Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Physik

Das ATLAS Experiment

The ATLAS experiment

Autoren
Andricek, L., Bangert, A., Barillari, T., Benekos, N., Beimforde, M., Bethke, S., Dedes, G., Dubbert, J., Ehrich, Th., Ghodbane, N., Giovannini, P., Göttfert, T., Groh, M., Härtel, R., Horvat, S., Jantsch. A., Kaiser, St., Kiryunin, A., Kluth, S.,; Kortner, O., Kotov, S., Kroha, H., Legger, F., Löben, J.v., Macchilo, A. Moordieck-Möck, S., Moser, H.-G., Menke, S., Nisius, R., Oberlack, H., D'Orazio, A., Patarai, S., Pospelov, G., Potrap, I., Rauter, E., Rebuzzi, D., Richter, R., Richter, R.H.,; Salihagic, D., Schacht, P., Schieck, J., von der Schmitt, H., Stonjek, S., Valderanis, Ch., Yuan, J. Zhuang, X., Zhuravlov, V.
Abteilungen
Zusammenfassung
ATLAS ist einer von zwei Detektoren am Large Hadron Collider (LHC) in CERN/Genf zur Untersuchung von Proton-Proton-Kollisionen. Der ATLAS Detektor erschließt das gesamte Entdeckungspotential bei der Schwerpunktsenergie von 14 TeV und steht kurz vor der Fertigstellung. Er ist weltweit der größte je gebaute Detektor für Experimente in der Elementarteilchenphysik. Neben der hohen Energie von 7 TeV pro Proton ist die Luminosität der zweite wichtige Faktor, um seltene Prozesse untersuchen zu können. Entsprechend anspruchsvoll sind die Anforderungen an den Detektor. Der Ursprung der Teilchenmassen, und damit die Suche nach dem Higgs-Boson, ist eine der wichtigsten offenen Fragen der Physik der Elementarteilchen. Eine potentielle Erweiterung des Standardmodells ist die sog. Supersymmetrie, einer neuen Symmetrie zwischen Fermionen mit halbzahligem Spin und Bosonen mit ganzzahligem Spin. Das Institut ist maßgeblich an der Entwicklung und dem Bau wesentlicher Detektorkomponenten sowie der Vorbereitung der Analysen beteiligt. Der Beginn der Datennahme ist für 2008 vorgesehen.
Summary
Atlas is one of two general-purpose detectors designed to exploit the full discovery potential of proton-proton collisions at 14 TeV center-of-mass energy of the Large Hadron Collider at CERN/Geneva. High luminosity as well as high energy are the outstanding requirements to study rare processes. In consequence, the detector has to cope with rather difficult design goals. The origin of mass in the standard model, and thus the search for the Higgs boson, is the most prominent issue in particle physics. A major focus is also the super-symmetric extension of the standard model, manifested in a symmetry between fermions and bosons. The institute is involved in the design, construction and integration of major parts of the detector. With the start of data-taking foreseen for 2008, the preparation of the analysis program is an important focus in the ongoing activities of the institute.

Einleitung

In der Elementarteilchenphysik ist der Vorstoß zu höheren Energien ein wichtiger Schlüssel zur Erweiterung unserer Kenntnisse über die fundamentalen Teilchen und deren Wechselwirkungen. Hier ist der neue Proton-Proton-Speicherring LHC (Large Hadron-Collider) am europäischen Teilchenphysikzentrum CERN/Genf ein weiterer Meilenstein auf dem Weg in unbekanntes Neuland. Neben der hohen Energie von 7 TeV pro Proton ist die Luminosität der zweite wichtige Faktor: die interessanten Wirkungsquerschnitte sind klein und eine genaue Untersuchung dieser seltenen Prozesse erfordert eine entsprechend hohe Luminosität. Das Ziel für LHC ist eine Luminosität von 1034 cm-2 s-1. Entsprechend anspruchsvoll sind die Anforderungen an den Detektor, sei es was den Trigger, die Strahlungsfestigkeit, die Signalrekonstruktion sowie die Datenübertragung anbelangt.

