Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Chemie
Spione für atmosphärische Schadstoffe und Treibhausgase: neue Satelliteninstrumente ermöglichen globalen Blick
Spies for atmospheric pollutants and greenhouse gases: Satellite instruments provide global view
Satellitenfernerkundung (Prof. Dr. Thomas Wagner)
MPI für Chemie, Mainz
Einleitung
Die Erforschung des Erdklimas und der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre erfolgt heute weitgehend unter Berücksichtigung globaler Wechselwirkungen. Vom Menschen emittierte Treibhausgase haben typischerweise sehr lange atmosphärische Aufenthaltsdauern (im Bereich von vielen Dekaden), was zu einer sehr gleichmäßigen Verteilung und damit weitgehenden Entkopplung der Wirkungen von den Emissionen führt. Auch Luftschadstoffe (Gase und Aerosole), deren Aufenthaltsdauer oft sehr viel geringer ist (Stunden bis Tage), können von Winden über kontinentale Distanzen transportiert werden und trotz verringerter Konzentrationen einen erheblichen Anteil an lokalen oder regionalen Beeinträchtigungen der Luftqualität verursachen. Ein frühes Beispiel für solche „Fernwirkungen“ war das Fischsterben in Skandinavischen Seen Anfang der 1970er Jahre, das fast ausschließlich durch Schwefeldioxid-Emissionen aus anderen Ländern Europas verursacht war. Die aktuelle Forschung beschäftigt sich zunehmend mit den Emissionen, dem Transport und der chemischen Umwandlung von sogenannten Ozonvorläufersubstanzen, wie z.B. Stickoxiden und flüchtigen organischen Verbindungen. Diese bestimmen in großem Maß die sogenannte Oxidationskapazität der Atmosphäre, also die Fähigkeit der Atmosphäre zu ihrer Selbstreinigung. Die Oxidationskapazität bestimmt unter anderem auch die Abbauraten verschiedener Treibhausgase und stellt so einen wichtigen Wechselwirkungsmechanismus zwischen Klima und atmosphärischer Chemie dar.
Mithilfe numerischer Simulationen können die physikalischen Eigenschaften und die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre beschrieben und auch die zu erwartende zukünftige Entwicklung vorhergesagt werden. Solche Modellrechnungen beruhen auf dem heutigen Wissen über die physikalischen und chemischen Prozesse in der Atmosphäre sowie ihre Wechselwirkungen mit den anderen Teilsystemen wie z.B. Ozeane und Biosphäre. Trotz einer Vielzahl von Vereinfachungen (bedingt z.B. durch noch unzureichendes Basiswissen oder begrenzte Rechenkapazität) ist es heute möglich, durch solche Simulationen aussagekräftige Vorhersagen zu erzielen, die auch zunehmend als Grundlage politischer Entscheidungen anerkannt werden [1]. Die Qualität solcher Modellsimulationen muss (und kann nur) durch Vergleiche mit experimentell gewonnenen Daten überprüft werden. Neben meteorologischen Parametern wie z.B. Temperatur und Luftfeuchte werden hierzu auch zunehmend Messungen atmosphärischer Treibhausgase und Luftschadstoffe verwendet. Typischerweise werden solche Messdaten lokal, d.h. von Instrumenten am Boden oder auf Flugzeugen und Ballonen gewonnen. Naturgemäß ist eine konsistente, globale Abdeckung durch solche Messungen allein nicht möglich.
Satellitenfernerkundung
Die Fernerkundung der Erdatmosphäre mit Satelliten bietet eine völlig neue Informationsqualität. Neben dem fundamentalen Perspektivwechsel, durch den man den eigenen Lebensraum nun erstmals von außen „beobachten“ kann, existieren auch viele praktische Vorteile, im Wesentlichen die Verfügbarkeit von Information über räumliche Verteilungen auf globaler Skala. Aus den Einzelmessungen können „Weltkarten“ der Verteilung verschiedener Spurenstoffe erstellt werden, anhand derer sich z.B. Emissionsquellen und atmosphärische Transformationsprozesse identifizieren und untersuchen lassen. Ein weiterer Vorteil von Satellitenmessungen ist, dass verschiedene Regionen der Erde mit nur einem Instrument vermessen werden, was eine direkte Vergleichbarkeit der gemessenen Werte ermöglicht. Eine unabhängige Kontrollmöglichkeit aus dem All könnte in Zukunft eine wichtige Rolle für die Überwachung internationaler Vereinbarungen (z.B. für das Kyoto-Protokoll) spielen.
