Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Ein neues Fenster zum Kosmos – Gamma-Astronomie mit H.E.S.S.

Autoren
van Eldik, Christopher; Hofmann, Werner
Abteilungen

Teilchenphysik und Hochenergieastrophysik (Prof. Dr. Werner Hofmann)
MPI für Kernphysik, Heidelberg

Zusammenfassung
In kosmischen Beschleunigern erreichen Teilchen weit höhere Energien als in den derzeit weltgrößten Teilchenbeschleunigern. Die H.E.S.S.-Teleskope in Namibia tragen wesentlich dazu bei, diese rätselhaften Objekte mithilfe hochenergetischer Gamma-Strahlung zu identifizieren und ihre Beschleunigungsmechanismen genauer zu verstehen.

Es gilt als gesichert, dass in kosmischen Teilchenbeschleunigern geladene Teilchen – Elektronen und Atomkerne – auf sehr hohe Energien beschleunigt werden. Ein offensichtlicher Hinweis auf die Existenz solcher kosmischer Beschleuniger ist die kosmische Teilchenstrahlung, deren Energieverteilung einem steil abfallenden Potenzspektrum folgt, bis hin zu extrem hohen Energien von über 1020 Elektronenvolt. Auch fast 100 Jahre nach ihrer Entdeckung weiß man nicht zweifelsfrei, durch welche Prozesse und wo genau in oder jenseits unserer Galaxis die Teilchen solch enorme Energie gewinnen. Der Grund ist, dass geladene Teilchen auf ihrem Weg zur Erde durch galaktische Magnetfelder stark abgelenkt werden. Ihre Einfallsrichtung zeigt daher nicht auf den Ort ihrer Entstehung zurück, man kann also mit der kosmischen Strahlung keine abbildende Astronomie betreiben. In Kollisionen der Teilchen mit Strahlung oder interstellarem Gas entsteht aber hochenergetische Gammastrahlung; ihre räumliche Verteilung und Energieverteilung entspricht derjenigen der beschleunigten Teilchen. Da sich die Gammastrahlung geradlinig ausbreitet, wird es durch die Gamma-Astronomie möglich, die Quellen der hochenergetischen Teilchen direkt zu „sehen“ und die zugrunde liegenden Beschleunigungsmechanismen zu untersuchen. Hier werden wir uns mit Gammastrahlung im Teraelektronenvolt-Energiebereich (1012 eV) beschäftigen; ein Quant dieser Strahlung trägt 1.000.000.000.000 mal mehr Energie als ein Strahlungsquant des normalen Sternenlichts.

Cherenkov-Teleskope – Augen für hochenergetische Strahlung

Für die Gammastrahlung ist die Erdatmosphäre undurchlässig, idealerweise würde man die Strahlung daher im Weltall mit Satelliten-Instrumenten detektieren. Wegen des geringen Flusses der Gammastrahlung – bei typischen Energien im Teraelektronenvolt-Bereich einige Teilchen pro Quadratmeter und Jahr für hell leuchtende Quellen – müssen die Nachweisinstrumente aber eine große Fläche – viele 1000 Quadratmeter – abdecken, was mit Satelliten unmöglich scheint. Bei der Absorption der Quanten der Gammastrahlung in der Atmosphäre entstehen jedoch in großer Zahl Elektronen und Positronen, welche sogenanntes Cherenkov-Licht aussenden. Die große Spiegelfläche moderner Cherenkov-Teleskope, ihre hochempfindlichen segmentierten Photosensoren und schnelle Elektronik erlauben es, diesen kurzlebigen Cherenkov-Lichtblitz nachzuweisen und die Energie des primären Gamma-Strahlungsquants sowie seine Herkunftsrichtung zu bestimmen.
H.E.S.S. – das High-Energy Stereoscopic System, welches unter Federführung des MPI für Kernphysik von 25 meist europäischen Forschungsinstituten und Universitäten betrieben wird, ist das zurzeit führende Instrument für den Nachweis von Gammastrahlung im Energiebereich zwischen 0,1 und 100 Teraelektronenvolt. H.E.S.S. befindet sich im Hochland von Namibia, mit optimalem Blick auf den inneren Bereich der Milchstraße, in welchem besonders viele kosmische Beschleuniger vermutet werden. Mit vier Spiegelteleskopen von jeweils 107 m2 Fläche beobachtet man die Teilchenschauer in der oberen Atmosphäre „stereoskopisch“, das heißt unter verschiedenen Blickwinkeln, und kann damit die Einfallsrichtung eines Gammaquants auf wenige Bogenminuten genau bestimmen. Das große Gesichtsfeld von 5º Durchmesser ermöglicht es, mit den H.E.S.S.-Teleskopen auch ausgedehnte Himmelsbereiche zu durchmustern. Neben zahlreichen extragalaktischen Objekten hat H.E.S.S. über 40 Gamma-Quellen in unserer Milchstraße gefunden [1]; erstaunlicherweise erstrecken sich viele dieser Objekte über etliche 10 Lichtjahre. Damit hat H.E.S.S. ein neues Fenster zum Kosmos geöffnet, welches das Studium einer Vielzahl kosmischer Teilchenbeschleuniger bei Gamma-Energien erlaubt (Abb. 1).

