Forschungsbericht 2006 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Urheberrecht in der Wettbewerbsordnung

Autoren
Drexl, Josef
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Das Urheberrecht erreicht das Ziel der Kreativitätsförderung allein über die Anreize des Marktes. Daher steht es in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Wettbewerbspolitik. Ökonomen und Rechtswissenschaftler haben das Verhältnis von Urheberrecht und Wettbewerb bisher entweder nur aus Sicht eines für das Patentrecht entwickelten Konzepts des dynamischen, auf Innovationsförderung gerichteten Wettbewerbs betrachtet, oder man argumentiert allein auf der Grundlage eines statischen Wettbewerbs, der sich ausschließlich an Produktionsvolumen und Preis orientiert. Jüngste Diskussionen um die Empfehlung der Europäischen Kommission über die Wahrnehmung von Online-Musikrechten waren der Anlass, über die Entwicklung einer kreativitätsfördernden Wettbewerbspolitik nachzudenken, die sich auch für die Lösung anderer aktueller Fragestellungen des Urheberrechts eignet.

Das Urheberrecht dient der Förderung von Kreativität. Gleichzeitig bildet es das juristische Rückgrat der Kulturwirtschaft. Es steht damit in einem engen Zusammenhang mit der Marktwirtschaft. Nur über die Berücksichtigung der Marktwirkungen lässt sich ermitteln, ob die Ziele des Gesetzgebers tatsächlich erreicht werden.

Ökonomen verstehen das Urheberrecht vor allem als ein Mittel zur Lösung des Problems öffentlicher Güter. Allerdings erklärt dies die Existenz des Urheberrechts nur aus ökonomischer Perspektive, aber nicht seine Ausgestaltung im Einzelnen. Aus wettbewerbspolitischer Sicht stellt sich die Frage, wie sich für aktuelle Regelungsprobleme eine sinnvolle Ordnung, die zugleich Kreativität fördert, errichten und erhalten lässt.

Vom „dynamischen“ zum „kreativen“ Wettbewerb

Damit ist die Grundsatzfrage nach dem Verhältnis von Urheberrecht und Wettbewerb angesprochen. Das Urheberrecht schafft lediglich ein ausschließliches Recht. Als solches soll es den kreativen Werkschöpfer lediglich in die Lage versetzen, seine Werke zu vermarkten. Dagegen beinhaltet das Urheberrecht keinen Anspruch des Urhebers auf eine Monopolrendite. Dies bestätigt die klassische wettbewerbspolitische Analyse. Gerade in den kulturbezogenen Märkten konkurrieren urheberrechtlich geschützte Werke regelmäßig miteinander. Kein Theater ist darauf angewiesen, ein bestimmtes Stück aufzuführen. Selbst der leidenschaftlichste Kinobesucher muss zwischen zahlreichen Filmen auswählen. Kein Literaturliebhaber ist in der Lage, alle Bücher zu lesen, die ihm gefallen könnten. Wenn der Nachfrager bei einem breiten Angebot und unter Berücksichtigung des eigenen Geschmacks und seines eigenen Leistungsvermögens zwischen Produkten auswählt, besteht Wettbewerb.

Ziel der Wettbewerbspolitik ist es, den Wettbewerb auf Märkten zu schützen. Deshalb richtet sich ihr Blick gerade auf solche Situationen, in denen der Wettbewerb nicht von vornherein gewährleistet ist oder künstlich beschränkt wird. Für urheberrechtsbezogene Märkte fehlt es jedoch bislang an grundsätzlichen Überlegungen. Auch gibt es keine spezifischen kartellrechtlichen Normen. Anders stellt sich die Situation für das technologierelevante Immaterialgüterrecht dar. In diesem Bereich ist heute die Komplementaritätsthese weitgehend anerkannt. Danach stehen das Kartellrecht und das Immaterialgüterrecht nicht in einem unauflöslichen Widerspruch zueinander. Im Gegenteil: Beide Rechtsgebiete sind auf die Förderung dynamischen Wettbewerbs gerichtet. Das Immaterialgüterrecht soll die notwendigen Anreize für die Entwicklung innovativer Produkte schaffen. Allerdings wird der Unternehmer diesen Anreizen nur folgen, soweit ihn der Wettbewerb zwingt, Konkurrenten durch bessere Produkte zu übertreffen. Nur der Rechteinhaber, der den Druck des Innovationswettbewerbs spürt, wird die aus dem Recht gewonnene Rendite weiter in Forschung und Entwicklung investieren. In diesem Modell wird der dynamische Wettbewerb um bessere Produkte als wichtiger erachtet als der bloße Preiswettbewerb.

Lässt sich das Modell des dynamischen Wettbewerbs, das auf dem Patentparadigma beruht, auf urheberrechtlich geprägte Märkte übertragen? Auch für die Praxis des Kartellrechts ist diese Frage von außerordentlicher Bedeutung. Obwohl die drei zentralen Fälle, in denen für das europäische Recht die Frage nach einer kartellrechtlichen Pflicht zur Lizenzerteilung diskutiert wird (Magill, IMS Health, Microsoft), zentral das Urheberrecht betreffen, werden diese Fälle im wissenschaftlichen Schrifttum ausschließlich aus der Perspektive der Innovations- und nicht der Kreativitätsförderung abgehandelt.

