Forschungsbericht 2008 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Die Aufteilung steuerlicher Befugnisse im Bundesstaat

The Division of Taxing Powers in Federally Structured States

Autoren
Haag, Maximilian
Abteilungen

Rechnungslegung und Steuern (Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Die Aufteilung der steuerlichen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern beschäftigt Rechtswissenschaft und Politik seit Gründung der Bundesrepublik. Ein Forschungsprojekt des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, Abteilung Rechnungslegung und Steuern, untersucht, ob die deutsche Steuerrechtsordnung mit den föderativen Gewährleistungen der grundgesetzlichen Ewigkeitsklausel vereinbar ist. Ein Vergleich mit dem Recht der USA und Kanadas zeigt Lösungswege zu einer Neuordnung der steuerlichen Kompetenzen.
Summary
The division of taxing powers between the German federal government and the German states has been a controversial issue since the establishment of the federal republic in 1949. A research project at the Max-Planck-Institute for Intellectual Property, Competition, and Tax Law scrutinizes whether the German tax system violates the perpetuity clause of the federal constitution. Moreover, the project discusses the federal structure of the U.S. and Canadian tax systems in order to identify options for a reallocation of taxing powers in Germany.

Drei steuerliche Kompetenzordnungen in den USA, Kanada und Deutschland

Eine Analyse der Steuersysteme der USA und Kanadas zeigt Wege auf, die deutsche Finanzordnung in einer Weise zu strukturieren, die den föderativen Anforderungen des Grundgesetzes besser gerecht wird als das geltende Recht. Das Grundprinzip der US-Steuerrechtsordnung ist denkbar einfach. Bund und Gliedstaaten erheben unabhängig voneinander Steuern und sind sowohl für Gesetzgebung als auch Verwaltung ihrer Steuern jeweils selbst verantwortlich. Eine Gesetzgebung des Bundes für gliedstaatliche Steuern findet nicht statt. Die Folge ist, dass sowohl Bund als auch Gliedstaaten gleichartige Steuern nebeneinander erheben. Auch in Kanada sind die steuerlichen Sphären von Bund und Provinzen getrennt und jede Ebene hat Gesetzgebung und Verwaltung ihrer Steuern selbst zu verantworten. Die meisten kanadischen Provinzen verzichten allerdings darauf, eine eigene Steuerverwaltung einzurichten, und beauftragen den Bund mit der Erhebung der Provinzsteuern. Diese so genannte single administration erspart den Provinzen beträchtlichen Sach- und Personalaufwand, ohne ihre Steuerautonomie anzutasten, da die Steuergesetze weiterhin von den Provinzen beschlossen werden. Als Gegenleistung muss die Provinz ihre Bemessungsgrundlage derjenigen des Bundes angleichen, um den Verwaltungsaufwand der Bundesfinanzämter gering zu halten.

Das deutsche Grundgesetz weicht schon mit seiner Unterscheidung von Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit grundlegend von dem Recht der USA und Kanadas ab. Außerdem hat der Bundesgesetzgeber seit 1969 die ihm seinerzeit eingeräumte Kompetenz zur Regelung der Landessteuern so umfassend eingesetzt, dass eine eigenständige Gesetzgebung der Länder in Bezug auf Landessteuern seit 1983 nicht mehr existiert. Die Landesgesetzgebung ist seither auf Kommunalsteuern und Kirchensteuern beschränkt, also auf Steuern, deren Erträge nicht dem Landeshaushalt zufließen.

Steuerrechtsordnung und Bundesstaatsprinzip in Deutschland

Angesichts der strikten Trennung der steuerlichen Sphären von Bund und Gliedstaaten in den USA und in Kanada wirkt die deutsche Spaltung von Ertrags- und Gesetzgebungshoheit als Fremdkörper im föderalen Gewaltengefüge. Es stellt sich die Frage, ob die bundesstaatlichen Gewährleistungen des Artikel 79, Absatz 3 des Grundgesetzes durch das geltende Steuerrecht verletzt werden. Diese so genannte Ewigkeitsklausel verbietet Verfassungsänderungen, durch die der föderative Staatsaufbau Deutschlands beseitigt wird. Eine Verletzung der Ewigkeitsklausel durch die Steuerrechtsordnung setzt voraus, dass steuerliche Kompetenzen der Länder zu dem von der Norm geschützten Kernbereich zählen. Das Bundesverfassungsgericht zählt die „verfassungskräftige Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat“ und damit die Ertragshoheit der Länder zum ewigkeitsgeschützten Kernbereich. Unentschieden ist bislang, ob Elemente der Steuergesetzgebung dazu zählen. Zahlreiche Argumente sprechen dafür.