Die wesentlichen Einschränkungen satellitengebundener Fernerkundungsmethoden sind durch ihre Ferne zum beobachteten Objekt begründet. Typischerweise sind die beobachteten Volumina sehr groß (Dimensionen bis zu mehreren hundert Kilometern). So repräsentieren die gemessenen Spektren Mittelwerte für Gebiete, innerhalb derer die beobachteten Spurenstoffe starke Variationen aufweisen können. Eine limitierte räumliche Auflösung sollte indessen nicht nur als Nachteil gesehen werden. Satellitenbeobachtungen sind durch ihre integrative Natur oft repräsentativer für den Zustand der Atmosphäre als lokale Messungen. Eine weitere Einschränkung besteht in der niedrigen Abtastrate. Trotz der insgesamt sehr großen Zahl von Einzelmessungen wird der gleiche Ort nur mit großen zeitlichen Abständen (z.B. einmal pro Tag) oder auch nur für bestimmte Bedingungen (z.B. nur tagsüber) beobachtet. Darüber hinaus haben Satellitenbeobachtungen typischerweise eine relativ geringe Messempfindlichkeit, die grundsätzlich durch die Transparenz der Atmosphäre begrenzt ist. Im Extremfall macht dichte Bewölkung die Beobachtung bodennaher Spurenstoffe völlig unmöglich.
Während der letzten 40 Jahre hat sich eine Vielzahl atmosphärischer Fernerkundungsmethoden mit Satelliten etabliert. Diese Messungen werden in verschiedenen Spektralbereichen und Beobachtungsgeometrien durchgeführt [2]. Speziell zur Messung stratosphärischer Spurenstoffe existieren seit vielen Jahren etablierte Verfahren, die in der so genannten Okkultations- oder Limb-Beobachtungsgeometrie durchgeführt werden (Abb. 1). Messungen troposphärischer Spurenstoffe waren mit wenigen Ausnahmen bis zum Start des Global Ozone Monitoring Experiment (GOME) im April 1995 nicht möglich [3].
Satellitenmessungen im ultravioletten, sichtbaren und nah-infraroten Spektralbereich
Seit etwa 10 Jahren erlauben neuartige Satelliteninstrumente auch die Messung einer Vielzahl bodennaher Spurenstoffe [4]. Diese Instrumente messen das von der Erde reflektierte und von der Atmosphäre zurückgestreute Sonnenlicht in Nadir-Beobachtungsgeometrie (siehe Abb. 1). Für wolkenfreie Messungen stammt ein Großteil des gemessenen Lichts von der Reflektion am Erdboden oder aus den unteren Luftschichten; daher sind solche Messungen sehr empfindlich auch für bodennahe Spurenstoffabsorptionen. Neben dem GOME-Instrument wurden bisher drei weitere ähnliche Satelliteninstrumente in eine Erdumlaufbahn gebracht (siehe Tabelle 1).
Das herausragende Merkmal dieser neuen Generation von Satelliteninstrumenten ist ihre moderate spektrale Auflösung (ca. 0,2 nm) über einen weiten Spektralbereich (typischerweise vom UV bis roten Spektralbereich, siehe Tabelle 1). Aus den so erhaltenen „Super-Farbaufnahmen“ (mit mehreren tausend spektralen Kanälen) lassen sich die Absorptionsstrukturen einer Vielzahl atmosphärischer Spurenstoffe identifizieren und mit bislang einzigartiger Genauigkeit quantitativ analysieren. Mit der Methode der Differentiellen Optischen Absorptions-Spektroskopie (DOAS) [5] ist es möglich, Absorptionsstrukturen von kleiner als 1 Promille der gemessenen Gesamtintensität auszuwerten. DOAS beruht auf der simultanen Anpassung verschiedener im Labor gewonnener Spurenstoff-Absorptionsspektren an das vom Satelliten gemessene Spektrum in ausgewählten Spektralbereichen (siehe Abb. 2). Derzeit können aus den Satellitenspektren die folgenden Spurenstoffe analysiert werden: O3, NO2, BrO, OClO, SO2, HCHO, H2O, CHOCHO, IO, O2, (O2)2. Viele dieser Substanzen spielen eine wichtige Rolle für die Chemie der bodennahen Luftschichten. Der ins nahe IR erweiterte Spektralbereich des SCIAMACHY-Instruments erlaubt zudem die Analyse der Treibhausgase CO2 und CH4 sowie von CO.
Die Ergebnisse der spektralen Auswertung beschreiben die entlang des atmosphärischen Lichtwegs integrierte Spurenstoffkonzentration. Mithilfe atmosphärischer Strahlungstransport-Simulationen lässt sich diese in die sogenannte vertikale Säulendichte (VCD) – die über die Höhe integrierte Spurenstoffkonzentration – umrechnen.
Globale Spurenstoffverteilungen
Die aus Satellitenmessungen gewonnenen globalen Datensätze bodennaher Spurenstoffe bieten völlig neue Möglichkeiten zur Erforschung der atmosphärischen Zusammensetzung und des Klimas. Speziell für die Spurenstoffe mit kurzer atmosphärischer Verweildauer (wie z.B. NO2) zeigen die gewonnenen Spurenstoffkarten ausgeprägte Muster und starke Gradienten. Lokal erhöhte Werte lassen sich in vielen Fällen direkt einzelnen Emissionsquellen zuordnen [6]. Im Folgenden werden die gemessenen Verteilungen für NO2 und HCHO (Formaldehyd) näher vorgestellt (siehe Abb. 3 und 4). NO2 entsteht vor allem bei Verbrennungsprozessen und ist eine wichtige Vorläufersubstanz zur Bildung von bodennahem Ozon. NO2 wird überwiegend durch menschliche Aktivitäten (z.B. Verkehr) erzeugt; die höchsten Werte werden über stark industrialisierten Regionen Nordamerikas, Europas und Ostasiens beobachtet [7]. Natürliche Quellen tragen in geringerem Maß zu der beobachteten NO2-Verteilung bei. So sind etwa die leicht erhöhten Werte über Afrika oder Australien durch Blitze und Bodenemissionen verursacht.
