Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung

Ferromagnetismus und Supraleitung – Die Verknüpfung von Wiedersprüchlichem in komplexen Oxiden

Autoren
Habermeier, Hanns-Ulrich; Cristiani, Georg; Soltan, Soltan; Albrecht, Joachim
Abteilungen

Wissenschaftliche Servicegruppe "Technologie" (Dr. Hanns-Ulrich Habermeier)
MPI für Festkörperforschung, Stuttgart

Zusammenfassung
Heterostrukturen bestehend aus supraleitenden und ferromagnetischen Oxiden eröffnen ein neues Forschungsgebiet die gegenseitige Beeinflussung inkompatibler Grundzustände in Festkörpern zu untersuchen. Hier wird als Beispiel die Injektion spinpolarisierter Quasiteilchen in Hochtemperatursupraleiter herangezogen, um ein tieferes Verständnis der Supraleitung in Kupraten zu gewinnen.

In metallischen Festkörpern stellen Ferromagnetismus und Supraleitung Ordnungsphänomene dar, deren physikalische Ursachen auf der Basis der Quantenmechanik als weitgehend geklärt gelten. So ordnen sich z.B. beim Ferromagneten die Spins der Leitungselektronen parallel an und erzeugen ein pauschales magnetisches Moment, wohingegen beim metallischen Supraleiter jeweils zwei Leitungselektronen Cooperpaare mit antiparallelen Spins bilden. Die gepaarten Leitungselektronen verhalten sich bei tiefen Temperaturen wie ein Kollektiv und können sich so in einem angelegten elektrischen Feld widerstandsfrei im Kristallgitter bewegen. Die Ordnungstemperaturen können bei den Ferromagneten (Curietemperatur) über 1000 K liegen, bei den metallischen Supraleitern liegt der Rekord der Sprungtemperatur bei 23 K (Nb3Ge). Beide Ordnungsphänomene schließen sich naturgemäß gegenseitig aus. Die Entdeckung der oxidischen Supraleiter auf Kupratbasis 1986 [1] erweiterte den Blick auf die Physik der Supraleiter nicht nur hinsichtlich der viel höheren Sprungtemperaturen (≈ 90 K bei YBa2Cu3O7 [YBCO]), vor allem aber hinsichtlich ihrer elektronischen Eigenschaften, die durch eine starke Elektronenkorrelation charakterisiert sind. Im Gegensatz zu den metallischen Supraleitern ist der Mechanismus, der zu den hohen Sprungtemperaturen führt, keineswegs geklärt, wenn auch in den letzten 10 Jahren erhebliche Fortschritte im Verständnis dieser Materialien in experimenteller wie auch in theoretischer Hinsicht erzielt worden sind. Kurz nach der Entdeckung der Supraleitung in den Kupraten (Hochtemperatursupraleitung) und der Entwicklung der Technologie, diese spröden Keramiken als einkristallartige Filme herzustellen [2], rückte eine weitere Stoffklasse aus der Familie der Übergangsmetalloxide ins Blickfeld der Forschung, die als dotierte Seltenerdmanganate bezeichnet werden – als prominenter Vertreter sei das La2/3Ca1/3MnO3 [LCMO] genannt. Diese Stoffklasse und ihre herausragenden Eigenschaft der dotierungsabhängigen Leitfähigkeit, des Auftretens von Ferromagnetismus in dotierten Systemen sowie eines großen Magnetwiderstandes wurde bereits 1950 entdeckt, fand jedoch lediglich akademisches Interesse in der Folgezeit. Erst die erfolgreiche Entwicklung einer Technologie, komplexe Oxide als einkristallartige dünne Schichten herzustellen, hat das Interesse an ihnen wiederbelebt, mit der Folge, dass neue Eigenschaften wie z.B. der kolossale Magnetwiderstand mit Werten >103 entdeckt wurden [3]. Ähnlich wie bei den Kupraten lässt sich ihre Kristallstruktur von der kubischen Perowskitstruktur ableiten. In Abbildung 1(a) und 1(b) sind die entsprechenden Kristallstrukturen der Basisverbindungen La2CuO4 und LaMnO3 dargestellt. Die Analogie der supraleitenden Kuprate und der ferromagnetischen Manganate geht weit über die Kristallstruktur hinaus. So sind die Basisverbindungen La2CuO4 und LaMnO3 antiferromagnetische Isolatoren, die erst durch chemische Substitution zu gemischt-valenten, in einem bestimmten Bereich des Phasendiagramms metallisch leitenden Supraleitern und Ferromagneten werden. Diese Analogien legen nahe, einerseits die Wechselwirkung zwischen den sich ausschließenden Ordnungsprinzipien Ferromagnetismus und Supraleitung zu untersuchen und andererseits zu versuchen, aus einem vertieften Verständnis der gegenseitigen Beeinflussung von Ferromagnet und Supraleiter nach Wegen zu suchen, die Sprungtemperatur des Supraleiters gezielt zu beeinflussen, ja zu erhöhen.

