Forschungsbericht 2008 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Die Patentierung von Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens

Autoren
Clara Sattler de Sousa e Brito
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Die Bedenken gegen die moderne Biotechnologie haben auch das Patentrecht erfasst, das sich mit dieser Technik beschäftigt. Auf Drängen des Europäischen Parlaments wurden diese Bedenken in die Biopatentrichtlinie aufgenommen, indem der Ordre-public-Vorbehalt konkretisiert wurde. Die sprachliche Offenheit des Richtlinientextes führte aber sowohl zu einem Scheitern der Harmonisierungsbestrebungen als auch zu einer unangemessenen Verlagerung der Entscheidung an Verwaltungsbehörden.

Patente auf Leben?

Chancen und Risiken der modernen Biotechnologie, vor allem am Beginn menschlichen Lebens, werden seit Jahren kontrovers diskutiert. Diese Diskussion hat nun auch das Patentrecht erreicht. Die Patentierung von Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens und die damit verbundenen ethischen Fragen sind mit Schlagworten wie „Patente auf Leben“ immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt und werden oft sehr emotional debattiert. Besonders aktuell ist die Diskussion um die Patentierbarkeit von Verfahren und Erzeugnissen im Bereich von embryonalen Stammzellen. Seit einigen Jahren ist dieses Problem Gegenstand zahlreicher gerichtlicher Verfahren auf deutscher und europäischer Ebene.

Der Ordre Public als Verbindung zwischen Ethik und Recht

Ethische Überlegungen hatten im Patentrecht lange Zeit eine untergeordnete Bedeutung. Zwar bot der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung und guten Sitten (ordre public) schon immer ein juristisches Einfallstor für Patentierungsbeschränkungen aus ethischen Gründen. Praktische Anwendung fand dies aber kaum. Mit der Diskussion um die Zulässigkeit der Erteilung von Patenten auf Erfindungen am Beginn menschlichen Lebens wurde der Vorbehalt des ordre public aber als Thema aktuell.

Die Konkretisierung des Ordre Public in der Biopatentrichtlinie

Als erster politischer Akteur hat das Europäische Parlament die Bedenken gegen die biotechnologische Forschung und ihre Patentierung aufgegriffen und in rechtliche Vorgaben gefasst. Nachdem die Kommission und der Rat bei der Harmonisierung der Rechtslage zur Patentierung biotechnologischer Erfindungen (Biopatentrichtlinie 98/44/EG) keine ethischen Beschränkungen der Patentierbarkeit vorsahen, ließ das Europäische Parlament – zum ersten Mal in der Geschichte des Parlaments – die Richtlinie zunächst scheitern. Aufgrund des Drängens des Europäischen Parlaments, moralische und ethische Aspekte zu berücksichtigen, wurde der ordre public dann in der zweiten und endgültig verabschiedeten Richtlinienversion gesetzlich konkretisiert.

Dazu wurde der allgemeine Patentierungsausschluss aufgrund der öffentlichen Ordnung und guten Sitten um vier Regelbeispiele ergänzt. Eines bezieht sich auf Tiere, drei davon stammen aus dem Bereich der Humanmedizin. Danach sind Verfahren zum Klonen menschlicher Lebewesen und Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens von einer Patentierung ausgeschlossen. Auch die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken ist generell von einer Patentierung ausgeschlossen.

Scheitern der Harmonisierung

Ein wesentliches Problem dieser „Konkretisierung“ ist allerdings, dass viele entscheidenden Begriffe – etwa „menschliches Lebewesen“ und „menschlicher Embryo“ – nicht weiter durch die Legaldefinition bestimmt wurden. In Anbetracht des langen Ringens um den Kompromiss des Richtlinientextes war zu befürchten, dass die Richtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich umgesetzt würde.

