Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme

Transkription von mRNA: In der Pause liegt die Kraft

Autoren
Grill, Stephan
Abteilungen

Motor Systeme ()
MPI für Physik komplexer Systeme, Dresden

Zusammenfassung
Um Proteine in unseren Zellen herzustellen wird die genetische Information der DNA in mRNA kopiert und schließlich in eine Polypeptidkette übersetzt. RNA Polymerase II ist für den ersten Schritt verantwortlich und kopiert diskontinuierlich, etwa die Hälfte der Zeit wird in Pausen verbracht. Experimentelle und theoretische Untersuchungen an einzelnen Polymerase-Molekülen deuten auf einen interessanten Pausen-Mechanismus hin, der als „Random Walk“ abläuft und Pausen sehr verschiedener Dauer erzeugen kann.

RNA-Polymerase

Zellen besitzen die faszinierenden Eigenschaften sich unterschiedlichen Umgebungen anpassen, sich vervielfältigen und durch unterschiedliche Spezifizierung verschiedene Rollen in einem Organismus übernehmen zu können. Ermöglicht wird dies durch eine präzise Kontrolle darüber, ob und wie viele Proteine jede einzelne Zelle aus jedem der Gene unseres Genoms herstellt. Diese Regulierung der Genexpression findet größtenteils gleich im ersten Schritt der Proteinsynthese statt: der Transkription von DNA zu mRNA durch ein Enzym namens RNA Polymerase II (auch RNAP II). Das Produkt dieses Ablesevorganges, die so genannte messenger RNA (mRNA), wird anschließend durch den Prozess der Translation in eine Polypeptidkette übersetzt, aus der durch Faltung das funktionale Protein hervorgeht. RNA Polymerase II übernimmt somit eine zentrale Aufgabe in jeder Zelle unseres Körpers, und die Untersuchung der genauen Funktion und Wirkungsweise dieses Enzyms steht schon seit Jahrzehnten im Mittelpunkt einer Vielzahl von Forschungsprojekten. Reguliert wird die Transkription ebenfalls hauptsächlich in ihrem allerersten Schritt, der Initiation. Um den Ableseprozess zu beginnen, muss das Polymerase-Molekül hierbei an die richtige Stelle dirigiert werden. Allerdings spielt auch der eigentliche Ablesevorgang eine bedeutende Rolle, in dem sich die Polymerase Schritt für Schritt entlang des DNA-Strangs bewegt um diesen zu kopieren: das Molekül kann abgebremst werden, was zu verminderten mRNA-Produktionsraten und letztendlich zu weniger Proteinmolekülen führt.

Die grundsätzliche Struktur des DNA – RNAP II – mRNA-Komplexes während des Ablesevorganges ist in Abbildung 1a skizziert. Die DNA-Doppelhelix ist über eine Strecke von mehreren Basenpaaren entwunden, und einer der beiden Einzelstränge stellt die Vorlage für den Kopiervorgang dar. An diesen Strang werden die der DNA-Sequenz entsprechenden, komplementären Nukleotid-Triphosphat-Moleküle (NTP, die Bausteine der RNA, von denen es vier verschiedene gibt) durch RNAP II gebunden und polymerisiert, während sich das Molekül fortbewegt. Dabei bleibt immer ein 9 Bausteine langer DNA – mRNA-Hybrid bestehen, bevor sich die mRNA von der DNA löst. Ein interessanter Prozess wird gestartet, wenn RNAP II einen Kopierfehler macht und das falsche der vier Nukleotide, die den genetischen Code ausmachen, anheftet. Um diesen Fehler zu korrigieren gleitet die Polymerase rückwärts entlang der DNA, was als „Backtracking“ bezeichnet wird. Dadurch wird die fehlerhafte mRNA-Sequenz von der DNA abgelöst, allerdings am entgegengesetzten, vorderen Ende des Komplexes (Abb. 1b). So ähnlich wie ein falsch getipptes Wort auf der Schreibmaschine früher mit Tippex übermalt und dann neu eingegeben wurde, kann nun dieses freigelegte Stück mRNA inklusive Kopierfehler mithilfe eines weiteren Proteins, dem Transkriptionsfaktor IIS, abgeschnitten werden (Abb. 1c). Durch diesen Mechanismus fällt die Polymerase zwar um einige Basen zurück. Dies garantiert jedoch die Fehlerbeseitigung, und der Kopierprozess kann anschließend normal fortgesetzt werden.

