Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Teilinstitut Greifswald

Mikrowellenheizung für stationäre Fusionsexperimente

Microwave heating for steady state fusion devices

Autoren
Erckmann, Volker
Abteilungen

Unternehmung WENDELSTEIN 7-X (Remmelt Haange)
MPI für Plasmaphysik, Teilinstitut Greifswald

Zusammenfassung
Die Erforschung stationärer Plasmazustände ist zur Vorbereitung eines künftigen Fusionskraftwerkes von großer Bedeutung. Fusionsanlagen der nächsten Generation benötigen deshalb stationäre, also mit supraleitenden Spulen erzeugte Magnetfelder, kontinuierlich arbeitende Heizsysteme und stationäre Energie- und Teilchenkontrolle. Unter den verschiedenen Heizverfahren bietet die Mikrowellenheizung besonders attraktive physikalische und technologische Eigenschaften. Die derzeit leistungsstärkste für Dauerbetrieb ausgelegte Anlage entsteht am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald für den Stellarator Wendelstein 7-X.
Summary
The development of stationary plasma operation scenarios is of utmost importance in next step devices in view of a future fusion power station. A necessary prerequisite is a stationary magnetic field configuration, a continuously operating heating system and a stationary energy and particle control. Among the different heating methods heating with strong microwaves is attractive with respect to physics capabilities and technological properties. The most powerful microwave plant with steady state capability is presently under construction for the Wendelstein 7-X stellarator at the Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) Greifswald.

Die Experimentieranlagen der nächsten Generation zur Erforschung der Energiegewinnung per Kernfusion wenden sich neben physikalischen Fragestellungen auch zunehmend den damit verknüpften technologischen Herausforderungen zu. Hierzu gehört in erster Linie der Dauerbetrieb, der für ein effizientes Fusionskraftwerk als unabdingbar angesehen wird. Voraussetzung hierfür sind ein stationäres Magnetfeld mit guten Plasma-Einschlusseigenschaften, eine stationäre Heizung und Teilchennachfüllung, eine stationäre Teilchen- und Energieabfuhr sowie Verunreinigungskontrolle. Die meisten Experimentieranlagen hatten sich bisher mit den grundsätzlichen physikalischen Fragen beschäftigt. Pulslängen von einigen 10 Sekunden waren hierfür ausreichend; die Magnetfelder konnten mit normalleitenden Spulen erzeugt werden. Um stationären Betrieb zu erreichen, sind die Anlagen der nächsten Generation hingegen alle mit supraleitenden Magnetspulen ausgerüstet: Im internationalen Zusammenspiel wird der Experimentalreaktor ITER begleitet von den supraleitenden Tokamaks JT-60SA (Japan), KSTAR (Korea), SST-1 (Indien) und den supraleitenden Stellaratoren Wendelstein 7-X (EU) und LHD (Japan). Diese Anlagen, alle kleiner und damit flexibler als ITER, sollen als „Scouts“ oder „Sherpas“ stationäre Plasmazustände mit fusionsrelevanten Parametern entwickeln und die physikalischen Grundlagen sowie die technologischen Instrumente hierfür bereitstellen.

Die Entwicklung und Erprobung stationärer Heizverfahren zur Erzeugung, Aufrechterhaltung und Kontrolle von Plasmen ist dabei ein wesentlicher Eckpfeiler. Während in bisherigen Experimenten zur Erforschung der Vor- und Nachteile verschiedener Verfahren die gleichzeitige Verfügbarkeit von drei, manchmal sogar vier verschiedenen Heizmethoden angestrebt wurde, sollten für ein Fusionskraftwerk idealerweise ein, höchstens jedoch zwei Verfahren ausreichen. Grundsätzlich zur Wahl stehen drei verschiedene Hochfrequenz-Verfahren und der Einschuss schneller Neutralteilchen. Die Hochfrequenz-Heizungen nutzen die charakteristischen Eigenfrequenzen der magnetisch eingeschlossenen Plasmen, das sind die Kreisbewegung der Wasserstofionen (Ion-Cyclotron Resonance Heating, ICRH) und der Elektronen (ECRH) sowie eine Hybridfrequenz (Lower Hybrid Heating, LHH). Diese Methoden sind magnetfeldabhängig, wohingegen der Einschuss energiereicher Neutralteilchen vom Magnetfeld nicht unmittelbar abhängt. Entsprechend dem Massenverhältnis von Ionen und Elektronen liegen die Frequenzen für die Hochfrequenz-Verfahren bei üblichen Magnetfeldern im Bereich von 30 bis 70 Megahertz für ICRH, bei 110 bis 170 Gigahertz für ECRH und bei 2 bis 5 Gigahertz für LHH.

