Forschungsbericht 2005 - Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

Kohlenstoff und die Plasma-Wand-Wechselwirkung

Autoren
Jacob, Wolfgang
Abteilungen

Materialforschung ()
MPI für Plasmaphysik, Garching

Zusammenfassung
Der Bereich Materialforschung des IPP untersucht Prozesse der Plasma-Wand-Wechselwirkung in Fusionsanlagen. In diesem Bericht werden Experimente in der Apparatur MAJESTIX dargestellt. Mit ihr werden mikroskopische Prozesse untersucht, die bei der Wechselwirkung von Wasserstoff, Kohlenwasserstoffradikalen und Ionen mit Kohlenstoffoberflächen eine Rolle spielen. Solche Prozesse sind für die Plasma-Wand-Wechselwirkung in Fusionsanlagen von besonderer Bedeutung.

Im Bereich Materialforschung des IPP werden Materialien entwickelt und untersucht, die dem Plasma zugewandt sind und den entsprechenden Belastungen aus dem Plasma standhalten müssen. Hierzu ist die genaue Erforschung der Plasma-Wand-Wechselwirkung notwendig, die über die auftretenden Belastungen und das Verhalten der Werkstoffe Aufschluss geben soll. Mithilfe dieser Kenntnisse können dann möglichst robuste Materialien für die plasmabelasteten Komponenten entwickelt und getestet werden.

Für Komponenten, deren Oberfläche hohen Wärmelasten ausgesetzt sind – zum Beispiel die Divertorplatten – kommen nach derzeitiger Einschätzung nur Graphite oder kohlefaserverstärkte Kohlenstoffe in Frage. Graphit besitzt sehr günstige thermomechanische Eigenschaften wie etwa hohe thermische Stabilität und gute Wärmeleitfähigkeit, aber auch den großen Nachteil, bei Kontakt mit Wasserstoff stark chemisch zu erodieren. Denn Wasserstoff bildet mit dem Kohlenstoff an der Oberfläche flüchtige Verbindungen, zum Beispiel Methan (CH4), die sich dann von der Oberfläche lösen und in das Plasma eindringen können. Die chemische Erosion kann dabei zu Ausbeuten führen, die zum Teil erheblich über denen der unvermeidlichen physikalischen Zerstäubung liegen. Dies führt zu einer verstärkten Verunreinigung des Plasmas und reduziert die Lebensdauer der betreffenden Wandkomponenten. Während jedoch diese beiden Effekte noch innerhalb tolerabler Grenzen liegen, stellt ein weiterer Effekt ein erhebliches Problem für den Betrieb künftiger Fusionsanlagen dar: Der an einer Stelle des Plasmagefäßes erodierte Kohlenstoff wird durch das Plasma transportiert und letztendlich an anderen Stellen der Gefäßwand wieder abgelagert, d.h. redeponiert. Zusammen mit dem Kohlenstoff wird dabei auch eine erhebliche Menge Wasserstoff in diesen Schichten gebunden. Die absolute Menge des gebundenen Wasserstoffs hängt dabei von vielen Parametern ab – unter anderem von der Temperatur der Oberflächen und den Teilchenflüssen. Da in künftigen Fusionsanlagen mit einem Deuterium-Tritium-Gemisch gearbeitet werden wird, würden in solchen redeponierten Schichten auch große Mengen an Tritium abgelagert. Es würde also ein ständig anwachsendes Tritiuminventar im Vakuumgefäß aufgebaut werden – ein äußerst unerwünschter Prozess. Um einerseits die Erosion möglichst stark zu senken und andererseits die Ablagerung weitestgehend zu unterdrücken, ist daher ein grundlegendes Verständnis der elementaren Prozesse bei der Erosion und Deposition unerlässlich.

