Forschungsbericht 2006 - Kunsthistorisches Institut in Florenz - Max-Planck-Institut

CENOBIUM: Ein Projekt zur multimedialen Darstellung romanischer Kreuzgangkapitelle im Mittelmeerraum

Autoren
Dercks, Ute; Wolf, Gerhard
Abteilungen
Zusammenfassung
CENOBIUM ist eine multimediale Darstellung von romanischen Kreuzgangkapitellen in Form hoch auflösender Digitalfotografien, 3D-Modellen und Panoramen. Das gemeinsam mit dem Institute of Information Science and Technologies (ISTI) des Consiglio Nazionale delle Ricerche (CNR) in Pisa durchgeführte Forschungsprojekt verfolgt das Ziel, Kapitelle mit ihren Originalstandorten virtuell zu verknüpfen, um sie in ihrem architektonischen und historischen Zusammenhang zu präsentieren und den künstlerischen Austausch im 12. und 13. Jahrhundert anhand der Bauskulptur aufzuzeigen.

Digitale Dokumentation romanischer Kapitelle in 3D und 2D

CENOBIUM (Cultural Electronic Network Online: Binding up Interoperably Usable Multimedia) ist aus dem Projekt ViHAP3D hervorgegangen, das das Kunsthistorische Institut in Florenz – Max-Planck-Institut in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken, dem Consiglio Nazionale delle Ricerche in Pisa, der Soprintendenza in Pisa und der Firma Minolta Konica durchgeführt hat. Ein Teil dieses Projekts zielte auf die Entwicklung eines Verfahrens in der Computergrafik ab, das die dreidimensionale Darstellung von digitalisierten Kunstgegenständen und Skulpturen ermöglicht. CENOBIUM entwickelt dieses Konzept in Konzentration auf romanische Kapitelle weiter, welche sich für eine dreidimensionale Dokumentation in besonderer Weise anbieten (Abb. 1 und Abb. 6). Eine Fotokampagne ergänzt das Vorhaben, da sich die Oberfläche und die Materialbeschaffenheit der Objekte nicht im gewünschten Maße detailgetreu in der 3D-Visualisierung wiedergeben lassen. Später sollen die Fotos und die 3D-Modelle nicht nur an ausgesuchten Standorten, sondern auch im Internet mit einer interaktiven Programmgestaltung zur Verfügung stehen.

CENOBIUM dient in erster Linie Studienzwecken, ist aber ebenso geeignet für Lehre und Museen, für Denkmalpflege und Restaurierung. Es verbindet klassische wie innovative Fragestellungen der Kunstgeschichte mit modernsten datentechnischen Instrumenten und eröffnet der Forschung völlig neue Perspektiven.

Romanische Kreuzgangkapitelle im Mittelmeerraum und der Kreuzgang von Monreale als Summe künstlerischer Tendenzen

Kurz vor der Wende zum 12. Jahrhundert brachte die romanische Skulptur einen Kapitelltypus hervor, der das Erscheinungsbild sakraler Innenräume und Kreuzgänge maßgeblich bestimmen sollte und zu einer zentralen Aufgabe mittelalterlicher Bauplastik wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt beschränkte sich der Schmuck des Kapitells hauptsächlich auf Ornamente oder Darstellungen von Pflanzen, Tieren und menschlichen Gestalten. Nun erweiterte sich das Spektrum um narrative Darstellungen. Das Kapitell übernahm die Funktion, alt- und neutestamentarische Szenen, historische Begebenheiten, Exempla, Parodien und Allegorien zu präsentieren.

Als integrativer Bestandteil der Architektur trat das Kapitell in seiner Dreidimensionalität vor allem in den Kreuzgängen mit dieser neuen Funktion hervor. Die Allansichtigkeit der frei stehenden Stützen im Kreuzgang ermöglichte eine fortlaufende Bilderzählung und bot zugleich die Gelegenheit, Kapitelle mit benachbarten Kapitellen oder anderen Ausstattungselementen in Dialog treten zu lassen. Darüber hinaus ist der räumliche Zusammenhang zwischen Kapitell und Funktionsbauten der Klosteranlage von Bedeutung, da die Motive und die Themen der Kapitelle eine ästhetische und funktionale Interaktion erlauben und möglicherweise auf Liturgie und klösterliche Bräuche schließen lassen.