Pausen

Der hier beschriebene Korrekturprozess unterbricht den Kopiervorgang, die Polymerase befindet sich somit in einer Pause. Diese Pausen sind nicht nur für die Fehlerkorrektur wichtig, sie verlangsamen auch den gesamten Kopierprozess. Typischerweise verbringt RNAP II während der Transkription etwa die Hälfte seiner Zeit in Pausen. Somit lässt sich die mRNA-Produktionsrate wesentlich durch eine Regulation der Zeit, welche die Polymerase in solchen Pausen verbringt, beeinflussen. Aber Pausen spielen nicht nur für das Steuern von Transkriptionsraten eine große Rolle, sondern das Molekül reagiert auch auf Situationen, in denen Kraft ausgeübt werden muss, mit einer solchen Backtrack-Pause. Dies geschieht zum Beispiel, wenn ein DNA bindendes Protein (z.B. ein Nukleosom) den Weg versperrt und verdrängt werden muss. Außerdem konnte in Einzelmolekülexperimenten gezeigt werden, dass Backtracking selbst sehr sensitiv bezüglich einer direkt angelegten Kraft ist: Wird an einem einzelnen Polymerase-Molekül entgegen der Bewegungsrichtung in einer optischen Falle gezogen, so ist es dem Molekül typischerweise unmöglich aus einer solchen Backtrack-Pause zu entkommen, falls die angelegte Kraft mehr als 8 pN beträgt (Abb. 2). RNAP II kann sich also gegen eine Kraft von mehr als 8 pN nicht effizient fortbewegen, sondern wird schnell in einer solchen Pause stecken bleiben. Die typische Kraft, entgegen der eine Polymerase sich bewegen kann, ist somit nicht durch den eigentlichen Fortbewegungsmechanismus bestimmt, sondern hängt vom Pausen- und Fehlerkorrekturmechanismus ab.

Reaktionsschema für Backtracking

Falls die Polymerase rückwärts gleitet um einen möglichen Fehler zu korrigieren, so ist es ihr möglich dort verschiedene Konfigurationen einzunehmen. Sie kann an ihrer momentanen Pausen-Position verweilen, sie kann aber auch einen weiteren Schritt nehmen, entweder vorwärts oder zurück. Die Energie aus der NTP-Hydrolysereaktion, die normalerweise für die Fortbewegung der Polymerase verantwortlich ist, steht zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht zur Verfügung, das Molekül befindet sich ja in einem inaktiven Pausenzustand. Ignoriert man sequenzabhängige Effekte in einem einfachen Modell, so unternimmt die Polymerase einen so genannten „Random Walk“, während sie sich in einer Backtrack-Pause befindet. Sie wandert zufällig hin und her bis sie wieder in die Anfangsposition zurückfindet, von der aus sie den eigentlichen Kopierprozess fortsetzen kann (Abb. 3). Dies kann sehr schnell gehen, kann aber auch manchmal sehr lange dauern. Als Konsequenz dieses Modells ergibt sich, dass die Dauer von gemessenen Pausen nicht einem exponentiellen Gesetz sondern einem Potenzgesetz folgt und mit t-3/2 abfallen sollte, wobei t die Pausendauer beschreibt. Diese Vorhersage wird in Abbildung 4 mit experimentellen Daten unterlegt.