Wechselwirkung auf mikroskopischem Niveau

Weil solche Untersuchungen direkt an plasmaexponierten Oberflächen nicht möglich sind – in ihrer Komplexität entziehen sich die gleichzeitig ablaufenden Prozesse hier einer detaillierten Analyse – wurde in den Jahren 1998 und 1999 im Bereich Oberflächenphysik (jetzt Bereich Materialforschung) die Apparatur MAJESTIX aufgebaut. Mit ihrer Hilfe sollen mikroskopische Vorgänge bei der Wechselwirkung von Wasserstoff- und Kohlenwasserstoff-Plasmen mit Kohlenstoffoberflächen untersucht werden. Die weltweit einzigartige Apparatur erlaubt die Bestimmung der Wirkungsquerschnitte von Elementarreaktionen bei der Wechselwirkung von Radikalen mit a-C:H-Oberflächen.

MAJESTIX ist ein Ultrahochvakuumexperiment, das mit drei Teilchenquellen ausgerüstet ist (Abb.1 und 2): Zwei Radikalteilchenquellen können atomaren Wasserstoff und Methylradikale herstellen, die dritte Teilchenquelle – eine Ionenkanone – erzeugt eine Vielzahl unterschiedlicher Ionen definierter Energie. Alle drei Quellen sind absolut quantifiziert; die erreichbaren Teilchenflüsse sind über einen weiten Bereich variierbar. Die bei der Wechselwirkung dieser Teilchenstrahlen mit der Oberfläche ablaufenden Prozesse werden mit der Messmethode der „Ellipsometrie“ registriert – ein optisches Messverfahren, bei dem die Änderung des Polarisationszustands des eingestrahlten Lichts bei der Reflexion an einer Grenzfläche detektiert wird. Aus diesen Messungen kann man die optischen Konstanten und die Schichtdicken dünner Schichten bestimmen. Die Methode zeichnet sich aus durch eine sehr hohe Empfindlichkeit, die für unseren Aufbau etwa einem Hundertstel einer Monolage entspricht, sodass auch sehr kleine Änderungen an der Oberfläche zuverlässig bestimmt werden können. Eine detaillierte Beschreibung der Apparatur MAJESTIX und ihrer Messmöglichkeiten findet man in Referenz [1].

Mit dieser Apparatur wurden in den vergangenen Jahren eine Reihe grundlegender Wechselwirkungsprozesse von atomarem Wasserstoff (H0), Methylradikalen (CH3) und unterschiedlichen Ionen mit Kohlenstoffoberflächen untersucht – und zwar sowohl für einzelne Teilchensorten alleine als auch für die gleichzeitige Wechselwirkung von bis zu drei unterschiedlichen Teilchensorten (zum Beispiel H0, CH3 und Argonionen).

Die erste quantitative Messung an dieser Apparatur galt der Bestimmung des Haftkoeffizienten von CH3-Radikalen auf Kohlenwasserstoffschichten. Nach einer Messdauer von fast sechs Stunden ergab sich eine Zunahme der Schichtdicke von etwa zwei Monolagen. Der auf der Oberfläche auftreffende CH3-Radikal-Fluss entsprach etwa einer Monolage pro Sekunde. Daraus ergibt sich ein Haftkoeffizient für das CH3-Radikal von ca. 1×10-4 [2]. Nur eines von 10 000 auftreffenden CH3-Radikalen wird also wirklich in die Schicht eingebaut.

Synergistische Effekte

Die folgenden Experimente in MAJESTIX führten zur Entdeckung eines neuen Effekts, nämlich der synergistischen Wechselwirkung von H und CH3 an der Oberfläche, der bei gleichzeitigem Beschuss der Oberflächen mit H und CH3 auftritt (Abb. 3).

