Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

Chemische Erosion und amorphe Kohlenwasserstoffschichten

Autoren
Fussmann, Gerd; Bohmeyer, Werner
Abteilungen

Plasmaphysik
MPI für Plasmaphysik, Garching

Zusammenfassung
Als Wandmaterialien für das Plasmagefäß von Fusionsanlagen, insbesondere für ITER, werden unterschiedliche Materialien – Wolfram, Beryllium und faserverstärkte Graphite – diskutiert, die unterschiedliche Vor- und Nachteile aufweisen. Genauer untersucht wurden Graphit. Nachteilig ist hier die Abscheidung amorpher Kohlenwasserstoffschichten auf den Gefäßwänden, die im Prinzip jedoch vermieden werden können.

Ein wichtiges Untersuchungsgebiet der Arbeitsgruppe ist die Analyse möglicher Wandmaterialien für das Plasmagefäß von Fusionsanlagen. Zurzeit im Vordergrund steht dabei das internationale ITER-Projekt in Frankreich, das als entscheidende Vorstufe eines künftigen Fusionskraftwerks betrachtet werden kann. Als Wandmaterial werden zurzeit Wolfram, Beryllium und verschiedene faserverstärkte Graphite diskutiert, die jeweils sowohl Vor- als auch Nachteile aufweisen.

Die Alternativen

Großer Vorteil von Wolfram sind seine besonders niedrigen Zerstäubungsraten. Nachteilig ist aber, dass ins Plasma hinein diffundierende Wolfram-Atome wegen ihrer hohen Kernladungszahl (Z = 74) dort nicht vollständig ionisiert werden und daher zu sehr hohen Strahlungsverlusten in Form von Licht führen. Diese Verluste können das Plasma so stark abkühlen, dass die Fusionsprozesse schließlich erlöschen und keine Energieproduktion mehr stattfindet. Die maximal zulässige Konzentration von Wolfram im Plasmazentrum beträgt nur einige 10-5 bezogen auf die Dichte der Elektronen. Es kommt also darauf an, den Zufluss an Wolfram am Plasmarand, d.h. die Zerstäubung der Materialien und den Transport der Ionen quer zum Magnetfeld, hinreichend klein zu halten. Dies gelingt durch den so genannten Divertor, eine magnetische Quadrupol-Konfiguration, mit der man den Energiefluss auf spezielle Prallplatten in großer Entfernung vom heißen Kernplasma lenken kann. Als weiterer Nachteil von Wolfram erweist sich seine Aktivierung durch den hohen Neutronenfluss aus einem brennenden Fusionsplasma. Um die entstehenden radioaktiven Produkte möglichst gering zu halten, wird man voraussichtlich nur mit dünnen Wolframschichten arbeiten. In den gegenwärtigen Experimentieranlagen wie ASDEX Upgrade werden sie im „plasma spraying“-Verfahren auf Graphitkacheln aufgebracht.

Im Gegensatz zu Wolfram treten bei Beryllium und Graphiten die Probleme von Strahlungskühlung und Aktivierung nicht auf. Zusätzlich zeichnen sich insbesondere faserverstärkte Graphite durch eine hohe Wärmeleitfähigkeit aus und es kann keine Oberflächenzerstörung durch Schmelzen auftreten. Allerdings ist die Zerstäubungsrate wesentlich höher als im Falle von Wolfram, was zu inakzeptablen Materialverlusten an den Wänden und vor allem an den Prallplatten führen kann. Ach können die in das Plasma diffundierenden C6+-Ionen den Fusionsbrennstoff erheblich verdünnen, was die Fusionsleistung reduziert. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zu Wolfram, bei dem die Zerstäubung nur physikalisch, d.h. durch aufschlagende Ionen oder Atome geschieht, Graphite auch chemisch zerstäubt werden können. Verantwortlich hierfür sind die ins Material eindringenden Wasserstoffatome (sowie Deuterium- und Tritium-Isotope), die durch Rekombination der Ionen an der Oberfläche entstehen. Im Inneren der Graphite kommt es infolgedessen zur Bildung von Methan und anderen Kohlenwasserstoffen, die als gasförmige Verbindungen den Festkörper wieder verlassen und ins Plasma eintreten können. Leider ist diese chemische Erosion nur schwach von der Temperatur des Plasmas abhängig. Die niedrigen Temperaturen, die man mithilfe des Divertors erreichen kann, können sich daher im Falle von Graphit nur wenig begünstigend auswirken.

