Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern

Schwellenrabatte: schädlich oder nützlich – jedenfalls verführerisch

Autoren
Morell, Alexander
Abteilungen
Zusammenfassung
Wettbewerbsbehörden fürchten, dass (Schwellen-)Rabatte Monopolisierung fördern. Ökonomische Modelle zeigen, dass viele Rabatte nicht nur unschädlich für den Wettbewerb sind, sondern sogar den Wohlstand mehren können. Im Labor reagieren Konsumenten jedoch anders auf Rabatte, als es diese Modelle annehmen. Wie kann man kartellrechtlich darauf reagieren? Ein Forschungsprojekt am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern entwickelt eine Lösung.

Jeder kennt Schwellenrabatte. Die Rabattkarte vom Café nebenan: Wenn sie mit zehn Kaffeestempeln versehen ist, gibt es einen Kaffee umsonst. Bei einem großen Herrenausstatter ist der Rabatt am Jahresende gestaffelt; je mehr man gekauft hat, desto höher ist der Rabatt. Auch zwischen Produzenten und Wiederverkäufern sind Schwellenrabatte gang und gäbe.

Das Kartellrecht betrachtet solche Rabatte mit Argwohn – zumindest, wenn sie durch ein Unternehmen angeboten werden, das eine so mächtige Marktposition innehat, dass es am Markt weitgehend unabhängig von Wettbewerbern und Kunden agieren kann. Die Marktmacht solcher Unternehmen kann eine Gefahr für den Wettbewerb darstellen. Wettbewerb ist in der Regel wünschenswert: Er ist Ausdruck von Freiheit, ein unersetzliches „Entdeckungsverfahren“ für neue Güter und Produktionsverfahren und er sorgt dafür, dass jeder mit Gütern versorgt wird, der bereit ist, die Kosten ihrer Bereitstellung zu tragen. Ein marktmächtiges Unternehmen, dem Wettbewerber nicht wirksam Konkurrenz machen, könnte geneigt sein, seine Monopolstellung auszubauen, indem es beispielsweise seinen Kunden droht, sie nicht mehr zu beliefern, wenn sie von einem Konkurrenten kaufen.

Viel eleganter ist es jedoch, den Kunden einen rückwirkenden Rabatt auf alle gekauften Einheiten anzubieten, wenn sie innerhalb der festgesetzten Zeit das Umsatzziel erreichen. Die Schwelle wird dann so gewählt, dass Kunden ihren gesamten Bedarf beim Marktbeherrscher decken müssen, um den Rabatt zu erhalten. Dann haben kleine Wettbewerber keine Kunden mehr. Sie müssen aus dem Markt ausscheiden oder treten erst gar nicht ein. Wenn das geschieht, liegen Schwellenrabatte über Kreuz mit Artikel 82 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). Er verbietet den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Aber welche Schwellenrabatte sind nun missbräuchlich und welche nicht? Die Frage hat zwei Seiten. Erstens muss man entscheiden, was es eigentlich bedeutet, dass ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung missbraucht. Zweitens muss man die Wirkung von Rabatten verstehen. Erst dann lässt sich beurteilen, ob und wann die gefundene Definition von Missbrauch sie erfasst.

Definition von „Missbrauch“

Zur Definition des „Missbrauchs“ im Sinne von Artikel 82 EGV gibt es eine umfangreiche juristische Literatur. Teilweise wird vertreten, missbräuchlich sei ein Verhalten, wenn es unfaires Verhalten im Wettbewerb darstelle. Doch was bedeutet „fair“ genau? Andere meinen, missbräuchlich sei ein Verhalten, wenn es die Freiheit anderer Akteure am Markt ungerechtfertigt oder unverhältnismäßig einschränke. Auch diese Definition führt nur zum nächsten Problem, nämlich der Frage, wie „Freiheit“ und wie „ungerechtfertigt“ zu definieren sind.