Die erfolgreiche Entwicklung einer Technologie, hochwertige, epitaktische YBCO/LCMO-Heterostrukturen und -Übergitter herzustellen, eröffnete das neue Forschungsgebiet der gezielten Beeinflussung der Grenzflächeneigenschaften in komplexen Oxiden unterschiedlicher elektronischer und struktureller Ordnungszustände (magnetisch, supraleitend, ferroelektrisch, piezoelektrisch, etc.). Als Ausgangspunkt mögen Untersuchungen dienen, in denen die Eigenschaften des ferromagnetischen Supraleiters RuSr2GdCu2O8 durch künstliche ferromagentische/supraleitende Übergitter nachzuahmen versucht wurde [4] und dabei neuartige physikalische Effekte wie z.B. die ferromagnetische Ordnung der Cu-Spins im Nahbereich der YBCO/LCMO-Grenzflächen entdeckt wurden [5]. Auf diesen Ergebnissen basierend können Fragen zur Beeinflussung der Orbitalordnung an Grenzflächen und der möglicherweise daraus resultierenden neuartigen Materialeigenschaften an oxidischen Heterostrukturen experimentell angegangen werden.

Während die Physik der Gleichgewichtszustände in diesen Systemen weltweit ein viel beachtetes Thema geworden ist, sind Untersuchungen zu dynamischen Nichtgleichgewichtszuständen in komplexen Oxiden bisher kaum durchgeführt worden. Besonders von Interesse ist hier der Einfluss einer Injektion spinpolarisierter Quasiteilchen [SPQ] in Kupratsupraleiter. Hier wird durch die Spininjektion nicht nur das Ladungsgleichgewicht sondern auch die Spindynamik beeinflusst. Es stellen sich bei solchen Experimenten mehrere fundamentale Fragen: (1) Kann über eine Oxid-Grenzfläche hinweg die Spinpolarisation aufrechterhalten werden, (2) wie beeinflusst die Spininjektion die Übergangstemperatur zur Supraleitung, (3) spielt die Spininjektion im normalleitenden Zustand des Supraleiters eine Rolle und (4) kann man durch diese Experimente etwas über die theoretisch postulierte Spin-Ladungsseparation in Kupratsupraleitern lernen? Die Antwort auf diese Fragen stellt ein eigenes Forschungsprogramm dar, hier wird lediglich auf die Frage der Sprungtemperatur eingegangen. In der Literatur wird die Existenz von spinabhängigen Effekten bei der Quasiteilcheninjektion in Hochtemperatursupraleitern erheblich in Zweifel gezogen [6] und eine Überprüfung dieser Fragestellungen anhand von Heterostrukturen mit strukturell erheblich perfekteren Grenzflächen erscheint sinnvoll. Der Supraleiter YBa2Cu3O7-x eignet sich besonders für diese Experimente, da die Technologie der Herstellung solcher Filme zu einer großen Reife entwickelt ist. Als Quellen für spinpolarisierte Quasiteilchen bieten sich ferromagnetische Lanthanmanganate an, die einerseits bei relativ hohen Curietemperaturen von ≈ 270 K durch ihre Elektronenstruktur eine 100%-ige Spinpolarisation der Leitungselektronen erwarten lassen, andererseits als perowskitartiger Kristall strukturell auch hinsichtlich ihrer Gitterkonstanten mit dem YBCO kompatibel sind. Als wichtige präparativ-technologische Voraussetzung für solche Experimente sind vergleichbare Präparationsbedingungen für die Herstellung der Einzelschichten YBCO und LCMO von Bedeutung. Es ist offensichtlich, dass spinabhängige Effekte bei Ladungsträgerinjektion nur zu erwarten sind, wenn die spinpolarisierten Quasiteilchen ohne nennenswerte Spin-Flip-Streuung die Grenzfläche überschreiten und im YBCO im polarisierten Zustand einen Weg zumindest auf mesoskopischer Längenskala zurücklegen können. Da die Spindiffusionslänge im YBCO in der Größenordnung von 10–20 nm liegt [7], ist eine spezielle Probengeometrie notwendig, die sowohl große Kontaktflächen bei der Injektion, einen möglichst symmetrischen Strompfad, und die Möglichkeit beinhaltet, die elektrischen Eigenschaften der Einzelschichten separat zu messen.

