Nanospeicher bringen Computer groß raus

1. Juli 2011

Computer dienen heute als Musikbox, Filmarchiv und Fotoalbum. Sie müssen daher immer größere Datenmengen schnell zugänglich machen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für intelligente Systeme in Stuttgart und des Hallenser Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik bereiten den Weg für magnetische Speichermaterialien, die das ermöglichen, und nutzen dabei geschickt die ganz eigenen Gesetze der Nanowelt aus.

Text Christian Meier

Die Vision des Physikers Richard Feynman klingt auch heute noch atemberaubend: Es sei möglich, den Inhalt sämtlicher Buchtitel der Welt - Feynman schätzte ihre Zahl Ende der 1950er-Jahre auf 24 Millionen - in einem Staubkorn zu speichern, das gerade noch mit bloßem Auge sichtbar ist. Dafür sei es allerdings nötig, ein digitales Bit, also die kleinste Speichereinheit, die die Werte Null oder Eins aufnehmen kann, auf einen Platz zu zwängen, der dem Volumen von nur 100 Atomen entspricht.

Vielleicht fühlen sich die Ingenieure von dieser Vorstellung angespornt. Jedenfalls packen sie seither immer mehr Daten auf Speichermedien wie Festplatten: ihre Speicherdichte, also die Anzahl der Bits pro Quadratzentimeter, verdoppelte sich alle 18 Monate. Vor 30 Jahren konnte man auf eine Festplatte etwa zehn Megabyte ablegen, heute passen darauf 100000 Mal mehr Daten. Ein Bit belegt auf einer Terabyte-Festplatte noch einige hunderttausend Atome. Wenn Bits und Bytes weiterhin im gleichen Tempo schrumpfen wie bisher, würde Feynmans Traum in etwa zehn Jahren in Erfüllung gehen.

Doch die Reise in die Nanowelt, in der ein paar hundert Atome Informationen speichern oder sie verarbeiten, wird immer beschwerlicher. So lassen sich magnetische Speichermedien wie Festplatten nicht beliebig weit miniaturisieren. Magnetische Schichten an ihrer Oberfläche enthalten Speicherzellen, die je ein Bit aufnehmen. Ob die Zelle eine Null oder eine Eins darstellt, entscheidet ihre Magnetisierung. Diese ergibt sich aus der Summe der magnetischen Momente, welche die einzelnen Atome in der Zelle tragen: Jedes Atom wirkt wie ein winziger Stabmagnet, dessen Richtung und Stärke durch das magnetische Moment angegeben wird. Die magnetischen Momente der Atome ordnen sich in Speicherpunkten entweder ferromagnetisch oder antiferromagnetisch an, richten sich also alle parallel oder abwechselnd in die eine und in die entgegengesetzte Richtung aus.

Je kleiner die Speicherzellen werden, desto instabiler werden sie, das heißt ihre Magnetisierung ändert sich ungewollt von selbst, allein indem sie thermische Energie aus ihrer Umgebung aufnehmen. Daten gehen so mit der Zeit verloren. Außerdem stößt das Verfahren, Daten durch die Einwirkung von Magnetfeldern auf Festplatten zu schreiben an Grenzen, da sich Magnetfelder gewissermaßen nicht als beliebig feiner Schreibstift eignen.

Wenn Ingenieure Speicherzellen immer weiter schrumpfen, stoßen sie mehr und mehr in die Nanowelt vor, die voller Überraschungen steckt. Denn alleine wenn Dinge kleiner als etwa 100 Nanometer werden, ändern sich ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften oft grundlegend. In diesem Größenbereich wirken darüber hinaus die bizarren Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik, die Elektroingenieuren manchmal Probleme bereiten, ihnen aber auch Chancen für neue Speichermechanismen eröffnen.

