Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Quantenoptik

Elektronen, Film ab

Autoren
Kling, Matthias; Uphues, Thorsten
Abteilungen

Attosecond Imaging (Dr. Matthias Kling)
MPI für Quantenoptik, Garching

Zusammenfassung
In Atomen und Molekülen bewegen sich die Kerne typischerweise auf einer Femtosekunden-Zeitskala (1 fs = 10-15 s), während die Bewegungen der Elektronen erheblich schneller sein können und auf Zeitskalen bis hinunter in den Attosekundenbereich (1 as = 10-18 s) stattfinden. Neu entwickelte Aufnahmetechniken erlauben es, die Bewegungen der Elektronen auf dieser Zeitskala zu „filmen“ und damit tiefere Einblicke in die ultraschnelle Dynamik von Elektronen in Atomen, Molekülen und Nanostrukturen zu gewinnen.

Einleitung

Um sehr schnelle Vorgänge in der Natur zu beobachten, benötigt man Kameras mit Belichtungszeiten, die kürzer sind als die Zeitskala dieser Vorgänge. Während für ein scharfes Foto einer fliegenden Gewehrkugel noch Belichtungszeiten im Bereich einiger Mikrosekunden ausreichen, sind für die Beobachtung der Bewegungen von Atomkernen in Molekülen bereits Belichtungszeiten im Femtosekundenbereich (1 fs = 10-15 s) erforderlich. Für seine wegweisenden Arbeiten auf diesem Gebiet erhielt Prof. Ahmed Zewail 1999 den Nobelpreis für Chemie.

Die Nachwuchsgruppe Attosecond Imaging, die zur Abteilung von Prof. Ferenc Krausz am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching gehört, entwickelt Kameras, um Elektronen zu „filmen“, die sich aufgrund ihrer deutlich geringeren Masse noch um viele Größenordnungen schneller bewegen als die relativ schweren Atomkerne. Hierfür sind Belichtungszeiten der Kameras im Attosekundenbereich (1 as = 0,000 000 000 000 000 001 s) nötig. Eine Attosekunde ist eine beinahe unvorstellbar kurze Zeiteinheit, wie ein einfacher Vergleich zeigt: So verhält sich eine Attosekunde zu einer Sekunde in etwa wie eine Sekunde zu dem Alter des Universums. Attosekunden-Laserblitze wurden erstmals im Jahr 2001 kontrolliert im Labor erzeugt und nachgewiesen [1]. Seither wurde die Dauer dieser Lichtblitze stetig verkürzt und hat 2008 mit 80 as einen neuen Rekord erreicht [2].

Neben der Beobachtung ist auch die Steuerung dieser sehr schnellen Elektronendynamik ein wichtiger Schwerpunkt der Attosekundenphysik [3]. Sie lässt sich mit Laserpulsen erreichen, die nur wenige Schwingungszyklen enthalten und eine wohldefinierte Wellenform des elektrischen Feldes E(t) = a(t)∙cos(ωt + φ), mit der Amplitude a(t), Frequenz ω und Phase φ aufweisen. Voraussetzung für die Erzeugung solcher Laserpulse ist die Stabilisierung der Phase. Sie wurde erst mit der Frequenzkamm-Technik möglich, für die Prof. Theodor Hänsch 2005 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Die wohldefinierte Kraft, die eine solche Laserwelle auf Elektronen ausübt, hat die Erzeugung von einzelnen Attosekundenpulsen [1], die kontrollierte Emission von Elektronen aus Atomen [4], die Lokalisierung von Elektronen in Molekülen [5,6] und bedeutende Attosekunden-Spektroskopiemethoden wie die Attosekunden-Streakkamera und die Attosekunden-Tunnelspektroskopie möglich gemacht [1,7].