Analyse

Erste Labormessungen mit Protonenstrahlen ergaben äußerst ungünstige Resultate. Die Zerstäubungsausbeute betrug etwa 10 Prozent: Jedes zehnte auftreffende Proton setzt also durch chemische Erosion ein in Molekülen gebundenes C-Atom frei. Allerdings waren diese Messungen wegen der elektrischen Abstoßung auf relativ kleine Protonenflussdichten beschränkt. Flussdichten, wie sie in bestehenden Fusionsanlagen auftreten, sowie die nochmals um ein bis zwei Größenordnungen höheren Werte in ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) können nur mithilfe eines quasineutralen Plasmastrahls erreicht werden.

An dieser Stelle konnte die Berliner Arbeitsgruppe mit dem stationär betriebenen Plasmagenerator PSI-2 einen Beitrag leisten. Es zeigte sich, dass glücklicherweise die Zerstäubungsausbeute (Y) mit zunehmender Flussdichte (Γ) erheblich abnimmt. Für ITER-Verhältnisse (1024 Ionen/m2 s) sinkt sie auf Werte um 0,5 Prozent ab, was zu erträglichen Materialumsetzungen führt. Abbildung 1 zeigt eine Zusammenfassung der an den verschiedensten Anlagen gefundenen Messwerte. Die mit PSI-2 gewonnenen Werte (rote Karos) überdecken dabei einen großen Teil des gesamten Messbereichs und bestätigen damit nachdrücklich die generelle Aussage Y ~ Γ −1/2.

Die Ursache für diese flussbedingte Abnahme der Erosion ist nicht genau verstanden. Grundsätzlich kann man jedoch davon ausgehen, dass die Rekombination der H-Atome zu H2 im Festkörper als konkurrierender Prozess zur Methanbildung mit zunehmender H-Konzentration an Bedeutung gewinnt.

Amorphe Kohlenwasserstoff-Beschichtungen

Im Verlaufe der Untersuchungen stellte sich heraus, dass mit der chemischen Erosion noch ein weiterer nachteiliger Prozess verbunden ist, der die Verwendung von Graphit in Fusionskraftwerken erheblich einschränken könnte. Es handelt sich um die Entstehung von amorphen Kohlenwasserstoff-Beschichtungen auf den kühleren Oberflächen der Anlagen. Derartige Schichten wurden u.a. an dem europäischen Gemeinschaftsprojekt JET (Joint European Torus, Culham, England) gefunden. Sie können sich zu massiven Blättern (carbon flakes) ausbilden, die schließlich sogar von den Wänden abfallen und sich am Boden ansammeln. Da in ihnen das Verhältnis von H zu C nahe bei 1 liegt, bilden derartige Schichten unter Umständen ein erhebliches Reservoir an Wasserstoff bzw. Tritium. Aus Sicherheitsgründen – Tritium ist ein weicher Betastrahler mit 12,3 Jahren Halbwertzeit – sollte im Inneren des gesamten Plasmagefäßes eine Höchstmenge von 350 Gramm Tritium aber nicht überschritten werden. Der Effekt der Kohlenwasserstoff-Beschichtung könnte es unter ungünstigen Bedingungen also nötig machen, in ITER nicht mehr als 1000 Entladungen von jeweils etwa 400 Sekunden Dauer auszuführen, – eine ganz erhebliche Einschränkung des Experimentierbetriebs. Es muss daher eine Lösung gefunden werden, das Schichtwachstum zu unterbinden.

