Forschungsbericht 2005 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Staubiger Saturn: Planetare Staubschleuder und Eisvulkane

Autoren
Kempf, Sascha; Srama, Ralf; Grün, Eberhard
Abteilungen

Kosmischer Staub (Dr. Ralf Srama)
MPI für Kernphysik, Heidelberg

Zusammenfassung
Schon ein halbes Jahr bevor die Raumsonde Cassini/Huygens ihre Erkundung des Saturnsystems begonnen hatte, gelang dem Cassini-Staubdetektor CDA der erste Nachweis von Saturnstaub: Er registrierte kurze kollimierte Ströme von nanometergroßen Staubteilchen, welche aus dem inneren Saturnsystem in den interplanetaren Raum herausgeschleudert werden. Aufgrund der dynamischen Eigenschaften der Stromteilchen gelang es, als eine ihrer Quellen Saturns A-Ring zu enttarnen. Diese Entdeckung bietet die unerwartete Möglichkeit, das Material des für Raumsonden unzugänglichen Hauptringsystems Saturns direkt zu analysieren. Beobachtungen während eines dichten Vorbeiflugs der Sonde am Eismond Enceladus gaben deutliche Hinweise auf einen starken Eisvulkanismus. Diese Entdeckung erklärt letztlich, warum dieser Mond Saturns riesigen E-Ring so effizient mit frischen Staubteilchen versorgen kann.

Saturns E-Ring

Die Umgebung des Ringplaneten Saturn ist die „staubigste Region“ in unserem Sonnensystem. Mikroskopische Festkörperteilchen, der so genannte Staub, bilden dort Ringe von atemberaubender Größe. Besonders bemerkenswert ist der rätselhafte E-Ring, der größte bekannte planetare Ring des Sonnensystems, welcher sich über mindestens 15 Saturnradien (Saturnradius RS = 60330 km) erstreckt. Eingebettet in ihn sind die Eismonde Mimas (3,07 RS), Enceladus (3,94 RS), Tethys (4,88 RS), Dione (6,25 RS) und Rhea (8,73 RS). Erdgebundene Beobachtungen des E-Rings sowie der Eismonde sind nur zweimal innerhalb eines Saturnjahres (29,5 Jahre) möglich, wenn die Sonne die Ringebene Saturns kreuzt und dann das sehr schwache Signal nicht durch das auf der Ringoberfläche gestreute Licht der Sonne überstrahlt wird. Da die Helligkeit des E-Rings an der Enceladus-Position ein deutliches Maximum hat, wurde dieser Mond schon in den 1980er- Jahren als Quelle des Ringes vorgeschlagen. Großes Erstaunen rief allerdings eine weitere Folgerung aus den astronomischen Beobachtungen hervor: Aufgrund der „blauen“ Farbe des Streulichts sowie der Abhängigkeit der Ringhelligkeit vom Winkel zwischen dem Beobachter und der Sonne müssen die Ringteilchen eine ungewöhnlich schmale Größenverteilung zwischen 0,3 µm und 3 µm haben. Dieses Ergebnis widerspricht auf den ersten Blick der Annahme von Enceladus als Ringquelle, da dieser auch wesentlich größere und kleinere Teilchen in den Ring einspeisen sollte. Sowohl die Größenverteilung der Ringteilchen als auch deren radiale Verteilung muss daher eng mit der Dynamik der Ringteilchen verbunden sein. Die direkte Erforschung des E-Rings mittels des vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg gebauten Staubdetektors an Bord der Cassini-Raumsonde wird die entscheidenden Hinweise zur Lösung dieses Rätsels liefern.

Der Cassini-Staubdetektor CDA

Staubteilchen im interplanetaren Raum wie auch Saturnteilchen bewegen sich mit Geschwindigkeiten von wenigstens einigen km/s relativ zur Raumsonde, weshalb die verlässliche Bestimmung der Staubgeschwindigkeit eine schwierige Aufgabe ist. Die Massen- wie auch die Geschwindigkeitsbestimmungsmethode des „Cosmic Dust Analyser“ (CDA, Abb. 1 [1]) basiert auf der Analyse des Einschlagsplasmas, welches durch den Aufschlag eines Staubteilchens auf das Target des Detektors erzeugt wurde. Der CDA registriert zuverlässig Einschläge von 1-100 km/s schnellen und 10 nm - 100 µm großen Staubteilchen. Ein integriertes Flugzeitmassenspektromter ermöglicht die gleichzeitige grobe Charakterisierung der elementaren Zusammensetzung des Teilchens. Weiterhin erlaubt der Ladungssensor erstmalig – zumindest für größere Staubteilchen – die zuverlässige Messung der elektrostatischen Ladung, deren Kenntnis wichtige Rückschlüsse über den Einfluss elektromagnetischer Störkräfte auf die Eigendynamik zulässt. Die erforderliche komplexe Verarbeitung der Messdaten durch die Detektorsoftware beschränkt die maximal nachweisbare Einschlagsrate auf ein Ereignis pro Sekunde. Da die erwarteten Einschlagsraten im inneren Kern des E-Rings diese Rate erheblich überschreiten, wurde weiterhin ein Einschlagszähler (High Rate Detector - HRD), welcher Raten bis zu 10000/s registrieren kann, in das Instrument integriert.

