Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Neue Ergebnisse der Gammaastronomie

Autoren
Völk, Heinrich J.
Abteilungen

Hochenergie-Neutrinoastronomie mit IceCube (DFG, Emmy-Noether) (Dr. Elisa Resconi)
MPI für Kernphysik, Heidelberg

Zusammenfassung
Mithilfe der Gammaastronomie werden die höchsten Photonenenergien im Universum untersucht, und damit insbesondere auch die energiereichsten Objekte und Prozesse, die sie erzeugen. Das H.E.S.S.-Experiment in Namibia erforscht den Himmel bei diesen Energien. Über einige der neuen Ergebnisse und ihre Interpretation wird hier berichtet.

Unter Führung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik betreiben in Namibia im südlichen Afrika etwa hundert Wissenschaftler aus Europa und Afrika ein System von vier Teleskopen, das so genannte H.E.S.S.-Experiment (Abb. 1), dessen neue Ergebnisse weltweite Aufmerksamkeit finden. Die hier beschriebene Auswahl aus diesen Ergebnissen bezieht sich auf das Gebiet um das Zentrum unserer Milchstraße, auf Supernovaüberreste als die Quellen der Kosmischen Strahlung und auf die Durchmusterung der Galaktischen Ebene als den Beginn der Untersuchung ganzer Populationen von Quellen, also typischer Objekte.

Die H.E.S.S.-Teleskope registrieren eine sekundäre optische Strahlung, die ein aus dem Weltraum auf die Atmosphäre treffendes kosmisches Gammaquant sehr hoher Energie erzeugt. Dieses nach seinem Entdecker genannte Cherenkov-Licht erreicht bei klarem Himmel den Erdboden und wird dort von den Teleskopen als kurzer Lichtblitz aufgefangen und registriert. Es ist aber nicht nur der meist klare, dunkle Himmel über Namibia, der den Standort der Teleskope dort astronomisch begründet, sondern darüber hinaus die Tatsache, dass auf der Südhalbkugel, am Wendekreis des Steinbocks, auch der Zentralbereich unserer Milchstraße in idealer Weise beobachtet werden kann.

Der Energiebereich der Gammaquanten ist nach oben nicht begrenzt. Der Fluss solcher Photonen aus dem Weltall nimmt allerdings mit zunehmender Energie stark ab. Die höchsten bislang gemessenen Gammaenergien betragen etwa 1014 Elektronenvolt (eV) – das sind grob 14 Größenordnungen mehr als die Energie eines optischen Photons von der Sonne! Andererseits kann das H.E.S.S.-Experiment keine Gammaquanten unterhalb von 1011 eV nachweisen. Der entsprechende Energiebereich umfasst also knapp 3 Zehnerpotenzen. (Für weitere Einzelheiten, siehe [1].)

Das Nichtthermische Universum

Wie kommt es zu solch enormen Energien von Lichtquanten? Und wo treten sie auf?
Die Lichtemission von Sternen wird von Kernprozessen im tiefen Inneren gespeist, erfolgt dann aber bei sehr viel niedrigeren Energien unterhalb von einigen 10 eV durch die Atome und Moleküle der Sternatmosphäre. Das „kalte“ interstellare Gas und der Staub strahlen bei noch deutlich niedrigeren Energien.

Wird das Gas mechanisch geheizt, indem zum Beispiel schnelle Gasströme, die von Supernovaexplosionen oder Sternwinden herrühren, in Stoßwellen abgebremst werden, wodurch die kinetische Energie der Teilchen in thermische Energie übergeht, so kann die Temperatur des Gases sehr viel höhere Werte erreichen – typischerweise einige tausend oder sogar zehntausende von Elektronenvolt. Die allgemeine Meinung ist heute, dass ein großer Teil des Universums durch schnelle Gasströmungen mechanisch aufgeheizt wird – sei es durch gravitative Akkretion oder durch Massenverlust von Sternen, Schwarzen Löchern und Galaxien, also durch Prozesse, bei denen sehr große Energiemengen freigesetzt werden.

