Forschungsbericht 2005 - Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik

Röntgenstrukturanalyse des Fe/MgO/Fe(001) Tunnel-Magnetwiderstands-Systems

Autoren
Meyerheim, Holger L.
Abteilungen
Zusammenfassung
Mittels oberflächensensitiver Röntgenbeugung wurden die geometrischen Strukturen der Metall-Oxid Grenzflächen am Beispiel des Fe/MgO/Fe(001)-Magnetwiderstands Schichtsytems untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass sich an der MgO/Fe(001)-Grenzfläche eine FeO-Schicht bildet, die entscheidenden Einfluss auf die Größe des Magnetwiderstandseffekts hat.

Einleitung

Der Einsatz neuartiger Speicherbausteine mit dem Ziel einer dramatisch erhöhten Speicherkapazität erfordert die Entwicklung magnetisch stabiler Materialien auf der Nanometerskala. Diese müssen einerseits die Information in Form einer Magnetisierungsrichtung über längere Zeit erhalten können, andererseits ist der Einsatz verbesserter Sensoren notwendig um die Informationen schreiben und lesen zu können. Wegen ihrer großen wirtschaftlichen Bedeutung wird die Erforschung solcher Materialien intensiv vorangetrieben. Ein Beispiel ist die Entwicklung von Magnetwiderstands-Schichtsystemen, die in Leseköpfen eingesetzt werden sollen. In diesen Schichtsystemen wird neben dem Strom, der in Form von Elektronen fließt, auch deren Spin, d.h. deren magnetische Orientierung, als Informationsträger benützt.

Befindet sich eine isolierende ultradünne Oxidschicht im Dickenbereich von ca. 1 nm zwischen zwei ferromagnetischen Elektroden, so fließt bei Anlegen einer Spannung ein Tunnelstrom durch die Oxidbarriere, dessen Größe von der relativen Magnetisierung der Elektroden (parallel oder anti-parallel) abhängt. Ein experimentell und theoretisch intensiv untersuchter Prototyp stellt das Schichtsystem Fe/MgO/Fe(001) dar. In diesem Fall kann die MgO-Oxidbarriere als einkristalline Schicht auf dem Fe(001)-Oberfläche deponiert werden, da die Fehlanpassung der Kristallgitter in diesem Fall nur 3.8% beträgt.

In der Abbildung 1 sind die Fe-Atome der (001)-Oberfläche in blau, die O-und Mg-Atome der darüber liegenden ersten MgO-Schicht als rote bzw. gelbe Kugeln widergegeben. Die O-Atome befinden sich direkt über den Fe-Atomen, während die Mg-Atome über den vierfach-koordinierten Lückenplätzen der ersten Fe-Atomlage positioniert sind. Bedeckt die MgO-Schicht in dieser Weise die gesamte Fe(001)-Oberfläche entspricht dies einer Monolage (ML) MgO, d.h. pro Fe-Atom der Oberfläche ist genau ein O-und ein Mg-Atom adsorbiert (entsprechend 1.20x1015 O-und Mg-Atome pro cm2).

Unter den Annahme, dass für die obere Grenzfläche des gesamten Schichtsystem (Fe/MgO/Fe) die gleiche strukturelle Beziehung gilt, wurde auf Grund theoretischer Überlegungen schon vor einigen Jahren ein sehr großer Tunnel-Magnetwiderstands-Effekt (TMR:=Tunneling-Magneto-Resistance) vorhergesagt [1]. Die TMR-Amplitude, die als TMR=(RAP-RP)/RP definiert ist, erreicht hier Werte in der Größenordnung von einigen tausend Prozent. Hier bedeutet RAP und RP der elektrische Widerstand bei antiparalleler (AP) bzw. paralleler (P) Magnetisierung der Fe-Schichten.

Experimentell wurden dagegen weit geringere TMR-Werte erhalten [2]. Gegenwärtig liegt das erzielte Maximum im Bereich von einigen hundert Prozent, also eine Größenordnung unter der theoretischen Vorhersage. Bereits in der Arbeit von Butler et al. [1] wurde auf den möglichen Einfluss der Grenzflächenstruktur hingewiesen, da diese in entscheidender Weise die elektronischen Zustände der Elektronen, die vom Metall in die Oxidschicht eindringen, bzw. aus der Oxidschicht in das Metall austreten, beeinflussen können.