Von den drei Hochfrequenz-Heizverfahren können sich nur die elektromagnetischen Wellen der ECRH sowohl im Vakuum als auch im Plasma ausbreiten. Damit kann die einspeisende Antenne weit vom Plasmarand entfernt angeordnet und vor direkter Wechselwirkung mit dem heißen Randplasma geschützt werden. Dies kann sich unter technologischen und plasmaphysikalischen Gesichtspunkten möglicherweise als entscheidend herausstellen. Mikrowellen lassen sich überdies mit hoher Richtwirkung und gebündelt an eine beliebige Stelle im Plasma einstrahlen. Die Berechnung der Ausbreitung und Absorption eines Mikrowellenstrahls in einem Fusionsplasma erfordert aufwändige Rechenverfahren, die in den vergangenen Jahrzehnten soweit verfeinert wurden, dass auch sehr detaillierte quantitative Vorhersagen in komplexen dreidimensionalen Geometrien möglich sind. Es liegt eine geschlossene Theorie der Teilchen-Welle-Wechselwirkung vor; die Physik ist vergleichsweise gut verstanden. Ein Beispiel für eine solche Berechnung mithilfe der sogenannten „Ray tracing-Methode“ zeigt Abbildung 1. Ein räumlich ausgedehnter Mikrowellenstrahl wird in eine Vielzahl von Teilstrahlen zerlegt, deren Ablenkung und Absorption im Plasma einzeln berechnet wird. Das linke Bild zeigt das bohnenförmige Plasma von Wendelstein 7-X im poloidalen Querschnitt. Der Mikrowellenstrahl wird von der Niedrigfeldseite her eingestrahlt und verläuft vor Erreichen des Plasmarandes geradlinig mit einer Gauß’schen Leistungsverteilung. Die Strahlablenkung im Plasma ist deutlich zu sehen; im Plasmazentrum wird die Leistung bei geeignet gewähltem Magnetfeld resonant absorbiert (roter Bereich). Rechts ist ein Schnitt in der Äquatorialebene des Plasmatorus zu sehen.

Das Beispiel zeigt eine spezielle Situation: Die Mikrowellen wurden in toroidaler Richtung geringfügig unsymmetrisch eingestrahlt, was einen elektrischen Nettostrom im Plasma erzeugt. In seiner geringen räumlichen Ausdehnung gleicht er einem Stromfaden mit hoher Stromdichte. Dieser stark lokalisierte, von den Mikrowellen getriebene Strom folgt direkt aus der resonanten Natur der Absorption im inhomogenen Magnetfeld. Diese Eigenschaft, dem Plasma an genau definiertem Ort einen lokalisierten Strom aufprägen zu können, gewinnt in modernen Fusionsanlagen zunehmend an Bedeutung: In Tokamaks entstehen nämlich magneto-hydrodynamische (MHD) Instabilitäten, die sich als resonante Phänomene sehr lokalisiert ausbilden und den erreichbaren Plasmadruck unerwünscht begrenzen. Die Unterdrückung solcher Instabilitäten gelingt durch lokalisierten Stromtrieb genau im Zentrum der Instabilität, dem sogenannten O-Punkt der durch die Instabilität erzeugten magnetischen Inselstruktur. Die Leistung der eingestrahlten Wellen muss dort innerhalb weniger Zentimeter deponiert werden. Dies gelingt – wegen ihrer ebenfalls resonanten Absorptionseigenschaften – nur mit ECRH. Die erfolgreiche Ortung der Instabilität im Plasma, die Ausrichtung des ECRH-Strahls, der phasenrichtige Stromtrieb und damit die Unterdrückung der Instabilität wurde mittlerweile in vielen Experimenten erfolgreich nachgewiesen. Für ITER wird ECRH damit zu einem unverzichtbaren Instrument der Plasmakontrolle geworden.