Abbildungen 3a und b zeigen, wann die Flüsse von H und CH3 angeschaltet waren, Abbildung 3c stellt die sich ergebende Wachstumsrate dar. Zu Beginn des Experiments, wenn keine Teilchen auf die Oberfläche treffen, ändert sich die Schichtdicke nicht; die Wachstumsrate ist Null. Zum Zeitpunkt 1 wurde der Teilchenstrahl aus atomarem Wasserstoff angeschaltet. Innerhalb kurzer Zeit ändert sich die Wachstumsrate und stabilisiert sich auf einem negativen Wert, d.h. die Schichtdicke nimmt kontinuierlich ab. Ursache ist der wohlbekannte Effekt der chemischen Erosion. Zum Zeitpunkt 2 wurde zusätzlich zum Wasserstoff- auch der CH3-Teilchenstrahl eingeschaltet. Die Wachstumsrate wächst daraufhin schlagartig an. In der Folgezeit steigt die Wachstumsrate leicht weiter und strebt einem Sättigungswert entgegen, der in diesem Experiment allerdings nicht vollständig erreicht wird. Nach rund 10 000 Sekunden wurde der H-Strahl abgeschaltet. Überraschenderweise kommt das Wachstum nun fast völlig zum Erliegen. Das ist deshalb erstaunlich, weil Wasserstoff alleine zur Erosion führt und man daher erwarten kann, dass bei der gleichzeitigen Wechselwirkung die Deposition durch CH3 in Konkurrenz zur Erosion durch H steht. Bei Wegfall der Erosion durch H würde man also eine Zunahme der Wachstumsrate erwarten – beobachtet wird allerdings das genaue Gegenteil. Nach rund 18 000 Sekunden wurde der H-Strahl wieder zugeschaltet. Die Wachstumsrate springt sofort zurück auf den Wert vor dem Abschalten des H-Strahles. Anschließend wurde der H-Fluss variiert und man kann erkennen, dass die Wachstumsrate deutlich von der Größe des gleichzeitig auftreffenden Wasserstoffflusses abhängt. Interessant ist auch der Bereich zwischen etwa 23 000 und 24 800 Sekunden: Hier wurde der H-Fluss auf rund ein Prozent des Maximalwertes abgesenkt. Schon dieser geringe zusätzliche H-Fluss führt zu einer erheblich höheren Wachstumsrate als man sie bei alleinigem Beschuss mit CH3 misst. Gegen Ende des Experiments, zum Zeitpunkt 3, wurde schließlich der CH3-Fluss abgeschaltet: Wie zu Beginn des Experiments misst man eine negative Wachstumsrate. Nach Abschalten aller Teilchenflüsse (Zeitpunkt 4) ändert sich erwartungsgemäß die Schichtdicke nicht mehr; die Wachstumsrate beträgt Null.

Wesentliches Ergebnis des Experiments ist also, dass die Wachstumsrate bei gleichzeitigem Angebot von H und CH3 erheblich höher ist als bei Angebot von CH3 alleine (Abb. 4). Außerdem hängt sie stark von der Größe des H-Flusses ab. Die detaillierte Auswertung der Daten in Abbildung 3 und weitergehende Untersuchungen ergeben folgendes Bild: CH3 alleine hat einen Haftkoeffizienten von 10-4. Das ist auch der Wert, der in Abbildung 3 in der Phase ohne zusätzlichen H-Beschuss gemessen wird. Bei gleichzeitigem Angebot von atomarem Wasserstoff steigt der Haftkoeffizient monoton an und erreicht bei sehr hohem Wasserstoffangebot einen Sättigungswert von 10-2, was um zwei Größenordnungen höher liegt als der Wert für CH3 alleine. Die Mehrzahl der hier beschriebenen Prozesse bei der Deposition von amorphen Kohlenwasserstoffschichten ist im Detail in einem Übersichtsartikel beschrieben [4].

Chemical Sputtering

Ein weiterer Prozess, der für die Plasma-Wand-Wechselwirkung in Fusionsanlagen von großer Bedeutung ist, ist die chemische Zerstäubung (Chemical Sputtering), d.h. die Erosion von a-C:H bei gleichzeitigem Angebot von atomarem Wasserstoff als reaktiver Komponente und energiereichen Teilchen (Ionen mit Energien von 1 bis 1000 Elektronenvolt). Dieser Prozess ist hauptsächlich für die Erosion von Kohlenstoffoberflächen verantwortlich. Erste Untersuchungen zur gleichzeitigen Wechselwirkung von Argon-Ionen und atomarem Wasserstoff mit a-C:H-Oberflächen zeigten auch für dieses System einen markanten synergistischen Effekt: Bei gleichzeitigem Angebot von atomarem Wasserstoff steigt die Erosionsausbeute im Vergleich zu der einfachen physikalischen Erosion um rund eine Größenordnung. Zudem wird auch unterhalb der Schwelle für physikalische Zerstäubung bis herab zu Energien von 10 Elektronenvolt chemische Zerstäubung beobachtet, die deutlich höher liegt als bei atomarem Wasserstoff alleine.

