Forschungsbericht 2007 - Max-Planck-Institut für Astronomie

Entstehung massereicher Sterne

Autoren
Beuther, Henrik
Abteilungen

Stern- und Planetenentstehung (Prof. Dr. Thomas Henning)
MPI für Astronomie, Heidelberg

Zusammenfassung
Die Früehstadien massereicher Sterne sind weitaus weniger erforscht als die von masseärmeren sonneähnlichen Objekten. Massereiche Sterne sind wesentlich seltener, haben kuerzere Entwicklungszeiten, sind im Durchschnitt weiter entfernt als typische massearme Sternentstehungsregionen, und entstehen fast immer in Sternhaufen. Sie stellen daher erhebliche Anforderungen an das Auflösungsvermögen und die Empfindlichkeit der Beobachtungsinstrumente. Die neuen Interferometer im (Sub-)Millimeterbereich erlauben es heute auch entferntere Sternentstehungsregionen mit hoher räumlicher Auflösung und ausreichender Empfindlichkeit zu untersuchen. Auf diese Weise gelangen interessante Einblicke in mehrere Entstehungsgebiete massereicher Sterne, darunter die berühmte Region Orion KL.

Für die Dynamik, Physik und Chemie des interstellaren Mediums sind massereiche Sterne trotz ihrer Seltenheit von großer Bedeutung. Während ihrer ungefähr 100.000 Jahre dauernden Entstehungsphase erzeugen sie intensive Teilchenwinde und Jets, anschließend geben sie im Laufe ihres 4 bis 40 Millionen Jahre währenden Lebens energiereiche, ionisierende UV-Strahlung ab. Und in der Endphase reichern sie durch starke Winde und Supernova-Explosionen das interstellare Medium mit schweren Elementen an.

Viele Fragen zur Entstehung massereicher Sterne sind noch offen. Die einfachste Annahme ist, dass der Prozess ihrer Entstehung lediglich eine hochskalierte Version der Vorgänge bei massearmen Sterne ist. Das erscheint jedoch aus folgendem Grund problematisch. Sterne mit mehr als etwa acht Sonnenmassen strahlen schon während ihrer Entstehungsphase so viel Energie ab, dass der Strahlungsdruck auf das umgebende Material aus Staub und Gas dessen Kollaps abbremsen muss. Wären die Akkretionsraten für Sterne aller Massen gleich, dann würde dieser Strahlungsdruck die Entstehung massereicher Sterne völlig verhindern.

In den letzten Jahren sind verschiedene Wege zum Umgehen dieses Hindernisses vorgeschlagen worden. Das Entstehungsschema massearmer Sterne ließe sich im Wesentlichen beibehalten, wenn die Akkretionsraten stark mit der Masse des sich bildenden Sterns zunähmen. Dann würde der Strahlungsdruck das Wachstum des Sterns nicht bremsen können. Ein alternativer Ansatz folgt aus der Beobachtung, dass massereiche Sterne immer in kompakten Haufen Hunderter oder Tausender Sterne geringer Masse entstehen. Möglicherweise sind in solchen Sternhaufen die Sterne anfänglich so dicht beisammen, dass Sterne mittlerer und kleiner Masse miteinander kollidieren und zu massereicheren Sternen verschmelzen können. In einem solchen Szenario könnten sich allerdings keine stabilen Scheiben um die anwachsenden Sterne halten. Die Suche nach Akkretionsscheiben um junge massereiche Sterne gehört daher zu den vornehmlichen Zielen in diesem Forschungsbereich.

Frühe Beobachtungen mit geringer räumlicher Auflösung lieferten erste Hinweise auf bipolare molekulare Ausflüsse aus massereichen Sternentstehungsregionen. Dies wurde als Indiz für die Existenz von Akkretionsscheiben gedeutet. Doch obwohl der Kenntnisstand über massereiche Ausflüsse in den letzten Jahren stark zugenommen hat, bleiben viele Details ungeklärt. Es gibt bislang noch zu wenige Daten mit hoher räumlicher Auflösung, um die vorhandenen Ergebnisse besser einzuordnen.

Darum werden nun weitere Beobachtungen von Sternentstehungsregionen mit Interferometern vorgenommen. Im Millimeterbereich steht hierfür die Anlage auf dem Plateau de Bure zur Verfügung, seit kurzem arbeitet auch das Sub Millimeter Array (SMA) auf Hawaii. Mit diesen hochauflösenden Anlagen lassen sich Emissionslinien vieler chemischer Verbindungen gleichzeitig beobachten. Sie geben Aufschluss über wichtige physikalische Größen wie Dichte und Temperatur des Gases und erlauben Rückschlüsse auf Kinematik und Dynamik des Mediums. Schließlich ist es auch interessant, das komplexe chemische Netzwerk in Sternentstehungsgebieten zu studieren und nach Entwicklungsprozessen zu suchen.

Extrem junge, protostellare Objekte in IRDC 18223-3...