Das Bundesverfassungsgericht hat zu verstehen gegeben, dass die von ihm zu Kernkompetenzen der Länder gezählten Befugnisse nicht ausschließlich sind, sondern dass weitere Befugnisse darunterfallen können. Dem Recht zur Gesetzgebung kommt dabei eine herausgehobene Stellung zu, da es die Primärkompetenz neben den anderen staatlichen Teilgewalten Verwaltung und Rechtsprechung ist. In Artikel 79, Absatz 3 des Grundgesetzes findet dies Ausdruck in der Erwähnung der „Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung“. Sinn der Ewigkeitsklausel ist auch nicht, den Bundesstaat um seiner selbst willen zu erhalten, sondern um ein Mindestmaß an vertikaler Gewaltenteilung, föderativer Demokratie und Ideenwettbewerb zu sichern. Diese Funktionen werden allein durch Regionalisierung der Gesetzgebung erreicht. Eine eigene gliedstaatliche Steuergesetzgebung findet sich daher nicht nur in den USA und Kanada, sondern auch in der Schweiz und in Australien. Schließlich enthalten die Landesverfassungen Hessens und Bayerns von 1946 Rahmenvorgaben für die Landesgesetzgebung im Hinblick auf Ertrag-, Erbschaft- und Vermögensteuern. Auch die Landesverfassungsgeber sind damit vom Bestehen einer eigenständigen Landessteuergesetzgebung im Bundesstaat ausgegangen.

Erkennt man die Existenz steuergesetzgeberischer Elemente der bundesstaatlichen Ewigkeitsklausel an, so liegt es auf der Hand, dass sie durch die derzeitige Steuergesetzgebungspraxis missachtet werden, da der Bund den Ländern keine gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Landessteuern belassen hat.

Steuergesetzgeberische Kompetenzausübungsschranke

Da es keine steuergesetzgeberische Verantwortung der Länder für ihre Steuereinnahmen gibt, steht die deutsche Steuerrechtsordnung somit im Widerspruch zur Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes. Aufgrund der Pflicht zur verfassungskonformen Auslegung ist Artikel 105, Absatz 2 des Grundgesetzes, worauf der Bund die Wahrnehmung der Steuergesetzgebung stützt, jedoch nicht als „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ anzusehen, sondern einschränkend auszulegen. Der in der Norm enthaltene Verweis auf Artikel 72, Absatz 2 des Grundgesetzes, der dem Bund Ermessensspielraum bei der Beantwortung der Frage einräumt, ob eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist, bietet hierfür den erforderlichen Ansatzpunkt. Prüft der Bundesgesetzgeber, ob ein einheitliches Steuergesetz erforderlich ist, muss er die Bedeutung einer eigenständigen Landessteuergesetzgebung als wichtiges Erfordernis berücksichtigen, das mit zunehmender Zentralisierung der Steuergesetzgebung schwerer überwunden werden kann. Artikel 105, Absatz 2 des Grundgesetzes enthält damit als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung eine gesetzgeberische Ausübungsschranke, deren Schrankenwirkung je nach dem Zentralisierungsgrad des Steuerrechts unterschiedlich stark ist.

Dabei errichtet die vorgeschlagene steuergesetzgeberische Ausübungsschranke ein abgestuftes Schutzregime, das von vornherein nur Steuern erfasst, deren Erträge ganz oder teilweise den Ländern zustehen. Die Ausübungsschranke bietet einer steuergesetzgeberischen Eigenständigkeit der Länder den erforderlichen Schutz, ohne gleichzeitig den Gestaltungsspielraum des Bundesgesetzgebers mehr als nötig einzuschränken. Sie erlaubt damit flexible steuerliche Lösungen, ohne eine bestimmte Kompetenzordnung zu zementieren und die zukünftige Rechtsentwicklung zu hemmen.

