Alterskriminalität: Trau keinem über 50

Max-Planck-Forscher untersuchen kriminelles Verhalten von Senioren

11. Mai 2011

Trau Keinem über 50 - die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der kriminologischen Abteilung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg rücken den alten Sponti-Spruch in ein ganz neues Licht. Senioren sitzen alkoholisiert hinterm Steuer, begehen Vermögens- oder Betrugsdelikte, mogeln bei der Steuererklärung oder betrügen ihre Versicherung, fahren schwarz und stehlen. "Kriminelles Verhalten ist auch unter älteren Menschen keine Seltenheit", fasst die Soziologin Franziska Kunz das Ergebnis ihrer Studie zusammen, bei der sie 2000 Frauen und Männer zwischen 49 und 81 Jahren aus der Region Südbaden anonym nach ihren Straftaten per Post befragte.

Für ihre Feldstudie hatte die Soziologin einen Fragebogen ausgearbeitet, der 14 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten vorwiegend aus dem Bereich der Massendelikte umfasste. Darunter Schwarzfahren, Betrug, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Raub und Erpressung. Anhand dieser Daten konnte sie die Verteilungsmuster bestimmter Straftaten mit Blick auf Alter und Geschlecht ermitteln.

Insgesamt zeigte die Studie, dass ältere Menschen vorwiegend Betrugs- und Vermögensdelikte begehen. "Außerdem sind die Delinquenten häufig finanziell abgesicherte und sozial gut integrierte Personen“, fügt die Soziologin hinzu. Entgegen der landläufigen Vorstellung von Alterskriminalität spielt Ladendiebstahl dagegen keine zentrale Rolle: mit 2,7 Prozent der Befragten liegt diese Straftat nur auf Rang acht. Den ersten Platz in der Rangfolge der Straftaten nimmt Trunkenheit am Steuer ein. "Nahezu jeder Vierte kreuzte an, seit seinem 50. Geburtstag mindestens einmal betrunken Auto gefahren zu sein", so Kunz. "Jeder zehnte Befragte teilte mit, dies bereits fünfmal oder häufiger getan zu haben." Dabei gaben etwa 40 Prozent der Männer mindestens eine Promillefahrt in ihrer zweiten Lebenshälfte zu, bei den Frauen waren es dagegen gerade einmal rund zehn Prozent. "Offenbar handelt es sich hier um ein männliches Phänomen", folgert sie. "Zur Ehrenrettung der Männer ist allerdings zu berücksichtigen, dass dies zum Teil auch daran liegen dürfte, dass in der untersuchten Kohorte im Vergleich zu heute deutlich weniger Frauen überhaupt im Besitz einer Fahrerlaubnis sind."

Zwar präsentieren sich die Männer auch bei fast allen übrigen im Fragebogen gelisteten Straftaten in der Überzahl. „Was die Gesamtkriminalität betrifft, ist das Mann-Frau-Verhältnis mit 60:40 jedoch deutlich ausgeglichener als dies von jüngeren Personen bekannt ist. Dort beträgt der Proporz etwa 80 Prozent Männer zu 20 Prozent Frauen.“ erklärt Kunz. "Lediglich die vier Delikte Sachbeschädigung, Ladendiebstahl, anderer Diebstahl und Sozialbetrug stellen Abweichungen von dieser Regel dar", so die Forscherin. "Hier sind beide Geschlechter entweder gleich stark vertreten oder Frauen sogar geringfügig höher."

Auch beim Vergleich der Altersstufen entdeckte die Forscherin interessante Verhaltensunterschiede. "Vor allem die jüngeren Teilnehmer der Studie neigten viel stärker zu Gesetzesübertritten als die älteren", stellt sie fest. "Dies deutet auf einen Generationenwandel hinsichtlich der Moralvorstellungen hin." Ob das zutrifft und ob sich Moralvorstellungen im Laufe eines Lebens wandeln, untersucht sie gerade in einer Folgestudie. Beide Arbeiten sind Teile eines Forschungsprojekts, mit dem sich die Freiburger Kriminologen an der MaxNetAging Research School beteiligen. Dieses Graduiertenkolleg widmet sich seit Oktober 2007 unterschiedlichen Aspekten der Alternsforschung.

Mit ihren Ergebnissen bringt die Freiburger Soziologin eine neue Perspektive in die Kriminalitätsforschung, denn über Seniorenkriminalität ist noch wenig bekannt. "Bislang konzentrierten sich die gängigen Studien eher auf Formen der Jugendkriminalität", sagt Franziska Kunz. Doch aufgrund der demografischen Entwicklung sei damit zu rechnen, dass auch das Kriminalitätsaufkommen in Deutschland zunehmend vom Verhalten älterer Menschen geprägt werde. Zumindest für den Raum Südbaden konnte sie jetzt Erkenntnisse aus der Dunkelfeldstudie bieten. Ob diese für alle Bundesländer repräsentativ sind, müssten allerdings weitere Studien klären. Dass ausgerechnet Trunkenheitsfahrten das häufigste Delikt unter den Seniorenstraftaten in Südbaden darstellen, könnte nach Meinung der Soziologin beispielsweise durchaus eine regionale Besonderheit sein. "Schließlich ist das hier ein Weinbaugebiet".

BF/HR

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