Bei der Entstehung massereicher Sterne lassen sich vier Phasen unterscheiden. Anfangs entsteht durch Verdichtung im Innern einer Staubwolke ein noch sternloser Kern, dann ein Protostern geringer bis mittlerer Masse, der Materie aus der Umgebung aufsammelt (akkretiert). Dadurch wächst in der dritten Phase der massereiche Protostern (mit mehr als acht Sonnenmassen) heran, der schließlich als Hauptreihenstern auftritt (vierte Phase) und die Mutterwolke aufzulösen beginnt. Die massereichen Protosterne, die immer noch tief in ihre molekulare Wolke eingebettet sind (hauptsächlich in Phase drei), bilden heiße molekulare Kerne um sich herum aus, die vermutlich mit kompakten HII-Regionen einhergehen. Beobachtungen in jüngerer Vergangenheit haben hierbei zu einer Unterscheidung zwischen hyperkompakten (Radius kleiner als 0.01 pc) und ultrakompakten HII-Regionen (Radius kleiner als 0.1 pc) geführt.

Diese unterschiedlichen Stadien lassen sich nur schwer identifizieren und charakterisieren, weil sie im verborgenen Innern der dichten Staubwolken durchlaufen werden. Auf der Suche nach Objekten, die sich in der ersten Phase ihrer Entstehung befinden, wurden die Astronomen auf eine etwa 12.000 Lichtjahre entfernte Region mit der Bezeichnung IRDC 18223-3 aufmerksam (Abb. 1); IRDC steht für Infrared Dark Cloud. Sie befindet sich südlich von einer mit dem Satelliten Iras entdeckten Infrarotquelle innerhalb einer länglichen Staubwolke und war dort durch Emission bei 1.2 mm Wellenlänge aufgefallen. Beobachtungen von NH3 ließen auf eine Temperatur von 33 K schließen, wie man es für ein sehr junges Sternentstehungsgebiet erwartet.

Die Astronomen beobachteten IRDC 18223-3 mit dem IRAM Plateau de Bure Interferometer bei 3mm Wellenlänge, ergänzt wurden die Daten durch Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Spitzer zwischen 3.6 und 8 µm. Wie Abbildung 2 zeigt, ließ sich im mittleren Infrarot kein protostellarer Kern nachweisen, während sich im Millimeterbereich eine längliche Verdichtung mit einer Ost-West-Ausdehnung von 28 000 AE abzeichnet, deren visuelle Extinktion bis zu einem Faktor 1000 beträgt. Die hierin enthaltene Masse beträgt einige hundert Sonnenmassen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei IRDC 18223-3 um eine massereiche Gaskondensation in einem sehr frühen Entwicklungsstadium.

In Abbildung 2 sind westlich und östlich der Millimeterquelle auf der Spitzer-Aufnahme bei 4.5 µm Wellenlänge helle, grün kodierte Gebiete erkennbar. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um Linienemission von H2 und CO, angeregt von einem bipolaren Ausfluss. Eventuell gibt es in dieser Region sogar mehrere Ausströmungen, wie andere Emissionsgebiete in dieser Aufnahme andeuten.

Spektroskopische Untersuchungen der Linienemission von

N2H+ mit Iram lieferten zudem Hinweise auf eine Zunahme der Geschwindigkeitsdispersion im Zentralgebiet der Millimeterquelle. Ob es sich hierbei um Turbulenz, Rotation, Ein- oder Ausflüsse handelt, ließ sich noch nicht feststellen und erfordert weitere Beobachtungen. Aber diese Kinematik lässt ebenfalls auf das Einsetzen von Sternentstehung schließen. Auch ein Vergleich der bei 3 mm ermittelten Masse mit der Virialmasse spricht für eine kontrahierende Gaswolke.

Damit sprechen mehrere Indizien dafür, dass es sich bei der Millimeterquelle IRDC 18223-3 um ein extrem junges, protostellares Objekt handelt. Es ist vermutlich noch recht massearm, sitzt aber tief in einem Molekülwolkenkern, aus dem es sehr viel Masse ansammelt, wobei es sich zu einem massereichen Stern entwickeln wird.

... und in Orion KL

Ganz oben auf der Liste bekannter Entstehungsgebiete massereicher Sterne steht Orion KL im Orionnebel. Mit einer Entfernung von 1.360 Lichtjahren ist es auch das nächst gelegene Entstehungsgebiet massereicher Sterne (Abb. 3).

Die Region Orion KL besitzt einen „heißen Kern“ mit Temperaturen von einigen hundert Kelvin, der reich an teils sehr komplexen organischen Molekülen ist. Er lässt sich im Millimeter- und Submillimeterbereich nachweisen und besteht aus einer Reihe von Verdichtungen in etwa einer Bogensekunde Entfernung von der Radioquelle I. Daneben gibt es in dieser Region einen Haufen mit mehreren Infrarotquellen, und mindestens zwei Ausflüsse ließen sich dort bislang nachweisen. Deren Quellen konnten noch nicht eindeutig identifiziert werden, als Kandidaten gelten das genannte Objekt I, eine neue submm Quelle SMA1, sowie eine Infrarotquelle mit der Bezeichnung n, die auch im Radiobereich nachweisbar ist und dort die Bezeichnung 1 trägt.