Der Gesetzgeber hat verschiedene Möglichkeiten, den aus der Ausübungsschranke erwachsenden steuerlichen Föderalisierungsauftrag zu erfüllen. Er könnte einzelne Bundessteuergesetze aufheben, Öffnungsklauseln für die Landesgesetzgebung schaffen oder aber Zuschlagsrechte der Länder zu bundesgesetzlich geregelten Steuern einführen. Hinsichtlich der Steuerverwaltung könnte das kanadische Modell als Vorbild dienen. Die Länder hätten die Wahl zwischen einer eigenständigen Landesfinanzverwaltung und der Landesauftragsverwaltung durch Bundesfinanzbehörden.

Grundprobleme des föderalen Steuerstaats

Um den Föderalisierungsauftrag zu erfüllen, muss der Gesetzgeber die typischen Bruchstellen einer dezentralisierten Steuergesetzgebung im Interesse des Gesamtstaats überwinden. Untersuchungen des US-amerikanischen und des kanadischen Rechts zeigen, dass es sich vor allem um vier Problemfelder handelt. An erster Stelle steht das Verbot einer gegenseitigen Besteuerung von Bund und Gliedstaaten, das bei Grund- und Vermögensteuern besonders wichtig ist. An zweiter Stelle steht die Verhinderung protektionistischer Steuergesetze der Gliedstaaten im Interesse eines freien Binnenmarktes. Sowohl das US-Recht als auch das kanadische Recht verbieten handelshemmende Partikularsteuern. An dritter Stelle steht die Verhinderung sonstiger steuerlicher Diskriminierungen von Steuerpflichtigen aus anderen Gliedstaaten. An vierter Stelle steht die Abgrenzung konkurrierender Steuerhoheiten verschiedener Gliedstaaten. Sowohl die US-Gliedstaaten als auch die kanadischen Provinzen dürfen im Bereich der Ertragsteuern nur solche Ertragsteile besteuern, die einen Bezug zum jeweiligen gliedstaatlichen Staatsgebiet aufweisen. Eine Formel ermittelt diese Ertragsteile: Sie setzt einen Mittelwert aus Umsätzen, Lohnsumme und Kapitaleinsatz des Steuerpflichtigen im jeweiligen Gliedstaat ins Verhältnis zu den Gesamtgrößen dieser Faktoren. Der ermittelte Prozentsatz bestimmt den relevanten steuerbaren Anteil des jeweiligen Gliedstaats am Gesamtertrag des Steuerpflichtigen.

Das deutsche Recht bietet einige Ansatzpunkte, um diese vier Grundprobleme des föderalen Steuerstaats zu lösen. Gliedstaatliche Marktabschottungen und die Diskriminierung ortsfremder Steuerpflichtiger lassen sich meist mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes unterbinden. Auch eine Zerlegung von Steuererträgen, die unterschiedlichen Gebietskörperschaften zustehen, findet sich im deutschen Recht heute schon. Das Zerlegungsgesetz regelt die Abgrenzung und Zerlegung von Steuererträgen, die mehreren Bundesländern zustehen. Darüber hinaus findet sich im Gewerbesteuergesetz ein Zerlegungsmechanismus für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger Betriebsstätten in mehreren Gemeinden hat.

Fazit

Die Befugnis des Bundes zur Steuergesetzgebung ist angesichts des bundesstaatlichen Schutzumfangs der grundgesetzlichen Ewigkeitsklausel einschränkend auszulegen. Die Folge ist eine bundesgesetzgeberische Kompetenzausübungsschranke in Bezug auf Landessteuern. Wegen der umfassenden Regelung der Landessteuern durch Bundesrecht ergibt sich hieraus ein steuergesetzgeberischer Föderalisierungsauftrag des Bundes. Im Falle einer regionalisierten Steuergesetzgebung ist mit vier typischen Problemen des föderalen Steuerstaats zu rechnen. Diese können alle, teils mit Lösungsansätzen aus dem deutschen Recht, teils mit Hilfe der steuerlichen Erfahrungen in den USA und Kanada in angemessener Weise gelöst werden.

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