Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Radioastronomie

Erste wissenschaftliche Ergebnisse des Atacama-Pathfinder-Experiments

Autoren
Wyrowski, Friedrich; Menten, Karl M.
Abteilungen

Millimeter- und Submillimeter-Astronomie (Prof. Dr. Karl Menten)
MPI für Radioastronomie, Bonn

Zusammenfassung
Das 12-m-Submillimeter-Teleskop des Atacama-Pathfinder-Experiments erfüllt schon im ersten Jahr wissenschaftlicher Beobachtungen alle Erwartungen an Empfindlichkeit und Abbildungsqualität, die für Untersuchungen des „kalten Universums“ nötig sind. Die neuen Forschungsergebnisse betreffen Fragen der Sternentstehung sowie der Astrochemie: Die Beobachtung molekularer Ausflüsse ermöglicht das Studium der Frühphasen der Sternentstehung, Kartierungen von Riesenmolekülwolken geben Aufschluss über die Entwicklungssequenz massereicher Sterne, und schließlich gelang die erstmalige Entdeckung eines bisher unbekannten interstellaren Moleküls.

Überblick

Mitte 2005 nahm das Teleskop des Atacama-Pathfinder-Experiments (APEX) seinen regulären, wissenschaftlichen Beobachtungsbetrieb auf. Das 12-m-Teleskop für Beobachtungen im Submillimeter-Wellenlängenbereich wurde von einer internationalen Kollaboration unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in 5100m Höhe auf der Chajnantor-Hochebene in der chilenischen Atacamawüste errichtet (Abb. 1). Die Atacamawüste ist einer der trockensten Plätze der Erde und somit ein idealer Standort für Astronomie im Submillimeter-Bereich, da der dortige extrem geringe Wasserdampfgehalt die Atmosphäre für Submillimeter-Strahlung erst durchgängig macht. APEX ermöglicht Forschung in vielen Bereichen der Astronomie, vor allem aber Studien des „kalten Universums“. Durch Beobachtung der Strahlung von Molekülen und Staub lässt sich die Entstehung von Sternen und Galaxien erforschen. Durch die hohe Genauigkeit der Spiegeloberfläche und den ausgezeichneten Standort sind viele dieser Studien nun erstmals möglich. Dieser Artikel beschreibt eine Auswahl neuer, spannender Forschungsergebnisse basierend auf APEX-Beobachtungen (Abb. 1.

Molekulare Ausflüsse

Sterne bilden sich durch den Kollaps von Molekülwolken unter Einfluss ihrer Schwerkraft. Während dieser Kontraktion führt schon ein kleiner anfänglich vorhandener Drehimpuls zur Abplattung des kollabierenden Molekülwolkenkernes bis hin zur Ausbildung einer rotierenden Akkretionsscheibe, über die im weiteren Materie zum Protostern im Inneren des Wolkenkerns dringen kann. Überraschenderweise wurde schon sehr früh im Studium der Sternentstehung mit radioastronomischen Methoden beobachtet, dass zusätzlich auch Gas wieder über die Pole mit hoher Geschwindigkeit abfließt, vermutlich durch den Einfluss von Magnetfeldern. Diese so genannten molekularen Ausflüsse werden von energiereichen Jets der Protosterne getrieben. Ihr Studium ermöglicht es, auf indirekte Weise Informationen über den auf wesentlich kleineren Skalen ablaufenden Akkretionsprozess zu gewinnen, sowie den Einfluss der Jets auf die umgebenden Molekülwolken zu studieren.

Von der Molekülwolke BHR71 geht ein eindrucksvolles Beispiel eines molekularen Ausflusses aus (Abb. 2). Dieser Ausfluss wird von einem jungen, massearmen Protostern getrieben. Mithilfe der beobachteten Spektrallinie des Kohlenmonoxids (CO) lassen sich nun die physikalischen Bedingungen innerhalb des ausfließenden Gases bestimmen, ein wichtiger Schritt zum Verständnis der ablaufenden Prozesse.

Entdeckung eines neuen molekularen Ions

Etwa 130 Moleküle wurden bisher im interstellaren Raum entdeckt, darunter auch komplexe organische Verbindungen und etwa ein Dutzend Ionen. Die meisten dieser Moleküle bestehen aus Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff, den vier häufigsten Elementen. Daneben gibt es auch in geringeren Mengen einen Anteil von Molekülen mit Silizium, Schwefel und Phosphor, sowie ein einziges eisenhaltiges Molekül. Fluor-haltige Moleküle wurden dagegen wesentlich weniger studiert, bisher nur HCl und HF. HF, vermutlich das Hauptreservoir von interstellarem Fluor, ist allerdings nur schlecht mit erdgebundenen Teleskopen zu beobachten: Es wurde vor einigen Jahren mit dem Infrared Space Observatory (ISO) aus dem Weltraum nachgewiesen. Aufgrund dieser Beobachtungen wurde dann das Verständnis interstellare Fluorchemie verbessert. Dies führte u.a. zu der Voraussage, dass das Ion CF+ das zweit-häufigste interstellare fluorhaltige Molekül sein sollte. In einer mit dem IRAM 30-m-Teleskop koordinierten Beobachtungskampagne hat APEX nun zum ersten Mal im Weltraum CF+ nachgewiesen, und zwar in einer Ultraviolett-Strahlung ausgesetzten Molekülwolkenoberfläche, nicht weit entfernt von den heißen Sternen des berühmten Orion-Nebels. Diese Beobachtungen unterstützen die Modelle der interstellaren Fluorchemie und zeigen, dass diese Moleküle zum Studium interstellarer Wolken auf neuartige Weise herangezogen werden können.