Saturn-Stromteilchen

Huygens/Cassini ist eine gemeinsame Mission der amerikanischen Raumfahrtagentur NASA und der europäischen Agentur ESA zur Erforschung des Saturnsystems und des Saturnmondes Titan. Obwohl die Sonde erst im Sommer 2004 das innere Saturnsystem erreichte, gelang mit dem CDA-Detektor der erste Nachweis von Saturnstaub schon weitaus früher. Bereits in einer Entfernung von 70 Millionen Kilometern zum Planeten registrierte der Detektor sporadische kurzzeitige Ströme sehr schneller Staubkörner [2]. Bis zu diesem Zeitpunkt war nur der Planet Jupiter als Quelle von Staubströmen bekannt. Die zur Erde übertragenen Einschlagssignale hatten große Ähnlichkeit mit den CDA-Beobachtungen von Stromteilchen während des Vorbeiflugs am Jupiter im Winter 2000. Hieraus schließt man, dass die Teilchen der Saturnströme eine vergleichbar hohe Geschwindigkeit (>100 km/s) und ebenso kleine Größe (<30 nm) haben müssen. Physikalisch beruht die Beschleunigung des Staubs auf diese extrem hohen Geschwindigkeiten auf der Wechselwirkung positiv geladener Staubteilchen mit dem rotierenden Magnetfeld des Planeten. Da nur Staubteilchen, deren Masse sich innerhalb eines relativ schmalen Fensters bewegt, aus der Magnetosphäre entweichen können, kann man das Saturnsystem auch als eine Art Massenspektrometer für Staubteilchen ansehen: Sind die Staubteilchen zu klein, bleibt ihre Bewegung an das rotierende Magnetfeld gebunden. Und zu große Teilchen können wiederum nicht aus dem Gravitationsfeld des Saturns entkommen. Es ist nun genau diese Eigenschaft, welche die Identifizierung der Teilchenquelle im Saturnsystem anhand der beobachteten Staubgeschwindigkeit erlaubt. Abbildung 2 verdeutlicht, dass nur zwei Startpositionen für Stromteilchen mit Geschwindigkeiten >100 km/s in Frage kommen: der äußere Rand von Saturns A-Ring (maximale Teilchengrößen R < 20 nm) sowie der E-Ring außerhalb der Umlaufbahn des Saturnmondes Dione (R < 2 nm). Erstaunlicherweise zeigten numerische Simulationen der Trajektorien von Stromteilchen im interplanetaren Raum, dass nur Teilchen größer als 10 nm den Staubdetektor während des Anflugs der Cassini-Sonde zum Saturn treffen konnten. Die Quelle dieser Stromteilchen war folglich der A-Ring, dessen Material nicht direkt mit Raumsonden untersucht werden kann. Die neu entdeckten Saturn-Staubströme stellen deshalb eine unerwartete Möglichkeit zur Analyse des Materials der Hauptringe dar.

Die zahlreichen vom CDA-Detektor nach Cassinis Eintritt in die Saturnumlaufbahn im Juli 2004 aufgezeichneten Massenspektren von Stromteilchen zeigten überwiegend Linien gesteinsbildender Elemente wie Silizium und Sauerstoff, das Material des Einschlagstargets Rhodium, sowie Kohlenstoff unklarer Herkunft; dagegen fanden sich keine klaren Hinweise auf das typische Ringteilchenmaterial Wassereis [3]. Allerdings wird schon seit langem aufgrund der leichten Verfärbung der Ringe vermutet, dass die Ringkörper winzige silikatische Verunreinigungen enthalten. Vermutlich bestehen die Saturn-Stromteilchen aus den silikatischen Einschlüssen im Wassereis der Ringkörper des Saturns. Freigesetzt werden die Teilchen wahrscheinlich durch Kollisionen zwischen den einzelnen Eiskörpern in den Saturnringen. Anschließend werden sie dann aufgrund ihrer winzigen Masse in den interplanetaren Raum geschleudert, anders als die mikrometergroßen Eispartikel des E-Rings, die weit schwerer sind und die Anziehungskraft des Planeten nicht überwinden können.

