Forschungsbericht 2005 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Geistiges Eigentum als Bestandteil der Wettbewerbsordnung

Intellectual property as a component of competition law

Autoren
Drexl, Josef; Conde Gallego, Beatriz
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Immaterialgüterrechte und Kartellrechte sollen gleichermaßen zu Wettbewerb zwischen Unternehmen um bessere Produkte anspornen. Dies spricht dafür, das Immaterialgüterrecht grundsätzlich wettbewerbskonform auszugestalten. Umgekehrt sollte das Kartellrecht auf die innovationsfördernden Wirkungen des Immaterialgüterrechts Rücksicht nehmen, wenn es um die Beurteilung schutzrechtsbezogener Wettbewerbsbeschränkungen geht. Der so genannte „more economic approach“ in der Wettbewerbspolitik der europäischen Kommission erleichtert es, ökonomische Auswirkungen der Schutzrechte auf einem Markt zu berücksichtigen. Die Suche nach der optimalen Balance zwischen den Rechten des geistigen Eigentums und dem Kartellrecht im Hinblick auf das Ziel der Förderung von Innovationen und einer effizienten Ressourcenallokation stellt ein zentrales Forschungsfeld der Abteilung Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht dar.
Summary
Intellectual property rights and competition law pursue the same goal of promoting innovation. This requires taking competition policy concerns already into account when designing the optimal scope of intellectual property rights. On the other side, it is also necessary to consider the positive effects of intellectual property rights in fostering innovation when applying competition law to restrictions involving such rights. In this respect, the “more economic approach” nowadays advocated by the European Commission allows to take into account the economic effects of IPRs on a given market. Striking the right balance between intellectual property rights and competition law in order to best achieve the common goal of promoting innovation and an efficient allocation of resources is one of the main focuses of research at the Department of Intellectual Property and Competition Law of the Max Planck Institute for Intellectual Property, Competition and Tax Law.

Geistiges Eigentum und Wettbewerb stehen als strukturelle Voraussetzungen wirtschaftlicher Entwicklung in einem engen, wenn auch nicht spannungsfreien Verhältnis zueinander. Durch die Gewährung von Immaterialgüterrechten werden wichtige Anreize geschaffen, um in innovative und kreative Güter zu investieren. Immaterialgüterrechte sind damit im Zeitalter der Wissens- und Informationsgesellschaft ein wesentliches Mittel zum Wettbewerb. Gleichzeitig entfalten sie ihre positiven, innovationsfördernden Wirkungen nur im Wettbewerb. Ist ein Markt für den Wettbewerb nicht offen, besteht für den Monopolisten kein Anlass, in bessere Produkte zu investieren. Außerdem kann unternehmerisches Verhalten im Zusammenhang mit Immaterialgüterechten den Wettbewerb beschränken, was eine Kontrolle dieses Verhaltens durch das Kartellrecht rechtfertigt. Der funktionelle Zusammenhang, in dem die Rechte des geistigen Eigentums und der Wettbewerb stehen, wirft fundamentale Fragestellungen auf. Ihre Untersuchung bildete den Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Aktivitäten im Jahre 2005.

Optimale Gestaltung von Immaterialgüterrechten unter Berücksichtigung wettbewerbsrechtlicher Gesichtspunkte

Wie lassen sich Immaterialgüterrechte unter Berücksichtigung wettbewerbsrechtlicher Gesichtspunkte optimal gestalten, sodass sie genügend Anreize zur Hervorbringung neuer Leistungen schaffen, ohne zugleich den Zugang zu Märkten zu blockieren? Die Gewährung von Geschmacksmusterschutz für formgebundene Kfz-Ersatzteile ist ein Paradebeispiel für diese Problematik.

Die Form so genannter Must-match-Ersatzteile – wie etwa Kotflügel, Scheinwerfer oder Außenspiegel – ist zwingend für die Wiederherstellung der ursprünglichen Funktion oder der Erscheinungsform des Erzeugnisses, in dem sie integriert sind. Substitute zu den vom Originalhersteller angebotenen Ersatzteilen gibt es nur, sofern diese mit dem Originalteil identisch sind. Erfüllt ein Must-match-Teil die Voraussetzungen für den Geschmacksmusterschutz und erstreckt sich dieser Schutz über den Markt für den anfänglichen Einbau des Teiles in das komplexe Erzeugnis hinaus auf den Ersatzteilmarkt, so hat dies eine Monopolstellung des Schutzrechtsinhabers auf dem Markt für formgebundene Ersatzteile zur Folge. Ersatzteilproduzenten, die nicht gleichzeitig Zulieferer der Autohersteller sind, werden vom Markt grundsätzlich ausgeschlossen. Originalersatzteilhersteller, die als Zulieferer etwa der Automobilhersteller tätig werden, wird der direkte Zugang zum Endkunden verwehrt.

In der Debatte um die von der Europäischen Kommission im Jahre 2004 vorgeschlagene Einführung einer Reparaturklausel in der Geschmacksmusterrichtlinie sind durchaus unterschiedliche Standpunkte denkbar. Nicht von der Hand zu weisen ist das Argument, dass auch Ersatzteile die allgemeinen Schutzvoraussetzungen des Geschmacksmusterrechts erfüllen. Im Übrigen werden industriepolitische Argumente zugunsten des Schutzes ins Feld geführt. Ob dagegen umgekehrt der Mangel an Wettbewerb in dieser und ähnlichen Situationen eine Zurückziehung beziehungsweise Einschränkung des Schutzes rechtfertigt, hängt von der ganz grundlegenden, weit über das Geschmacksmusterrecht hinausgreifenden Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Immaterialgüterschutz und dem Wettbewerbsschutz ab.