Grundlagenforscher ergründen daher etwa neue Phänomene in magnetischen Nanostrukturen. Dabei kommen sie nicht nur Feynmans Vision bereits erstaunlich nahe. Sie wollen darüber hinaus eine besonders schnelle Datenverarbeitung erreichen oder suchen nach grundlegend neuen Funktionalitäten, die etwa einen Arbeitsspeicher ermöglichen, der sich anders als heutige RAM-Speicher auch ohne Strom an Daten erinnert - das zeitraubende Hochfahren des Computers wäre dann Vergangenheit.

Bei der Erforschung von magnetischen Nanostrukturen arbeiten Experimentatoren und theoretische Physiker eng zusammen. Zu letzteren gehören Ingrid Mertig und Arthur Ernst vom Max-Planck-Institut für Mikrosturkturphysik in Halle an der Saale. Die beiden Wissenschaftler erforschen, wie sich Daten in Zukunft auf immer kleinerem Raum schreiben und lesen lassen.

In der herkömmlichen Technik gibt ein Schreibkopf Magnetfeldpulse ab und magnetisiert so die darunter liegenden Speicherzellen. „Diese Technik ist aber weitgehend ausgereizt“, sagt Mertig. Denn Magnetfelder lassen sich nicht auf eine beliebig kleine Fläche konzentrieren. Werden die magnetischen Bits zu klein, beeinflusst das Magnetfeld beim Beschreiben einer Zelle deren Nachbarzellen - so als versuchte man, mit einem dicken Filzschreiber ein Karo auf einem Millimeterpapier auszumalen; dabei dürften unweigerlich auch Nachbarkaros Farbe abbekommen.

Die Hallenser Forscher verwenden daher als besonders feinen Schreibstift elektrische Felder. „Diese lassen sich viel schärfer fokussieren als Magnetfelder“, erläutert Mertig. Der Haken: Ein elektrisches Feld kann nicht in ein Metall eindringen, weil es an der Oberfläche des Metalls eine Ladung induziert, die das Feld abschirmt. Der feine Filzstift schreibt also gewissermaßen mit leerer Mine.

Anders sieht die Sache in einer äußerst dünnen Metallschicht aus, einer Schicht nämlich, die aus lediglich zwei Atomlagen besteht und somit 100000-mal dünner ist als ein menschliches Haar. In einer solchen Schicht kann ein elektrisches Feld unter Umständen die Magnetisierung der Schicht beeinflussen. Der entsprechende Effekt, den Ingrid Mertig und Arthur Ernst seit einigen Jahren erforschen, heißt im Fachjargon magneto-elektrische Kopplung.

Der Effekt funktioniert, grob gesprochen, wie folgt: ein starkes elektrisches Feld verschiebt die freien Elektronen in der Schicht - je nach Polung des Feldes drückt es sie tiefer in die Schicht hinein oder zieht sie ein Stück weit aus ihr heraus. Dies führt dazu, dass sich die Abstoßung zwischen den positiv geladenen Atomrümpfen verkleinert oder verstärkt. Je nach Polung des elektrischen Feldes rücken die beiden Atomlagen der Schichten deshalb um einige milliardstel Millimeter dichter zusammen oder entfernen sich voneinander.

Wie die Hallenser Forscher in ihren numerischen Rechnungen herausfanden, wirkt sich der Atomabstand über die quantenmechanische Austauschwechselwirkung darauf aus, ob die Doppelschicht den ferromagnetischen oder den antiferromagnetischen Zustand annimmt. Sie hatten daher die Idee, mit einem elektrischen Feld, das die Abstände ändert, die Magnetisierung der Schicht von ferromagnetisch auf antiferromagnetisch umzuschalten und umgekehrt. Auf diese Weise könnte ein Bit von Null auf Eins wechseln.

Tatsächlich haben die Theoretiker aus Halle gemeinsam mit Experimentatoren des Karlsruher Instituts für Technologie kürzlich mit einem elektrischen Feld magnetische Information in nur wenige Nanometer große Eiseninseln geschrieben. Eine Insel bestand aus zwei Lagen von Eisenatomen auf einer Kupferunterlage. Als Schreibstift benutzte das Karlsruher Team unter Leitung von Wulf Wulfhekel ein Rastertunnelmikroskop. An dessen Spitze, die in einem einzigen Atom endet, entsteht ein äußerst starkes elektrisches Feld von einer Milliarde Volt pro Meter.