Supernova-Überreste – die Quellen der kosmischen Strahlung?

Bei einer Supernova-Explosion wird ein Großteil der Materie des Vorgängersterns eruptionsartig in den interstellaren Raum hinaus geschleudert. Eine Stoßwelle breitet sich aus, welche interstellares Material vor sich her schiebt. Geladene Teilchen können an solchen Stoßfronten zu hohen Energien beschleunigt werden. Ihre Energieverteilung sollte dann Potenzspektren folgen, die in ihrer Form kompatibel sind mit denen der kosmischen Teilchenstrahlung. Mit dem Nachweis mehrerer Supernova-Überreste im Licht hochenergetischer Gammastrahlung hat H.E.S.S. einen wichtigen Beitrag geleistet, das Szenario der Stoßwellenbeschleunigung in diesen Objekten zu verifizieren. So konnte mit dem Supernova-Überrest RX J1713.7-3946 zum ersten Mal die Stoßwelle eines solchen Objekts in hochenergetischer Gammastrahlung abgebildet [2] und nachgewiesen werden, dass RX J1713.7-3946 Teilchen bis zu einer Energie von mindestens 100 Teraelektronenvolt beschleunigt [3]. Synchrotron-Röntgenstrahlung identifiziert diese Quelle zwar auch als effizienten Elektronenbeschleuniger, die Form der Energieverteilung und die Präsenz starker Magnetfelder lassen jedoch den Schluss zu, dass die mit H.E.S.S. nachgewiesene Gammastrahlung überwiegend von Atomkernen erzeugt wird, welche mit Gasteilchen kollidieren. Auch der zweite mit H.E.S.S. detailliert morphologisch aufgelöste Supernova-Überrest, RX J0852.0-4622 (Abb. 2), beschleunigt Teilchen bis hin zu 100 TeV [4]. Der letzte Beweis dafür, dass Supernova-Überreste die Quellen der auf der Erde beobachteten kosmischen Teilchenstrahlung sind, steht jedoch noch aus und erfordert eventuell noch empfindlichere Instrumente, die mehr solcher Objekte „sehen“ können und deren Energiespektren über einen noch weiteren Bereich vermessen.

Pulsarwindnebel – ein kosmisches Plasmaphysik-Labor

Im Zentrum einer Supernova-Explosion entsteht häufig ein Pulsar, ein schnell rotierender Neutronenstern, der einen „Wind“ von hochenergetischen Elektronen und Positronen erzeugt. Trifft der Wind auf das umgebende Medium, bildet sich eine Stoßwelle aus, an der die Teilchen des Winds weiter beschleunigt werden können. Solche Pulsarwindnebel bilden die größte Klasse unter den mit H.E.S.S. nachgewiesenen galaktischen Objekten. Da die beschleunigten Elektronen durch Synchrotronstrahlung im interstellaren Magnetfeld kontinuierlich Energie verlieren, während sie sich im Nebel ausbreiten, erwartet man, dass sich auch die Größe der Gammastrahlungsregion mit zunehmender Energie verkleinert, von bis zu 100 Lichtjahren bei „niedrigen“ Energien zu unter einem Lichtjahr bei höchsten Gamma-Energien. Elektronen mit hoher Energie findet man nur in unmittelbarer Nähe des Pulsars, entsprechend hochenergetisch ist dort die von ihnen erzeugte Gammastrahlung. Entfernte Regionen hingegen sind nur von niederenergetischen Elektronen bevölkert, was zu einer niederenergetischen Gamma-Emission führt. Eine solche „Elektronenkühlung“ ist kürzlich in der Umgebung des Pulsars PSR J1826-1334 (Abb. 3) durch H.E.S.S.-Beobachtungen nachgewiesen worden [5].

