Aktienmärkte können sich selbst regulieren

Blick in die Börsengeschichte bietet Erkenntnisse über den Einfluss von Regeln auf den Erfolg von Erstemissionen auf dem Aktienmarkt

11. August 2011

Immer wenn die Finanzmärkte kriseln, wird der Ruf nach mehr Kontrolle laut. Ob Anleger durch verschärfte Regelungen tatsächlich besser vor Kapitalverlust geschützt werden, erscheint jedoch fraglich. "Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass stark reglementierte Börsen nicht unbedingt besser funktionieren als jene, die freizügiger handeln dürfen", sagt der Historiker und Volkswirt  Carsten Burhop vom Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter in Bonn.

Gemeinsam mit zwei britischen Kollegen, dem Wirtschaftswissenschaftler David Chambers und dem Juristen Brian Cheffins hatte er anhand ausgewählter Fallbeispiele den Erfolg von Aktienerstemissionen (Initial Public Offerings) an den Berliner und an zwei Teilmärkten der Londoner Börse von 1900 bis 1913 untersucht und verglichen. "Es ging um die Frage, ob detaillierte gesetzliche Regulierung eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg des Handels mit den Erstemissionen ist, wobei wir die Überlebensraten, die Renditen und die Schwankungen der Renditen nach dem Börsengang als Erfolgsparameter nahmen", erklärt er den Ansatz der Studie.

Mit der Berliner Börse hatten sie ein Musterbeispiel für einen stark reglementierten Markt gewählt. "Seit den Rechtsreformen des Firmen- und Wertpapierrechts von 1884 und 1896 wurden öffentliche Anteilskapitalangebote deutlich stärker reguliert und der Schutz von externen Investoren deutlich erhöht", so der Wirtschaftshistoriker vom Bonner Max-Planck-Institut. Gegenüber der preußischen Börsenbürokratie präsentierte sich die Vorgehensweise an den beiden Londoner Börsen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Laissez-Faire. Der Staat hielt sich aus den Geschäften an den beiden Londoner Börsen weitgehend heraus. Es gab praktisch keine Gesetzgebung zur Regulierung der Emissionen und auch das Unternehmensrecht bot wenig direkten Schutz für Kleinanleger. "So blieb es den Kaufleuten, die die Londoner Börse betrieben, selbst überlassen, welche Aktienerstemissionen sie an der Börse zuließen", so Burhop. Neben dem Marktsegment mit offiziell notierten Emissionen gab es ein zweites, an dem die Zulassungen für die Aktienerstemissionen im Sinne eines Freiverkehrs noch liberaler gehandhabt wurden.

Beim Vergleich mit der Berliner Börse stellten die Forscher fest, dass an den Londoner Börsen im selben Zeitraum deutlich mehr Erstemissionen erfolgten und diese auch ein weitaus größeres Spektrum von Industrien abdeckten. Allerdings erwiesen sich dabei die im Londoner Freiverkehr gehandelten Emissionen als äußerst gewagte Investition für die Anleger. "Misserfolge gehörten dort zwischen 1900 und 1913 zu den regelmäßigen Erscheinungen", stellt er fest. "19 Prozent der Firmen gingen innerhalb der ersten fünf Jahre in Konkurs", hat er beobachtet. Hingegen gehörten Ausfälle an der nach preußischen Vorgaben durchreglementierte Berliner Börse eher zu den Ausnahmeerscheinungen. "Das lag unter einem Prozent", so Burhop.

Für sich allein betrachtet, steht auch der offizielle Markt an der London Stock Exchange mit Konkursraten von drei bis vier Prozent nicht viel schlechter da. Gemessen an der Entwicklung der Papiere über einen längeren Zeitraum schnitten die Londoner Aktien sogar besser ab als die Berliner, denn in London fielen die Renditen im Durchschnitt höher aus als in Berlin – zumindest wenn man berücksichtigt, dass in der stärker wachsenden deutschen Wirtschaft die Aktienkurse generell kräftiger stiegen. In Berlin waren allerdings die Kurse stabiler.

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine Börse nicht ganz ohne Regeln funktionieren kann", so Burhops Fazit. Doch was der Sicherheit der Anleger dient, scheint langfristig gesehen eher nachteilig fürs Geschäft. Auch habe die Entwicklung der offiziell notierten Papiere der London Stock Exchange gezeigt, dass Märkte durchaus in der Lage sind, sich selbst zu kontrollieren, so der Forscher. "Ob die Kontrolle nun vom Gesetzgeber und einem staatlichen Kommissar wie in Berlin oder durch kundige Kaufleute wie an einer der beiden Londoner Börsen erfolgt, ist unserer Studie zufolge relativ egal."

BF/HR

Zur Redakteursansicht