Das Feld schaltete das Eiseninselchen vom ferro- in den antiferromagnetischen Zustand oder umgekehrt. Gelesen haben die Forscher den Magnetisierungszustand der Insel, indem sie aufzeichneten, wie sich mit der angelegten Spannung der Stromfluss von der Insel in die Spitze des Rastertunnelmikroskops ändert. Die resultierende Strom-Spannungs-Kennlinie unterscheidet sich für die beiden Zustände nämlich deutlich.

Das Eiseninselchen besteht nur aus rund 300 Eisenatomen - die Forscher kommen Feynmans Traum damit also schon sehr nahe. Ein Speichermedium, das auf dieser Technik basiert, könnte Daten 400 Mal dichter speichern als heutige Datenträger. Obwohl die Eiseninseln so winzig sind, bleibt ihre Magnetisierung stabil. Arthur Ernst kennt aus seinen theoretischen Berechnungen den Grund: „Zwischen den beiden magnetischen Zuständen liegt eine sehr hohe Energiebarriere, die man nur mit dem hohen elektrischen Feld überwinden kann.“ Dazu komme, dass die Zustände selbst etwa die gleiche Energie besäßen - wie zwei gleich tiefe Alpentäler, die durch ein hohes Gebirgsmassiv voneinander getrennt sind. Das System wechselt also nicht spontan von einem in den anderen Zustand, weil es dadurch kaum Energie gewönne.

Ihre Computermodelle dienen den Hallenser Theoretikern als Instrumente in einer Art virtuellem Labor. Sie berechnen damit beispielsweise, wie die magneto-elektrische Kopplung von der Zusammensetzung sowohl der Doppelschicht als auch der Unterlage abhängt. So finden sie die optimale Materialkombination, ohne aufwendige Experimente im Labor zu machen.

„Der Unterschied in der Magnetisierung zwischen den beiden Zuständen sollte für eine technische Anwendung möglichst groß sein“, sagt Mertig. „Wir haben berechnet, dass eine Eisen-Kobalt-Legierung mit 25 Prozent Kobalt ein großes magnetisches Signal liefert“, sagt die Physikerin. Im Moment arbeiten die Hallenser Forscher mit Experimentalphysikern daran, diese Vorhersage experimentell zu testen. Mertig ist zuversichtlich: „Die Vorhersagekraft unserer Modelle hat sich in der Vergangenheit als sehr hoch erwiesen.“

Ein anderer theoretischer Physiker des Hallenser Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik geht noch weiter als selbst Feynman zu träumen wagte. Nach den Berechnungen von Valeri Stepanyuk ist es möglich, ein Bit sogar in ein einzelnes Atom zu schreiben. „Dichter kann man Information nicht packen, das Atom ist die fundamentale Grenze für die Miniaturisierung von Datenspeichern“, sagt Stepanyuk. Als Informationsspeicher würde das magnetische Moment des Atoms dienen. Je nachdem, ob diese winzige Kompassnadel nach oben oder nach unten gerichtet wäre, entspräche das der Null oder der Eins eines Bits.

Das Umschalten zwischen den beiden Zuständen soll zwar wie bei Ingrid Mertig und Arthur Ernst mit einem Rastertunnelmikroskop erfolgen. Und auch hier entscheidet der Abstand zwischen Atomen über die Orientierung der Kompassnadel. Aber in Stepanyuks Fall geht es nur um zwei Atome: ein Adatom genanntes Atom, das einzeln auf einer Metallunterlage liegt und das Bit speichern soll, und das Atom, in dem die Mikroskopspitze ausläuft.