Die Existenz des Higgs-Teilchens, ein möglicher Schlüssel zum Verständnis der Massen der Elementarteilchen, ist eine der grundlegenden Fragen. Das Entdeckungspotential in einem möglichst großen Massenbereich ist somit ein wichtiges Element in der Detektoroptimierung. Dies gilt auch für neue schwere W- bzw. Z-Bosonen, den Nachweis von Supersymmetrie oder die top-Quark Produktion. Der Nachweis und die Messung von Photonen, Leptonen und Jets in einem möglichst großen Akzeptanzbereich sind die dominierenden Punkte der Optimierung des Detektorkonzepts.

ATLAS Detector

ATLAS (Abb. 1) ist einer von zwei Detektoren zur Untersuchung von Proton-Proton-Kollisionen die kurz vor der Fertigstellung stehen und das gesamte Entdeckungspotential bei der Schwerpunktsenergie von 14 TeV erschließen. Der Beginn der Datennahme ist für Sommer 2008 vorgesehen. Der Detektor hat einen Durchmesser von 25 m und eine Länge von 46 m. Von innen nach außen folgen Bereiche der Messung von Richtung und Impuls geladener Spuren, der Energie- und Richtungsmessung von Photonen, Elektronen und Jets im Kalorimeter und der Impulsmessung von Myonen im Myonspektrometer. Neueste, strahlungsharte Technologien mit hervorragender Orts- und Energieauflösung und extrem hoher Zuverlässigkeit sind unabdingbare Voraussetzungen für die vorgesehenen Messungen am LHC.

Die Rate der Kollisionen von Protonenbündeln von 40 MHz stellt extreme Anforderungen an den Trigger. Die primäre Triggerrate beträgt mehr als 100 kHz. Sie wird nahezu ohne Totzeitverluste in mehreren Stufen auf ein für die Datenauslese akzeptables Niveau von etwa 200 Hz reduziert.

Der zentrale Spurendetektor mit einer Länge von 6.9 m und einem Durchmesser von 2.3 m befindet sich in einem supraleitendem Solenoidmagneten von 2 Tesla Felddstärke. Die innersten drei Lagen sind ein Silizium-Pixeldetektor, gefolgt von weiteren vier zylindrischen Lagen eines Silizium-Streifendetektors. Daran schließt sich ein Übergangsstrahlungsdetektor an, bestehend aus 70 Lagen von Driftrohren. Insgesamt wird damit eine Impulsauflösung von etwa 10 % bei 100 GeV/c erreicht.

Das elektromagnetische Kalorimeter basiert auf Flüssig-Argon-Technologie und deckt sowohl den zentralen als auch den Vorwärtsbereich (Endkappen) ab. Daran schließt sich ein hadronisches Eisen-Szintillator Kalorimeter im zentralen und äußeren Vorwärtsbereich an. Um die notwendige Strahlungshärte zu garantieren wurde bei den Endkappen wieder die Flüssig-Argon-Technologie gewählt.

Das Myonspektrometer bilden drei Lagen von Myonkammern, bestehend aus jeweils mehreren Lagen von gasgefüllten Driftrohren, angeordnet in einem mittleren Magnetfeld von 0.4 Tesla, das acht supraleitende Toroidspulen erzeugen. Die Meßgenauigkeit liegt bei 30 Mikrometer pro Myonkammer, was zu einer Impulsauflösung für Myonen von etwa 10 % bei 1 TeV/c Impuls führt.

Die Datenverarbeitung für das ATLAS Experiment erfordert wegen der enorm großen Datenmengen von mehren PB (106 GB) pro Jahr neue Methoden. Die Daten werden auf vielen weltweit verteilten Rechenzentren prozessiert, wobei die effiziente Organisation der verteilten Datenverarbeitung mit Techniken des Grid-Computing gewährleistet wird.

Das Institut ist an vier Projekten beteiligt: dem Silizium-Streifendetektor (SCT), dem hadronischen Endkappenkalorimeter (HEC), den Myonkammern (MDT) und dem Aufbau eines ATLAS (Tier-2) Rechenzentrums. Der Bau der Detektorelemente, die Kalibrierung sowie die Vorbereitung der Rekonstruktions- und Analysesoftware sind die wesentlichen Verantwortlichkeiten des Instituts.

Die Abbildung 2 zeigt den Blick auf das Ende des zylindrischen Zentralteils des sich im Aufbau befindenden ATLAS Detektors.

