Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Chirale Anionen in der Asymmetrischen Katalyse

Autoren
Reisinger, Corinna Marie; List, Benjamin
Abteilungen

Homogene Katalyse (Prof. Dr. Benjamin List)
MPI für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr

Zusammenfassung
Organokatalyse ist eine junge Katalysestrategie, bei der rein organische Katalysatoren verwendet werden. Aufgrund zahlreicher spektakulärer Entwicklungen hat sie sich einen festen Platz innerhalb der Organischen Chemie erobert. Hier beschreiben wir die Entwicklung und Anwendung eines neuartigen Konzepts, der Asymmetrischen Gegenanion-Vermittelten Katalyse. Diese neue Strategie wurde im Rahmen der Organokatalyse entwickelt, hat aber inzwischen auch zu interessanten Anwendungen in der Übergangsmetallkatalyse gefunden.

Stets waren Chemiker fasziniert von der hohen Effizienz und Selektivität, die enzymatische Umsetzungen auszeichnen. Besonders bemerkenswert ist die hohe Selektivität, die Enzyme gegenüber spiegelbildlichen Molekülen aufweisen. Häufig wird in enzymkatalysierten Reaktionen eines von zwei möglichen Spiegelbildmolekülen bevorzugt oder ausschließlich gebildet oder umgesetzt. Diese so genannte Enantioselektivität ist von herausragender Bedeutung in der Synthese von Wirkstoffen, da spiegelbildliche Moleküle (Enantiomere) unterschiedliche biologische Aktivitäten aufweisen. Auf der Suche nach synthetischen Enzymmimetika wurden über vier Jahrzehnte die verschiedensten chiralen Metallkomplexe untersucht. („Chiral“ bedeutet, dass ein Spiegelbild nicht durch Drehung mit dem Original zur Deckung gebracht werden kann). Obwohl etwa die Hälfte aller Enzyme völlig metallfrei ist, fanden rein organische Verbindungen als mögliche Katalysatorkandidaten kaum Beachtung.

Wirklich erkannt wurde das Potenzial der so genannten „Organokatalyse“ erst im Jahr 2000 mit der Entdeckung der Prolin-katalysierten Aldolreaktion [1]. In der Folgezeit führten systematische Studien am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung zur Entwicklung einer Reihe neuer Reaktionen, welche durch chirale Amine oder Aminosäuren hochselektiv katalysiert werden können, darunter beispielsweise Prolin-katalysierte Aldol-, Mannich-, Michael- und Aminierungsreaktionen. Darüber hinaus wurde die neue chirale Phosphorsäure TRIP entwickelt und erfolgreich als hoch-enantioselektiver Katalysator eingesetzt [2] (Abb. 1).

Die biomimetische Transferhydrierung von α,β-ungesättigten Aldehyden mit Hantzsch-Dihydropyridinen als synthetische NADH-Analoga erfolgte in Gegenwart katalytischer Mengen an Salzen chiraler Amine, beispielsweise chirale Ammoniumchloride [3]. Bei der Untersuchung verschiedener Salze machte sich ein ausgeprägter Anionen-Effekt auf Ausbeute und Enantioselektivität der Reaktion bemerkbar. Diese Beobachtungen und das Wissen um das Potenzial chiraler Phosphorsäuren in der Katalyse ließen die Hypothese zu, dass Salze achiraler Amine und chiraler Phosphorsäuren, chirale Ammoniumphosphate, die Reaktion ebenfalls enantioselektiv katalysieren können. Die stereochemische Information ginge somit ausschließlich von dem Phosphat-Gegenanion aus. Kürzlich konnte dieses Konzept am Beispiel der Transferhydrierung α,β-ungesättigter Aldehyde realisiert werden. Auch die Übertragung auf weitere Transformationen war bereits erfolgreich.