Filmaufzeichnungen mit Attosekundenauflösung

Die Nachwuchsgruppe Attosecond Imaging beschäftigt sich mit der Entwicklung und Anwendung von Filmkameras, die in der Lage sind, die Bewegung von Elektronen, welche durch die Wechselwirkung von Laserlicht mit einem atomaren, molekularen oder nanoskopischen System entstehen, auf der Zeitskala von Attosekunden aufzulösen. Aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation ist eine gleichzeitige scharfe Abbildung des Impulses und Ortes der Elektronen nicht möglich. Es muss daher zunächst festgelegt werden, ob die Dynamik der Elektronen mit hoher Impuls- oder Ortsauflösung gefilmt werden soll. Bei den hier geschilderten Experimenten wird die Impulsverteilung mit der Methode des „Velocity-map Imaging“ (VMI) abgebildet. Mit einem Photoelektronen-Emissions-Mikroskop (PEEM) wird dagegen eine hohe Ortsauflösung für die emittierten Elektronen erzielt. Sie ist vor allem für die Untersuchung von Elektronenprozessen in Nanostrukturen wichtig.

Die Attosekunden-Streakkamera
Die Funktionsweise einer Filmkamera für Elektronen, wie sie mit einem VMI realisiert werden kann, ist in Abbildung 1 dargestellt. Die VMI-Technik wird zwar bereits seit 1996 in einer Vielzahl von Anwendungen eingesetzt, für die Aufnahme von Attosekundenprozessen war jedoch eine Weiterentwicklung dieser Technik nötig. Das liegt daran, dass bestehende Attosekunden-Lichtquellen nur über eine begrenzte Photonenzahl (typischerweise ca. 1011 Photonen / s) verfügen und der Wechselwirkungsquerschnitt von Atomen und Molekülen im Spektralbereich dieser Pulse (XUV) relativ niedrig ist. Um dennoch ein ausreichend starkes Signal zu erzeugen, muss eine hohe Targetdichte diese Einschränkungen ausgleichen. Daher wurde in den hier beschriebenen Experimenten erstmals ein VMI mit eingebauter Gasdüse für hohe Targetdichten entwickelt und eingesetzt.

Abbildung 2a zeigt einen Schnitt durch die dreidimensionale Impulsverteilung der Elektronen entlang der pz = 0 Achse, die in einem Pump-Probe-Experiment in Neon erzeugt wurden (pz ist die Achse der Flugrichtung der Elektronen in Abb. 1). Hierbei wurden die Neon-Elektronen durch die Wechselwirkung eines 230 as XUV-Lichtpuls bei 85 eV und einem sehr kurzen (ca. 4 fs) Lichtpuls mit kontrollierter Wellenform bei 740 nm Zentralwellenlänge erzeugt [8]. Beide Laserpulse weisen eine lineare Polarisation entlang der py-Achse auf. Der äußere Ring entspricht hochenergetischen Elektronen, die mit dem XUV-Puls erzeugt werden. Die Struktur im Innern dieses Ringes ist vorwiegend durch den IR Puls erzeugt worden und auch als above-threshold ionization (ATI) bekannt. Während für Abbildung 2a die beiden Pulse nicht zeitlich überlagert sind und somit die XUV erzeugten Elektronen eine vernachlässigbare Wechselwirkung mit dem IR Feld zeigen, ändert sich die Situation, wenn die beiden Pulse zeitlich überlagern, wie es in der Attosekunden-Streakkamera realisiert ist.