Zur detaillierten Analyse geometrischer Strukturen an Oberflächen und (inneren) Grenzflächen hat im Verlauf der vergangenen 10-15 Jahre die Methode der Oberflächen-Röntgenbeugung immer größere Bedeutung gewonnen. Aufgrund des skizzierten Einflusses der Grenzflächen im genannten System wurden an den Elektronenspeicherring-Anlagen ESRF (Grenoble) und LURE (Orsay) Röntgenbeugungsexperimente durchgeführt, die ein detailliertes Bild der Grenzflächen ergeben haben, das als Grundlage für die Verbesserung der TMR-Werte dienen kann.

Experiment

Präparation

Die Präparation und die Röntgenbeugungsexperimente erfolgten unter Ultra-Hoch-Vakuum(UHV)-Bedingungen im gleichen Rezipienten, in dem auch die Röntgenbeugungsexperimente durchgeführt werden. Im vorliegenden Fall wurden die MgO-Schichten durch Verdampfung eines polykristallinen MgO-Stabs mittels Elektronenbeschusses auf die zuvor gereinigte Fe(001)-Oberfläche deponiert. Bei den hier diskutierten Experimenten wurden zwei ML MgO deponiert, anschließend erfolgte in gleicher Weise die Deposition der nachfolgenden acht ML dicken Fe-Schicht, wobei hier zwei Varianten zur Anwendung kamen: (A) Deposition unter UHV-Bedingungen, und (B) Deposition von 0.5 ML Fe unter einer O-Atmosphäre (Partialdruck=1x10-7 mbar), anschließend weiteres Wachstum unter UHV-Bedingungen. Die zweite Variante verfolgt das Ziel eine strukturell geordnete Fe-Oxidschicht an der oberen Fe/MgO-Grenzfläche zu präparieren. Im folgenden werden die Präparationsverfahren als anaerob (A) und aerob (B) bezeichnet.

Oberflächenröntgenbeugung

Nach der Präparation wurden die Proben anschließend mittels Röntgenbeugung untersucht. Die Abbildung 2 zeigt schematisch die experimentelle Prozedur im reziproken (a) und im Ortsraum (b). Während im Fall eines „idealen“, d.h. in allen drei Raumrichtungen unendlich ausgedehnten Kristalls die reziproken Gitterpunkte keinerlei räumliche Ausdehnung besitzen, führt der Bruch der Translations-Symmetrie durch die Oberfläche zu einer Ausdehnung der Gitterpunkte zu Stäben entlang der Oberflächennormalen. Der Intensitätsverlauf entlang dieses in der Literatur als „Truncation-Rod“ [3] bezeichneten Charakteristikums enthält die Information über die Oberflächenstruktur.

Die Reflexbedingung kann wie im Fall der Röntgenstrukturanalyse an 3-dimensional periodischen Kristallen durch die Ewald-Konstruktion veranschaulicht werden. In der Abbildung 2 ist erkennbar, dass eine Reflexion - charakterisiert durch den Vektor kf– in die Richtung erfolgt, die durch die Position gekennzeichnet ist, an der der Stab durch die Oberfläche der Ewald-Kugel hindurchtritt. Die Ewald-Kugel hat den Radius 1/λ, wobei λ der Wellenlänge der Röntgenstrahlung entspricht. Der Reflex ist durch den rez. Gittervektor G gekennzeichnet, dessen senkrechte Komponente durch qz beschrieben wird. Das untere Teilbild veranschaulicht die Messgeometrie im Ortsraum. Der Primärstrahl mit dem Wellenvektor ki trifft unter streifendem Einfall mit dem Winkel αi auf den Kristall. Meist wird für αi ein Wert im Bereich von wenigen Zehnteln eines Grades gewählt, sodass externe Totalreflexion des Röntgenstrahls auftritt.

Der entsprechend positionierte Detektor misst die gestreute Intensität, die in der Momentaufnahme der Abbildung 2 in Richtung kf emittiert wird. Üblicherweise wird der Kristall zur Vermessung der integralen Intensität um die Oberflächennormale gedreht, wobei ein Stabintervall Δqz erfasst wird. Durch wiederholte Durchführung der Prozedur kann der Intensitätsverlauf entlang des gesamten Stabs vermessen werden.

