Forschungsbericht 2009 - Max-Planck-Institut für Astronomie

Kelu-1 – ein Doppel- oder Dreifachsystem von Braunen Zwergen

Autoren
Stumpf, Micaela; Brandner, Wolfgang; Henning, Thomas; Köhler, Rainer; Hormuth, Felix; Joergens, Viki
Abteilungen

Stern- und Planetenentstehung (Prof. Dr. Thomas Henning)
MPI für Astronomie, Heidelberg

Zusammenfassung
In der Umgebung der Sonne sind hunderte Braune Zwerge bekannt, die vermutlich ebenso häufig sind wie Hauptreihensterne. Doch die Modelle zu ihrem Aufbau und ihrer Entwicklung sind noch längst nicht so zuverlässig wie die der Sterne. Räumlich aufgelöste Doppelsysteme bieten hier die Möglichkeit, die Masse unabhängig von Modellen zu ermitteln. Einer Forschergruppe am MPI für Astronomie ist es gelungen, die Parameter der Braunen Zwerge Kelu-1A und B zu ermitteln. Ergebnis: Die Modelle liefern eine zu kleine Masse. Die Spektren weisen zudem auf einen unsichtbaren dritten Braunen Zwerg hin.

Die Masse ist der bedeutendste Parameter der Sternentwicklung, sie entscheidet unter anderem über Leuchtkraft, Temperatur und Lebensdauer. Ihre Bestimmung gehört daher zu den fundamentalen Aufgaben der Astronomie. Doch meist misst man die Leuchtkraft eines Sterns und ermittelt daraus die Masse indirekt über eine Masse-Leuchtkraft-Beziehung. Diese Beziehung ist für entwickelte massereiche Sterne gut etabliert, ließ sich jedoch bislang für Braune Zwerge nicht kalibrieren. Hier ist man gänzlich auf Entwicklungsmodelle angewiesen.

Im Gegensatz zu den Sternen erreichen Braune Zwerge nie das Stadium des hydrostatischen Gleichgewichts. Sie sind bei ihrer Entstehung heiß und kühlen dann – nach einer kurzen Phase des Deuteriumbrennens – langsam aus. Bei Beobachtungen bleibt deshalb immer eine Mehrdeutigkeit zwischen Temperatur, Leuchtkraft, Masse und Alter. Einfach gesagt: Ein junger massearmer Brauner Zwerg und ein alter massereicher Brauner Zwerg lassen sich kaum voneinander unterscheiden. Das System Kelu-1 bietet die Möglichkeit, die physikalischen Größen der beiden bekannten Komponenten unabhängig von Modellen zu bestimmen.

Das 1997 entdeckte, nur 60 Lichtjahre entfernte Objekt gehört zu den am ausgiebigsten untersuchten Braunen Zwergen. Sein Alter lässt sich schwer ermitteln, weil es keiner Sterngruppe angehört. Schon früh fiel auf, dass seine Leuchtkraft wesentlich höher war, als man es aufgrund seines Spektrums erwarten würde. Dieses Rätsel konnte 2005 gelöst werden, als mehrere Astronomengruppen, darunter auch eine vom MPIA, feststellten, dass es sich um ein Doppelsystem handelt. Damals ermittelte man den Spektraltyp L1.5-L3 für die Komponente Kelu-1A und L3-L4.5 für Kelu-1B.

Mit einem gegenseitigen Abstand von etwa 0,3 Bogensekunden lassen sich die beiden Komponenten mit hoch auflösenden Teleskopen trennen, sodass sich an diesem System die Möglichkeit eröffnete, die Bahnparameter zu messen und daraus die gemeinsame (dynamische) Masse zu bestimmen. Die Forscher am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) starteten deshalb ein langfristig angelegtes photometrisches und spektroskopisches Beobachtungsprogramm. Für ihre Analyse verwendeten sie auch eigene, 2005 mit dem Weltraumteleskop Hubble (HST) erhaltene Daten. Außerdem beobachteten sie Kelu-1 am Very Large Telescope (VLT) mit der am MPIA entwickelten und gebauten Infrarotkamera CONICA mit adaptiver Optik. Damit konnten sie erstmals separate Spektren der beiden Komponenten Kelu-1A und B in den Wellenlängenbereichen von 1,37 bis 1,72 µm sowie 2,02 bis 2,53 µm aufnehmen. Dieses Datenmaterial überdeckte die Zeit von 2005 bis 2008. Auch eine Hubble-Aufnahme aus dem Jahre 1998 konnte noch ausgewertet werden (Abb. 1).

Umlaufbahn, Massenwerte und Spektraltypen

Das MPIA-Team konnte den bereits vorliegenden Positionsbestimmungen neun weitere hinzufügen. Die Daten ließen sich am besten durch eine stark elliptische Bahn mit einer Exzentrizität von 0,82 beschreiben, die um 85 Grad gegen die Himmelsebene geneigt ist. Das heißt, wir blicken fast genau auf die Kante der Bahnebene (Abb. 2). Die Umlaufdauer und die große Halbachse ergaben sich zu 38 Jahren und 6,4 Astronomischen Einheiten. Aus diesen Daten ließ sich die Gesamtmasse zu 177 (+113, –55) Jupitermassen berechnen. Das ­ist die erste Massenbestimmung dieses Systems auf rein dynamischer Grundlage und ohne Zuhilfenahme eines Entwicklungsmodells für Braune Zwerge. Sie liegt erheblich über den älteren, auf weniger Datenpunkten basierenden Werten von maximal 120 Jupitermassen. Daraus ergibt sich ein Problem.