Silizium-Streifendetektor (SCT)

Das Institut war an Entwicklung, Bau und Test der Detektormodule des SCT-Detektors an zentraler Stelle beteiligt.

Die SCT-Module haben eine Fläche von etwa 8x16 cm2 und bestehen aus Paaren von Silizium Streifensensoren mit einseitiger Strukturierung die Rücken an Rücken auf eine Trägerstruktur geklebt werden, und damit eine zweidimensionale Ortsinformation liefern. Eine effektive Ableitung der Verlustwärme in Siliziumsensoren, insbesondere nach hoher Strahlendosis, ist sehr wichtig um die Selbstaufheizung der Module, die erst zu erhöhtem Rauschen und schlußendlich zu ihrem Ausfall führte, zu vermeiden. Hierzu wurde eine Trägerstruktur aus einem speziellen Graphit mit extrem guter Wärmeleitfähigkeit entwickelt, und eine detaillierte Simulation der thermischen Eigenschaften der Module durchgeführt.

Die 4088 SCT-Module sind etwa zur Hälfte auf Zylindern in einem zentralen Detektor positioniert. Die andere Hälfte befindet sich auf Scheiben in zwei Endkappen. Das Institut hat ungefähr 20% aller SCT-Endkappenmodule gebaut. Die hierbei erreichte Präzision in der sensitivsten Koordinate senkrecht zu den Streifen ist besser als fünf Mikrometer.

Das Hauptaugenmerk des Instituts bei der Vorbereitung der Datennahme mit dem ATLAS Spurdetektor liegt auf der Erstellung und Verfeinerung der Software zur Bestimmung der aktuellen Positionen aller Detektormodule mittels Spuren geladener Teilchen, dem spurbasierten Alignment.

Die Positionen der etwa 5800 Pixel- und SCT-Module auf den Tragestrukturen sind mit etwa 100 Mikrometer Genauigkeit bekannt. Zum Vergleich: die intrinsische Meßgenauigkeit der Pixel- und SCT-Module ist in der Größenordnung von 10 Mikrometern, und die angestrebte Genauigkeit liegt bei einigen wenigen Mikrometern. Diese Präzision läßt sich nur mit Hilfe von Teilchenspuren in ATLAS erreichen.

Im Akzeptanzbereich des Detektors trifft jedes Teilchen mindestens sieben Silizium-Detektormodule. Damit beinhaltet jede an die Teilchentrajektorie angepaßte Spur Informationen über die relativen Positionen der getroffenen Module.

Hadronisches Endkappenkalorimeter (HEC)

Das HEC deckt zusammen mit dem elektromagnetischen Kalorimeter den Vorwärtsbereich von ATLAS ab. Strukturiert in einzelne Räder sind diese Flüssig-Argon-Kalorimeter im Endkappenkryostat positioniert.

Jedes HEC-Rad hat einen Durchmesser von etwa 4 m und besteht aus 32 Einzelmodulen. Das Absorbermaterial ist Kupfer, die einzelne Plattendicke ist 25 mm bzw. 50 mm. Der Flüssig-Argon-Spalt beträgt 8.5 mm. Der hadronische Schauer wird im wesentlichen im passiven Material initiiert, die Sekundärteilchen erzeugen im flüssigen Argon positive Ionen und freie Elektronen. Die Ladungsträger driften im elektrischen Feld aufgrund der Hochspannung zu den segmentierten Elektroden. Dieses Stromsignal wird verstärkt und liefert letztendlich - nach genauer Eichung - die Energie des einfallenden Teilchens. Die Signale longitudinal benachbarter Auslesezellen werden in Vor- und Summierverstärkern addiert und als ein Auslesesignal nach außen geführt. Dabei wird zum ersten mal in der Flüssig-Argon-Kalorimetrie die entsprechende Elektronik direkt am Kalorimetermodul im flüssigen Argon betrieben. Dazu wurden integrierte Schaltkreise in GaAs Technologie entwickelt, die entsprechend strahlungshart sind und eine geringe Leistungsaufnahme zeigen. Diese Technik ermöglicht extrem schnelle Signalanstiegszeiten bei gleichzeitig geringem elektronischen Rauschen.