Die drei bedeutendsten Zentren romanischer Kapitellskulptur liegen im Languedoc-Roussillon, in Nordspanien und in Sizilien. In der ersten Projektphase konzentrieren sich die Forschungen und digitalen Visualisierungen auf den Kreuzgang von Monreale.

Der Kreugang von Monreale

Der im Auftrag des normannischen Königs Wilhelm II. entstandene Kreuzgang des Domes in Monreale auf Sizilien (Abb. 2) nimmt in vielerlei Hinsicht eine besondere Stellung innerhalb der romanischen Klosterbauten nicht nur Italiens, sondern des gesamten Mittelmeerraums ein. Er zählt zu den größten, qualitativ hochwertigsten, detailreichsten und zugleich am besten erhaltenen Kreuzgängen des Mittelmeerraums aus dem 12. Jahrhundert und führt verschiedenste Strömungen romanischer Bauskulptur in einem architektonisch homogenen Kreuzgang zusammen. Die mindestens fünf zwischen 1174 und 1189 tätigen Werkstattgruppen waren sowohl geographisch als auch künstlerisch dem italienischen, französischen und spanischen Mittelmeerraum verbunden.

Der Maria geweihte Dom in Monreale war Krönungs- und Vermählungskirche Wilhelms II. und zugleich normannische Herrschergrablege. Dem Dom war ein Kloster angeschlossen, das durch Schenkungen und Privilegien rasch zu einem der begütertsten des normannischen Reiches wurde. Von der benediktinischen Klosteranlage und dem angegliederten Königspalast haben sich außer dem Dom und einigen Fragmenten der Konventsgebäude nur der Kreuzgang mit Brunnenhaus (Abb. 3) vollständig erhalten.

Jede Galerie zählt 26 Doppelsäulen und hat an den Ecken jeweils ein Bündel aus vier Reliefsäulen. Die Säulenschäfte sind entweder reliefiert, farbig inkrustiert oder wechseln mit glatten Säulenschäften, wodurch der strenge Rhythmus der Kreuzgangarkaden aufgelockert wird. Der variantenreiche Schmuck der Marmorkapitelle setzt sich von dem gleichmäßigen Dekorationsschema des Kreuzgangs ab. Von den 104 Doppel- und 5 Viererkapitellen sind 15 narrativen beziehungsweise biblischen Inhalts (Abb. 4). Bei den historisierten Kapitellen überwiegen die neutestamentarischen gegenüber den alttestamentarischen Darstellungen. Apostelgeschichten, Szenen aus dem Leben Christi oder das Gleichnis von Lazarus gehören dabei ebenso wie Adam und Eva, Noah, Jakob, Joseph von Ägypten und Samson zu den häufig in Kreuzgängen verwandten Themen.

Neben ornamentalen Blattkapitellen ist die Mehrzahl der Kapitelle figürlicher Art profanen oder mythologischen Charakter, darunter allegorische und hagiographische Darstellungen sowie die Widmung des Domes an Maria und den Christusknaben (Abb. 5). Sowohl Abakus als auch Kämpferplatte sind gelegentlich mit erläuternden Inschriften versehen. Auch der figürliche oder narrative Schmuck ist nicht auf eines der Zwillingskapitelle begrenzt, sodass die Doppelstützen in ihren Kapitellen zu einer Einheit verschmelzen.

Die stark hinterschnittenen und zumeist deutlich vom Grund abgehobenen Teile des Dekors, die feingliedrigen Figuren und detaillierte Binnengestaltung in Gewand- und Gesichtspartien, die lebendige Gestik und nicht zuletzt der gekonnte Umgang mit dem laufenden Bohrer lassen auf versierte Steinmetze und Künstler als Urheber schließen. Die stilistische Vielfalt der unterschiedlichen Werkgruppen, die vermutlich aus Süditalien, Oberitalien und Südfrankreich stammen, unterliegt aber dem klaren Dekorationsschema der Kreuzgangarchitektur. Einige Werke verdanken ihre Motive sowohl antikisierenden als auch byzantinischen Vorlagen in Form von Elfenbeinen oder Mosaiken.