Die Attosekunden-Streakkamera beruht darauf, dass die Photonen eines intensiven (1013–1014 W/cm2) Infrarot-Laserfeldes ein durch einen Attosekundenpuls erzeugtes freies Elektron [1] beschleunigen. Die Höhe der Geschwindigkeitsänderung hängt dabei von i) der Pulsdauer des Attosekundenpulses, ii) der Wellenform des IR-Laserfeldes und iii) von der Antwort des Systems ab, die spontan oder verzögert erfolgen kann [2,9]. Die Messung der Energie der Elektronen gegenüber der Verzögerungszeit zwischen dem XUV- und IR-Puls erlaubt eine Abbildung des IR Feldes, die Bestimmung der XUV-Pulsdauer und auch der Dynamik des Ionisationsprozesses. Abbildung 2b zeigt beispielhaft die Änderung der Energie der Elektronen, die in Neon durch einen 85 eV Puls erzeugt wurden, in Abhängigkeit von der gewählten Verzögerungszeit zwischen Anrege- und Abfrage-Laserpuls. In diesem Beispiel ist der XUV Puls sehr kurz (230 as) und die Antwort des Systems spontan, so dass die Welle in Abbildung 2b die Beschleunigung der IR-Lichtwelle (und damit auch die IR-Lichtwelle selbst, die durch einfache Ableitung erhalten werden kann), abbildet. Das Besondere an dieser neuartigen Streakkamera ist die Möglichkeit, den Impuls der Elektronen dreidimensional abzubilden. Die Nachwuchsgruppe setzt diese Kamera derzeit ein, um ultraschnelle Prozesse in Atomen und Molekülen räumlich sichtbar zu machen und dadurch noch tiefere Einblicke in die Physik auf der Attosekunden-Zeitskala zu bekommen.

Ein „Attosekunden nanoplasmonisches Feld-Mikroskop“ (ANFM) für die Kontrolle und Beobachtung von Elektronenbewegungen in Nanostrukturen

Das sehr junge Forschungsgebiet der Nanoplasmonik beschäftigt sich mit der kollektiven Elektronendynamik auf nanostrukturierten Metalloberflächen und metallischen Nanopartikeln. Wenn Nanopartikel mit Laserlicht angeregt werden, verschieben sich die beweglichen Leitungselektronen gemeinsam gegenüber den Kernen entsprechend der Wirkung des elektrischen Feldes. Auf diese Weise kommt es zu mit der Lichtwelle synchronisierten kohärenten Schwingungen, die quasi Teilcheneigenschaften besitzen und daher auch Oberflächenplasmonen genannt werden. Die rötliche Farbe in antiken römischen Gefäßen und alten Kirchenfenstern basiert darauf, dass ein Teil des sichtbaren Spektrums durch Anregung von Plasmonen in Goldnanopartikeln absorbiert wird, so dass das durchscheinende Restlicht in den Komplementärfarben leuchtet. Plasmonen erzeugen sehr hohe elektromagnetische Felder am Ort und in der unmittelbaren Umgebung der Nanoteilchen. Wie sich diese Plasmonenfelder auf- und wieder abbauen, ist noch nicht im Detail verstanden. Die schnellste Dynamik dieser kollektiven Bewegungen spielt sich aufgrund der großen spektralen Bandbreite von Plasmonen innerhalb von einigen hundert Attosekunden ab und gehört damit zu den kürzesten in der Natur zu beobachtenden Prozessen.

In Zusammenarbeit mit den Professoren Mark Stockman (GSU Atlanta, Georgia, USA), Ulf Kleineberg (LMU München) und Ferenc Krausz (MPQ/LMU München) hat die Nachwuchsgruppe Attosecond Imaging ein neues Mikroskop entwickelt, mit dem Filmaufnahmen der Plasmonendynamik erstmals mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung möglich werden [10]. Das auf der Attosekunden-Streakkamera-Technik basierende Prinzip des „Attosekunden nanoplasmonischen Feld-Mikroskops“ (ANFM) ist in Abbildung 3 dargestellt.