Massereiche Sternentstehung

Massereiche Sterne prägen auf vielfältige Weise das Erscheinungsbild von Galaxien: mit kräftigen Ausflüssen während ihres Entstehungsprozesses, mit ihrer Ultraviolett-Strahlung und Sternwinden, und am Ende ihres Lebens durch gewaltige Supernova-Explosionen. Trotz ihrer Bedeutung ist viel weniger bekannt über die Entstehung massereicher Sterne als über die Entstehung sonnen-ähnlicher (massearmer) Sterne.

Gebiete innerhalb von Molekülwolken, in denen Sterne hoher Masse entstehen, gehörten von Beginn an zu den Hauptstudienobjekten des APEX-Teleskops. Mit APEX lassen sich unterschiedliche Entwicklungsstadien der Geburtsstätten massereicher Sterne studieren. In Abbildung 3 werden diese exemplarisch an Beobachtungen des Molekülwolkenkomplexes G327.3-0.6 vorgestellt. Die hier gezeigte Verteilung der Emission des CO-Moleküls zeigt die großräumige Struktur des 10000 Lichtjahre entfernten Wolkenkomplexes mit einer Ausdehnung von etwa 10 Lichtjahren. Die Emission ist im nördlichen Bereich dominiert von einem schon entstandenen massereichen Sternhaufen, der dort die Wolke großräumig aufheizt. Beobachtungen des wesentlich selteneren C18O-Isotops (in Konturen) lassen die Massenstruktur der Wolke erkennen: Im Norden sieht man noch einen vom Entstehungsprozess des Sternhaufens übriggebliebenen Wolkenrest und im Süden ein weiteres Maximum in C18O-Emission, allerdings ohne prominente Emission von CO. Dies deutet darauf hin, dass die südliche Quelle noch wesentlich tiefer eingebettet ist und damit jünger. Dies wird durch die kompakte Emission von heißem Methanol (rechte Abbildung) bestätigt. Ein so genannter Hot Core ist hier für die heiße Emission komplexer Moleküle verantwortlich. Deren hohe Häufigkeit wird dadurch hervorgerufen, dass sie unter dem Einfluss eben „gezündeter“ massereicher Protosterne von Staubkornoberflächen verdampft werden, auf denen sie ausgefroren waren als die Wolke noch kalt war. Das vermutlich jüngste Entwicklungsstadium massereicher Sterne ist in Form eines massereichen Cold Core in der Strahlung des N2H+-Moleküls zu sehen: Der Wolkenkern ist noch dunkel im Infraroten und nur in Molekülen sichtbar, die bei den tiefen Temperaturen nicht auf den Stauboberflächen ausfrieren. Dieses Beispiel zeigt, wie sich mit dem APEX-Teleskop unter Auswahl geeigneter Moleküle die Entwicklungssequenz massereicher Sterne studieren lässt.

Ausblick

Mit den drei hier erläuterten, wissenschaftlichen Untersuchungen wurde nur ein kleiner Teil von insgesamt 26 Artikeln einer APEX-Sonderausgabe der astronomischen Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics beschrieben. Die wissenschaftlichen Möglichkeiten des APEX-Teleskops werden in den nächsten Monaten durch die Installation empfindlicher Bolometerkameras und eines Zwei-Wellenlängen-Multipixel-Empfängers noch gesteigert. Damit werden astronomische Großprojekte, wie zum Beispiel eine komplette Durchmusterung unserer Milchstraße im Submillimeter-Bereich ermöglicht. APEX wird damit seinem Namen als Pfadfinder gerecht: Es wird viele neue astronomische Objekte entdecken, die sich dann im nächsten Jahrzehnt in allen Einzelheiten mit ALMA studieren lassen. ALMA steht für Atacama Large (Sub)Millimeter Array und ist ein weltweites Projekt. ALMA besteht aus 50 Einzelantennen, wobei das APEX-Teleskop einer der Prototypen ist. Diese werden in der Nähe von APEX auf der Chajnantor-Hochebene aufgebaut. Durch ihr Zusammenschalten wird es möglich, ein Teleskop zu „synthetisieren“, das 50-mal empfindlicher als APEX ist und ein bis zu 1000-mal besseres Winkelauflösungsvermögen besitzt. ALMA wird unser Verständnis der Planeten-, Stern- und Galaxienentstehung revolutionieren.

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