Asymmetrische Gegenanion-Vermittelte Katalyse (Asymmetric Counteranion Directed Catalysis, ACDC)

Die meisten chemischen Reaktionen verlaufen über geladene Zwischenprodukte oder Übergangszustände. Solche „polaren Reaktionen“ können durch das Gegenion beeinflusst werden. Ein Blick in die Literatur verrät, dass zahlreiche Beispiele katalytischer Umsetzungen unter Beteiligung anionischer Zwischenprodukte mit chiralen kationischen Katalysatoren existieren [4]. Eine Vielzahl chemischer Reaktionen durchläuft hingegen kationische Zwischenstufen auf dem Weg zur Produktbildung. Auf diese Reaktionen mit „inverser Polarität“ sollte man in gleicher Weise Einfluss nehmen können, indem ein Katalysator KX* eingesetzt wird, der ein chirales Anion enthält. Die Substrataktivierung durch den Katalysator KX* führt zur Ausbildung eines chiralen Ionenpaars. Die Chiralität des Gegenanions X* kann durch elektrostatische Wechselwirkung (im Zusammenspiel mit weiteren Effekten) auf das aktivierte Substrat übertragen werden, wodurch eine enantioselektive Produktbildung ermöglicht wird (Abb. 2).

Lange Zeit konnte dieses Konzept nicht erfolgreich umgesetzt werden. In vereinzelten Versuchen wurden nur wenig zufrieden stellende Enantioselektivitäten erzielt [5].
Die vielseitige Anwendbarkeit der neu eingeführten chiralen Phosphorsäure TRIP in der Säurekatalyse rückte diese auch auf der Suche nach geeigneten Katalysatoren für das ACDC-Konzept in den Mittelpunkt. Die Kombination von TRIP mit achiralen primären und sekundären Aminen führt zur Bildung chiraler Ammoniumphosphatsalze, deren Katalysepotential in der Transferhydrierung α,β-ungesättigter Aldehyde getestet wurde [6] (Abb. 3). Beide Komponenten dieser Salze erfüllen wichtige Funktionen. Das Amin aktiviert den Aldehyd als kationisches Iminiumion. Das chirale Phosphat TRIP wechselwirkt mit dem Iminiumion und induziert dadurch Chiralität. Mehrere chirale Ammoniumphosphatsalze gaben exzellente Ergebnisse. Mit dem Katalysatorsalz 1 wurden die höchsten Enantioselektivitäten erzielt, die bis zu diesem Zeitpunkt für diese Reaktion bekannt waren. In bestimmten Fällen konnten die beiden möglichen Enantiomere in einem Verhältnis von 99,5:0,5 (er = „enantiomeric ratio“) erhalten werden, was einer nahezu ausschließlichen Bildung eines Enantiomeren entspricht.

Des Weiteren ermöglichte das neuartige ACDC-Konzept im Gegensatz zu den „konventionellen“ organokatalytischen Methoden im Fall des Substrats Citral ebenfalls ausgesprochen hohe Enantioselektivitäten. Citronellal, das Hydrierungsprodukt des Citrals, ist ein zentrales Intermediat in der industriellen Synthese von Methanol und ein Parfüm-Inhaltsstoff.
Das ACDC-Konzept wurde auch auf Transferhydrierungen α,β-ungesättigter Ketone ausgeweitet, wofür sich das Katalysatorsalz 2 als besonders effektiv erwies [7] (Abb. 4). In diesem Fall lieferte das Zusammenspiel eines chiralen Anions und eines chiralen Kations die besten Ergebnisse. Die getesteten Kombinationen aus chiralen Anionen und achiralen Kationen waren leicht unterlegen.

Auch in der Epoxidierung von α,β-ungesättigten Aldehyden führte das ACDC-Konzept zum Erfolg [8] (Abb. 5). Die Methode zeichnet sich verglichen mit der durch chirale Amine katalysierten Variante durch ein besonders breites, signifikant erweitertes Substratspektrum aus.

In ACDC-Salzkatalysatoren können Anion und Kation unabhängig voneinander variiert werden. Die Möglichkeit eines kombinatorischen Katalysatorscreenings, wobei eine gewisse Anzahl an Anionen und Kationen in allen erdenklichen Kombinationen getestet wird, macht große und strukturell vielfältige Katalysatorbibliotheken schnell zugänglich. Aus der Struktur der Katalysatorsalze 1-3 wird deutlich, dass einzig durch die Variation der Aminkomponente drei vollkommen unterschiedliche Problemstellungen gelöst werden konnten.