Die Stromtriebeigenschaften von ECRH spielen jedoch auch für Stellaratoren eine wichtige Rolle, obwohl diese Anlagen grundsätzlich ohne einen Plasma-Nettostrom auskommen: Der Plasmarand und seine Struktur mit magnetischen Inseln sind entscheidend für die Funktion des sogenannten Divertors, über den im Dauerbetrieb Energie und Teilchen aus dem Plasma abgeführt werden müssen. Diese Randeigenschaften werden durch druckgetriebene Plasmaströme verändert, was gegebenenfalls durch Stromtrieb zeitabhängig kompensiert werden muss. Die Modellierung solcher zeitabhängigen Szenarien hin zum stationären Zustand in Wendelstein 7-X sind eine große Herausforderung für die theoretische Behandlung und Gegenstand intensiver Untersuchungen unter Einbeziehung der Heiz- und Stromtriebphysik.

Die Wellenlängen der ECRH liegen mit typisch 1 bis 3 Millimetern im Grenzgebiet zwischen Mikrowellen und ferninfrarotem Licht, was eine besondere Technologie zu ihrer Erzeugung erfordert. Mikrowellenquellen im Megawatt-Bereich, wie sie für die Fusionsheizung benötigt werden, sind relativistische MASER, sogenannte Gyrotrons. Ihre Strahlung ist monochromatisch, linear polarisiert und kohärent. Die Grundlagen wurden 1964 in Russland gelegt, wo mit der Erzeugung von 6 Watt Mikrowellenleistung bei 8 Gigahertz ein Durchbruch gelang. Ziemlich genau 40 Jahre später konnte erstmalig der Dauerbetrieb (30 Minuten) eines Gyrotrons für Wendelstein 7-X mit 1 Megawatt Leistung bei 140 Gigahertz experimentell gezeigt werden.

Die Entwicklung hin zum Dauerbetrieb im Megawatt-Leistungsbereich wurde wesentlich durch die beiden großen Fusionsanlagen ITER und Wendelstein 7-X vorangetrieben. Gyrotrons für Wendelstein 7-X wurden in Europa mit THALES und in USA mit CPI als Industriepartner entwickelt. Die ITER-Gyrotrons werden in Russland, Japan und Europa entwickelt; in Japan wurde unlängst die volle Spezifikation nachgewiesen. Bei der EU-Entwicklung des Gyrotrons für Wendelstein 7-X (Abb. 2) war das Forschungszentrum Karlsruhe unter Einbindung weiterer europäischer Forschungslaboratorien federführend. Die Erzeugung der Mikrowellen erfolgt durch Übergänge von freien Elektronen hoher Energie, die in einem starken resonanten Magnetfeld (typisch 6 Tesla) gyrieren und ihre in der Gyrationsbewegung steckende Energie mit hoher Effizienz in einem Resonator an die gewünschte elektromagnetische Mode abgeben.

Mit zunehmender Größe der Fusionsanlagen – insbesondere solcher, die für Tritiumbetrieb vorgesehen sind – ist es vorteilhaft, die Heizsysteme nicht mehr im kontaminierten Bereich in unmittelbarer Nähe des Torus aufzubauen. An Wendelstein 7-X und ITER ist die ECRH deshalb jeweils in einem separaten Seitenflügel der Experimentierhalle untergebracht. Die Mikrowellen müssen also über relativ große Entfernungen im kontinuierlichen Höchstleistungsbetrieb übertragen werden. Die ECRH-Anlage für Wendelstein 7-X ist mit 10 Megawatt Dauerleistung bei 140 Gigahertz die derzeit größte im Bau befindliche Anlage und steht kurz vor der Fertigstellung. Für ITER sind 24 Megawatt bei 170 Gigahertz im Dauerbetrieb geplant. Aus ökonomischen und kühltechnischen Gründen müssen die Übertragungssysteme möglichst verlustarm sein. Die klassische Mikrowellenübertragung erfolgt mit Hohlleitern, die wegen der hohen Leistungsdichten stark überdimensioniert sind: Die Abmessungen sind typisch 10- bis 50-mal größer als die Wellenlänge. Wegen der besonders niedrigen Dämpfung wählt man sogenannte Hybridmoden für die Übertragung aus, deren Erzeugung und Erhalt sowohl besondere Modenwandler als auch spezielle Hohlleiter mit Wandkorrugation benötigen. Solche Übertragungssysteme haben sich in vielen Experimenten bewährt, sind allerdings sehr aufwändig und müssen mit hoher Präzision justiert werden. Da die Wellenlänge der Mikrowellen von der Ordnung 1 bis 3 Millimeter ist, kann die Übertragung auch rein optisch durch Spiegel erfolgen. Diese Lösung bietet den Vorteil, dass keine „Leitungen“ verlegt werden müssen. Stattdessen können die optischen Elemente weit voneinander in typischerweise 10 Meter Abstand angeordnet werden; auch die Justierung wird sehr einfach. Eine solche rein optische Übertragung mit metallischen Spiegeln wurde für Wendelstein 7-X gewählt. Die prinzipielle Anordnung zusammen mit einem Blick in den unterirdischen Strahlkanal mit seiner symmetrischen Spiegelanordnung zeigt Abbildung 3.