Trajektorien

Aus der Annahme eines solchen „Random Walks“ ergeben sich weitere Vorhersagen für die möglichen Pfade, die das Molekül typischerweise während einer solchen Backtrack-Pause wählt. In Experimenten wurde von verschieden Arbeitsgruppen beobachtet, dass die meisten Pausen keinerlei Rückwärtsbewegung zu beinhalten scheinen, und diese somit möglicherweise einem anderen Pausenmechanismus zuzuordnen seien. Allerdings ist zu erwarten, dass ein Großteil der durch Backtracking verursachten Pausen aufgrund des zufälligen „Random Walk“-Mechanismus nur ein oder zwei Basen zurückwandern. Diese Distanz liegt unterhalb des Auflösungsvermögens eines typischen experimentellen Aufbaus, und solche Pausen ließen sich somit nicht eindeutig als Rückwärtsbewegung und damit auch nicht als Backtracking charakterisieren. Aus theoretischen Argumenten ergeben sich insgesamt für kurze und für lange Backtrack-Pausen qualitativ unterschiedliche mittlere Trajektorien (Abb. 5). In kurzen Pausen bewegt sich die Polymerase nur wenige Basen von ihrem Ausgangsort weg, während lange Pausen drei Phasen der Bewegung aufweisen: In Phase I muss die Polymerase schnell mehrere Schritte rückwärts zurücklegen, weg von ihrer Ausgangsposition. Tut sie dies nicht, besteht die Gefahr, dass sie schnell wieder zur Ausgangsposition zurückkehrt, die Pause wäre somit eine kurze und keine lange Pause. In Phase II bleibt sie auf Distanz, während sie in Phase III wieder genauso schnell zur Ausgangsposition zurückkehrt. In Einzelmolekül-Experimenten lässt sich Phase III nur schwerlich von der normalen Fortbewegung nach erneutem Beginn des Kopierprozesses unterscheiden. Phasen I und II wurden jedoch experimentell beobachtet, und insbesondere Phase I bislang einem noch unbekannten aktiven Prozess zugeordnet. Ein „Random Walk“-Pausenmechanismus erzeugt diese Phasen der Bewegung in direkter Konsequenz und wird den experimentellen Beobachtungen gerecht, ohne ein bislang unentdecktes aktives Verhalten zu Grunde legen zu müssen.

Mechanismus der Transkription

Der diskontinuierliche Kopiervorgang von DNA zu mRNA erscheint aufgrund dieser Erkenntnisse in neuem Licht. Ein „Random Walk“-Prozess mit einem absorbierenden Zustand, der zum aktiven Kopierprozess zurückführt, kann Pausen von sehr verschiedener Dauer erzeugen. Im einfachsten Modell existiert keine mittlere Pausenlänge. Somit hängt die generelle Transkriptionsrate sehr stark von diesem Fehlerkorrektur- und Pausenverhalten ab, und es ergibt sich an dieser Stelle ein breiter Spielraum für die Regulation der Proteinsynthese. Weiterhin ist eine bisher beschriebene, scheinbar besondere Klasse von Pausen mittlerer Länge (2 s bis 5 s) auch durch Backtracking zu erklären, was den gesamten Reaktionsmechanismus enorm vereinfacht. Ausblickend ist zu bemerken, dass die hier diskutierten experimentellen und theoretischen Ansätze einen ersten Schritt bezüglich weiterer Studien der genauen Arbeitsweise von RNAP II darstellen, insbesondere hinsichtlich der Sequenzabhängigkeiten und der detaillierten mechanochemischen Funktion verschiedener Transkriptionsfaktoren.

Originalveröffentlichungen

E. A. Galburt, S. W. Grill, A. Wiedmann, L. Lubkowska, J. Choy, E. Nogales, M. Kashlev, C. Bustamante:
Backtracking determines the force sensitivity of RNAP II in a factor-dependent manner.
Nature 446, 820-823 (2007).
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