Diesem Problem ging man durch experimentelle Untersuchungen und Simulationsrechnungen nach: Der Plasmagenerator PSI-2 erlaubt es (siehe Jahrbuch 2002), stationäre Plasmen von 2,5 Meter Länge und 6 bis 8 Zentimeter Durchmesser herzustellen. Hinsichtlich Dichte und Temperaturen entsprechen sie näherungsweise den Plasmen in den Randzonen der großen Fusionsanlagen (ne = 1017 – 3·1019 m-3, Te = 1 – 30 eV). Besonders günstig ist die Möglichkeit, außer H-Plasmen auch Edelgasplasmen herstellen zu können, sodass die spezifisch in Wasserstoffplasmen auftretenden Erscheinungen (H-Erosion) von den generellen Erscheinungen getrennt werden können. Die Untersuchungen sollten die folgenden Fragen beantworten:

1. Welche Moleküle, Radikale und deren Ionen werden im Plasma gebildet?
2. Welche der so gebildeten neutralen Teilchen besitzen eine hohe Haftwahrscheinlichkeit und tragen daher besonders zum Schichtwachstum bei?
3. Gibt es Erosionsprozesse an den Wänden, die unter bestimmten Bedingungen das Schichtwachstum unterdrücken können?

Zur Beantwortung der ersten Frage wurden vor allem Massenspektrometer und optische Diagnostiken eingesetzt. Die wesentlich aufwändigere Infrarot-Laser-Absorptionsmessung (IRMA) zeigte nicht den erhofften Erfolg, da die Teilchendichten der besonders interessanten Radikale (CH2, CH3) um etwa ein bis zwei Zehnerpotenzen unter der Nachweisgrenze lagen. Eine Schwierigkeit bei diesen Untersuchungen ist die Vielzahl der auftretenden Spezies. So ergeben sich bereits beim Einlass von Methan (CH4), dem einfachsten Kohlenwasserstoffmolekül, 22 Dissoziationsprodukte, die teils als Ionen, teils als Neutrale vorkommen. Hiervon sind einige leicht (CH, C2H2, C2H4), andere dagegen schwer bzw. überhaupt nicht nachzuweisen. Dass die eingeblasenen Kohlenwasserstoffe jedenfalls sehr leicht vom Plasma zersetzt und umgewandelt werden, ist aus der Abbildung 2 ersichtlich. Das Foto zeigt das vom CH-Molekül ausgehende blaue Leuchten (Bande bei 430 Nanometern), wenn Ethen (C2H4) in ein Helium-Plasma eingeblasen wird. Bereits in der äußeren Randschicht des Plasmas (Te ~ 3 eV, ne ~2·1017 m-3) findet die Umwandlung bis hin zum CH-Molekül statt.

Für die experimentellen Untersuchungen der zweiten und dritten Frage wurde die in Abbildung 3 skizzierte Anordnung benutzt. Wie bereits erwähnt, werden die gasförmigen Kohlenwasserstoffe wie Methan, Ethen oder Acetylen durch eine Düse ins Plasma eingeblasen. Nach Umwandlung im Plasma schlagen sich die Teilchen mit hoher Haftwahrscheinlichkeit auf dem gegenüber angebrachten Kollektor nieder. Der Kollektor ist auf einem Manipulator angebracht, sodass sein Abstand zum Plasma variiert werden kann. Mithilfe eines Thermostaten kann seine Oberflächentemperatur auf Werte zwischen 30 und 300 Grad Celsius eingestellt werden. Letzteres ist wichtig, da sich herausstellte, dass das effektive Schichtwachstum von der Temperatur der Kollektorfläche abhängt.