Handhabbar ist die folgende Definition: Ein Missbrauch liegt vor, wenn das Verhalten einen Konkurrenten schlechter stellt, ohne die Konsumenten besserzustellen. Wettbewerb ist ein Verfahren gegenseitiger Beschränkung: Wenn alle Verkäufer am Markt einen bestimmten Preis verlangen, und Verkäufer A seine Preise drastisch anhebt, um mehr Geld zu verdienen, so wird der Wettbewerb bewirken, dass er weniger verkauft, weniger verdient und schließlich seine Preiserhöhung rückgängig macht. Wenn Verkäufer A aber seinen Preis senkt, so wird das seinen Konkurrenten schaden, denn die Kunden werden nun bei ihm anstatt bei seinen Konkurrenten kaufen. Jedoch ist dieser „Schaden“ erwünscht, denn im Wettbewerb soll derjenige bestehen, der ein Produkt bestimmter Qualität zum günstigsten Preis anbieten kann. Nach dieser Missbrauchsdefinition ist eine Preissenkung selbst dann, wenn A ein Marktbeherrscher ist, nicht missbräuchlich. Sie schadet zwar den Konkurrenten. Aber sie stellt die Konsumenten besser, weil sie günstiger einkaufen können.

Um zu klären, ob Schwellenrabatte Konkurrenten schlechter stellen, ohne die Konsumenten besserzustellen, muss man klären, wie Schwellenrabatte eigentlich wirken, wenn sie durch einen Marktbeherrscher gesetzt werden. Für die Antwort auf diese Frage brauchen Juristen die Hilfe von Ökonomen und Psychologen.

Schwellenrabatte können schaden

Es ist möglich, dass Rabatte Konkurrenten schaden, ohne dass sie den Konsumenten nützen. Oft werden Käufer auf das Produkt des Marktbeherrschers angewiesen sein. Sie werden einen Teil ihres Bedarfs beim Marktbeherrscher decken müssen. Einen anderen Teil könnten sie aber auch von einem Konkurrenten des Marktbeherrschers beziehen. Das kann das mächtige Unternehmen verhindern, indem es einen sehr hohen Preis für die Einheiten verlangt, die die Kunden bei ihm beziehen müssen. Die Erlöse aus diesem sicheren Geschäft nutzt das Unternehmen zur Quersubventionierung. Es verlangt also sehr geringe Preise für jene Einheiten, die die Kunden auch bei den Konkurrenten beziehen könnten. Dies kann ein Schwellenrabatt mit einer Schwelle nah am Gesamtbedarf des Kunden bewerkstelligen. Ein solcher Rabatt kann dazu führen, dass der Markt für Konkurrenten des Marktbeherrschers verschlossen wird. Ist der Markt einmal verschlossen, kann der Marktbeherrscher höhere Preise verlangen. Dies schadet dann auch den Konsumenten. Wenn sowohl Konkurrenzunternehmen als auch Konsumenten benachteiligt werden, sind Schwellenrabatte missbräuchlich im Sinne von Artikel 82 EGV.

Schwellenrabatte können nützen

Schwellenrabatte können aber auch Konkurrenzunternehmen wie Konsumenten besserstellen. Dies ist beispielsweise in Absatzketten mit hintereinander geschalteten Monopolen der Fall; wenn also nicht nur der Hersteller ein Monopol hat, sondern auch der Zwischenhändler.

Wie entscheidet ein Monopolist, wenn zwischen seinen Abnehmern Wettbewerb herrscht? Ein Monopolist kann, da er dem Wettbewerb nicht ausgesetzt ist, eine kleinere Menge produzieren und so für hohe Preise sorgen (wie beim OPEC-Kartell: eine Reduktion der Menge führt zu höheren Preisen). Die Menge wird er genau so verringern, dass das für ihn optimale Verhältnis von Menge und Preis ihm den maximalen Gewinn sichert. Dieser maximale Gewinn ist die sogenannte Monopolrente.