Wie die Berechnungen von Valery Stepanyuk zeigen, richten sich die Momente des Atoms in der Spitze und des Adatoms parallel aus, wenn beide relativ weit voneinander entfernt sind. Nähert sich die Spitze dem Adatom, kippt dessen Moment um 180 Grad, sodass sich die Momente antiparallel orientieren. Diesem Schaltmechanismus liegt wie der magneto-elektrischen Kopplung, die Ingrid Mertigs Team ausnutzt, die quantenmechanische Austauschwechselwirkung zugrunde, allerdings in einer indirekten Form.

„Da wir kein elektrisches Feld benötigen, ist der Schaltprozess sehr energiesparend“, sagt Stepanyuk. Die Computersimulationen seines Team zeigen außerdem, dass sich für einen solchen Einzelatomspeicher unterschiedliche Materialien eignen. Als Spitze wählten die Forscher Chrom und als Adatome Chrom, Mangan, Eisen und Kobalt.

„Die Rechenmodelle lassen sich auch an andere Materialien anpassen“, so Stepanyuk. Die Stabilität des Atom-Bits ist nach seinen Berechnungen zudem recht groß. Und schließlich lasse sich das Bit auch auslesen. Denn der elektrische Widerstand zwischen Spitze und Adatom unterscheide sich messbar, je nachdem, ob die magnetischen Momente parallel oder antiparallel ausgerichtet sind.

Bislang stellt diese Technik nur eine theoretische Möglichkeit dar. Derzeit werde aber ein Experiment vorbereitet, um die Berechnungen zu überprüfen, betont Stepanyuk.

Bei aller Faszination, die Feynmans Vision des alles Wissen der Welt enthaltenden Staubkorns ausübt: Kleinheit ist nicht alles. Die moderne Datenflut verlangt auch nach schnellem Speichern und schnellem Zugriff. Es geht um „Dynamik“, wie Forscher sagen, also um die Frage: wie schnell lässt sich von der Null auf die Eins umschalten? Das Schreiben und Lesen sollte noch dazu möglichst wenig Leistung benötigen und auf dem engen Raum und in den kurzen Zeiten technisch beherrschbar sein.

Auch beim Tempo können magnetische Nanostrukturen punkten. Grundlegende Fragen zur schnellen Dynamik magnetischer Nanostrukturen erforscht unter der Leitung von Gisela Schütz ein Team um Hermann Stoll am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme (ehemals Max-Planck-Institut für Metallforschung) in Stuttgart. Die Forscher untersuchen seit einigen Jahren die magnetischen Eigenschaften von ferromagnetischen Plättchen aus einer Legierung von Nickel und Eisen, dem sogenannten Permalloy.

Wegen ihrer fliesenähnlichen Form und ihrer winzigen Abmessungen von etwa einem tausendstel Millimeter Kantenlänge und rund 50 Nanometer Dicke zeigen die Permalloy-Plättchen ein bemerkenswertes magnetisches Phänomen. Die magnetischen Momente der Metallatome ordnen sich darin nicht parallel oder antiparallel an, sondern bilden, ähnlich einer Zielscheibe, konzentrische Ringe, so genannte Wirbel oder auf Englisch Vortices.

In der Mitte der Wirbelstruktur fehlt für einen Kreis der Platz. Wie sich die magnetischen Momente hier organisieren, lässt sich mit dem Versuch veranschaulichen, konzentrische Kreise aus Streichhölzern auf eine Tischplatte zu legen. In der Mitte geht das nicht, weil die Hölzer zu lang sind. Sie lassen sich dennoch unterbringen, wenn man sie aus der Ebene herausdreht und eine nach oben zeigende Nadel aus ihnen bildet. Entsprechend drehen sich die magnetischen Momente in der Mitte des Permalloy-Plättchens aus der Ebene heraus und bilden eine Magnetfeld-Nadel mit nur etwa 20 Nanometern Durchmesser, einen so genannten Vortexkern.