Um die Anzahl der Spiegel (Mirror M in Abb. 3) zu reduzieren, wurden jeweils fünf Strahlen mit je 1 Megawatt Leistung über eine gemeinsame Spiegelanordnung (Multi-Beam Waveguide (MBWG) in Abb. 3) übertragen. Die im stationären Hochleistungsbetrieb gemessenen Verluste liegen mit 3 Prozent nahe an den theoretischen Minimalverlusten. Die Gesamtverluste der Übertragungsleitung für Wendelstein 7-X werden auf etwa 8 Prozent abgeschätzt. Jeweils am Anfang und Ende einer solchen Leitung müssen die einzelnen Strahlen der verschiedenen Gyrotrons zusammengefasst (Beam Combining Optics (BCO) in Abb. 3), bzw. wieder aufgetrennt werden (Beam Distribution Optics (BDO) in Abb. 3), um sie durch individuelle Fenster ins Plasmagefäß einstrahlen zu können. Diese speziell für Wendelstein 7-X entwickelten Fenster trennen das Vakuum im Plasmagefäß vom Atmosphärendruck im Außenraum. Diamant ist der einzige Werkstoff, der eine hinreichend geringe Mikrowellenabsorption und gleichzeitig eine hohe Wärmeleitung besitzt, sodass er als Fensterscheibe für die Transmission von 1 bis 2 Megawatt Strahlungsleistung tauglich ist. Die endgültige Fokussierung und Ausrichtung der Strahlen auf den gewünschten Absorptionsbereich im Plasma übernehmen bewegliche Spiegel im Plasmagefäß. Die größten Öffnungen im Gefäß gestatten die Anordnung von drei Mikrowellenstrahlen übereinander. Ein Antennenblock für Wendelstein 7-X zeigt Abbildung 4, die Doppelspiegeloptik mit dem Antrieb ist im Detail zu sehen.

Die vielseitigen physikalischen Anforderungen an die ECRH hinsichtlich Plasmaheizung, Stromtrieb, Konfigurations- und MHD-Kontrolle stimulieren naturgemäß die Entwicklung neuer Technologien. Als jüngstes Beispiel sei die Entwicklung schneller Hochleistungs-Mikrowellen-Schalter genannt: Die an einem Experiment installierte ECRH-Leistung würde sich noch effizienter und intelligenter nutzen lassen, wenn zum Beispiel die Umschaltung von zentraler Heizung an einem dafür vorgesehenen Port auf die Bekämpfung von Instabilitäten an einem anderen Port in Sekundenbruchteilen und ohne Unterbrechung des Gyrotronbetriebs während einer stationären Plasmaentladung möglich würde. Solche Schalter („Diplexer“) sind aus dem Bereich der Optik und Elektrotechnik bekannt, ihre Auslegung für Mikrowellenstrahlung im Megawatt-Bereich ist indessen völliges Neuland. Im Rahmen eines von der Helmholtz-Gemeinschaft geförderten Projektes „Advanced ECRH for ITER“ wurden in Zusammenarbeit mit dem russischen Institut für angewandte Physik in Nizhny Novgorod, dem Institut für Plasmaforschung an der Universität Stuttgart, dem italienischen Institut IFP-CNR in Mailand, sowie dem Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) erste Experimente am IPP durchgeführt. Es gelang, die Mikrowellenstrahlen zweier Gyrotrons mit einem optischen Diplexer zu kombinieren und den kombinierten Strahl mit einer Schaltfrequenz von 20 Kilohertz zwischen zwei Übertragungsleitungen hin- und her zu schalten. An einer Weiterentwicklung im Hinblick auf den Einsatz bei ITER wird intensiv gearbeitet.

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