Forschungsbericht 2006 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Die Bewertung geistigen Eigentums mit besonderer Schwerpunktsetzung auf Marken

Autoren
Riemann, Eva
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Es gibt viele Anlässe zur Bewertung geistigen Eigentums. Darüber, wie eine solche Wertfindung durchgeführt werden sollte, gehen die Meinungen stark auseinander. Ein Projekt am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht setzt sich zum Ziel, Grundprobleme der Bewertung geistiger Eigentumsrechte aufzuzeigen, Modelle zur Bewertung solcher Schutzrechte auf ihre Tauglichkeit hin zu prüfen und alternative Bewertungsansätze zu entwickeln.

Wirtschaftliche Relevanz der Bewertung geistiger Eigentumsrechte

In der unternehmerischen Praxis gibt es viele Anlässe zur Bewertung geistigen Eigentums, vor allem von Patenten und Marken. Hierbei gilt es zu erkennen, dass geistiges Eigentum nicht nur rechtliche Dimensionen aufweist, sondern auch als Vermögensgegenstand behandelt, gemanagt und verwertet werden kann und sollte. Zum Beispiel müssen Manager heute mehr denn je in einem immer härter werdenden globalen Wettbewerb ihre weit reichenden finanziellen und strategischen Entscheidungen, zum Beispiel über Genehmigung von F&E-Budgets oder Joint Ventures, mit größter Sorgfalt planen und rechtfertigen können. Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass dabei die Bewertung des bisher oft vernachlässigten immateriellen Kapitals, vor allem der gewerblichen Schutzrechte, eine tragende Rolle spielt. Außerdem bewirken aktuelle Änderungen im Bilanzrecht (zum Beispiel IFRS/IAS 38), dass in vielen Fällen akquirierte geistige Eigentumsrechte in die Bilanz aufgenommen werden müssen, was zwingend eine Bewertung erfordert. Viele andere Aktivitäten, wie etwa die Verwertung dieser Schutzrechte im Wege der Lizenzierung, sind ohne Wertfindung nicht adäquat durchzuführen.

Die Bewertung geistigen Eigentums ist jedoch aufgrund ihrer interdisziplinären Natur schwierig. Nicht ohne Grund existiert eine fast unüberschaubare Vielzahl unterschiedlicher Bewertungsmethoden.

Grundfragen der Bewertung geistigen Eigentums

Eine Fülle an Literatur zum Thema der Bewertung geistigen Eigentums erschwert sowohl den Einstieg in die Materie als auch eine systematische intensive Auseinandersetzung mit ihr. Oft wird zu früh auf besondere Probleme der Bewertung einzelner Schutzrechte eingegangen. Der erste logische Schritt sollte jedoch die Erörterung und das Verständnis grundlegender Fragen sein, die sich bei der Bewertung aller Schutzrechte und sonstiger Vermögensgegenstände stellen.

Entscheidend ist zu erkennen, dass es in der Regel einen ‚einzig richtigen‘ auf Euro und Cent zu berechnenden Wert nicht geben kann. Jede zukunftsbezogene Bewertung ist per definitionem eine Schätzung, unabhängig davon, ob man ein Auto oder ein Patent zu bewerten hat. Es kommt vor allem darauf an, wie man Informationsasymmetrien und andere bewertungsbezogene Risikofaktoren minimieren kann.

Des Weiteren gibt es wertbildende Faktoren, die für alle gewerblichen Schutzrechte von Bedeutung sind. Grundsätzlich gilt, dass Gegenstände mit zunehmender Knappheit wertvoller werden. Kreative Ideen und Erfindungen sind jedoch an sich frei verfügbar und kopierbar. Abgesehen von Geheimhaltung ermöglicht erst ihr rechtlicher Schutz den Inhabern, die Verbreitung dieser Güter beziehungsweise deren Ausdruck in dinglicher Form zu kontrollieren und diese damit knapp zu halten. Deshalb ist der rechtliche Schutz eine Grundvoraussetzung der Wertbildung geistigen Eigentums.

Darüber hinaus hängt der Wert eines Vermögensgegenstandes immer von der Art der Verfügungsbefugnis über ihn und seinem Nutzen ab. Für einen Lizenznehmer einer nichtexklusiven Markenlizenz wird zum Beispiel der Wert einer Marke geringer sein als für den Inhaber, da er lediglich begrenzte Befugnisse hat, die Marke zu verwerten. Zudem mag eine bestimmte Marke oder ein bestimmtes Patent das Portfolio eines Unternehmens ergänzen und zu seiner Kernkompetenz gehören, für ein anderes Unternehmen aber nur von untergeordneter Bedeutung sein. Im Allgemeinen bestimmen demnach die Faktoren Knappheit, Nutzen und Verfügungsbefugnis den Wert eines gewerblichen Schutzrechts.

