Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung

Kernspintomographie-basierte Morphometrie

MRT-based Morphometry

Autoren
Tittgemeyer, Marc
Abteilungen

Kortikale Netzwerke (Dr. Marc Tittgemeyer)
MPI für neurologische Forschung, Köln

Zusammenfassung
Morphometrie des Gehirns meint die quantitative Beschreibung globaler und regionaler Hirnstrukturen auf der Grundlage hochauflösender kernspintomographischer Bildgebung. Sie verspricht neue Ansätze zur Charakterisierung neurologischer und psychiatrischer Krankheitsbilder in großen Patientenkollektiven, die ehemals der post-mortem-Analyse vorbehalten waren. Mit diesem Bericht sollen die modernen Verfahren der digitalen Morphometrie vorgestellt werden. Weil mittels Kernspintomographie gemessene morphologische Veränderungen des Gehirns nicht ausschließlich mit der Pathomorphologie einer Erkrankung zusammenhängen müssen, wird zusätzlich die wichtige Rolle allgemeiner physiologischer Einflussfaktoren betrachtet.
Summary
In neurobiological applications, brain morphometry is termed as a description of brain structure based on imaging modalities of size, shape, and texture. Hence, morphometry promises approaches on in-vivo characterisations of many neurological or psychiatric pathologies. This report shall outline the essential techniques of modern digital morphometry. Because structural alterations of brain tissues, as obtained by magnetic resonance imaging, are not necessarily related to a pathological process, the role of general physiological factors will be also discussed in this report.

Einleitung

Morphometrie befasst sich mit der Charakterisierung von Objekten durch Maßzahlen. Im engeren Sinne ermöglicht die digitale Morphometrie durch tomographische Bildgebung mittels Größe, Intensität, Form- und Texturparameter eine quantitative Beschreibung von Hirnstrukturen. Solche Maßzahlen können in Statistiken verwendet werden, um sie mit anderen klinischen und experimentellen Parametern zu analysieren. Neben der Verwendung von Computeralgorithmen stellt dabei vor allem die Verwendung neuer bildgebender Methoden den entscheidenden methodischen Durchbruch dar. Hierdurch ist es möglich geworden, detailierte Aufnahmen des gesamten Gehirns in vivo anzufertigen und im weiteren Untersuchungsverlauf gefahrlos zu wiederholen.

Solche Untersuchungen waren lange Zeit nicht möglich, da nur autoptisches, also totes und nachgefärbtes Gewebe, die einzige Möglichkeit bot, Hirnstrukturen zu vermessen. Bei der Definition normativer Befunde aus post-mortem Daten ergaben sich immer eine Reihe von Problemen: Das erste bestand darin, dass die oft geringe Effektstärke in den Untersuchungen nicht geeignet ist, zu einer normativen Aussage zu gelangen. Dieses Problem kann nur durch repräsentative Stichproben, beispielsweise durch Zugriff auf Gehirndatenbanken, gelöst werden. Das zweite Problem hat mit der Kontrolle der Populationsselektion zu tun: Im Regelfall war die Stichprobe durch eine Überrepräsentanz an alten und/oder kranken Menschen gekennzeichnet. Zudem erschwerten langfristige Trends (z.B. langfristige Änderungen von Ernährungsgewohnheiten) die Vergleichbarkeit von Alterskohorten. Das dritte Problem betraf die Verfahrensweise mit autoptischem Material: Die Dauer vom Tod des Patienten bis zur Fixierung des Hirngewebes, Fixierungsartefakte, unterschiedliche Fixierungs-, Einbettungs- und Färbemethoden erschwerten die Vergleichbarkeit der Studien. Die erste Methode, mit der Hirnstrukturen dann indirekt in vivo dargestellt werden konnten, war die Pneumenzephalographie, eine immer noch sehr invasive und nebenwirkungsreiche Methode, bei der die Liquorräume (Räume, die Gehirnflüssigkeit enthalten) mit Luft gefüllt und anschließend Röntgenaufnahmen des Kopfes angefertigt wurden.