Ein gigantischer Strahlungsausbruch

Die Kerne aktiver Galaxien (AGN) sind sehr leuchtstarke Objekte, in deren Zentrum sich ein supermassives schwarzes Loch befindet, welches Materie aus seiner Umgebung aufsaugt und in Form von Jets ausstößt. Einige AGN sind hochvariable Quellen von Gammastrahlung. Ein besonders spektakulärer Strahlungsausbruch des AGN PKS 2155-304 wurde mit H.E.S.S. im Juli 2006 aufgezeichnet [6]. Über einen Zeitraum von 90 Minuten lag die Intensität dieser Gamma-Quelle etwa einen Faktor 100 über ihrem üblichen Niveau. Darüber hinaus änderte sich die Intensität auf Zeitskalen von Minuten (Abb. 4), und dies bei einem Energieumsatz, der 1012 mal größer erscheint als derjenige der stärksten Strahlungsquellen in unserer Galaxis. Solch kurze Strahlungsausbrüche lassen sich nur erklären, wenn sich die Materie, welche die Gammastrahlung erzeugt, im Jet mit nahezu Lichtgeschwindigkeit auf uns zu bewegt. In diesem Falle folgt die Materie ihrer eigenen Lichtemission so schnell nach, dass die Lichtkurve am Ort des Betrachters um mehrere Größenordnungen zeitlich komprimiert erscheinen kann. Aus der Untersuchung solcher Ausbrüche hofft man Einblicke in die Prozesse in der unmittelbaren Umgebung des schwarzen Lochs zu erhalten.

Ist die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit wirklich konstant?

Der Ausbruch von PKS 2155 erlaubt es, mit H.E.S.S. das Einstein'sche Postulat zu überprüfen, „daß sich das Licht im leeren Raume stets mit einer bestimmten, vom Bewegungszustande des emittierenden Körpers unabhängigen Geschwindigkeit V fortpflanze“. Insbesondere muss demnach die Geschwindigkeit des Lichts unabhängig von seiner Energie sein. Selbst ein kleiner Effekt würde sich in einer Ankunftszeit-Verschiebung der TeV-Photonen niedriger Energie und derjenigen hoher Energie niederschlagen. Die Beobachtungen von PKS 2155 haben jedoch gezeigt, dass sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Gammastrahlung mit niedriger gegenüber solcher mit hoher Energie um höchstens 10-15 ändert [7].

Quo vadis, Gamma-Astronomie?

H.E.S.S. hat in den letzten Jahren das Fenster der Gamma-Astronomie weit aufgestoßen. Derzeit wird das Array um ein fünftes, sehr viel größeres Teleskop erweitert. Es wird Gammastrahlung mit deutlich kleinerer Energie nachweisen können, bei gleichzeitiger Steigerung der Empfindlichkeit bei hohen Energien. Als nächstes großes Projekt der Hochenergie-Gamma-Astronomie in Europa befindet sich das Cherenkov Telescope Array (CTA) schon in der Planungsphase. Es soll einen Energiebereich von einigen 10 GeV bis hin zu einigen 100 TeV abdecken, und die Empfindlichkeit soll um einen Faktor 10 verbessert werden. Das Projekt, das analog zu optischen Teleskopen als offenes Observatorium betrieben werden soll, wurde in die europäische ESFRI-Roadmap für zukünftige Forschungs-Infrastrukturen aufgenommen. Mit CTA sollte es in ein paar Jahren möglich sein, etwa 1000 Hochenergie-Gamma-Quellen zu detektieren und die Eigenschaften dieser faszinierenden Objekte im Detail zu vermessen.

Originalveröffentlichungen

F. A. Aharonian et al. (H.E.S.S. Collaboration):
The H.E.S.S. survey of the inner Galaxy in very high-energy gamma-rays.
Astrophysical Journal 636, 777-797 (2006).
F. A. Aharonian et al. (H.E.S.S. Collaboration):
High energy particle acceleration in the shell of a supernova remnant.
Nature 432, 75-77 (2004).
F.A. Aharonian et al. (H.E.S.S. Collaboration):
Primary particle acceleration above 100 TeV in the shell-type supernova remnant RX J1713.7-3946 with deep H.E.S.S. observations.
Astronomy & Astrophysics 464, 235-243 (2007).
F. A. Aharonian et al. (H.E.S.S. Collaboration):
H.E.S.S. observations of the supernova remnant RX J0852.0-4622: shell-type morphology and spectrum of a widely extended VHE gamma-ray source.
Astrophysical Journal 661, 236-249 (2007).
F. A. Aharonian et al. (H.E.S.S. Collaboration):
Energy dependent gamma-ray morphology in the pulsar wind nebula HESSJ1825-137.
Astronomy & Astrophysics 460, 365-374 (2006).
F. A. Aharonian et al. (H.E.S.S. Collaboration):
An exceptional VHE gamma-ray flare of PKS 2155-304.
Astrophysical Journal Letters 664, L71-L74 (2007).
F. A. Aharonian et al. (H.E.S.S. Collaboration):
Limits on an energy dependence of the speed of light from a flare of the active galaxy PKS 2155-304.
Physical Review Letters 101, 170402 (20078).
Zur Redakteursansicht