Forschungsbericht 2006 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Europäisches Immaterialgütervertragsrecht: Förderung von Innovation und Kreativität

Autoren
Peukert, Alexander; Hilty, Reto M.
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Die mit dem Schutz geistigen Eigentums bezweckte Förderung von Innovation und Kreativität setzt nicht nur für den Schutz der Rechte, sondern auch für deren vertragliche Verwertung einen sicheren Rechtsrahmen voraus. Eindeutige gesetzliche Regelungen etwa für Lizenzverträge fehlen aber auf nationaler und internationaler Ebene. Ein Projekt am MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, erforscht rechtsvergleichend die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten. Ziel ist, eine einheitliche europäische Regelung für Verträge über Geistiges Eigentum zu entwickeln.

Bedeutung von Immaterialgüterverträgen

In einer globalen Wissensgesellschaft hängt die Konkurrenzfähigkeit einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wesentlich davon ab, in welchem Maße das vorhandene Wissen verteilt und damit neues Wissen – Innovationen – ermöglicht wird. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe spielt das geistige Eigentum an Erfindungen, Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst, an Marken und anderen immateriellen Gütern eine zentrale Rolle. Geistiges Eigentum dient in erster Linie dazu, Innovation und Kreativität zu fördern und einen sicheren Rechtsrahmen für die Nutzung geschützter Inhalte zur Verfügung zu stellen. Der europäische Gesetzgeber ist sich dieser Umstände bewusst und hat bereits für eine weitreichende Harmonisierung der nationalen Regelungen des Geistigen Eigentums in der EU gesorgt.

Geistiges Eigentum allein führt jedoch noch nicht zu einer dynamischen Wissens- und Informationsgesellschaft. Damit Wissen weiterentwickelt, verbessert und möglichst intensiv genutzt wird, müssen Verträge über diese Rechte abgeschlossen werden. Diese Verträge sind äußerst vielgestaltig und spielen in praktisch jedem Wirtschaftszweig eine bedeutende Rolle: Unternehmen erwerben Patente von Erfindern und lizenzieren Patente und technisches Know-how an Dritte. Im kulturellen Sektor beruht jede Verbreitung kreativer Produkte auf Urheberrechtsverträgen: Urheber schließen Verlagsverträge, Konsumenten Softwarelizenzverträge, Filmproduzenten Vertriebsverträge usw. Weitere für die Volkswirtschaft bedeutsame Beispiele derartiger „Immaterialgüterverträge“ über Geistiges Eigentum und Know-how sind Markenlizenz- und Franchiseverträge.

Forschungsbedarf

Schon auf nationaler Ebene sind diese Vertragstypen von der Rechtswissenschaft lange Zeit nur stiefmütterlich behandelt worden. Auch bei der weitreichenden Reform des deutschen Schuldrechts im Jahre 2002 standen Verträge wie der Warenkauf und der Werkvertrag im Vordergrund, die mit der Interessenlage bei Immaterialgüterverträgen aber kaum Gemeinsamkeiten aufweisen. Viele für den täglichen Rechtsverkehr wichtige Aspekte des Immaterialgütervertragsrechts sind ungeklärt und umstritten. Das gilt etwa für die Frage, welche vertragsrechtlichen Vorschriften auf Lizenzverträge über Geistiges Eigentum und Know-how anzuwenden sind, welche Wirkungen bestimmte Vereinbarungen haben und welche Rechtsfolgen bei Vertragsverletzungen eintreten. Daher ist bereits bei einem rein nationalen Sachverhalt eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit zu beobachten.

Diese Probleme verschärfen sich bei einem Immaterialgütervertrag, der nicht völlig auf eine nationale Rechtsordnung, insbesondere die deutsche, beschränkt ist. Internationale Berührungspunkte sind aber aufgrund der Integration des europäischen Marktes und der Globalisierung im gewerblichen Sektor jedenfalls mittlerweile der Regelfall: Häufig schließen Parteien aus verschiedenen Ländern Immaterialgüterverträge. Außerdem ist regelmäßig die Nutzung in mehreren Ländern, der gesamten EU oder gar weltweit betroffen.

Gerade bei internationalen Verträgen, die wirtschaftlich sehr bedeutend sind, müssen die Parteien im Voraus wissen, welche Regeln auf diesen Vertrag anwendbar sind. Das betrifft beispielsweise Formalitäten, die Kündigung von langfristigen Verträgen, den Interessenausgleich bei Leistungsstörungen oder die Rechtsstellung des Lizenznehmers. Vertragsparteien aus verschiedenen Ländern sind derzeit gezwungen, durch aufwendige Vertragsverhandlungen ihre unterschiedlichen Vorstellungen über Begriffe, gegenseitige Rechte und Pflichten und die Folgen von bestimmten Vereinbarungen zu überwinden. Da es weder eine internationale Regelung dieser Verträge noch ein optionales Modellgesetz gibt, wählen die Parteien ein nationales Vertragsrecht, das ihr Rechtsverhältnis regelt. Dieses gewählte Recht ist allerdings zumindest einer Vertragspartei unbekannt. Deshalb wird häufig ein „neutrales“ Recht eines Drittstaates gewählt, auf dessen Regelungen sich sogar beide Vertragspartner ohne genaue Kenntnis seines Inhalts einlassen.

Trotz dieses offensichtlichen Defizits an Rechtssicherheit für internationale Immaterialgüterverträge haben die genannten Rechtsfragen bisher nicht die Aufmerksamkeit des europäischen Gesetzgebers und der internationalen rechtswissenschaftlichen Forschung geweckt. Abgesehen von wenigen Vorschriften, die nur die allgemeine rechtliche Zulässigkeit der Übertragung und Lizenzierung von Rechten des Geistigen Eigentums anerkennen, regelt das geltende europäische Recht Immaterialgüterverträge nicht. Ebenso wenig berücksichtigen gegenwärtige Bestrebungen zur Entwicklung eines europäischen Vertragsrechts die Besonderheiten dieser Vertragstypen.

Forschungsprojekt Europäisches Immaterialgütervertragsrecht

Mit diesen grundlegenden Herausforderungen beschäftigt sich ein mittel- und langfristig angelegtes Projekt des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht zum europäischen Immaterialgütervertragsrecht.

Die erste Projektphase diente der Bestandsaufnahme der nationalen Rechtsordnungen. Denn ohne fundierte rechtsvergleichende Erarbeitung des Status quo bleiben die nationalen Unterschiede und damit die internationalen Regelungsbedürfnisse unbekannt. Auch eine ökonomische Analyse des Immaterialgütervertragsrechts setzt dessen rechtliche Erarbeitung voraus. Dazu wurden vorweg das deutsche und schweizerische Immaterialgütervertragsrecht grundlegend aufgearbeitet. Die Lücken und Defizite dieser nationalen Rechtsordnungen wurden dabei aufgedeckt. Weitere Forschungsarbeiten beschäftigten sich mit nationalen Rechtsordnungen anderer EU-Mitgliedstaaten, mit dem gutgläubigen Erwerb von Rechten des Geistigen Eigentums im europäischen, deutschen, französischen und italienischen Recht und mit der Anwendung der „Principles of European Contract Law“ – der ersten Modellregelung für ein europäisches Vertragsrecht – auf Lizenzverträge. All diese Untersuchungen belegen, dass bereits die nationale Rechtslage von großen Unsicherheiten gekennzeichnet ist. Häufig ist noch nicht einmal klar, welche gesetzlichen Vorschriften etwa bei Vertragsverletzungen anwendbar sind. In rechtsvergleichender Sicht zeigen sich außerdem erhebliche Unterschiede in der Terminologie (was bedeutet der Begriff „Lizenz“?), in der Einordnung der Verträge in das nationale Vertragsrechtssystem und in der Bedeutung bestimmter vertraglicher Regelungen für das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien und zu Dritten (Rechtsstellung des Lizenznehmers).

Allerdings können nicht alle siebenundzwanzig Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten allein von einem Institut rechtsvergleichend erforscht werden, um die Grundlage für eine internationale (Modell-)Regelung zu schaffen. Daher wurde ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern aus den Bereichen Vertragsrecht und Geistiges Eigentum aufgebaut. Auf einer ersten im Oktober 2006 veranstalteten Tagung versammelten sich Forscher aus sechzehn europäischen Ländern, um zu erörtern, wie man methodisch und konzeptionell vorgehen sollte, um ein europäisches Immaterialgütervertragsrecht zu erarbeiten. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand ein am Institut entwickelter Fragebogen, der das wichtigste „Werkzeug“ und gemeinsamer Bezugspunkt der rechtsvergleichenden Forschung im Netzwerk sein soll. Dieser Fragebogen spricht anhand kurzer Fallbeispiele und darauf bezogener Fragen die problematischen Bereiche des Immaterialgütervertragsrechts an. Alle Teilnehmer der Tagung werden ihn anhand der jeweiligen nationalen Rechtsordnung beantworten. Die Tagung zeigte, dass sowohl die Forschungsfrage als auch der rechtsvergleichende Ansatz auf außerordentliches internationales Interesse stoßen.

Im Jahr 2007 haben die Mitglieder des internationalen Forschungsnetzwerks mit der Beantwortung der Fragen aus Sicht ihrer jeweiligen nationalen Rechtsordnung begonnen. Die Ergebnisse sollen im Rahmen regelmäßiger Treffen diskutiert und dabei die wesentlichen Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten der nationalen Rechtsordnungen herausgearbeitet werden.

Das mittel- und langfristige Ziel des Projekts ist die Entwicklung und Formulierung eines einheitlichen Rechtsrahmens für Immaterialgüterverträge, der auf die Europäische Union ausgerichtet ist. Ein solcher Entwurf kann im Maximalfall die Form einer europäischen Kodifikation oder aber lediglich eines von den Parteien frei wählbaren Modellgesetzes annehmen. Die teilweise stark voneinander abweichenden Sichtweisen und Traditionen der nationalen Rechtsordnungen sind dabei genauso zu berücksichtigen wie die Vielfalt der Vertragstypen, Branchen und Interessenlagen der Vertragsparteien, die im Kontext der Verträge über Rechte des Geistigen Eigentums zu beobachten sind.

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