In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelang es erstmals, mit der Computertomographie (CT) das Gehirn dreidimensional darzustellen. Der entscheidende Fortschritt in der Detailgenauigkeit einer Abbildung des Gehirns wurde mit der Kernspintomographie (MRT) erreicht, die eine deutlich höhere räumliche Auflösung (>/= 1 mm) unter Verzicht auf ionisierende Strahlung ermöglichte. Dieses Verfahren hat sich zum heutigen Standardwerkzeug makroskopischer Anatomie im klinischen Alltag und in der Forschung etabliert.

Neben den verschiedenen methodischen Entwicklungen hat die digitale Morphometrie durch neue Fragestellungen eine zunehmende Bedeutung in den Neurowissenschaften erlangt. Ging es in den Anfängen um die Quantifizierung globaler Parameter, wie zum Beispiel dem Gesamt-Hirngewicht, eröffnet sich heute ein breites Untersuchungsspektrum: Rekonstruktion und Berechnung zerebraler Läsionen, regionale, volumetrische Veränderungen bei bestimmten Hirnerkrankungen und Fragen zur Hirnplastizität als Fähigkeit zur Anpassung an verschiedenartige physiologische und pathologische Einflüsse.

In diesem Bericht werden zunächst die Verfahren zur morphometrischen Analyse kernspintomographischer Bilder des Gehirns vorgestellt. Daran anschließend folgt ein Überblick über normale physiologische Einflussgrößen, die den Fehler der Methode und das Risiko von Fehlinterpretationen bestimmen.

Verfahren der digitalen Morphometrie

In der (konventionellen) MR-Volumetrie wird das Volumen einer bestimmten Hirnregion durch Auszählung der dazugehörigen Bildpixel bestimmt. Ist darüber hinaus ein statistischer Vergleich von Hirnstrukturen von Interesse, werden weiterführende Verfahren benötigt. Hier stehen zwei Ansätze zur Verfügung, die so genannte voxel-basierte Morphometrie (VBM) und die deformations-basierte Morphometrie (DBM).

MR- Volumetrie
Um eine Hirnstruktur volumetrisch beschreiben zu können, muss diese zunächst von der Umgebung abgegrenzt, das heißt segmentiert werden. Generell stehen für die Segmentierung drei Ansätze zur Verfügung: i.) Manuelles Markieren durch einen Experten als genaues, aber zeitaufwändiges Verfahren; ii.) automatische Segmentierung durch elektronische Bildverarbeitungsprozeduren, die dann möglich sind, wenn die zu segmentierende Struktur algorithmisch abgrenzbar ist (zum Beispiel Großhirn, Ventrikelsystem); iii.) hochdimensionale Deformation auf ein vorsegmentiertes Gehirn. So können im Prinzip auch im Kernspintomographen nicht sichtbare Hirnstrukturen (zum Beispiel Zellarchitekturen) indirekt vermessen werden.

Deformations- und voxelbasierte Morphometrie
Um die zeitlich oder räumlich variablen Hirnstrukturen beschreiben zu können, bedarf es eines Verfahrens, welches den intra- oder interindividuellen Vergleich von MR-Aufnahmen ermöglicht. Ein solcher Vergleich erfordert die Transformation der Hirnschnittbilder (Tomogramm) in ein Referenzkoordinatensystem. Das Ziel dieser so genannten Bildregistrierung ist die (eindeutige) Transformation von einem Tomogramm auf ein anderes. Letztlich ermöglicht das Registrierungsverfahren, homologe Punkte in zwei unterschiedlichen Bildern zu erfassen und die mathematische Transformation zwischen den beiden Punkten zu berechnen. Eine solche Transformation ist als dreidimensionaler Vektor an jedem Bildvoxel definiert und kann auch als Deformation aufgefasst werden. Morphometrische Studien, die eine Struktur- oder Formbeschreibung auf Grundlage dieser so genannten Deformationsfelder zum Ziel haben, werden unter dem Begriff der deformationsbasierten digitalen Morphometrie (DBM, Abb. 1) subsummiert.