Tatsächlich muss der Unterschied zwischen Innovation und Kreativität nicht gegen eine Übertragung des Modells des dynamischen Wettbewerbs auf das Urheberrecht sprechen. Jedenfalls kommt in den Arbeiten des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht die Überzeugung zum Ausdruck, dass eine Wettbewerbspolitik, die nur das Ziel verfolgt, ein Optimum an urheberrechtlich geschützten Werken zu möglichst günstigen Preisen für Verbraucher zur Verfügung zu stellen (statisches Wettbewerbsmodell), zu kurz greift. Märkte sollten vielmehr so gestaltet werden, dass Kreativität und kulturelle Vielfalt optimal angeregt werden. Da hierfür die Besonderheiten in den verschiedenen Bereichen schöpferischer Tätigkeit zu berücksichtigen sind, ist es besser, anstelle von dynamischem Wettbewerb von kreativem Wettbewerb zu sprechen.

„Kreativer“ Wettbewerb im Bereich der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten

Ein erstes Untersuchungsfeld für das Modell des „kreativen Wettbewerbs“ hat sich für das Institut auf dem Gebiet der Neuordnung der grenzüberschreitenden Online-Verwertung von Werken der Musik ergeben. Durch eine im Oktober 2005 angenommene Empfehlung versucht die Europäische Kommission, ein neues Modell der grenzüberschreitenden kollektiven Verwertung von solchen Werken durchzusetzen. Dieses Modell beruht auf dem Wettbewerb von Verwertungsgesellschaften um die Rechteinhaber.

Während im Bereich der kollektiven Verwertung üblicherweise von der Existenz eines natürlichen Monopols der Verwertungsgesellschaften ausgegangen wird, scheint die Kommissionspolitik durch ökonomische Untersuchungen bestätigt zu werden, die einen Wettbewerb zwischen Verwertungsgesellschaften dann für möglich erachten, wenn diese Rechteinhaber auch ablehnen dürfen. Es überrascht daher nicht, dass die Kommission in ihren Dokumenten von einer spartenmäßigen Spezialisierung der einzelnen Verwertungsgesellschaften ausgeht und Verwertungsgesellschaften nur noch als Erbringer einer „Verwertungsdienstleistung“ gegenüber den Rechteinhabern begreift. Diese Spezialisierung setzt die Freiheit der Verwertungsgesellschaft voraus, ökonomisch als nicht hinreichend werthaltig angesehene Musikstücke abzulehnen. Gleichzeitig erfolgt eine Aufteilung des bislang einheitlichen, alle Arten von Musik umfassenden Wahrnehmungsmarktes in verschiedene spartenbezogene Märkte.

Von dem Kommissionsmodell lässt sich nur ein Wettbewerb der Verwertungsgesellschaften um die grenzüberschreitend populäre, überwiegend englisch geprägte Musik erwarten. Die jüngste Kooperation großer Musikverlage mit einzelnen Verwertungsgesellschaften beim Aufbau von Internetplattformen zur gemeinsamen Vermarktung ihrer Repertoires bestätigt diese Erwartung. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich für stark national geprägte Musik und Musik, die nur kleine Gruppen von Zuhörern anspricht, allenfalls nur eine Verwertungsgesellschaft für zuständig hält. Neue Musikrichtungen werden möglicherweise Schwierigkeiten haben, Zugang zum System kollektiver Online-Verwertung zu bekommen. Damit fördert die Kommissionspolitik die Vermarktung solcher Musik, die ohnehin dem Konsumenten bereits bekannt ist oder die versucht, den Geschmack der Mehrheit zahlungsfähiger Interessenten zu treffen. Es verwundert nicht, dass jene ökonomischen Untersuchungen, die einen Wettbewerb zwischen Verwertungsgesellschaften fordern, gerade auf dem statischen Wettbewerbsmodell aufbauen. Ähnlich argumentiert die Kommission, soweit sie mit ihrer Empfehlung nur die Qualität der Wahrnehmungsleistung von Verwertungsgesellschaften zugunsten der Rechteinhaber verbessern möchte.

Die Zielsetzung der Politik sollte aber gerade darin bestehen, neuen und kreativen Musikrichtungen Zugang zum System der kollektiven Verwertung zu verschaffen und kulturelle Vielfalt auf dem europäischen Musikmarkt zu fördern.

Schließlich führt das Modell des „kreativen“ Wettbewerbs zu einer Grundsatzfrage des Urheberrechts: Soll das Urheberrecht primär den „Kreativen“, das heißt den Werkschöpfern und ausübenden Künstlern, oder der Urheberrechtsindustrie zugute kommen? Das statische Wettbewerbsmodell steht dieser Frage bestenfalls neutral gegenüber und erkennt in der Zuordnung des originären Rechts zu den Kreativen allenthalben eine Ursache für zusätzliche Transaktionskosten. Im Gegensatz dazu spricht das Modell des „kreativen“ Wettbewerbs für eine Stärkung der Marktposition der Kreativen. Damit eröffnen sich automatisch weitere Untersuchungsfelder, die in der gegenwärtigen urheberrechtlichen Debatte zum Teil ganz oben stehen: beispielsweise der Umgang mit Digital-Rights-Management-Systemen, die Zukunft urheberrechtlicher Pauschalvergütungssysteme (sogenannte levies) in der EU oder die Überprüfung und Neubewertung des auf die Stärkung der Position der Kreativen ausgerichteten Urhebervertragsrechts.

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