Darüber hinaus ist die Bandbreite der ACDC-Katalyse nicht auf den Einsatz von Aminen in Kombination mit chiralen Phosphorsäuren und die Aktivierung von α,β-ungesättigten Carbonylverbindungen beschränkt. Ein neuer Ansatz besteht in der Kombination von TRIP mit Übergangsmetallkatalysatoren. Die Kombination mit einem Palladiumkatalysator führte in der enantioselektiven, direkten α-Allylierung α-verzweigter Aldehyde zu ausgezeichneten Ergebnissen [9] (Abb. 6).

Der vorgeschlagene Katalysezyklus beinhaltet die Bildung einer kationischen Palladiumspezies, welche in Gegenwart von TRIP chiral wird und enantioselektiv reagiert. In Bezug auf Übergangsmetallkomplexe ist die Rolle von TRIP nicht eindeutig festgelegt, die Übergänge zwischen chiralem Gegenion und chiralem Ligand sind fließend. Auch in anderen Arbeitsgruppen hat das ACDC-Konzept bereits Anwendung gefunden. Zeitgleich erschien eine Arbeit von Toste et al. [10] zur asymmetrischen Goldkatalyse unter Verwendung von TRIP als chirales Gegenion.

Ausblick

Die große Aktivität, mit der seit sieben Jahren auf dem Gebiet der Organokatalyse geforscht wurde, hat das Repertoire der Organischen Chemie mit zahlreichen effizienten und eleganten Synthesemethoden bereichert. Ihr Potenzial ist noch lange nicht erschöpft und wir werden auch in Zukunft die Entwicklung neuer Konzepte und Reaktionen sehen.

Originalveröffentlichungen

B. List, R. A. Lerner, C. F. Barbas, III:
Proline-Catalyzed Direct Asymmetric Aldol Reactions.
Journal of the American Chemical Society 122, 10, 2395-2396 (2000).
S. Hoffmann, A. M. Seayad, B. List:
A Powerful Brønsted Acid Catalyst for the Organocatalytic Asymmetric Transfer Hydrogenation of Imines.
Angewandte Chemie, International Edition 44, 45, 7424-7427 (2005).
J. W. Yang, M. T. Hechavarria Fonseca, N. Vignola, B. List:
Metal-Free, Organocatalytic Asymmetric Transfer Hydrogenation of α,β-Unsaturated Aldehydes.
Angewandte Chemie, International Edition 44, 1, 108-110 (2005).
K. N. Houk, B. List:
Asymmetric Organocatalysis.
Accounts of Chemical Research 37, 8, 487-631 (2004).
J. Lacour, V. Hebbe-Viton:
Recent developments in chiral anion mediated asymmetric chemistry.
Chemical Society Reviews 32, 6, 373-382 (2003).
S. Mayer, B. List:
Asymmetric Counteranion-Directed Catalysis.
Angewandte Chemie, International Edition 45, 25, 4193-4195 (2006).
N. J. A. Martin, B. List:
Highly Enantioselective Transfer Hydrogenation of α,β-Unsaturated Ketones.
Journal of the American Chemical Society 128, 41, 13368-13369 (2006).
X. Wang, B. List:
Asymmetric Counteranion Directed Catalysis for the Epoxidation of Enals.
Angewandte Chemie, International Edition 47, 6, 1119-1122 (2008).
S. Mukherjee, B. List:
Chiral Counteranions in Asymmetric Transition-Metal Catalysis: Highly Enantioselective Pd/Brønsted Acid-Catalyzed Direct α-Allylation of Aldehydes.
Journal of the American Chemical Society 129, 37, 11336-11337 (2007).
G. L. Hamilton, E. J. Kang, M. Mba, F. D. Toste:
A Powerful Chiral Counterion Strategy for Asymmetric Transition Metal Catalysis.
Science 317, 5837, 496-499 (2007).
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