HCHO entsteht beim photochemischen Abbau flüchtiger organischer Substanzen in der Atmosphäre. Erhöhte Werte werden vor allem über tropischen Regionen mit üppiger Vegetation beobachtet. Sie sind sowohl durch Emissionen lebender Pflanzen als auch durch die Schadstofffreisetzung bei Waldbränden verursacht. Menschliche Aktivitäten, z.B. über Nordamerika, Europa oder Ostasien, tragen zu einem geringeren Anteil zu der beobachteten HCHO-Verteilung bei.
Die in den Satellitendatensätzen enthaltenen räumlichen Muster erlauben es, selbst relativ schwache Emissionen eindeutig zuzuordnen. Dies ist ein entscheidender Vorteil gegenüber anderen Messverfahren und soll im Folgenden an einem ausgewählten Beispiel verdeutlicht werden. Abbildung 5 zeigt einen Ausschnitt der in Abbildung 3 vorgestellten NO2-Verteilung. Allerdings sind die Werte über den Kontinenten ausgeblendet und die Verteilung über den Ozeanen ist in horizontaler Dimension hochpassgefiltert. Auf diese Weise werden auch die sehr schwachen Schiffsemissionen „sichtbar“, die typischerweise um mehr als eine Größenordnung niedriger sind als die Werte über Land. Durch den Vergleich mit Karten der Schiffsverkehrsdichte lassen sich aus den Satellitendaten die Schiffs-NO2-Emissionen abschätzen. Global extrapoliert ergibt sich ein Wert von etwa 26 Gigagramm Stickstoff pro Jahr [8]. Ohne die klare Identifizierung der Schiffsverkehrsmuster in den „Satelliten-NO2-Karten“ wäre eine solche Bestimmung nicht möglich gewesen.
Ausblick
Während der letzten Jahre konnten viele bodennahe Spurenstoffe erstmals aus Satellitendaten analysiert werden. Anhand der gewonnen „Spurenstoff-Weltkarten“ war es möglich viele Emissionsquellen zu identifizieren und zu charakterisieren. Bislang sind die Unsicherheiten der Satellitendaten jedoch meist noch sehr groß, und die wissenschaftliche Interpretation konzentriert sich weitgehend auf die relativen Aussagen, z.B. zur raum-zeitlichen Variation. In Zukunft wird sich der Schwerpunkt der Datenauswertung auf die quantitative Interpretation verschieben. Hierfür ist vor allem eine verbesserte Korrektur des Einflusses von Wolken und Aerosolen auf die Messung bodennaher Spurenstoffe wichtig. Neben den Datensätzen bodennaher Spurenstoffe werden auch die globalen Verteilungen stratosphärischer Spurenstoffe analysiert (vor allem aus Limb-Messungen). Diese Datensätze dienen zum einen der weiteren Erforschung der stratosphärischen Ozonchemie. In Kombination mit den Nadir-Messungen erlauben sie aber auch eine genauere Bestimmung des bodennahen Anteils an der atmosphärischen Spurenstoff-Gesamtsäule.
Durch detaillierte Vergleiche weiter verbesserter Satellitendatensätze mit Modellergebnissen lassen sich insbesondere auch die Emissionen und Budgets atmosphärischer Spurenstoffe quantitativ überprüfen und aktualisieren. Das Potential dieser Methode konnte in einer kürzlich vorgestellten Studie am Beispiel des Treibhausgases Methan erfolgreich demonstriert werden [9]. Die immer länger werdende Messdauer der Satelliteninstrumente und ihr zeitlicher Überlapp machen die gewonnenen Datensätze auch zunehmend interessant für die Untersuchung von Langzeittrends und deren räumlicher Muster [10]. Dies ist gerade in Hinblick auf den Klimawandel relevant, aber auch für die Überwachung von Luftverschmutzung in Bodennähe.
Danksagung
Der Autor dankt seinen Kolleginnen und Kollegen in der Arbeitsgruppe für die angenehme, anregende und fruchtbare Zusammenarbeit: Steffen Beirle, Liu Cheng, Tim Deutschmann, Michael Grzegorski, Fahim Khokhar, Sven Kühl, Thierry Marbach, Kornelia Mies, Marloes Penning de Vries, Ulrich Platt, Janis Pukite, Suniti Sanghavi und Rüdiger Sörensen. Vielen Dank für die Bereitstellung der Satellitendaten durch die Europäische Raumfahrtagentur (ESA), das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT).