Silikonkügelchen innerhalb einer kaum dickeren Flüssigkristallschicht, die von zwei Glasplatten begrenzt wird. Solche Flüssigkristalle bilden auch die Grundlage von LCD-Bildschirmen.

„Die Glasplatten wurden zuvor so präpariert, dass sich die Moleküle des Flüssigkristalls parallel zu ihnen ausrichten“, erklärt Tkalec. Ein einzelnes Silikonkügelchen, dass in diese Schicht hineinkommt, stört die Ordnung empfindlich: Um die Kugel herum bildet sich ein ringförmiges Gebiet, in dem sich keine Vorzugsrichtung mehr erkennen lässt. Wissenschaftler bezeichnen solche linienförmigen Störungen als Defektlinien. Da der Defektring Licht anders reflektiert als seine Umgebung, lässt er sich leicht aufspüren. „Es sieht aus, als sei jedes Kügelchen von seinem eigenen Rettungsring umgeben“, beschreibt Tkalec den Anblick. Dabei sind diese Rettungsringe senkrecht zu den begrenzenden Glasplatten orientiert. Bestückt man die  Flüssigkristallschicht nun mit mehreren Kügelchen, lassen sich diese mit Hilfe eines Lasers wie mit einer Pinzette gezielt „zusammenschieben“ und in Reihen anordnen. Dort, wo die Ringe aneinander stoßen, vereinigen sie sich dann zu komplizierteren Linien, welche die aufgereihten Kugeln umspielen.

Zu jedem denkbaren Knoten gibt es ein Gitter aus Kügelchen

„Doch in solchen Reihen von Kügelchen lassen sich noch keine Knoten erzeugen“, so Tkalec. Dafür sei es nötig, dass die Defektringe benachbarter Kügelchen in zwei Richtungen aneinander stoßen können. Um dies zu erreichen, griffen die Forscher zu einem Trick: Dreht man die obere Platte, welche die Flüssigkristallschicht begrenzt, um 90 Grad, verändert sich die Ausrichtung der Kristallmoleküle: Während die unteren Moleküle nach wie vor in dieselbe Richtung zeigen, sind die oberen ebenfalls um 90 Grad verdreht. Der Übergang ist fließend. Wissenschaftler sprechen von einem chiralen nematischen Flüssigkristall. „In diesem Versuchsaufbau sind die Defektringe, welche die einzelnen Kügelchen umspielen, leicht verbeult, ähnlich wie ein verbeulter Fahrradreifen“, so Tkalec. Dadurch können sich der Ring eines Kügelchens mit denen all seiner direkten Nachbarn kreuzen und vereinigen: Es wird möglich, Knoten zu erzeugen.

Das Entscheidende: Die Forscher fanden einen Weg, die Bereiche zwischen den Kügelchen so zu manipulieren, dass sich die aneinander stoßenden Ringe gezielt verschmelzen oder trennen lassen. In einem ersten Schritt erhitzen die Forscher dafür die Zwischenräume mit einem Laser. Dies zerstört die charakteristische Ausrichtung der Moleküle. Nach Abschalten des Lasers stellt sie sich zwar wieder her – aber oftmals anders als zuvor. So lassen sich etwa Ringe vereinigen, die vorher aneinander vorbeiliefen oder Ringe aufschneiden und neu zusammenfügen.

Doch die Forscher bewiesen nicht nur Fingerfertigkeit im experimentellen Umgang mit Kügelchen und Lasern. Im theoretischen Teil ihrer Arbeit konnten sie zeigen, dass sich zu jedem denkbaren Knoten ein mathematisch äquivalenter Knoten finden lässt, der sich durch solch ein Gitter von Kügelchen darstellen lässt. „Auf diese Weise können wir gezielt, jeden Knoten, den man sich vorstellen kann, erzeugen“, so Tkalec.

Die Forscher hoffen nun, dass diese Erkenntnisse dazu beitragen werden, auch die komplizierte Knotengebung der DNA in Zukunft besser verstehen zu können. „Das Verknoten von DNA-Molekülen spielt eine wichtige Rolle für viele lebenswichtige Prozesse wie etwa Vervielfältigung oder Transkription der DNA“, erklärt Uroš Tkalec. Zudem könnte die Methode das Anordnen rekonfigurierbarer optischer Schaltkreise in weicher Materie vorantreiben. Solche Schaltkreise könnten in zukünftigen photonischen Anwendungen als Lichtleiter fungieren.

BK / PH

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