Anwendung der Kartellvorschriften auf Immaterialgüterrechte im Lichte der Ökonomisierung des Kartellrechts

Setzt man voraus, dass sowohl die Immaterialgüterrechte als auch das Kartellrecht auf die Schaffung gesellschaftlich optimaler Marktbedingungen zur Versorgung des Einzelnen mit innovativen, qualitativ hochwertigen und kulturell wertvollen Gütern abzielen, ist es notwendig, dynamische Aspekte in die kartellrechtliche Beurteilung schutzrechtsbezogener Wettbewerbsbeschränkungen zu integrieren.

Bereits im Jahre 1999 brachte die Europäische Kommission mit der Verabschiedung einer neuen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen den so genannten ökonomischen Ansatz (more economic approach) im europäischen Kartellrecht zur Anwendung. Die Ökonomisierung des Kartellrechts bedeutet, dass die kartellrechtliche Beurteilung eines unternehmerischen Verhaltens von seinen konkreten ökonomischen Auswirkungen auf dem relevanten Markt abhängt. Abgesehen von wenigen Praktiken, deren negative Auswirkungen auf den Wettbewerb eindeutig sind, lässt sich keine generalisierende Aussage über die kartellrechtliche Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines bestimmten Verhaltens treffen. Vielmehr müssen die positiven und negativen Wirkungen einer Wettbewerbsbeschränkung im Einzelfall abgewogen werden. Die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, diesen neuen Ansatz auf alle Bereiche des Kartellrechts anzuwenden. Den Reformen der Fusionskontroll- und der Technologietransferverordnung sowie den neuen Leitlinien zur Anwendung der Freistellungsvoraussetzungen vom Kartellverbot aus dem Jahre 2004 soll im Jahre 2006 eine grundlegende neue Auslegung der Regeln über den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen folgen.

Der wirtschaftsorientierte Ansatz bietet einen im Grundsatz geeigneten analytischen Rahmen, um die innovations- und wettbewerbsfördernden Wirkungen von Immaterialgüterrechten hinreichend in die kartellrechtliche Beurteilung einzubeziehen. So wird die Herstellung ökonomischer Effizienz zunehmend als Hauptziel des Kartellrechts betrachtet. Immaterialgüterrechte fördern die Innovation und tragen damit zur dynamischen Effizienz bei. Die Anwendung des ökonomischen Ansatzes auf Technologiemärkte wirft allerdings neue Fragen auf. So knüpft die kartellrechtliche Beurteilung von Lizenzvereinbarungen grundsätzlich an das Wettbewerbsverhältnis der Vertragsparteien sowie an ihre jeweiligen Marktanteile an. Die Bestimmung, ob die Lizenzparteien in einem horizontalen oder vertikalen Verhältnis stehen, hängt maßgeblich von der Abgrenzung des relevanten Produkt- und Technologiemarkts ab. Die Festlegung des relevanten Analysezeitpunkts erlangt dabei entscheidende Bedeutung. Vor allem aber stellt sich die Frage nach der Zweckmäßigkeit eines statisch geprägten Marktanteilmodells im Hinblick auf die Dynamik von Technologiemärkten.

Effizienzüberlegungen sind auch in die kartellrechtliche Analyse von schutzrechtsbezogenen Marktmachtmissbräuchen einzubeziehen. Immaterialgüterrechte verleihen zwar eine ausschließliche Rechtsposition. Jedoch verfügt ein Schutzrechtsinhaber über keine Monopolstellung, soweit auf dem relevanten Markt Substitutionsprodukte angeboten werden. Problematisch erweisen sich dagegen die Situationen, in denen der Zugang zu einem Markt blockiert wird. Eine Antwort auf die Frage, welche Rolle immaterialgüterrechtlich gesicherten Exklusivpositionen dabei zukommt und wie Wettbewerbsstrategien wie etwa eine Lizenzverweigerung oder eine Produktbündelung kartellrechtlich zu bewerten sind, erfordert die eingehende Untersuchung ökonomischer Zusammenhänge.

Schließlich hat die Ökonomisierung des Kartellrechts eine weitere Konsequenz, die zwar generell alle Industriebereiche betrifft, sich aber für komplexe Technologiemärkte besonders schwerwiegend auswirkt, nämlich den Verlust an Rechtssicherheit. Wird die kartellrechtliche Beurteilung unternehmerischen Verhaltens von seinen konkreten Marktauswirkungen abhängig gemacht, muss auf ökonomische Modelle zurückgegriffen werden. Die Vielzahl und Komplexität dieser Modelle und die ökonomische Sachgerechtheit einer einzelfallbezogenen Wettbewerbsanalyse stehen in einer offensichtlichen Spannung mit der Notwendigkeit normativer Generalisierung und Vorhersehbarkeit. Dies wirkt sich umso gravierender aus, als in Folge der Modernisierung des europäischen Kartellrechts die Unternehmen die Vereinbarkeit ihres Verhaltens mit den Wettbewerbsregeln in Eigenverantwortung abschätzen müssen. Vor diesem Hintergrund stellt die Umsetzung moderner industrieökonomischer Erkenntnisse in justiziable, transparente Rechtsregeln eine zentrale Aufgabe des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht dar.

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