Zusammen mit solcher Heizung werden aber meist auch hochenergetische geladene Teilchen erzeugt, die zwar miteinander nicht stoßen und daher keine thermische Energieverteilung bekommen, aber mit kollektiven Anregungen des in die Gasströmung eingebetteten Magnetfelds „Stöße“ machen. Die Verteilung der Energien entspricht typischerweise einem Potenzgesetz in der Energie, das bis zu enormen Energien reicht. Und was astrophysikalisch besonders bedeutsam ist: Dort, wo man es bislang messen kann, sind die Energiedichte und der Druck dieser Teilchenkomponente vergleichbar mit denen des heißen Gases, das unter anderem Röntgenlicht emittiert. Der Erzeugungsprozess muss also außerordentlich effektiv sein. Dieser Forschungsansatz führt zu der Idee eines Nichtthermischen Universums, weil man annehmen muss, dass die hochenergetische Komponente fast überall da zu finden ist, wo Strukturbildung im Universum stattgefunden hat.

Ein Beispiel ist die Kosmische Strahlung, die das ganze Milchstraßensystem erfüllt – das sind vor allem Protonen, die Kerne von Wasserstoffatomen, deren individuelle Energien alle vorstellbaren thermischen Energien weit übersteigen und von etwa 109 bis zu mehr als 1020 eV reichen. Sie strahlen vor allem im Gammalicht.

Hochenergie-Astrophysik

Sie ist eines der Hauptfelder der Gammaastronomie und befasst sich vor allem mit den Quellen der hochenergetischen Teilchen, welche die Gammastrahlung erzeugen. Als solche kennen wir im Milchstraßensystem die – recht zahlreichen – Nebel um junge Pulsare – Neutronensterne mit hohem Magnetfeld, die diffusen Überreste von Supernovaexplosionen, die Röntgendoppelsterne mit gerichteten Ausströmungen, diffuse galaktische Emissionen der Kosmischen Strahlung, und möglicherweise neuartige Quellen, die noch unbekannten Objekten zuzuordnen sind. Bekannte extragalaktische Gammaquellen sind aktive Kerne von Galaxien. Aber auch Galaxien mit einer stark erhöhten Rate der Sternentstehung, miteinander verschmelzende Galaxien, ganze Haufen von Galaxien und Gammastrahlungsausbrüche (Gamma Ray Bursts) sollten bedeutende Gammaquellen sein. Sie sind allerdings bislang nicht als solche gefunden worden. Dies ist eine wichtige Perspektive für die nächsten Jahre des H.E.S.S.-Experiments.

Das Gebiet um das Galaktische Zentrum

In der innersten Region unserer Galaxie gibt es eine große Anzahl nichtthermischer Quellen, darunter mehrere Überreste von Supernovaexplosionen massereicher Sterne, aber auch große Molekülwolken von mehr als hunderttausend Sonnenmassen, mit denen diese Objekte möglicherweise zusammenhängen. Das eigentliche Zentrum der Galaxis ist ein Schwarzes Loch mit etwa drei Millionen Sonnenmassen. H.E.S.S. hat diese Region beobachtet und drei Gammaquellen gefunden. Die weitaus stärkste davon liegt direkt um das Zentrum selbst herum. Eine andere diskrete Quelle liegt ein Grad vom Zentrum entfernt, ein Nebel vom Wind eines Pulsars (Abb. 2a). Schließlich aber ist der ganze Bereich in ein diffuses Gammalicht getaucht, das räumlich mit den großen Ansammlungen interstellarer Materie (den Molekülwolken) zusammenfällt (Abb. 2b).