Das Institut war verantwortlich für die kalte Ausleseelektronik, die Verkabelung der Signalauslese, Kalibration und Hochspannung und den Bau von etwa 20% der Module. Qualitätskontrollen während der Produktion und Fertigstellung des Kalorimeters sind von herausragender Bedeutung um die einwandfreie Funktion über die gesamte LHC Betriebszeit ohne jegliche Wartung oder Reparatur zu gewährleisten. So wurde nicht nur jedes HEC-Modul einem vollen Funktionstest im flüssigen Argon unterzogen, sondern auch jeder komplette Endkappenkryostat. Schließlich wurden beide Endkappenkryostaten im ATLAS Detektor installiert (siehe Abb.2) und sind nun betriebsbereit. Zur Vorbereitung der baldigen Datennahme laufen gegenwärtig eingehende Untersuchungen mit Kalibrationssignalen. Die Ausfallrate der Auslesekanäle liegt unter 0.1 %, das Rauschverhalten der Elektronik liegt nahe am erwarteten Wert.

Gleichzeitig werden bereits Daten mit kosmischer Höhenstrahlung genommen. Obwohl die Einfallsrichtung vorwiegend parallel zu der Orientierung der Absorberplatten ist, ermöglicht eine Rekonstruktion der Myonspuren eine Vorhersage der Weglängen in den einzelnen Auslesezellen und somit eine Überprüfung der Kalibration. Die Abbildung 3 zeigt ein Ereignis mit einem Myon, das nahezu senkrecht den ATLAS Detektor durchquert. Gezeigt sind die Darstellungen ('fish eye' Darstellung, der Innendetektor ist entsprechend vergrößert gezeigt) senkrecht und parallel zur Strahlachse. Deutlich sind die Signale im äußeren Kalorimeter zu sehen, das dieses Ereignis getriggert hat. Im rückwärtigen HEC-Rad ist die Fortsetzung der Myonspur klar erkennbar, obwohl hier wegen dem schlechteren Verhältnis von Signal zu Rauschen die
einzelnen Signale z.T. unter der Schwelle für die normale Auslese liegen.

Das ATLAS Kalorimeter ist nicht-kompensierend, d.h. Elektronen und Hadronen führen zu unterschiedlichen Kalorimetersignalen. Die hadronische Kalibration des ATLAS Kalorimeters basiert auf der Wichtung der Signale gemäß der gemessenen Ladungsdichte. Damit wird eine typische Energieauflösung für Jets - basierend auf Ergebnissen von Monte Carlo Simulationen - von etwa 7% bei Energien von 150 GeV erreicht.

Myonspektrometer (Muon Drift Tubes, MDT)

Der ATLAS Detektor zeichnet sich durch sein hochauflösendes Myonspektrometer aus, das mit einem von upraleitenden Luftspulen erzeugten toroidalen Magnetfeld eine präzise unabhängige Messung der Myonimpulse erlaubt. Das Spektrometer ist dazu mit drei Lagen von Präzisionsmyondetektoren (MDT) ausgestattet. Jede MDT-Kammer besteht jeweils aus mehreren Lagen von Driftrohren, die mit einem Argon-Kohlendioxid-Gasgemisch gefüllt sind und eine Ortsmeßgenauigkeit von 80 Mikrometern liefern. Die genaue Ortsmessung beruht auf der Messung der Driftzeit der Ionisationselektronen vom Durchtrittspunkt des Myons durch ein Rohr bis zum Signaldraht. Durch Positionierung der Signaldrähte der Driftrohre während der Kammermontage mit besser als 20 Mikrometer Genauigkeit wird eine Ortsauflösung der Kammern von 30 Mikrometern erreicht.

Das Institut ist am Konzept des ATLAS-Myonspektrometers, der Entwicklung der Driftrohrkammern und der Koordinierung ihrer Fertigung maßgeblich beteiligt. Am Institut wurden insgesamt 88 großflächige MDT-Kammern für die äußerste Lage des Zentralteils des Myonspektrometers (siehe Abb. 1) hergestellt und getestet, etwa 15% der Gesamtfläche der ATLAS Myonkammern. Inzwischen wurden die Myonkammern in den ATLAS Detektor eingebaut (siehe Abb. 2) und werden dort gegenwärtig in Betrieb genommen. Nach umfangreichen Testmessungen vor Ort ergab sich eine Driftrohrausfallrate von weniger als 0.1%. Spuren von Myonen der kosmischen Höhenstrahlung im installierten Zentralteil des Myondetektors sowie im Hadronkalorimeter sind in Abbildung 4 gezeigt.