Markenbewertung – aktueller Stand

Allein zum Zweck der Bewertung von Marken existieren momentan mehr als dreihundert verschiedene Methoden weltweit. Da nach wie vor Uneinigkeit bezüglich der Qualität dieser Ansätze herrscht, konnte sich bisher keine Methodik durchsetzen.

Die Bewertungsmodelle können zu Analyse- und Vergleichszwecken in drei Gruppen eingeteilt werden: finanzielle, kundenpsychologische und hybride (die ersten beiden Gruppen kombinierende) Verfahren. In jeder Gruppe existieren generische, also allgemein zugängliche, und proprietäre Verfahren. Trotz steigender Bekanntheit firmenintern entwickelter Ansätze wenden deutsche Unternehmen vorwiegend erstere an. Rein finanzielle und psychologisch orientierte Verfahren werden laut aktueller Studien am meisten genutzt, wobei nur circa vierzig Prozent aller Unternehmen mit Marken diese überhaupt bewerten oder mindestens einmal bewertet haben.

Sämtliche Markenbewertungsmethoden haben spezifische Vor- und Nachteile. Finanzielle Verfahren ermitteln den Markenwert in der Regel über markenspezifische Erträge, Marktvergleiche mit anderen Marken oder Kosten der Entwicklung und Übernahme von Marken (Ertragswert-, Marktwert- und Kostenansatz). Beim Kostenansatz ist allein schon die Tatsache problematisch, dass ein zukunftsbezogener Markenwert auf Basis historischer Daten ermittelt werden soll. Marktvergleiche scheitern in der Regel bereits an der Tatsache, dass es keine transparenten Märkte für Marken gibt. Der Ertragswertansatz liefert einen recht brauchbaren Ansatzpunkt für die Wertfindung, da er mit wichtigen Wertindikatoren, den Erträgen, arbeitet. Doch bestehen nicht nur Probleme bei deren Schätzung; es wird auch eine Vielzahl anderer wertbildender Faktoren, zum Beispiel die Markenstärke aus Konsumentensicht, außer Acht gelassen.

Hier setzen die kundenpsychologischen Verfahren an. Sie bilden im Allgemeinen die aus der Sicht der Markenzielgruppen wertbildenden Faktoren ab. Allerdings führen sie zu keiner finanziellen Ausgabegröße und sind daher für die meisten Bewertungsanlässe unbrauchbar.

Um diese Probleme zu überwinden, verbinden hybride Verfahren finanzielle Methoden (in der Regel ertragswertbasierte Verfahren) mit kundenpsychologischen Faktoren. Vorteilhaft an diesen Verfahren ist, dass sie aufgrund der Errechnung von finanziellen Markenwerten in Kombination mit Berücksichtigung qualitativer Einflussgrößen in fast allen Bewertungsszenarien angewendet werden können. Andererseits werden oft nicht alle relevanten wertbildenden Faktoren berücksichtigt. Außerdem sind diese Methoden meist nicht flexibel genug, um der unterschiedlichen Bedeutung der einzelnen Faktoren Rechnung zu tragen.

Ein systematischer ganzheitlicher Bewertungsansatz

Ausgangspunkt ist der Dreiklang von Knappheit, Nutzen und Verfügungsbefugnis. Das Ziel ist, eine Methodik zur Bewertung von gewerblichen Schutzrechten zu entwickeln, die auf systematische, zukunftsbezogene und flexible Art und Weise einen kontextbezogenen monetären Wert ermittelt. Am Beispiel der Markenbewertung wird dies im Einzelnen dargestellt. Hierbei sind, aufbauend auf dem Ertragswertverfahren, nicht nur finanzielle, sondern unter anderem auch rechtliche Faktoren, die auf den Markenwert Einfluss haben, zu berücksichtigen. Dazu gehören Fragen der Unterscheidungskraft der jeweiligen Marke, der Verwechslungsgefahr und des Status eventueller vertraglicher Beschränkungen, zum Beispiel von Lizenzen.

So entsteht eine umfassende, flexible und nachvollziehbare Bewertungsmethodik, die für alle zukunftsbezogenen Markenbewertungsanlässe, vor allem für das Markenmanagement und alle Markentransaktionen Anwendung finden kann. Mit entsprechenden Anpassungen im Detail ist sie auch für alle anderen geistigen Eigentumsrechte verwendbar, da sie auf Faktoren beruht, die für die Wertbildung all dieser Rechte gleichermaßen gelten. Dieser Bewertungsansatz unterstützt nicht nur die Ermittlung realistischer Werte, sondern erlaubt auch Unternehmen, ihre verschiedenen geistigen Eigentumsrechte als Vermögensgegenstände bestmöglich zu vergleichen und zu verwerten.

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