Ob die unmittelbar beim Zentrum gelegene Gammaquelle mit diesem selbst identisch ist oder nicht, ist nicht entschieden. Die Messungen zeigen keine Zeitvariation, was gegen die Strahlung einer Akkretionsströmung oder eines Jets spricht. Das Energiespektrum ist ein Potenzgesetz, wie erwartet (Abb. 3), und erstreckt sich bis zu etwa 20 TeV (wobei 1 TeV = 1012 eV). Es könnte von einem großen benachbarten und vielleicht sogar überlappenden Supernovaüberrest stammen.

Die exotischste und zugleich wissenschaftlich am weitesten gehende Erklärung des H.E.S.S.-Ergebnisses für das eigentliche Zentrum wäre eine stationäre Gammastrahlung, die als Folge der Selbstvernichtung von Teilchen der Dunklen Materie dort entsteht. Es gibt kosmologische Modelle, die genau dies postulieren. Demnach könnten aus dem Urknall übrig gebliebene so genannte supersymmetrische Teilchen in ihrer Summe als Dunkle Materie die Materiedichte im Universum dominieren, sich gleichzeitig in den Zentren von Galaxien ansammeln und sich bei Zusammenstößen unter Aussendung von Gammastrahlung sehr hoher Energie gegenseitig vernichten. Die Form des Energiespektrums spricht eher gegen diese Möglichkeit. In jedem Fall aber müsste die Masse dieser Teilchen mindestens einem Wert von 20 TeV entsprechen. Teilchen derart hoher Energie könnten in keinem der derzeit existierenden oder im Bau befindlichen irdischen Teilchenbeschleuniger nachgewiesen werden. Falls also die von H.E.S.S. im Galaktischen Zentrum gefundene Gammastrahlung tatsächlich der Annihilation von Dunkler Materie zuzuschreiben wäre, so könnte auf absehbare Zeit nur die Astrophysik die Klärung dieser fundamentalen Frage in Angriff nehmen – eine sehr interessante Perspektive für die Forschung.

Der Ursprung der Galaktischen Kosmischen Strahlung

Die Überreste von Supernovae sind die primären Kandidaten für die Quellen der Galaktischen Kosmischen Strahlung, die wir in unserem Milchstraßensystem beobachten bis zu dem Knick im Gesamtspektrum bei etwa 1015 eV. Der Hauptgrund für diese Hypothese liegt in der Notwendigkeit einer außergewöhnlich hohen Energiezufuhr auf Grund des Teilchenverlusts aus der Galaktischen Scheibe innerhalb von etwa 30 Millionen Jahren. Um diesen Verlust zu kompensieren, muss eine Supernova im Mittel etwa zehn Prozent ihrer gesamten hydrodynamischen Explosionsenergie in ultrarelativistische Teilchen umwandeln – eine enorme Forderung, die von keinem anderen astrophysikalischen Einzelprozess erfüllt wird. (Diese Explosionsenergie entspricht übrigens der von 2×1028 Megatonnen des Sprengstoffs TNT!)

Zudem gibt es einen Prozess, der geladene Teilchen an der Stoßwelle beschleunigt, mit der die Explosionswolke das umgebende Medium aufheizt und komprimiert. Der Theorie nach sollte dabei ein Potenzspektrum in der Energieverteilung der Teilchen entstehen. Ferner sollte der Prozess sehr wirkungsvoll sein und eine Effizienz von zehn Prozent durchaus erreichen.

