Pirouetten im Chaos der Turbulenz

Erkenntnisse, wie Wirbel sich in einer turbulenten Strömung verhalten, könnten die Simulation von Wolken in Klimamodellen erleichtern

6. Juni 2011

Das schnelle Vermischen von Kaffee und Milch nach dem Umrühren oder die Bildung von Regentropfen in Wolken: das sind nur zwei von vielen Phänomenen, in denen Turbulenzen eine tragende Rolle spielen. Nun haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und der Ecole Normale Superieure de Lyon gefunden, dass die chaotisch erscheinenden Turbulenzen erstaunlich viel Ordnung enthalten. Eine wesentliche Zutat von Turbulenzen sind demnach Wirbel, die sich ähnlich verhalten wie ein Eisläufer bei einer Pirouette, wenn er die Arme anwinkelt und dadurch seine Rotationsgeschwindigkeit erhöht. Diesen Pirouetten-Effekt beobachteten die Forscher an verschieden großen Wirbeln einer turbulenten Flüssigkeit. Sie lösten damit ein Rätsel auf, das Turbulenzforscher seit Jahrzehnten beschäftigt. Nämlich die Frage, wie Energie von großen zu immer kleineren Wirbeln fließt und sich schließlich in den kleinsten Wirbeln in Wärme umwandelt.

Die Simulation von Turbulenzen wird jetzt leichter

Einen entsprechenden Effekt beobachteten Bodenschatz und sein Team im turbulenten Wasser. Die Strömung streckte den Tetraeder, er wurde schlanker. Zusätzlich richtete sich die Drehachse des Tetraeders parallel zur ursprünglichen Streckrichtung der Strömung aus. Im Endeffekt erhöhte sich die Drehgeschwindigkeit des gestreckten Tetraeders. „Dabei bleibt der Drehimpuls erhalten“, sagt Bodenschatz. Somit entspricht die beobachtete Dynamik der eines Pirouetten drehenden Eiskunstläufers. Bodenschatz und seine Kollegen sprechen daher vom „Pirouetten-Effekt“.

Dass der Drehimpuls des Wirbels mitten in einer turbulenten Flüssigkeit erhalten bleibt, überraschte die Physiker. „Wir verstehen noch nicht, warum das so ist“, sagt Bodenschatz. Eigentlich sollten die Wirbel im Chaos einer turbulenten Strömung Drehmomente erfahren, die ihren Drehimpuls ändern. Der Pirouetten-Effekt zeige, dass innerhalb des Durcheinanders der Turbulenz „eine ziemlich große Ordnung“ herrsche, sagt der Physiker.

Diese Ordnung im Durcheinander zeigt sich auf mehreren Größenskalen. Die Göttinger Physiker untersuchten mit der geschilderten Methode Wirbel von einigen Millimetern bis zu mehreren Zentimetern Durchmesser. „Alle zeigten den Pirouetten-Effekt“, sagt Bodenschatz. „Unser Ergebnis spricht für das Modell der Energiekaskade“, sagt der Physiker. Seit den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts vermuten Forscher, dass die Wirbeldynamik die Energiekaskade stark beeinflusst. Demnach verlängern sich die Wirbel in der Strömung, drehen sich schneller um ihre Längsachse, werden dadurch instabil und zerfallen schließlich in kleinere Wirbel, die das gleiche wieder durchmachen, bis die Kaskade bei ganz kleinen Wirbeln ankommt.

In den letzten rund 30 Jahren schien diese Vorstellung aber durch Berechnungen widerlegt, nach denen die Drehachse sich zu keinem Zeitpunkt entlang der stärksten Streckrichtung der Strömung ausrichtet, sondern senkrecht dazu verharrt. „Diese Rechnungen betrachteten aber immer nur Momentaufnahmen des Strömungsfelds“, sagt Bodenschatz. Sie stellen also sozusagen Blitzlichtaufnahmen dar. „Wir hingegen haben erstmals Wirbel beobachtet wie sie mit der Flüssigkeit mitschwimmen“, so der Physiker. Nur so könne die zeitliche Entwicklung eines Wirbels mitverfolgt werden. Aus der Perspektive eines im Strom schwimmenden Teilchens wurde der früher nur vermutete Pirouetten-Effekt nun bestätigt.

Bodenschatz sieht in dem Ergebnis einen Schritt hin zur Lösung eines wichtigen Problems bei der Simulation von Turbulenz im Rechner. „Man kann schon viele Aspekte von Turbulenz simulieren, aber noch nicht, wie die verschiedenen Größenskalen miteinander wechselwirken.“ Dies könne sich durch ein besseres Verständnis der Dynamik von Wirbeln unterschiedlicher Größe ändern.

CM

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