Um die hohe mechanische Präzision der Myonkammern nutzen zu können, muß die Ort-zu-Driftzeit Beziehung der Driftrohre in Abhängigkeit von variierenden Betriebsbedingungen wie Temperatur, Druck und Zählrate mit einer Genauigkeit von 20 Mikrometern kalibriert werden. Dies geschieht mit Hilfe eines vom Institut entwickelten Selbstkonsistenzverfahrens bei der Rekonstruktion der Myonspuren in einer Kammer. Darüber hinaus muß die relative Position der MDT-Kammern in der Ablenkrichtung der Myonspuren im toroidalen Magnetfeld des Myonspektrometers mit einer Genauigkeit von besser als 30 Mikrometern bekannt sein. Bewegungen der Kammern während des Betriebs des Experiments werden mit Hilfe eines optischen Meßsystems verfolgt. Zur exakten Bestimmung der Ausgangspositionen der Kammern nach der Installation werden neue Methoden entwickelt, die rekonstruierte Spuren von Myonen der Höhenstrahlung (siehe Abb. 4) sowie von den späteren Proton-Proton-Kollisionen benutzen.

Datenverarbeitung

Basierend auf der Zahl der Auslesekanäle hat das ATLAS Experiment eine Datenmenge von 1014 Bytes/s zu bewältigen (entspricht in etwa 10 Milliarden Telefonaten gleichzeitig). Nach Trigger gilt es im normalen Betrieb eine Datenmenge von etwa 300 MB/s aufzuzeichnen. Durch Rekonstruktion sowie Simulationen des Experiments werden zusätzliche Daten erzeugt, so daß pro Jahr mehrere PB Daten anfallen.

Das CERN und die vier LHC Experimente betreiben zusammen mit vielen akademischen Rechenzentren in der Worldwide LHC Computing Grid (WLCG) Kollaboration die Infrastruktur und stellen Software für die Verwaltung der Daten und die Organisation des Datenprozessierens bereit. Die Software wendet neu entwickelte Techniken des Grid Computing an. Das Institut ist zusammen mit dem Rechenzentrum Garching der MPG (RZG) Mitglied des WLCG.

Vorbereitungen zur Datenanalyse

Top Quark Produktion

Im Institut wird die Produktion von Top-Antitop-Quark-Paaren (tt-Paaren) im Detail untersucht. Das t-Quark ist das schwerste bekannte Quark, es hat in etwa die Masse eines Goldatoms. Aufgrund dieser Tatsache hat das t-Quark sehr spezielle Eigenschaften, insbesondere ist es das einzige Quark, das frei zerfällt.
Im Standardmodell erfolgt der Zerfall fast immer in ein W-Boson und ein Bottom-Quark (b-Quark). Das Antitop-Quark zerfällt in die entsprechenden Antiteilchen. Das W-Boson zerfällt dann in bekannter Weise in ein Lepton- oder Quarkpaar. Die Flugrichtung und Energie dieser Quarks manifestiert sich im ATLAS Detektor in den Eigenschaften von engen Bündeln von Hadronen, den sogenannten Jets. Somit ist die experimentelle Signatur eines t-Quarks ein Jet aus der Fragmentation des b-Quarks (b-Jet) und entweder ein Lepton-Paar oder ein Jetpaar von den leichten Quarks (q-Jets).

Die Abbildung 5 zeigt ein simuliertes tt-Paar Ereignis bei dem ein W-Boson in ein Myon und ein Neutrino, und das andere W-Boson in zwei Quarks zerfallen ist. Das Ereignis ist in zwei Projektionen dargestellt, ein Blick entlang (oben) und einer parallel (unten) der Strahlachse.