Reizvoll an diesen Experimenten ist, dass durch die Wahl einer nichtreaktiven, energetischen Spezies, wie etwa Argonionen, und einer reaktiven thermischen Spezies wie atomarem Wasserstoff die chemischen und physikalischen Effekte gut getrennt werden können. Damit wird ein besseres Verständnis der grundlegenden Prozesse möglich. In der Randschicht von Fusionsanlagen besteht der Ionenfluss zur Oberfläche zwar hauptsächlich aus Wasserstoffionen, aber die grundlegenden Prozesse sind sehr ähnlich wie im hier dargestellten Experiment. Neben dem oben geschilderten Experiment mit Argonionen wurde in der Zwischenzeit auch mit anderen Ionen experimentiert (Ne+, He+, H2+ und N2+). Die Ergebnisse sind im Wesentlichen sehr ähnlich wie die mit Argon; die absolute Größe des Effekts hängt allerdings von der verwendeten Ionensorte ab.

Zur Beschreibung der beobachteten Effekte wurde ein mikroskopisches Mechanismus postuliert und darauf aufbauend ein Modell entwickelt, mit dem die Energieabhängigkeit der chemischen Zerstäubung für beliebige Ionen quantitativ beschrieben werden kann. Neben der Energie der auftreffenden Ionen ist dieser Effekt noch abhängig vom Flussverhältnis von Ionen zu Wasserstoff [5]. In Abbildung 5 sind die bisherigen Messergebnisse und die Modellvorhersagen dargestellt: Generell wird die Energieabhängigkeit für alle bisher untersuchten Fälle sehr gut durch die Modellvorhersagen wiedergegeben. Für die Messungen mit Argon wurde das Modell so skaliert, dass der Absolutwert mit dem Daten übereinstimmt. Dieser Skalierungsparameter ist der einzige freie Parameter im Modell. Für den in Abbildung 5 gezeigten Vergleich mit den anderen Ionen wurde er nicht mehr verändert. In einigen Fällen ist die Übereinstimmung zwischen Modell und Experiment auch quantitativ sehr gut (Ne+, H2+), in anderen Fällen (He+, N2+) wird eine gute quantitative Übereinstimmung nur für eine andere Wahl des Skalierungsparameters erreicht (in Abb. 5 nicht gezeigt). Die Frage, welche physikalischen Größen den Skalierungsparameter bestimmen, sollen weitere Untersuchungen beantworten.

In diesem Beitrag wurde eine Auswahl experimenteller Ergebnisse vorgestellt, die mit der IPP-Teilchenstrahlapparatur MAJESTIX in den letzten Jahren gewonnen wurden. Die Beispiele zeigen, dass es mit dieser Apparatur möglich ist, elementare Mechanismen der Plasma-Wand-Wechselwirkung für ausgewählte Spezies quantitativ zu untersuchen und damit unser Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen zu vertiefen (Ch. Hopf, W. Jacob, A. von Keudell, M. Meier, M. Schlüter, Th. Schwarz-Selinger).

Originalveröffentlichungen

Jacob,W., C. Hopf, A. von Keudell, M. Meier und T. Schwarz-Selinger:
Particle-beam Experiment to Study Heterogeneous Surface Reactions Relevant to Plasma-assisted Thin Film Growth and Etching
Review of Scientific Instruments 74, 5123-5136 (2003).
von Keudell, A., T. Schwarz-Selinger und W. Jacob:
Simultaneous Interaction of Methyl Radicals and Atomic Hydrogen with Amorphous Hydrogenated Carbon Films
Journal of Applied Physics 89, 2979-2986 (2001).
Hopf,C., A. von Keudell und W. Jacob:
Direct Verification of the Ion-neutral Synergism during Hydrocarbon Film Growth
Journal of Applied Physics 93, 3352-3358 (2003).
Hopf,C., A. von Keudell und W. Jacob:
Chemical Sputtering of Hydrocarbon Films
Journal of Applied Physics 94, 2373-2380 (2003).
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