In Abbildung 2 ist eine Probengeometrie dargestellt, die diesen Anforderungen gerecht wird. Die Probe besteht aus einer relativ großen LCMO-Kontaktfläche oberhalb des YBCO-Streifens (2 mm2), dem YBCO-Streifen mit 4 Kontakten zur Messung des elektrischen Widerstandes und der Basiselektrode aus LCMO. Die epitaxial gewachsenen YBCO/LCMO-Heterostrukturen wurden durch konventionelle gepulste Laserablation hergestellt, als Substrat dienten (100)-orientierte SrTiO3-Einkristalle. Die Dicke der LCMO-Elektroden betrug jeweils 50 nm, die des YBCO-Filmes 100 nm. Zur Definition der Strukturen wurden Schattenmasken verwendet, die manuell justiert wurden. Aus der Symmetrie des Stromverlaufes kann die Fehljustierung abgeschätzt werden, sie betrug weniger als 5 μm. Röntgenuntersuchungen bei Raumtempertur zeigten einphasiges, epitaktisches Material, bei dem das YBCO unter einer leichten Zugspannung von 0,4% steht. Die Curietemperatur der LCMO-Basiselektrode wurde zu 240 K bestimmt, der Übergang zur Supraleitung beim YBCO lag bei 64 K. Beide Werte liegen deutlich unter denen von Einzelschichten (275 K bzw. 91 K) was auf die elektronische Wechselwirkung an den jeweiligen Grenzflächen zurückzuführen ist. Zur Untersuchung des Einflusses der Spininjektion wird ein Gleichstrom von 0,1 mA durch die YBCO-Schicht geschickt (Kontakte 2 und 6) und die Spannung an den Kontakten 3 und 5 abgegriffen. Der Injektionsstrom variierte von 0 < Iinj < 1 mA und wird über die Kontakte 1, 7 und 4 eingespeist. Das Verhältnis zwischen Injektionsstromdichte und Messstromdichte ist in allen Fällen kleiner als 10-3. Die gewählte Probengeometrie gewährleistet einen symmetrischen Strompfad und die verwendeten Stromdichten stellen sicher, dass die Injektion als kleine Störung des Gleichgewichtes behandelt werden kann. Dies erlaubt es, theoretische Betrachtungen im Rahmen von störungstheoretischen Ansätzen durchzuführen. Die notwendige Spannung, um beim supraleitenden Übergang spinpolarisierte Quasiteilchen in den Supraleiter zu injizieren liegt bei ≈ 300 μV; dieser Wert bestimmt die Energieskala der Quasiteilchen, die ins YBCO eingespeist werden.

Abbildung 3 zeigt den resistiven Übergang zur Supraleitung für zwei unterschiedliche Proben, eine mit hohem Grad der Spinpolarisation (LCMO) und eine mit schwach ausgeprägter Spinpolarisation (SrRuO3 [SRO]). Es zeigt sich eine erhebliche Reduktion der Sprungtemperatur bei gleichem Injektionsstrom im Falle der LCMO- im Vergleich zu den SRO-Elektroden. Ergebnisse einer systematischen Untersuchung mit mehreren unterschiedlichen Elektroden (hohe Spinpolarisation bei LCMO und La2/3Sr1/3MnO3 [LSMO], schwache Spinpolarisation bei SRO und keine Spionpolarisation beim paramagnetischen LaNiO3 [LNO]) sind in einer reduzierten Darstellung in Abbildung 4 wiedergegeben. Die Proben mit den LNO-Elektroden zeigen den kleinsten Effekt, gefolgt von denen mit SRO-Elektroden. Elektroden mit hoher Spinpolarisation zeigen eine Reduktion der Sprungtemperatur von 14% für Injektionsstromdichten von 5·10-2 A/cm2. Dieses Ergebnis ist der erste direkte Beweis für polarisationsbedingte Effekte bei der Quasiteilcheninjektion in Kupratsupraleitern.