Das Widmungskapitell

Das Widmungskapitell auf der Westseite (Abb. 5) gehört zu den bedeutendsten Kapitellen des Kreuzgangs. Auf der Südseite wird die Übergabe und Widmung des Domes durch König Wilhelm II. an die Jungfrau Maria in Szene gesetzt und mit einer Inschrift erläutert. Eindeutig an der höfischen Kleidung und einer Bügelkrone mit Pendilen auf dem Haupt als König erkennbar schreitet Wilhelm II. dynamisch aus und überreicht das Modell des Domes. Mit besonderer Detailschärfe gibt das Modell die prägnantesten Merkmale der Basilika mit Campanile, Querhaus und Apsiden wieder. Die Hauptapsis, die von einem Engel gestützt wird, bildet das Zentrum der Szene. Mit zum Segensgestus ausgestreckter Hand empfangen Maria und der Christusknabe das Geschenk Wilhelms II. Die Kette der Überschneidungen von Figuren und Objekten vermittelt trotz der Distanz zwischen König und Maria eine Art Verbindung, die mehrere Funktionen erfüllt: Sie zeigt die Darbietung des Doms als Schenkung, den großzügigen Spender, die wohlwollende Annahme und Segnung der Gabe.

Dieser Szene stehen die drei anderen Flanken mit Einzelfiguren zur Seite. In antike Gewänder gekleidet und mit einem Nimbus hinter ihren gekrönten Häuptern versehen, tragen sie verschiedene, nicht immer spezifizierte oder typische Attribute. Auf der rückwärtig zur Widmungsdarstellung gelegenen Doppelseite des Kapitells stehen zwei etwas unterschiedlich gekleidete, gekrönte Figuren mit Gefäßen in ihrer linken Hand. Die rechte Hand haben sie auf die Brust gelegt oder sie verweisen auf sich selbst. Auf der Unterseite der Kämpferplatte ist über der linken Figur die Inschrift SPES und über der rechten FIDES zu lesen. Zwischen den beiden Tugenden ist ein Lamm mit Kreuznimbus und Kreuz dargestellt. In Verbindung mit dem Agnus Dei erklärt sich jetzt auch die Bedeutung der Gefäße in den Händen der beiden Tugenden: Es sind Kelche, die auf die Eucharistie und den Opfertod Christi verweisen.

Auf der Westseite präsentiert eine Figur Zepter und Schwert; die Inschrift darüber deutet auf die Gerechtigkeit Gottes. Auf der Ostseite steht eine weitere Figur mit einem Gewand in der rechten und dem Reichsapfel in der linken Hand. Die Inschrift über der Figur klärt auch hier ihre Bedeutung: DEUS EST CARITAS. Neben der Lesart, die aus der Inschrift folgt – Caritas Dei – legt das Gewand in ihrer Hand eine weitere Deutung nahe, die nach Augustinus die Caritas Proximi veranschaulichen könnte. Dies wäre aber angesichts einer derart verkürzten Darstellung der Verteilung von Kleidung an die Armen eine ziemlich frühe Verknüpfung der Heiligenlegende des Heiligen Martins mit einer personifizierten Caritas. Das Gewand schließt allerdings eine zusätzliche Interpretation nicht aus, wenn es in Zusammenhang mit den Attributen der anderen gekrönten Figuren – Zepter, Reichsapfel, Schwert – gesehen und als Königsmantels interpretiert würde.

Obwohl die Figuren, die getrennt aufgereiht jeweils eine der Kapitellseiten besetzen, ikonographisch zusammenhängen, treten sie aufgrund ihrer Art, die Widmungsszene zu kommentieren, in verschiedenen Bedeutungsebenen hervor. Die Personifikationen der Tugenden – durch die Inschrift sind sie eher als Beschreibungen göttlicher Charakteristika aufzufassen – begleiten die Widmung nicht nur als Gott rühmende Tugenden. Dadurch, dass diese Figuren mit königlichen Insignien ausgestattet sind, preisen sie vor allem König Wilhelm II. und dessen Tugenden.

Perspektiven

Im nächsten Schritt wird das Projekt die Online-Präsentation des Kreuzgangs von Monreale abschließen und sich anderen Monumenten mit weiteren Partnern zuwenden, zunächst den Kapitellen von Cefalù, danach soll in Spanien gearbeitet werden.

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