Die vier in diesem Ereignis im Kalorimeter rekonstruierten Jets sind durch die vier farbigen Quadrate außerhalb des Myonsystems gekennzeichnet. Die diesen Jets zugeordneten Spuren sind in derselben Farbe dargestellt. Die gestrichelte Linie in der oberen Darstellung gibt die Richtung der transversalen fehlenden Energie an. Diese Linie zeigt im Wesentlichen die transversale Energie und Richtung des Neutrinos aus dem W-Zerfall an. Die getroffenen Kammern des Myonsystems sind in gelb dargestellt.

Der Zerfall eines b-Quarks läßt sich an Teilchen die nicht vom Ursprungsort der tt-Paar Erzeugung herrühren, sondern von einem sekundären Zerfallspunkt starten, erkennen, die b-Quark Identifikation.

Der große Produktionswirkungsquerschnitt für tt-Paare zusammen mit der immensen Luminosität des LHC führt zu einer Ereignisrate von etwa 8 Millionen Ereignissen allein im ersten Betriebsjahr. Zum Vergleich - die Zahl aller bisher am Tevatron erzeugten tt-Paare ist einige Zehntausend.

Das Studium von t-Quarks ist aus einer Reihe von Gründen hochinteressant. Zum einen kann durch genaue Bestimmung der Eigenschaften, wie Masse oder Zerfallsraten, sowie durch Messung des tt-Paar Produktionsquerschnitts die Gültigkeit des Standardmodells der Teilchenphysik weiter überprüft werden. Desweiteren sollte das t-Quark starke Kopplungen an den bis heute unbekannten Mechanismus
der Massenerzeugung der elementaren Konstituenten der Materie haben.

Falls der Higgsmechanismus in der Natur realisiert ist, liefert die Bestimmung der Masse des t-Quarks im Rahmen des Standardmodells eine Einschränkung der möglichen Higgsmasse. Sollte in der Natur ein anderer Mechanismus zur Massenerzeugung verwirklicht sein, gibt es wegen der großen Masse des t-Quarks gute Chancen, daß das entsprechende Teilchen stark an das t-Quark koppelt. Zum Beispiel wäre eine resonante Teilchenerzeugung, die sich als Erhöhung im abfallenden invarianten Massenspektrum der tt-Paare zeigen würde, ein klarer Hinweis auf neue Physik jenseits des Standardmodells.

Die Hauptziele der Analyse im Rahmen des Standardmodells sind die Messung der Masse des t-Quarks und des tt-Paar Produktionsquerschnitts. Die Messung des Wirkungsquerschnitts ist ein stringenter Test der QCD. Die Masse des t-Quarks wurde am Tevatron mit etwa 1% Genauigkeit bestimmt. Schon hierbei liegt die Hauptunsicherheit nicht in der begrenzten Anzahl der gemessenen Ereignisse, sondern in der Genauigkeit der Bestimmung aller systematischen Unsicherheiten der Messung. Auf Grund der wesentlich
höheren Ereignisrate bei LHC, wird diese Bestimmung bei ATLAS noch viel wichtiger werden - eine große Herausforderung an das Verständnis des Detektors.

Wichtige Parameter der Messung sind die absolute Energieskala der Jets und die effiziente Möglichkeit der Unterdrückung von Untergrundereignissen durch die b-Quark-Identifikation. Auf Grund der klaren Signatur der tt-Paar Ereignisse am LHC lassen sich diese Parameter zum Teil in-situ studieren. Zum Beispiel ermöglicht die invariante Masse des Jetpaares aus dem Zerfall des W-Bosons eine effiziente Überprüfung der Energieskala.

Mit der Zuordnung der Jets zum Zerfall des W-Bosons in Ereignissen, in denen das zweite W-Boson in Leptonen zerfallen ist, ist in 4-Jet Ereignissen sichergestellt, daß die zwei verbleibenden Jets aus
b-Quarks stammen müssen. Mit diesem Wissen lassen sich die Algorithmen optimieren und die Effizienz der b-Quark-Identifizierung durch Messung sekundärer Zerfallspunkte bestimmen. Die genaue Vermessung dieser Zerfallspunkte verlangt eine gutes Verständnis des Pixeldetektors und des SCT Detektors.