Ergebnisse

Daten und Analyse

Wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert, wurde der Intensitätsverlauf entlang der Stäbe im rez. Raum für die beiden Proben vermessen. Die in der Abbildung 3 eingezeichneten Symbole repräsentieren die Strukturfaktorbeträge (|Fhkl|) die proportional zur Quadratwurzel der integrierten Intensitäten (Ihkl) sind: |Fhkl| — √(Ihkl) .

Die oberen bzw. unteren Kurven entsprechen dabei den Messungen für die Proben, die mittels der Variante (A) bzw. (B) präpariert wurden. Die Verschiebung der Kurven um etwa eine halbe Größenordnung dient der besseren Darstellung. Die Indizierung der Stäbe nach (10), (11), (21) und (20) bezieht sich auf die Aufstellung der Oberflächenelementarzelle gemäß der Abbildung (1), die der kubisch innenzentrierten Aufstellung des Fe-Kristalls folgt. Aus diesem Grund entsprechen die Positionen, die die Bedingung (h+k+l=2n, n ganzzahlig) erfüllen, den Bragg-Reflexen des Substratkristalls. Da an diesen Stellen die Netzebenen des gesamten Fe-Kristalls die Röntgenstrahlung in Phase streuen, ist die reflektierte Intensität etwa fünf Größenordnungen größer ist als im Bereich zwischen den Bragg-Reflexen (Gegenphasenbedingung) [3].

Strukturmodell

Der Entwurf eines Strukturmodells erfolgt durch Anpassung der berechneten Strukturfaktorbeträge an die gemessenen. Die berechneten Strukturfaktorbeträge sind in der Abbildung 3 als durchgezogene Linien widergegeben. Diese folgen den gemessenen mit hoher Genauigkeit in allen Details. Die mittlere relative Abweichung der berechneten von den gemessenen Strukturfaktorbeträgen liegt im Bereich von einigen Prozent. Für Strukturanalysen dieser Art ist dies ein sehr guter Wert, sodass von einer hohen Zuverlässigkeit des entworfenen Strukturmodells ausgegangen werden kann.

Die Abbildung 4 zeigt exemplarisch für die Probe B das Modell für die Struktur der Grenzflächen, das aus der Anpassung der berechneten Strukturfaktorbeträge erhalten wurde. Außer der Farbkodierung der Atome (blau, gelb, rot) für die verschiedenen Atomspezies (Fe, Mg, und O) sind auf der linken Seite der Abbildung einige Schichtanstände in Ångstroem angegeben (Schichtabstand in Fe=1.43 Å). Die Strukturanalyse des Fe/MgO/Fe(001)-Schichtsystems hat im Vergleich zu dem bisherigen Vermutungen einige wesentliche Modifikationen aufgezeigt, die nachfolgend zusammengefasst werden.

Die MgO-Schicht wächst epitaktisch auf der Fe(001)-Oberfläche wie in der in Abbildung 1 widergegebenen Weise auf (O-Atome oberhalb der Fe-Atome), jedoch befinden sich zusätzlich in den vierfach-koordinierten Lückenplätzen O-Atome, wobei die Besetzung nicht vollständig sondern lediglich im Bereich von etwa 60% einer ML liegt [4]. Die theoretische Betrachtung von Zhang et al. [5] auf der Grundlage dieses Modells hat gezeigt dass bereits der partielle Einbau von O-Atomen („FeO-ähnliche“ Schicht) zu einer Verringerung des TMR- Wertes führt. Darüber hinaus führt die partielle Oxidation der obersten Fe-Schicht zu einer sehr starken Expansion des Abstandes zwischen der obersten Fe-und der „FeO“-Schicht. Dieser beträgt 1.68±0.05 Å und stellt damit im Vergleich zum Schichtabstand in der Fe-Struktur (1.43 Å) eine Expansion um 17% dar.