Weil die Vortexkerne nach oben oder nach unten aus den beiden Flachseiten der Plättchen herausragen können, können sie prinzipiell ein Bit speichern. Doch es gibt ein Problem: „Die Nadel lässt sich zwar durch ein äußeres Magnetfeld um 180 Grad drehen“, sagt Stoll. Dieses müsse aber rund 0,5 Tesla stark sein, also nur etwa dreimal schwächer als die stärksten Dauermagneten. Für Datenspeicher schienen die Vortexkerne deshalb ungeeignet - sie wären zwar attraktiv wegen ihrer Stabilität gegenüber äußeren Magnetfeldern und auch gegen hohe Temperaturen, ließen sich aber nur schwer umschalten.

Schon 2006 fanden die Stuttgarter Forscher jedoch eine Möglichkeit, die sonst so stabilen Vortexkerne mithilfe von Magnetfeldpulsen von nur 1,5 tausendstel Tesla Stärke gezielt zu schalten. Sie arbeiteten dabei mit Kollegen aus Regensburg, Bielefeld, dem belgischen Gent, und dem kalifornischen Berkeley zusammen. Die Wissenschaftler richteten einen äußerst kurzen Magnetfeldpuls von nur vier Nanosekunden Dauer, das sind vier Milliardstel Sekunden, auf das Plättchen. Die Magnetfeldlinien des Pulses verliefen dabei parallel statt senkrecht zu dem Plättchen.

Das Ergebnis erstaunte die Forscher: diese schwachen Magnetpulsen, die nur eine äußerst geringe Leistung benötigen, schalteten den Vortexkern verlässlich um. Die Erklärung dafür lieferten die Wissenschaftler damals gleich mit: Grob gesagt erzeugt der kurze Magnetfeldpuls zwei weitere Magnetfeldnadeln, ein Vortex-Antivortex-Paar, die beide der ursprünglichen entgegengerichtet sind.

Eine der neu gebildeten Nadeln, der Antivortex, verschmilzt mit dem ursprünglichen Vortexkern, wobei sich die beiden gegenseitig auslöschen. Am Ende bleibt nur die zweite der beiden zusätzlichen Magnetnadeln übrig und bildet einen neuen Vortexkern - und der zeigt in die entgegengesetzte Richtung des ursprünglichen Vortexkerns. Erst diese Entdeckung empfahl Vortexkerne für die Datenspeicherung, da sie nun mit kleinen und kurzen Magnetfeldimpulsen geschaltet werden können. Dabei bleiben sie weiterhin sehr stabil gegenüber äußeren statischen Magnetfeldern.

„Die Entdeckung hat das Forschungsfeld stark belebt“, sagt Gisela Schütz. Die Publikation aus dem Jahr 2006 sei inzwischen fast 200 Mal zitiert und das erste Experiment und die Erklärung dafür auf vielfältige Weise bestätigt worden. Inzwischen schalten die Stuttgarter Forscher die Vortexkerne auch selektiv, also nur von oben nach unten oder umgekehrt. Sie verwenden dazu Magnetfeldpulse, die mal im und mal gegen den Uhrzeigersinn rotieren. So verhindern sie, dass ein Puls einen Vortex-Kern zunächst in die eine Richtung umklappt, ihn aber wieder zurückstellt, wenn er zu lange dauert.

Das reichte den Stuttgarter Forschern aber noch nicht: Die Schaltzeiten von einigen Nanosekunden lagen zwar schon im Bereich der derzeit schnellsten Speichersysteme, doch suchten die Wissenschaftler nach grundlegend schnelleren Umschaltprozessen.

Mithilfe des neuartigen Röntgenmikroskops Maxymus der Max-Planck-Gesellschaft am Berliner Speicherring Bessy II gelang ihnen kürzlich mit Kollegen aus Regensburg und Gent eine weitere bahnbrechende Entdeckung. Mit diesem Instrument ist es möglich, Bilder der magnetischen Struktur der Permalloy-Plättchen mit einer räumlichen Auflösung von 20 Nanometern und in zeitlichem Abstand von 30 Pikosekunden zu schießen, also einen extremen Zeitlupen-Film aufzunehmen.