Im Gegensatz zur herkömmlichen Attosekunden-Streakkamera bildet das ANFM nicht die externe Lichtwelle (wie in Abb. 2b), sondern das Plasmonenfeld ab. Ein externes optisches Feld (in Abb. 3 rot dargestellt) regt dabei die Oberflächenplasmonen an. Synchron zu diesem wellenformkontrollierten Feld wird ein Attosekunden XUV-Puls eingestrahlt, der zur Emission von Elektronen führt. Diese Elektronen werden in dem nanoplasmonischen Feld „gestreakt“, d. h. beschleunigt oder abgebremst, abhängig von der Feldrichtung und Feldstärke zum Zeitpunkt der Elektronenemission. Die kinetische Energie der Elektronen spiegelt also das momentane nanoplasmonische Feld wieder. Abbildung 3 zeigt im unteren Teil zwei Schnappschüsse eines simulierten Films der Plasmonendynamik. Obwohl sie nur 1 fs auseinanderliegen, offenbaren sie bereits dramatische Veränderungen: Bei einer externen Feldstärke von nur ca. 1010 W/cm2 kann sich die kinetische Energie um bis zu ca. 10 eV ändern. Da die Nanoplasmonen die elektrischen Felder verstärken, wird eine Erhöhung der Laserintensität um ca. 2–3 Größenordnungen erwartet. Der Ort der Elektronen kann mit einer räumlichen Auflösung von ca. 20 nm mit einem Photoelektronen-Emissions-Mikroskop (PEEM) bestimmt werden. Die zeitliche Auflösung hängt von der Pulsdauer der Attosekunden XUV-Pulse und der Zeitdauer, die ein Elektron im nanoplasmonischen Feld verbringt (also der Geschwindigkeit des Elektrons) ab. Mit derzeitiger Attosekundentechnik sind dabei Zeitauflösungen im Bereich von 100 as möglich. Die Nachwuchsgruppe Attosecond Imaging bereitet zur Zeit erste Experimente vor, die diese – bislang nur theoretisch berechnete – Plasmonendynamik an nanostrukturierten Oberflächen sichtbar machen sollen.

Das ANFM wird es ermöglichen, ultraschnelle Photoprozesse in plasmonischen Nanosystemen direkt zu beobachten und zu steuern. Das Mikroskop kann außerdem für die Beobachtung plasmonenverstärkter Photoprozesse in der Femtochemie, bei denen Energie ultraschnell übertragen wird sowie in der Forschung zur effizienten Nutzung solarer Energie eingesetzt werden. Eines der wichtigsten Anwendungsgebiete jedoch ist das Design und die Erforschung ultraschneller und ultrakompakter (auf einer Nanometer-Skala) optischer und optoelektronischer Bauteile zur Informationsübertragung, -verarbeitung und -speicherung. Beispiele solcher Bauteile sind optische Nanotransistoren und nanoplasmonische Medien zur Speicherung von Informationen. Der Vorteil läge darin, dass Plasmonen in diesen Nanosystemen Informationsverarbeitung und -übertragung mit sehr viel größeren Frequenzen (ca. 100.000 fach) erlauben könnten als Elektronen in Festkörpern. Auf diese Weise ließen sich vielleicht zukünftig extrem schnelle optoelektronische und optische Systeme für die Informationsverarbeitung realisieren.

Originalveröffentlichungen

F. Krausz, M. Ivanov:
Attosecond physics.
Review of Modern Physics 81, 163- 234 (2009).
E. Goulielmakis et al.:
Single-Cycle Nonlinear Optics.
Science 320, 1614-1617 (2008).
M.F. Kling, M.J.J. Vrakking:
Attosecond Electron Dynamics.
Annual Review of Physical Chemistry 59, 463-492 (2008).
F. Lindner et al.:
Attosecond Double-Slit Experiment.
Physical Review Letters 95, 040401 (2005).
M.F. Kling et al.:
Control of Electron Localization in Molecular Dissociation.
Science 312, 246-248 (2006).
M.F. Kling et al.:
Strong-field control of electron localization during molecular dissociation.
Moecular Physics 106, 455-465 (2008).
T. Uphues et al.:
Ion-charge-state chronoscopy of cascaded atomic Auger decay.
New Journal of Physics 10, 025009 (2008).
M.F. Kling et al.:
Imaging of carrier-envelope phase effects in above-threshold ionization with intense few-cycle laser fields.
New Journal of Physics 10, 025024 (2008).
M. Drescher et al.:
Time-resolved Atomic Inner-shell Spectroscopy.
Nature 419, 803-814 (2002).
M.I. Stockman, M.F. Kling, U. Kleineberg, F. Krausz:
Attosecond nanoplasmonic-field microscope.
Nature Photonics 1, 539-544 (2007).
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