Nützliche Erosion

Die sich ergebende Schichtdicke kann dann durch ein optisches Verfahren in situ gemessen werden. Hierzu wird das an der Schicht reflektierte Licht einer Halogenlampe spektral vermessen. Aus der Veränderung der Reflexion im Wellenlängenbereich von 500 bis 800 Nanometern lässt sich die Schichtdicke im Bereich von 10 bis 200 Nanometern mit einer Genauigkeit von 1 Nanometer bestimmen. Die Abbildungen 4 und 5 zeigen Ergebnisse für Entladungen in Argon und Wasserstoff, in die jeweils die gleiche Menge an Ethen (C2H4) durch eine Düse eingeblasen wurde: In beiden Plasmen nimmt die Schichtdicke zunächst linear mit der Zeit zu. Allerdings ist der Aufwuchs mit 3,26 Nanometern pro Minute im Falle des H-Plasmas erheblich größer als im Argon-Plasma mit 0,22 Nanometern pro Minute. Schaltet man den Zufluss ab, so stagniert die Schichtdicke im Falle von Argon, während sie bei Wasserstoff abnimmt. In Wasserstoff gibt es demnach eine zur Deponierung konkurrierende Erosion, die man der Einwirkung der neutralen H-Atome zuschreiben kann. Dieser Prozess kann auch dann noch zu einer Netto-Erosion führen, wenn das Ethen-Gas an einer entfernten Stelle eingelassen wird (Einlass I,Abb. 5).

Damit ist es grundsätzlich möglich, das Aufwachsen von Schichten in Wasserstoffplasmen gänzlich zu vermeiden. In der Tat lassen sich in der Berliner Anlage die Oberflächen eines zusätzlich eingebauten Edelstahlzylinders, der die Plasmasäule nahezu gänzlich umschließt, metallisch blank halten, solange der Zusatz an Kohlenwasserstoff eine kritische Grenze nicht überschreitet. Oberhalb dieser Grenze beobachtet man eine zunehmende Verfärbung der Oberfläche und schließlich die Ausbildung einer rußigen Schicht. Erhöht man die Temperatur des Zylinders von 50 Grad Celsius auf Temperaturen um 200 Grad Celsius, so können deutlich höhere Zuflüsse an Kohlenwasserstoffen toleriert werden, ohne dass es zur Schichtbildungen kommt.

Insgesamt kommt es also auf das Verhältnis der Flüsse von Kohlenwasserstoff zu atomarem Wasserstoff und auf die Temperatur der Wände an. Obwohl damit nur zwei grundlegende Parameter das Geschehen bestimmen, ist es noch zu früh, aus diesen Ergebnissen endgültige Schlussfolgerungen im Hinblick auf ITER zu ziehen. Eine kritische Größe in den Experimenten ist die Bestimmung der atomaren H-Flussdichte. Hierzu sind aufwändige Absorptionsmessungen bei der Wasserstofflinie Lyman-α zur Bestimmung der Atomdichte und hochauflösende Spektralmessungen zur Bestimmung der Atomtemperatur (Dopplerverbreiterung) in Vorbereitung. Schließlich sind auch begleitende Simulationsrechnungen unabdingbar, die über die zu erwartenden Parameter in ITER Auskunft geben. Insgesamt erscheint das angesprochene Problem für ITER aber als durchaus überwindbar.

Danksagung

Die im Vorausgehenden beschriebenen Untersuchungen wurden in enger Abstimmung und mit finanzieller Unterstützung der EFDA (European Fusion Develpment Agreement) Close Support Unit in Garching ausgeführt. Wir möchten uns an dieser Stelle insbesondere bei den EFDA-Kollegen Drs. A. Loarte, G. Federici und Prof. Dr. Ch. H. Wu für die kooperative Zusammenarbeit bedanken.

Originalveröffentlichungen

Roth, J., R. Preuss, W. Bohmeyer et al.
Flux dependence of carbon chemical erosion by deuterium ions
Nuclear Fusion 44 L21-L25 (2004)
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