Beide Strukturdetails (Bildung einer FeO-ähnlichen Grenzschicht und expandierter Lagenabstand) wurden in allen vorangehenden Untersuchungen nicht berücksichtigt und können als wesentliche Ursache für die Diskrepanz zwischen experimentellen und theoretischen TMR-Werten angesehen werden. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass die von Zhang et al. [5] durchgeführten Rechnungen zwar die geklärte Struktur der MgO/Fe(001)-Grenzfläche in Betracht zieht, jedoch die Geometrie der oberen Grenzfläche nach wie vor als „ideal“ ansieht, d.h. ohne oxidierte Grenzschicht, entsprechend einer asymmetrischen Gesamtstruktur Fe/FeO/MgO/Fe. Die Röntgenstrukturanalyse hat dagegen gezeigt, dass die tatsächlichen Verhältnisse komplexer sind als zunächst angenommen [6].

Die Abbildung 5 vergleicht schematisch den Aufbau der Gesamtstruktur für die Proben (A, oberes Teilbild) und (B, unteres Teilbild). Die einzelnen Schichten sind als Balken dargestellt, wobei die Farben (blau, gelb, rot-schraffiert) die Konzentration der Spezies (Fe, Mg, O) in den Schichten entsprechen. Auf der linken Seite ist die Zusammensetzung der Phasen und deren Konzentration (in Prozent einer Monolage) widergegeben.

Bei anaerober Deposition (A) bildet sich näherungsweise eine asymmetrische Gesamtstruktur. An der oberen Grenzfläche entsteht zwar auch eine FeO-Schicht, diese bedeckt jedoch nicht die gesamte Fläche des Kristalls, sondern nur etwa 30%. Darüber hinaus wachsen die nachfolgenden Fe-Schichten nicht kohärent auf, sondern es bilden sich Inseln, in denen die Fe-Atome bezüglich der Substratschicht keine geordneten Positionen einnehmen (in der Abb. 5a daher nicht eingezeichnet). Dagegen erfolgt bei aerober Fe-Deposition (siehe Abb.4) die Bildung einer vollständigen FeO-Lage und einer kohärent nachwachsenden Fe-Schichtstruktur, wobei die Abstände zwischen den Schichten denen im Bereich der unteren Grenzfläche ähnlich sind. Neuere theoretische Berechnungen für diese symmetrische und kohärente Fe/FeO/MgO/FeO/Fe-Struktur haben gezeigt, dass der TMR-Wert sehr große Werte im Bereich von einigen tausend Prozent annehmen kann [6].

Die detaillierte Bestimmung der geometrischen Struktur des Fe/MgO/Fe-Schichtsystems hat somit entscheidend zum Verständnis ihrer physikalischen Eigenschaften beigetragen und einen Weg zur Optimierung des TMR-Wertes aufgezeigt, der dieses System als Baustein in magnetischen Speicherbauteilen geeignet machen könnte.

Originalveröffentlichungen

W. H. Butler, X.-G. Zhang T.C. Schulthess, and J.M. MacLaren:
Spin dependent tunneling conductance of Fe/MgO/Fe sandwiches.
Physicak Review B 63, 054416 1-12 (2001)
S. Yuasa, T. Nagahama, A. Fukushima, Y. Suzuki, and K. Ando:
Giant room temperature magneto resistance in single crystal Fe/MgO/Fe magnetic-tunnel junctions.
Nature Materials 3, 868-871 (2004)
I. K. Robinson:
Crystal truncation rods and surface roughness.
Physical Review B 33, 3830-3836 (1986)
H.L. Meyerheim, R. Popescu, J. Kirschner, N. Jedrecy, M. Sauvage-Simkin, B. Heinrich, and R. Pinchaux:
Geometrical and compositional structure at metal-oxide interfaces: MgO on Fe(001).
Physical Review Letters 87, 076102 1-4 (2001)
X.-G. Zhang, W. H. Butler, and A. Bandyopadhyay:
Effects of the iron-oxide layer in Fe-FeO-MgO-Fe tunneling junctions.
Physical Review B 68, 092402 1-4 (2003)
. C. Tusche, H. L. Meyerheim, N. Jedrecy, G. Renaud, A. Ernst, J. Henk, P. Bruno, and J. Kirschner:
Oxygen-induced symmetrization and structural coherency in Fe/MgO/Fe(001) magnetic tunnel junctions.
Physical Review Letters 95, 176101 1-4 (2005)
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