Astronomen hatten bereits 1997 in dem gemeinsamen Spektrum von Kelu-1A und B eine Lithium-Absorptionslinie gefunden. Diese lässt sich nach derzeitigen Modellen nur damit erklären, dass eine der beiden Komponenten höchstens 65 Jupitermassen besitzt. Damit besäße die andere Komponente 110 Jupitermassen und wäre ein M8V-Hauptreihenstern, denn die Massenobergrenze für Braune Zwerge beträgt etwa 75 Jupitermassen. Die Existenz eines solchen Sterns lässt sich aber aufgrund des Spektrums ausschließen.

Eine Lösung dieses Problems sehen die Forscher des MPIA in der Annahme, dass es sich bei Kelu-1A um einen unaufgelösten doppelten Braunen Zwerg handelt. Kelu-1 wäre also ein Dreifachsystem. Die nachfolgend geschilderte Analyse der Spektren unterstützt diese Hypothese.

Das mit NACO gewonnene Nahinfrarotspektrum von Kelu-1A (Abb. 3) passt recht gut zu einem Braunen Zwerg vom Spektraltyp L0 bis L1. Untypisch für L0 ist allerdings eine ausgeprägte Absorption bei 1,62 µm. Ein solches Merkmal findet man normalerweise nur bei T-Zwergen, wo es durch CH4 verursacht wird. Deshalb versuchten die Astronomen, das Spektrum als Summe von zwei unterschiedlichen Spektren zu erklären. Dazu kombinierten sie je ein Spektrum der Spektralklasse M8 bis L4 mit einem der Spektralklasse T2 bis T8. Die beste Anpassung ergab sich aus der Überlagerung der Spektren eines L0.5- und eines T7.5-Zwerges. In diesem Fall wäre die leuchtkräftigere Komponente, abhängig von der Wellenlänge, um drei bis fünf Größenkassen heller als der leuchtschwächere Begleiter.

Das Spektrum der zweiten Komponente Kelu-1B bereitete noch mehr Probleme, weil es um 1,6 µm einen für Braune Zwerge untypischen „Buckel“ besitzt. Bis heute sind nur zwei weitere Braune Zwerge vom Typ L0 und L6 mit dieser Besonderheit bekannt. Die Ursache ist unbekannt, möglich erscheint eine ungewöhnlich große Häufigkeit schwerer Elemente („Metalle“) und Staubwolken in der Atmosphäre oder eine geringe Gravitation. Die Astronomen des MPIA klassifizierten Kelu-1B als ungewöhnlichen Braunen Zwerg vom Typ L3 pec. Hier ist auf jeden Fall weitere Forschung nötig, um die rätselhaften spektralen Merkmale klären zu können.

Alter und Massen – Test von Entwicklungsmodellen

Mit den bisher geschilderten Ergebnissen konnten nun Entwicklungsmodelle von Braunen Zwergen getestet werden. Ein wichtiger Parameter ist – wie eingangs geschildert – das Alter. Ohne weitere Hinweise, wie etwa die Zugehörigkeit zu einem Sternhaufen bekannten Alters, ist man hier auf theoretische Entwicklungswege (Isochronen) beispielsweise in einem Farben-Helligkeits-Diagramm angewiesen. Bisherige Modelle lieferten für Kelu-1 einen Altersbereich von 100 Millionen bis zu einer Milliarde Jahren. Fügt man die neu ermittelten Werte in ein solches Diagramm ein, so kommt man auf einen eher jüngeren und engeren Bereich zwischen 300 und 500 Millionen Jahren (Abb. 4).

Interessant war nun der Vergleich der dynamisch ermittelten Massenwerte mit denen aus Modellen. Wie Abbildung 5 zeigt, liefert das Modell mit der gemessenen Helligkeit im Ks-Band (bei 2,15 µm) und einem maximalen Alter von 500 Millionen Jahren für Kelu-1A etwa 61 Jupitermassen und für den Begleiter 50 Jupitermassen. Selbst wenn man für eine dritte Komponente Kelu-1Aa entsprechend ihrer Helligkeit 18,5 Jupitermassen hinzufügt, ergibt sich eine Gesamtmasse von nur 130 Jupitermassen – signifikant weniger als die dynamische Masse von 177 Jupitermassen.

Kelu-1 ist nicht der einzige Fall, in dem die Modelle zu geringe Massen ergeben. So hatten Astronomen des MPIA im Jahre 2005 für den massearmen Körper AB Doradus C eine dynamische Masse von 93 Jupitermassen gefunden, während die Modelle einen nur etwa halb so großen Wert vorhersagten [W1]. Auch für die beiden Braunen Zwerge Epsilon Indi Ba und Bb deutet sich eine vergleichbare Diskrepanz an.

Es ist also ganz offensichtlich, dass die Modelle für Braune Zwerge erheblich verbessert werden müssen. Vermutlich spielen hierbei atmosphärische Vorgänge, etwa die Bildung von Staubwolken, eine wesentliche Rolle. Kelu-1 eignet sich hervorragend dazu, diesen Fragen nachzugehen. Dafür sind weitere Beobachtungen nötig. Zum einen wollen die MPIA-Forscher versuchen, ihre Vermutung von der Existenz einer dritten Komponente zu prüfen. Möglich ist dies mit hoch auflösenden Infrarotspektren von Kelu-1A. Mit ihnen sollte sich die Bewegung des unsichtbaren Begleiters über den Doppler-Effekt bemerkbar machen. Mit Spektren lassen sich möglicherweise auch Wolken nachweisen. Außerdem muss die Bahn der beiden Hauptkomponenten weiter verfolgt werden, da diese immer noch nicht mit ausreichender Genauigkeit bekannt ist.

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