Während die theoretischen Aspekte recht gut verstanden sind, gibt es bislang kaum quantitative Messungen der Gammastrahlung, weil die Flüsse selbst nahe gelegener Objekte meist recht niedrig sind. H.E.S.S. hat aber zwei junge Supernovaüberreste detailliert beobachtet und dabei erstmalig solche Objekte auch räumlich gut auflösen können. Als Beispiel ist in Abbildung 4 der große Supernovaüberrest RX J1713.7-3946 im Sternbild Skorpion unserer Milchstraße gezeigt, dessen Winkeldurchmesser doppelt so groß ist wie der des Vollmonds. Die nahezu sphärische Form der Explosionswolke im Gammalicht korreliert gut mit der nichtthermischen Röntgenstrahlung, die als Synchrotronstrahlung äußerst energiereicher Elektronen gedeutet wird. Dieses Gammabild ist der erste direkte Beweis der Existenz von geladenen Teilchen mit Energien oberhalb von etwa 3×1013 eV in solch einem Objekt (Abb. 5). Theoretisch kann man das Objekt erfolgreich durch die Gammaemission von nuklearen Teilchen (primär Protonen) beschreiben, die tatsächlich etwa zehn Prozent seiner gesamten Energie enthalten. Dies ist ein erster, entscheidender Schritt. Es gibt noch eine Reihe von derartigen Objekten, deren Verhalten bereits theoretisch vorhergesagt wurde. Sofern sie experimentell bestätigt werden könnten, wäre dies eine Lösung – und wohl die einzige – für das Jahrhundertproblem des Ursprungs der Galaktischen Kosmischen Strahlung.

Durchmusterung der Galaktischen Ebene

Im Jahr 2004 hat H.E.S.S. den ersten Teil einer Durchmusterung der Galaktischen Ebene abgeschlossen. Einschließlich späterer Nachbeobachtungen von Quellkandidaten wurden dabei 14 bislang unbekannte Gammaquellen gefunden, die zum Teil in noch keinem anderen Wellenlängenbereich identifiziert worden waren (Abb. 6). Die neuen Quellen haben inzwischen eine weltweite Aktivität mit satellitengestützten Instrumenten sowie mit bodengebundenen Radioteleskopen ausgelöst. Diese Ergebnisse ermöglichen über die Beschreibung von Einzelobjekten hinaus erstmals den Beginn der Untersuchung ganzer Populationen von Quellen, also typischer nichtthermischer Objekte.

Zukunftsperspektive

Erste Anfänge wurden gemacht, aus den Energiespektren weit entfernter extragalaktischer Objekte die Gammastrahlen-absorbierende Stärke des ultraviolett-optischen Strahlungsfelds der Summe aller Sterne im Universum zu bestimmen. Diese kosmologischen Untersuchungen konnten hier nicht erwähnt werden; sie werden aber weiter gehen. Ähnliches gilt für die Bemühungen, die großen extragalaktischen Objekte, wie Galaxienverschmelzungen und Galaxienhaufen im Gammalicht zu messen. Sie sollten die nichtthermischen Zustände des Universums auf einer großen räumlichen Skala aufzeigen. Obwohl das H.E.S.S.-Projekt als Experiment von begrenzter Lebensdauer konzipiert ist, mit einer begrenzten technischen Erweiterung, ergeben sich daraus neue Forschungsaufgaben für die nahe Zukunft.

Originalveröffentlichungen

Die Webseite des H.E.S.S.-Projekts hat die Adresse:
http://www.mpi-hd.mpg.de/hfm/HESS/HESS.html
Aharonian, F. A. et al. (H.E.S.S. Collaboration):
Discovery of very-high-energy gamma-rays from the Galactic Centre ridge.
Nature 439, 695-698 (2006).
Aharonian, F. A. et al. (H.E.S.S. Collaboration):
Very high energy gamma rays from the direction of Sagittarius A*.
Astronomy & Astrophysics 425, L13-L17 (2004).
Aharonian, F. A. et al. (H.E.S.S. Collaboration):
High-energy particle acceleration in the shell of a supernova remnant.
Nature 432, 75-77 (2004).
Berezhko, E. G., Völk, H. J.:
Theory of cosmic ray production in the supernova remnant RX J1713.7-3946.
Astronomy & Astrophysics 451, 981-990 (2006).
Aharonian, F. A. et al. (H.E.S.S. Collaboration):
The H.E.S.S. survey of the inner Galaxy in very high energy gamma rays.
Astrophysical Journal 636, 777-797 (2006).
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