Hat auch der Zwischenhändler ein Monopol, verhält er sich genauso. Jeder der beiden Monopolisten beschränkt also die Menge. An die Endkunden wird nur noch sehr wenig verkauft. Im Ergebnis schadet das beiden Anbietern. Keiner macht mehr den maximalen Gewinn. Der maximale Profit entsteht nur bei einer einfachen Mengenbeschränkung; in jeder Produktionskette gibt es nur eine Monopolrente. Alle Beteiligten, die beiden Monopolisten und die Konsumenten, könnten durch eine Erhöhung der Menge gewinnen. Die beiden Monopolisten könnten dann Monopolpreise über eine größere Menge verlangen und so mehr verdienen. Die Konsumenten würden ein größere Menge abnehmen und einen etwas geringeren Preis bezahlen und daher auch verdienen. Im Beispiel hat jedoch der Zwischenhandelsmonopolist keinen Anreiz, die Menge auszuweiten, weil sonst der Großteil des Profits beim Produzenten entstünde, an dem er nicht mitverdient.

Mit einem Schwellenrabattsystem kann der produzierende Monopolist dagegen einen Teil seines zusätzlichen Gewinns, den ihm ein stärkerer Absatz des Zwischenhandelsmonopolisten gewähren würde, an letzteren weitergeben. Vor allem ermöglicht ihm der Schwellenrabatt, diese Weitergabe an die Bedingung zu knüpfen, dass der Zwischenhandelsmonopolist seinen Absatz ausweitet. So wird die Menge in der Produktionskette nur einmal beschränkt. Es wird die Menge produziert, die ein einziger Monopolist anbieten würde. Dadurch gewinnen auch die Konsumenten, weil das Angebot steigt und die Preise sinken. Dies ist einer der Gründe, weswegen viele Ökonomen Schwellenrabatte nützlich finden.

Schwellenrabatte können verführen

Ökonomen arbeiten mit Modellen. Die in der Wettbewerbspolitik üblichen Modelle nehmen an, dass Menschen ihren eigenen Nutzen mit perfekter Geschicklichkeit maximieren. Vor allem auf Konsumentenmärkten ist diese Annahme problematisch. Forscher des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern haben daher ein stilisiertes Rabattsystem geschaffen und im Labor untersucht, wie Käufer reagieren, wenn sie nicht sicher sind, ob sie den Rabatt erreichen werden. Auf diese riskante Situation haben die Versuchspersonen reagiert, indem sie überzufällig häufig auch dann bei einem Schwellenrabattanbieter gekauft haben, wenn sie dadurch im Durchschnitt Geld verloren haben – Schwellenrabatte sind eben verführerisch.

Das Ergebnis hat Folgen für einen Konkurrenten, der in den Markt des Marktbeherrschers eintreten möchte: Würde der Konkurrent sich rationalen Konsumenten gegenübersehen, die einfach ihren Gewinn maximieren, könnte er mit einem moderat tiefen Preis erfolgreich in den Markt eintreten. Da er sich aber tatsächlich nicht rationalen Konsumenten gegenübersieht, kann er dem Marktbeherrscher nur dann Kunden abnehmen, wenn er noch viel günstigere Konditionen bietet als er es bei rationalen Käufern müsste. Auch Rabatte, die gegenüber rationalen Konsumenten nützlich wären, können so auf Märkten mit nicht voll rational handelnden Konsumenten marktverschließend wirken. Vielleicht ist dieser Verführungseffekt auch der Grund, warum manche Konsumenten aus Prinzip keine Rabatte in Anspruch nehmen. Ihre Prinzipientreue schützt sie vor sich selbst.

Fazit

Die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof haben Rabatte bisher nur pauschal beurteilt. Statt Schwellenrabatte, die ein Marktbeherrscher anbietet, per se zu verbieten, sollten sie mithilfe ökonomischer Methoden prüfen, ob ein Rabatt Konsumenten oder Konkurrenten nützt, oder ob er den Wettbewerbern des Marktbeherrschers schadet, ohne den Konsumenten zu nützen. Wird ein Produkt an Endverbraucher vertrieben, sollte die Kommission die Verführungswirkung von Rabatten bedenken.

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