Diese interessante Region wurde mit dem Sub-Millimeter-Array (SMA) auf Hawaii erstmals bei einer Wellenlänge von 440 µm mit hoher Auflösung studiert (Abb. 4). Für diese Messung wurden zum ersten Mal sechs Teleskope bei dieser Wellenlänge mit Basislinien zwischen 16 und 68 Metern interferometrisch zusammengeschaltet.

Die spektrale Energieverteilung der Quelle sollte nun Aufschluss über deren Entwicklungsstand geben. Hierbei kam den mit dem SMA gemessenen Flüssen bei 345 und 690 GHz eine besondere Bedeutung zu, wie Abbildung 5 demonstriert. Sie erlaubten es, zwischen mehreren Modellen für die Quelle 1 zu unterscheiden. Die Daten lassen sich am besten mit der Annahme erklären, dass die gemessene Strahlung eine Mischung aus Frei-frei-Strahlung von Elektronen und Protonen bei niedrigen Frequenzen und von thermischer Staubemission bei hohen Frequenzen ist. Das ist typisch für einen tief in einer Staubwolke eingebetteten protostellaren Kern.

Anders sieht die Situation bei einer weiteren entdeckten Quelle, SMA 1, aus. Sie ist keine Fortsetzung des heißen Kerns, wie mehrfach vermutet wurde, sondern eine separate Einzelquelle. Da dieses Objekt weder im Infraroten noch bei Zentimeterwellenlängen nachgewiesen werden konnte, handelt es sich vermutlich um eines der jüngsten Objekte in diesem Haufen.

Neben der Kontinuumsemission konnten bei 865 und 440 µm zudem weit über 100 Emissionslinien nachgewiesen werden, deren Identifikation teilweise noch aussteht. Abbildung 6 zeigt die Emissionen einiger Moleküle in Orion KL. Ein Ergebnis ist: Höher angeregte Linien um 440 µm erscheinen intensiv bei Quelle 1, was auf eine hohe Temperatur hindeutet. Insbesondere war es möglich, aus der Emission von CH3CN (37K–36K) die Temperatur sowohl in Quelle 1 als auch in SMA 1 und dem heißen Kern genauer abzuleiten. Es ergab sich ein Wert von 600 K mit einer Unsicherheit von 200 K. Dieser Temperaturwert liegt einige hundert Kelvin höher als nach früheren Abschätzungen. Das lässt sich damit erklären, dass die beobachteten, sehr hochfrequenten Spektrallinien von wärmerem Gas stammen als die niederfrequenten Linien früherer Beobachtungen.

Eine der wichtigsten Motivationen für die hoch aufgelöste Beobachtung von Molekülemission ist der Nachweis von Akkretionsscheiben um massereiche (Proto-)Sterne. In jüngster Zeit ließen sich bei einigen wenigen Objekten Hinweise dafür finden. Einige Beispiele zeigt Abbildung 7; zum Beispiel fanden italienische Astronomen eine Scheibe um die Infrarotquelle Iras 20126+4104, in der sie Kepler Rotation nachweisen konnten (Abb. 7d). Das Problem besteht darin, die Emission der Scheibe von der anderer Komponenten, z.B. Ausströmungen und dem umgebenden Wolkenkern, zu trennen. Die Chemie des Protosterns verändert sich außerdem mit dessen Alter, d.h. dass sich eine und dieselbe Molekülsorte nicht für alle Scheiben als Indikator eignet. .

Die ersten Versuche belegen das große Potenzial interferometrischer Beobachtungen von Entstehungsgebieten massereicher Sterne im Submillimeter- und Millimeterbereich. Die große Bandbreite moderner Empfänger ermöglicht viele Moleküle, die als Indikator für unterschiedliche räumliche Gebiete dienen, gleichzeitig zu beobachten.

Alle hier beschriebenen Projekte stellen erste Schritte dar, da die frühesten Stadien massereicher Sterne zu den am wenigsten erforschten Entwicklungsstadienzählen, die erst kürzlich durch die Infrarotsatelliten ISO, MSX und Spitzer in signifikanter Anzahl der Beobachtung zugänglich wurden. Das Studium der Chemie der heißen molekularen Kerne ist ein wichtiges Fundament der Astronomie. Es bildet die Basis für zukünftige Studien der Astrobiologie, also der Suche nach komplexen Molekülen im Weltraum, die für das Leben notwendig sind. Die Tatsache, dass das MPIA im September 2007 eine große internationale Konferenz zu diesem Thema in Heidelberg organisierte, spiegelt die zunehmende Bedeutung der Erforschung der Entstehung massereicher Sterne wider.

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