Tatsächlich wurden die in der Biopatentrichtlinie enthaltenen Regelbeispiele in einigen Staaten in abweichender oder ergänzter Form übernommen. Manche Mitgliedstaaten haben sich außerdem für Verweise auf die jeweilige nationale Forschungsgesetzgebung entschieden. Ein solcher Verweis ist durch das Umsetzungsgesetz zur Biopatentrichtlinie auch in das deutsche Patentrecht eingegangen. Dieses bezieht sich nun zur Auslegung der Patentierungsausschlüsse auf das Embryonenschutzgesetz und die darin enthaltenen Legaldefinitionen.

Ziel der Richtlinie war es, durch die beispielhaften Konkretisierungen das Recht auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Wegen der zum Teil wesentlich voneinander abweichenden Umsetzungen wurde dieses Ziel nicht erreicht. Vor allem bei der deutschen Regelung stellt sich die Frage, ob ihr Verweis auf die im europäischen Vergleich äußerst restriktive Regelung des Embryonenschutzgesetzes im Sinne des europäischen Gesetzgebers war.

Die Regelungen werden weiterhin unterschiedlich umgesetzt und angewendet. Dies führt zu divergierenden Rechtswirklichkeiten in den Mitgliedsstaaten. Während es etwa in Schweden Patente auf Stammzellen gibt, hat das Deutsche Bundespatentgericht im Dezember 2006 das erste entsprechende deutsche Patent für nichtig erklärt, dabei stützte es sich auf die deutsche Umsetzung der Richtlinie im Patentgesetz.

Die losgelöste Entwicklung des Europäischen Patentamtes (EPA)

Während bei solchen Unterschieden der Rechtsumsetzung und Rechtsanwendung in den Mitgliedsstaaten der Europäische Gerichtshof (EuGH) zumindest theoretisch Klarheit bei der Auslegung dieser Begriffe schaffen kann, ist die Anwendung der Richtlinie durch einen anderen wichtigen Akteur hiervon völlig losgelöst: Nachdem der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation den Wortlaut der Richtlinie auch in der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) schlicht übernommen hat, wendet nun auch das Europäische Patentamt (EPA) den Richtlinientext an.

Hier wird besonders deutlich, zu welchen Problemen es kommt, wenn eine Legaldefinition im Richtlinientext fehlt. Implizit wird das EPA als Verwaltungsbehörde zum letztentscheidenden Richter über die Forschungsgesetzgebung der Mitgliedstaaten, wenn entschieden wird, dass die Verwertung einer Erfindung gegen einen gemeineuropäischen ordre public verstößt. Dies ist vor allem deswegen problematisch, weil das EPA weder einer gerichtlichen Überprüfung – auch nicht durch den EuGH2 – noch einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegt.

Patentrecht oder Forschungsgesetzgebung?

Grundsätzlicher noch ist zu fragen, ob das Patentrecht überhaupt für derart politisch aufgeladene Überlegungen, die sich mehr mit der allgemeinen Zulässigkeit der Technologie als mit der Zulässigkeit gerade einer bestimmten Patentierung beschäftigen, der richtige Anknüpfungspunkt sein kann. Man muss berücksichtigen, dass eine Erfindung auch dann verwertet werden kann, wenn ihre Patentierbarkeit zurückgewiesen wird. Die Erfindung steht dann nämlich jedem zur Nutzung frei. Eine Ablehnung der Patentierbarkeit führt also nicht zu einem Nutzungsverbot, sondern im Gegenteil zu einer noch freieren Nutzung der Erfindung.

Das Patentrecht kann also kein Ersatz für ethisch motivierte Rechtsvorschriften sein, die Beschränkungen oder Verbote festlegen oder die Forschung und die Anwendung oder Vermarktung ihrer Ergebnisse kontrollieren sollen. Vielmehr liegt in diesen letztgenannten Normbereichen häufig der angemessene Ort für Bedenken und Befürchtungen, die gegen das Patentrecht vorgebracht werden.

Originalveröffentlichungen

Der vierte beispielhafte Patentierungsausschluss bezieht sich auf Tiere. Er nimmt Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen, sowie die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere, von der Patentierbarkeit aus.
So kürzlich noch einmal bestätigend die Große Beschwerdekammer des EPA in der Stammzellentscheidung WARF, Az.: G2/06, vom 25. November 2008.
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