Es liegt nahe, diese Ergebnisse mit theoretischen Voraussagen zu vergleichen, die von Bhattacharjee und Sardar [8] durchgeführt wurden. In deren Berechnungen werden die gemittelten Werte für die supraleitende Energielücke bei polarisierter und unpolarisierter Quasiteilcheninjektion in Abhängigkeit von der Quasiteilchen-Überpopulation bestimmt, wobei in unterschiedlichen Modellen die Symmetrie des Ordnungsparameters und die Kopplung zwischen den CuO2-Ebenen berücksichtigt ist. Die Resultate dieser modellabhängigen Rechnungen können nun mit den Experimenten verglichen werden, wenn eine Verknüpfung des Grades des Nichtgleichgewichtes (Überpopulation) mit entsprechenden experimentellen Größen (Injektionsstromdichte) hergestellt werden kann (vgl. Abb. 5). Wird nun zum Vergleich mit der Theorie der Messpunkt herangezogen, der bei unpolarisierter Injektion zu einer Absenkung der Sprungtemperatur von 2% führt, und in Beziehung zur Ladungsträger-Überpopulation gesetzt, ergibt sich eine Beziehung zwischen Überpopulation und Injektionsstromdichte. Passt man also einen Messpunkt an die Theorie an, so zeigt sich eine sehr gute Übereinstimmung mit den experimentellen Ergebnissen für die Injektion unpolarisierter Quasiteilchen (obere Kurve in Abb. 5). Dies zeigt, dass der Ansatz von Bhattacharjee und Sardar die experimentellen Daten zumindest für unpolarisierte Quasiteilcheninjektion zufriedenstellend wiedergibt. Vergleicht man die gemessenen und berechneten Werte für die spinpolarisierte Quasiteilcheninjektion so zeigt sich qualitativ eine überraschend gute Übereinstimmung (untere Kurve in Abb. 5). Wenn auch die experimentelle Kurve für die SPQ-Injektion quasi-sinusoidal moduliert ist – die physikalische Ursache hierfür ist noch nicht geklärt – so konnte doch gezeigt werden, dass die in die Theorie gesteckten Modelle den experimentellen Verlauf der Veränderung der Sprungtemperatur mit der SPQ-Injektion sehr gut wiedergeben. Diese gute Übereinstimmung legt nahe, dass solche Experimente wesentliche Beiträge zum Verständnis des Mechanismus liefern können, der zur Supraleitung bei hohen Sprungtemperaturen führt.

Originalveröffentlichungen

Bednorz, J. G. und K. A. Müller:
Possible High Tc Superconductivity in the Ba-La-Cu-O System.
Zeitschrift für Physik B Condensed Matter 64, 189-193 (1986).
Habermeier, H.-U.:
High-Tc thin-films and their applications.
European Journal of Solid State and Inorganic Chemistry, Supplement 28, 619-626 (1991).
von Helmholt, R., J. Wecker, B. Holzapfel, L. Schultz und K. Samwer:
Giant negative magnetoresistance in perovskitelike La2/3Ba1/3MnOx ferromagnetic films.
Physical Review Letters 71, 2331-2333 (1993).
Habermeier, H.-U., G. Cristiani, R. K. Kremer, O. Lebedev und G. van Tendeloo:
Cuprate/manganite superlattices: A model system for a bulk ferromagnetic superconductor.
Physica C 364-365, 298-304 (2001).
Chakhalian, J., J. W. Freeland, G. Srajer, J. Strempfer, G. Khaliullin, J. C. Cezar, T. Charlton, R. Dalgliesh, C. Bernhard, G. Cristiani, H.-U. Habermeier und B. Keimer:
Magnetism at the interface between ferromagnetic and superconducting oxides.
Nature Physics 2, 244-248 (2006).
Gim, Y., A. W. Kleinsasser und A. Barner:
Current injection into high temperature superconductors: Does spin matter?
Journal of Applied Physics 90, 4063-4077 (2001).
Soltan, S., J. Albrecht und H.-U. Habermeier:
Ferromagnetic/superconducting bilayer structure: A model system for spin diffusion length estimation.
Physical Rerview B 70, 144517 (2004).
Bhattacharjee, S. und M. Sardar:
Spin polarized carrier injection into high-Tc superconductors: A test for the superconductivity mechanism.
Physical Review B 62, R6139-R6142 (2000).
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