So fand Matthias Kammerer im Rahmen seiner Doktorarbeit einen Schaltmechanismus für die Kerne, der nur noch 240 Pikosekunden oder 0,24 Nanosekunden dauert, also über 20 mal schneller wirkt als der 2006 entdeckte. Und er lässt sich noch weiter beschleunigen, wie die Forschergruppe in theoretischen Rechnungen festgestellt hat. „Es wird möglich sein, die Umschaltzeit deutlich unter 100 Pikosekunden zu drücken“, meint Hermann Stoll.

In dem neuen Mechanismus führt ein Magnetfeldpuls zu Spinwellen, also sich wellenförmig ausbreitenden Fluktuationen der Magnetisierung des Materials. Letztlich bilden sich dank dieser Anregungen wieder zwei zusätzliche Magnetfeldnadeln, die in umgekehrter Richtung zum ursprünglichen Vortexkern stehen. Eine der beiden neuen Magnetfeldnadeln und die ursprüngliche lösen sich dann wieder buchstäblich in Nichts auf.

Der Vortexkern bewegt sich dabei innerhalb eines Radius von weniger als 20 Nanometern, also so gut wie nicht von der Mitte des Plättchens weg. Daher lassen sich die Vortexstrukturen vielleicht auf bis 50 Nanometer Durchmesser verkleinern, wenn die Entwicklung geeigneter Materialien weiter voran schreitet. Das macht sie in punkto Speicherdichte konkurrenzfähig, auch wenn sie prinzipiell nicht so klein werden können wie etwa die Eiseninseln, die Ingrid Mertig untersucht.

Der wesentliche Vorteil der Vortexkerne sei jedoch die Schnelligkeit des Schaltvorganges, sagt Gisela Schütz. „Ein technisch bedeutender Aspekt ist auch, dass sich die Vortexkerne mit hochfrequenten Pulsen umschalten lassen, was mit der heute weit ausgereiften Hochfrequenztechnik einfach realisiert werden kann.“ Punktgenau adressieren lassen sich die Vortexkerne mit äußerst geringer Leistung durch ein extrem engmaschiges Gitter aus gekreuzten Leiterbahnen, in dem an jedem Kreuzungspunkt ein Magnetfeld erzeugt wird.

Auch das Problem des Lesens haben die Forscher bereits gelöst: Über jedem Vortexkern wird ein heute gängiger Magnetsensor, ein magnetischer Tunnelkontakt, aufgebracht. Der Sensor ist genauso winzig wie das darunterliegende Speicherelement und detektiert die Orientierung des Vortexkerns äußerst empfindlich. Somit seien alle Voraussetzungen geschaffen, um Votexkerne in Logikbauelementen einzusetzen, die Daten schnell und energiesparend verarbeiten, meint Stoll. Oder in nicht-flüchtigen Arbeitsspeichern künftiger Computer, die nicht ihr Gedächtnis verlieren, wenn der Rechner ausgeschaltet wird.

Er betont allerdings, dass seine Gruppe Grundlagenforschung betreibe: „In erster Linie geben unsere erkenntnisorientierten Experimente und theoretischen Berechnungen Aufschluss über die grundlegende Dynamik von magnetischen Nanostrukturen“, sagt der Forscher. „Wir suchen neue Phänomene in winzigen Dimensionen. Diese könnten den Anstoß für ganz neue technische Entwicklungen geben, die wir heute unmöglich voraussehen können.“

Das ging Richard Feynman vor 50 Jahren nicht viel anders. Eiseninselchen im Nanoformat, auf die ein Rastertunnelmikroskop Information schreibt, einzelne Atomen, die zum Datenspeicher werden und magnetische Vortexkernen, die selbst einem riesigen Magnetfeld standhalten, sich aber von schwachen Magnetfeldpulsen schalten lassen, sah selbst das Physik-Genie Feynman nicht voraus.

Sowenig wie Forscher heute die Fähigkeiten künftiger Computer erahnen.

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