Suche nach dem Higgs-Boson

Der Ursprung der Teilchenmassen ist eine der wichtigsten offenen Fragen der Physik der Elementarteilchen. Im Standardmodell der Teilchenphysik ist die Antwort auf diese Frage im Rahmen des sog. Higgs-Mechanismus zur Massenerzeugung mit der Vorhersage eines neuen Teilchens, des Higgs-Bosons, verknüpft. Der Nachweis des Higgs-Teilchens, das als einziger Baustein des Standardmodells bisher unentdeckt geblieben ist, ist eine wichtige Motivation für die LHC Experimente. Die Masse des Higgs-Bosons wird von der Theorie nicht vorhergesagt. Während die experimentelle Massenuntergrenze bei 115 GeV/c2 liegt, darf das Higgs-Teilchen aus Gründen der Konsistenz der Theorie nicht schwerer als etwa 1 TeV/c2 sein. Die Präzisionsmessungen zur elektroschwachen Wechselwirkung durch die LEP und Tevatron Experimente in den vergangenen 15 Jahren haben den wahrscheinlichsten Bereich der Higgs-Bosonmasse im Rahmen des Standardmodells auf unterhalb von etwa 180 GeV/c2 eingeschränkt.

Am LHC wird bei der anfänglich geplanten Luminosität etwa alle 10 Sekunden ein Higgs-Boson mit Masse an der unteren Grenze des erlaubten Bereichs erzeugt.

Die Herausforderung an Detektortechnologie und Datenanlyse ist die Identifizierung der Higgs-Ereignisse in einem um viele Größenordnungen höheren Untergrund bekannter Prozesse. Im Massenbereich oberhalb von 180 GeV/c^2 ist der Zerfall über zwei intermediäre Z-Bosonen der schwachen Wechselwirkung in vier Leptonen (H->ZZ->4l) am aussichtsreichsten. Bei niedrigeren Massen müssen für eine Entdeckung innerhalb der ersten Jahre des LHC Betriebs mehrere Zerfallskanäle zusammengefaßt werden.

Auf den letzteren Fall konzentrieren sich die aktuellen Studien mit Hilfe simulierter Daten von Signal- und Untergrundereignissen im ATLAS Detektor. Die untersuchten Zerfallsprozesse des Higgs-Teilchens und die jeweils erreichbare statistische Signifikanz ihrer Selektion (Zahl der Signalprozesse im Verhältnis zu ihrem statistischen Meßfehler) nach einer Meßzeit von etwa drei Jahren sind in Abbildung 6 zusammengefaßt.

Suche nach supersymmetrischen Teilchen

Die Einführung einer neuen Symmetrie, der sog. Supersymmetrie, zwischen Fermionen mit halbzahligem Spin und Bosonen mit ganzzahligem Spin ist die am meisten favorisierte Erweiterung des Standardmodells, die mit der Vorhersage neuer, supersymmetrischer Partnerteilchen zu jedem Teilchen des Standardmodells einhergeht. Sie liefert eine natürliche Erklärung für die relativ niedrige Higgs-Bosonmasse unterhalb von 1 TeV/c2. Die supersymmetrischen Partnerteilchen, könnten dann ebenfalls Massen unterhalb dieser Grenze besitzen und am LHC in hoher Rate erzeugt werden.

In den favorisierten Modellen werden supersymmetrische Teilchen paarweise erzeugt und zerfallen in mehreren Stufen schließlich in das leichteste supersymmetrische Partnerteilchen (LSP), das stabil ist und nur schwach mit Materie wechselwirkt. Damit ist das LSP der beste Kandidat für die Dunkle Materie im Universum, nach deren Ursprung seit langem gefahndet wird (siehe den weiteren Beitrag in diesem Band). Typische Signaturen für Erzeugung und Zerfall supersymmetrischer Teilchen im ATLAS Detektor sind mehrere hochenergetische Hadronjets und Leptonen aus den Kaskadenzerfällen sowie ein großer Fehlbetrag in der transversalen Energiebilanz der Prozesse.

Die Arbeiten am Institut konzentrieren sich auf die Untersuchung dieser modellunabhängigen Merkmale für Supersymmetrie sowie auf die Abschätzung der wichtigsten Untergrundbeiträge von top-Quark, W- und Z-Bosonproduktion mit Hilfe der ersten Kollisionsdaten.

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