Schlafkrankheit: Erreger beherrscht drei verschiedene Schwimmarten

Wissenschaftler entschlüsseln die genauen Fortbewegungsmuster des Parasiten Trypanosoma

20. Juni 2011

Der Erreger der Schlafkrankheit, die in Afrika und Südamerika jährlich tausende Todesopfer fordert, gehört zu den mobilen Einzellern: Eigenständig schwimmt er durch den Blutkreislauf seines Wirtes, bis er im letzten Stadium der Krankheit die Blut-Hirn-Schranke überwindet und ins Gehirn seines Opfers vordringt. Um die tödliche Krankheit gezielt zu bekämpfen, versuchen Wissenschaftler die Fortbewegungsweise der Erreger genau zu verstehen. Forschern vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) sowie den Universitäten Würzburg, Göttingen und Basel ist es nun gelungen, drei verschiedene Arten der Fortbewegung des Einzellers zu identifizieren. Zudem konnten sie erstmals zeigen, dass diese mit der Form und Steifheit der Parasiten zusammenhängen.

Einzeller, die sich selbstständig fortbewegen können, sind keine Seltenheit: Kolibakterien etwa wickeln ihre Geißeln zu einem Bündel auf, um mit vereinter Kraft gezielt vorwärts zu schwimmen; Spermien katapultieren sich durch das Schlagen des Schwanzes nach vorne. Bei den einzelligen Trypanosomen−Parasiten, welche die afrikanische Schlafkrankheit auslösen - ist der genaue Bewegungsablauf bisher nicht bekannt. Die Ursache dafür ist ein deutlich komplizierterer „Körperbau“: Die Geißel, die wahrscheinlich als Hauptmotor dient, schließt nicht etwa wie beim Spermium schwanzartig an den Zellkörper an. Stattdessen ist sie auf der gesamten Länge der Zelle mit ihr verbunden (siehe Abbildung 1). Fest steht nur, dass die Fortbewegungsmethode der Tryposomen äußerst effizient ist: Mit Geschwindigkeiten zwischen 20 und 40 Mikrometern pro Sekunde schwimmen sie durch die Blutbahn ihrer Opfer.

Die deutsch-schweizerische Forschergruppe konnte nun zeigen, dass der Erreger Trypanosoma brucei brucei, der Rinder befällt, zu drei verschiedenen Fortbewegungsarten fähig ist. Unterm Mikroskop verfolgten die Wissenschaftler die genauen Pfade, die einzelne Zellen in einem Zeitraum von einigen Sekunden innerhalb einer Nährlösung einschlugen, und werteten diese statistisch aus. Die Parasiten ließen sich daraufhin in drei Gruppen einteilen lassen. Während sich die einen mehrere Sekunden lang in ein und dieselbe Richtung bewegten, torkelten die anderen wie betrunken wahllos mal in diese, mal in jene Richtung. „Unterm Strich kommen sie so kaum von der Stelle“, beschreibt Sravanti Uppaluri vom MPIDS diese Gruppe. Eine dritte Klasse wechselt zwischen beiden Fortbewegungsmustern.

Um zu untersuchen, warum die jeweilige Zelle eine bestimmte „Gangart“ bevorzugt, war ein noch genauer – und vor allem schnellerer – Blick auf die Trypanosomen nötig. „Zunächst mussten wir dazu eine Zelle über einen bestimmten Zeitraum verfolgen und das Fortbewegungsmuster identifizieren“, so Sravanti Uppaluri vom MPIDS, welche die anspruchsvollen Analysen durchführte. Danach konnte die Wissenschaftlerin mithilfe von Hochgeschwindigkeitsmikroskopen, die eine schnelle Bildabfolge von mehreren Tausend Aufnahmen in der Sekunde und eine höhere räumliche Auflösung ermöglichen, einen genaueren Blick auf die anatomischen Eigenheiten der Zellen werfen. Durch Messen des Abstandes zwischen beiden Zellenden ergab sich, dass die zielgerichteten Schwimmer eine gestrecktere Form haben und somit steifer sind als ihre torkelnden „Brüder“. Die torkelnden Trypanosomen hingegen erwiesen sich als eher gekrümmt, was auf einen flexibleren Zellkörper schließen lässt.

Der Grund für diese anatomischen Unterschiede innerhalb einer Gruppe von Trypanosomen ist bisher unklar. „Es ist denkbar, dass es sich um verschiedene Stadien im Lebenszyklus des Parasiten handelt“, sagt Thomas Pfohl von der Universität in Basel. Die gezielte Vorwärtsbewegung könnte zur letzten Phase gehören, in der sich der Erreger in das Gewebe des Opfers bohrt. Eine andere Erklärungsmöglichkeit wäre, dass die Einzeller speziell bei der Suche nach Nahrung die gerichtete Bewegungsstrategie wählen.

Vor einigen Jahren bereits hatten die Würzburger Forscher zusammen mit ihren Kollegen vom MPIDS entdeckt, dass rasches Schwimmen den Trypanosomen hilft, Antikörpern zu entgehen. Denn die Strömung, die dabei über die glatte Oberfläche der Erreger streicht, reißt die Antikörper stromabwärts in Richtung Zellmund, wo sie „gefressen“ werden. In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler deshalb untersuchen, in welcher „Gangart“ diese Überlebensstrategie besonders gut oder besonders schlecht funktioniert. „Möglicherweise sind die Trypanosomen, die wahllos hin und her torkeln, angreifbarer als ihre stromlinienförmigeren Kollegen“, so Pfohl. Das genaue Verständnis der Bewegungsmuster könnte so helfen, einen Ansatz zu finden, die Parasiten gezielt zu bekämpfen.

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