Enceladus als Quelle des E-Rings

Untersuchungen mit dem Staubdetektor an der vermuteten Quelle des E-Rings, des Eismondes Enceladus, gaben den entscheidenden Hinweis für die Entdeckung von Eisvulkanen auf dessen Oberfläche durch die Cassini-Kameras [4]. Am 14. Juli 2005 hatte sich Cassini der Oberfläche des Enceladus bis auf 175 Kilometer genähert. Das ermöglichte es erstmals, die Staubverteilung tief innerhalb des Schwerkraftbereiches dieses Eismondes direkt zu messen und hierdurch die Produktion von frischen Ringteilchen zu untersuchen. Bisher hatte man angenommen, dass frische Staubteilchen durch ein Dauerbombardement der Oberfläche des Enceladus mit Mikrometeoriten entweder interplanetaren oder E-Ring-Ursprungs erzeugt werden. Während ein Teil des freigesetzten Staubes eine annähernd isotrope Wolke um den Mond selbst bilden würde, speisten die übrigen Staubteilchen den E-Ring des Planeten. Die Bildung von Staubhüllen um Monde aufgrund dieses Mechanismus wurde bereits mit dem Staub-Sensor der Galileo-Sonde für die Galileischen Satelliten des Jupiters nachgewiesen.

Allerdings widersprachen die Messungen mit dem HRD-Sensor deutlich der Annahme einer isotropen Staubhülle. Das Maximum der Einschlagsrate wurde vor dem Zeitpunkt der größten Annäherung der Raumsonde an die Mondoberfläche registriert, was nur durch eine deutlich anisotrope Staubhülle erklärt werden kann. Da photographische Aufnahmen der Südpolregion des Mondes auf geologisch junge Strukturen sowie Infrarotaufnahmen auf eine erhöhte Wärmeabstrahlung hinweisen, simulierten Physiker an der Universität Potsdam die Staubverteilung um den Mond unter der Annahme eines Eisvulkanismus in dieser Region. Die überzeugende Übereinstimmung zwischen Messung und numerischen Modell (siehe Abb. 3) veranlasste dann das Cassini-Kamerateam zur gezielten, erfolgreichen Suche nach vulkanischer Aktivität (siehe Abb. 4). Enceladus ist damit der zweite Mond des Sonnensystems, für welchen ein Staubvulkanismus nachgewiesen werden konnte. Dieses Ergebnis erklärt letztlich auch, weshalb dieser Mond den E-Ring so effektiv mit Staub auffrischen kann.

Originalveröffentlichungen

R. Srama, T. J. Ahrens, N. Altobelli, S. Auer, J. G. Bradley, M. Burton, V. V. Dikarev, T. Economou, H. Fechtig, M. Görlich, M. Grande, A. Graps, E. Grün, O. Havnes, S. Helfert, M. Horanyi, E. Igenbergs, E. K. Jessberger, T. V. Johnson, S. Kempf,
The Cassini Cosmic Dust Analyser.
Space Science Review 114, 465-518 (2004).
S. Kempf, R. Srama, M. Horányi, M. Burton, S. Helfert, G. Moragas-Klostermeyer, M. Roy, E. Grün:
High-velocity streams of dust originating from Saturn.
Nature 433, 289-291 (2005).
S. Kempf, R. Srama, F. Postberg, M. Burton, S. F. Green, S. Helfert, J. K. Hillier, N. McBride, J. A. M. McDonnell, G. Moragas-Klostermeyer, M. Roy, E. Grün:
Composition of saturnian stream particles.
Science 307, 1274-1276 (2005).
F. Spahn, J. Schmidt, N. Albers, M. Hörning, M. Makuch, M. Seiß, S. Kempf, R. Srama, V. Dikarev, S. Helfert, G. Moragas-Klostermeyer, A. V. Krivov, M. Sremčević, A. J. Tuzzolino, T. Economou, E. Grün:
Cassini Dust Measurements at Enceladus and Implications for the Origin of the E Ring.
Science 311, 1416-1418 (2006).
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