In den meisten morphometrischen Arbeiten wurden (in-vivo) Variationen in den Hirnstruktuen ausschließlich voxel-basiert bestimmt. Die Verfahren der so genannten voxelbasierten Morphometrie (VBM) orientieren sich sehr eng an der Volumetrie. Für den angestrebten intra- oder interindividuellen Vergleich wird zunächst in jedem Tomogramm nach der Anpassung an einen Hirnatlas die jeweilige Hirnstruktur segmentiert. Danach wird das Volumen durch Auszählung der Voxelzahl ermittelt und dessen Variation durch Gruppenstatistik bestimmt (Abb. 2).

Physiologische Einflussfaktoren

Dass mittels Kernspintomographie gemessene strukturelle Veränderungen des Gehirns nicht ursächlich mit der Pathomorphologie einer Erkrankung zusammenhängen müssen, ist verschiedentlich angemerkt worden. Blutflussänderungen, Schwankungen im Fett- und Wassergehalt des Hirngewebes, Medikamente und andere Parameter wie zum Beispiel Ernährung, hormonelle Faktoren oder Substanzmissbrauch führen zu quantitativen Veränderungen des Hirngewebes und müssen als Einflussfaktoren auf morphometrische Kennwerte berücksichtigt werden.

Es liegen eine Reihe von MR- Studien vor, die den volumetrischen Einfluss verschiedener Parameter auf das Gehirn global, aber auch regional untersucht haben. Bemerkenswert ist, dass endokrine Schwankungen im Zusammenhang mit Fehlernährung Veränderungen des Hirn- beziehungsweise des Ventrikelvolumens zur Folge haben können und dass schon hormonelle Schwankungen im Rahmen des Menstruationszyklus morphometrisch nachweisbar sind. Besonders der Hydratationsstatus einer Versuchsperson oder eines Patienten dürfte auch eine entscheidende Rolle spielen. So konnte beispielsweise bei dialysepflichtigen Kranken in einem Prä-/Post-Vergleich eine Zunahme des globalen Hirnvolumens von 3% beobachtet werden. Untersuchungen aus unserer Arbeitsgruppe Morphometrie und Kognition zeigten, dass eine Minderung des globalen Hirnvolumens von etwa 2 % schon nach geringen Veränderungen des Hydratationstatus festgestellt werden kann; eine Volumenminderung dieser Größe ist mit dem Substanzverlust im Jahresverlauf bei milder Alzheimer Demenz vergleichbar (Abb. 3).

Im Zusammenhang mit Hydration sind auch volumetrische Veränderungen zu sehen, die mit Schwankungen des Glukosespiegels, dem Missbrauch von Drogen, von Alkohol und einer Vielzahl an Medikamenten einhergehen. Beschrieben sind hier insbesondere auch Kortikosteroide und das Wachstumshormon (HGH).

Schlussfolgerung

Mit digitaler Morphometrie lässt sich bewerten, ob bei bestimmten Hirnerkrankungen signifikant häufiger strukturelle Auffälligkeiten zu finden sind oder wie eng sich der Begriff „normal“ fassen lässt. Um etwas über die Dynamik eines Hirnprozesses aussagen zu können, muss man eine genügend große Stichprobe über eine genügend lange Zeit untersuchen. Um die Repräsentanz einer Stichprobe zu bewerten, ist die Kenntnis verschiedener Einflussgrößen notwendig. Hiebei verdeutlicht inbesondere die Breite der physiologischen Einflussfaktoren die Wichtigkeit einer genauen Kollektivkontrolle und –beschreibung. Um den Zeitverlauf angemessen zu berücksichtigen, müssen alle Stadien des Krankheitsverlaufs betrachtet werden.

Zur Redakteursansicht